Landkreis Heydekrug

Landkreis Heydekrug
Der Landkreis Heydekrug. Rot: Kreisgrenzen; gelb: heutige Grenze zwischen Litauen (Norden) und Russland (Süden). Das heute zu Russland gehörende Gebiet wurde 1920 vom Kreis abgetrennt, das rot markierte Gebiet im Südosten kam 1920 hinzu (Inkrafttreten des Versailler Vertrags). Nach dem Grenzregelungsvertrag vom 29. Januar 1928 verlief die deutsch-litauische Grenze im Kurischen Haff von der alten Kreisgrenze auf der Kurischen Nehrung in gerader Linie bis zur Ausflussstelle der Gerade-Ost ins Kurische Haff (RGBl. 1929 II, S. 212).

Der Landkreis Heydekrug (vor 1. Mai 1939 Kreis Heydekrug) war ein Landkreis im Regierungsbezirk Gumbinnen in Ostpreußen und bestand von 1818 bis 1945. Von 1920 bis 1939 gehörte der Kreis zum von Deutschland abgetrennten und 1923–1939 von Litauen besetzten Memelland. Sitz der Kreisverwaltung war die Gemeinde (ab 1941 Stadt) Heydekrug (heute Šilutė).

Das Gebiet gehört heute zu Litauen und liegt dort im Distrikt Klaipėda (Memel), der Südteil liegt im Rajon Slawsk (Heinrichswalde) der russischen Oblast Kaliningrad.

Inhaltsverzeichnis

Geographie

Blick von Norden auf Ruß (Russ) und die Mündungsarme des gleichnamigen Flusses (links), in der Bildmitte die Skirwieth/Skirwiet (heute die Grenze zwischen Litauen und Russland), rechts vorne die Atmath, im Hintergrund das Kurische Haff
Evangelische Stadtkirche von Heydekrug

Der Landkreis lag im Nordosten Ostpreußens am Kurischen Haff, einer Bucht der Ostsee. Er grenzte im Norden an den Landkreis Memel (bis 1920 im Regierungsbezirk Königsberg), im Osten an das Russische Reich (Gouvernement Kowno) und ab 1918 an Litauen, im Südosten an den Landkreis Tilsit (ab 1920 Pogegen, ab 1. Oktober 1939 Tilsit-Ragnit) und im Süden an den Kreis Niederung (ab 1938 Elchniederung).

Heydekrug war sehr klein und außerdem ab 1941 die einzige Stadt des Landkreises. Bevor Heydekrug Stadt wurde, galt sie auch als „Flecken“. Die nächsten größeren Städte waren Memel (45 km nördlich) und Tilsit (40 km südöstlich). Die Provinzhauptstadt Königsberg lag etwa 100 km südwestlich (jeweils Luftlinie, v.a. im letzten Fall ist der Landweg durch die Umfahrung des Haffs weit länger). Unmittelbar östlich der Grenze zu Russland/Litauen lag Žemaičių Naumiestis (deutsch Neustadt).

Durch den Süden des Kreisgebiets fließt die Ruß (neue Rechtschreibung Russ), ein Mündungsarm der Memel, der durch den gleichnamigen Ort verläuft und sich dort noch einmal teilt. Durch das nördliche Kreisgebiet floss die Minge, die hier in die Atmath mündet. An ihrem Ostufer lag das Sumpfgebiet Augustumaler Bruch. Die Atmath (einer der Russ-Arme) mündet beim Windenburger Eck bzw. bei der Windenburger Ecke in das Kurische Haff.

Verkehr

Durch das Kreisgebiet führte eine von der Preußischen Staatseisenbahn betriebene Strecke von Tilsit über Pogegen (Pagėgiai) und Heydekrug nach Memel, die am 1. Juni 1875 eröffnet wurde. Die Strecke wurde 1892 bis zur deutschen Grenzstation Bajohren verlängert und führte später über Kretinga (deutsch Krottingen) bis nach Riga.

Von Heydekrug führte eine 14,2 km lange normalspurige Kleinbahn nach Kolleschen. Sie wurde am 1. Dezember 1913 eröffnet. Die Schienen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg demontiert.

Die Reichsstraße 132 führte von Tilsit über Heydekrug und Memel bis in das nördlichste Dorf Deutschlands, nach Nimmersatt (Nemirseta). Dort bestand ein Grenzübergang ins litauische Polangen (Palanga).

Im Oktober 1914 wurde die erste Brücke über die Atmath bei Ruß (Russ), die nach dem damaligen Landrat benannte Petersbrücke, dem Verkehr übergeben. Sie besaß zwischen den beiden großen Stahlbogen eine elektrisch betriebene Klappbrücke für den Durchlass von Segelschiffen. Am 9. Oktober 1944 wurde die Petersbrücke von deutschen Pionieren während des Rückzugs der Wehrmacht gesprengt. Erst 1974 wurde eine neue Brücke rund 400 m nördlich der zerstörten Brücke gebaut. Sie besitzt keine Klappbrücke mehr für große Segelschiffe. Die neue Brücke ist 332 m lang. Ihre größte Durchfahrtshöhe bei Mittelwasser beträgt allerdings 15 Meter.

Von Ruß (Russ) führte eine Fährverbindung nach Nidden (Nida) und Schwarzort (Juodkrantė) auf der Kurischen Nehrung und von dort weiter nach Memel. Ausflugsdampfer fuhren auch von Heydekrug zur Kurischen Nehrung.

Gemeinden

Der Landkreis Heydekrug umfasste am 1. Oktober 1944:

  • die Stadt Heydekrug, heute Šilutė in Litauen
  • 96 weitere Gemeinden
  • 6 Gutsbezirke und den Haffanteil des Kreises.

Verwaltungsgeschichte

Gründung

Kleinbahnhof Heydekrug

Nach der Neuorganisation der Kreisgliederung im preußischen Staat nach dem Wiener Kongress entstand mit dem 1. September 1818 der Kreis Heydekrug im Regierungsbezirk Gumbinnen in der preußischen Provinz Preußen (die Verwaltungseinheit Ostpreußen gab es erst ab 1878).

Dieser umfasste die Kirchspiele:

  • Kallningken, seit 1938 Herdenau, heute Prochladnoje
  • Kinten, heute Kintai
  • Ruß, heute Rusnė
  • Schakuhnen, seit 1938 Schakendorf, heute Lewobereschnoje
  • Werden, seit 1. Mai 1939 Gemeindeteil, ab 1941 Stadtteil von Heydekrug, heute Verdainė in Šilutė

Das Landratsamt befand sich in Heydekrug.

Änderung der Provinzgrenzen

Seit dem 3. Dezember 1829 gehörte der Kreis nach dem Zusammenschluss der bisherigen Provinzen Preußen und Westpreußen zur neuen Provinz Preußen mit dem Sitz in Königsberg i. Pr.

Seit dem 1. Juli 1867 gehörte der Kreis zum Norddeutschen Bund und ab 1. Januar 1871 zum Deutschen Reich. Nach der Teilung der Provinz Preußen in die neuen Provinzen Ostpreußen und Westpreußen wurde der Kreis Heydekrug am 1. April 1878 Bestandteil Ostpreußens.

Abtrennung des Memelgebiets

Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 fiel der Kreis Heydekrug an das neu errichtete Memelgebiet, und zwar mit dem nördlich des Memel-Mündungsarmes Ruß (Russ) liegenden Hauptteiles. Die beim Deutschen Reich verbliebenen südlichen Restteile des Kreises Heydekrug wurden vorläufig vom Landrat in Heinrichswalde (Slawsk), Kreis Niederung (später Landkreis Elchniederung), mitverwaltet und zum 1. Juli 1922 auch förmlich diesem Kreis eingegliedert. Ebenso wurden am 27. Januar 1920 die nördlich der Ruß (Russ) liegenden Landgemeinden Groß Schilleningken, Heinrichsfelde, Klein Schilleningken und Leitgirren des Kreises Niederung an den Kreis Heydekrug angeschlossen. Der Gutsbezirk Perwallkischken dagegen fiel an den neu gebildeten Kreis Pogegen, der ihn fast umschloss.

Der Skirwieth-Strom teilt sich kurz vor der Mündung in das Haff in zwei Arme, die Wittinnis-Ost und die Ostraginnis-Ost, die eine vorgelagerte Insel, den Helena-Werder, umfließen. Die Zugehörigkeit des Helena-Werders zum Memelgebiet war ursprünglich umstritten. Anfänglich hatte das Deutsche Reich den Helena-Werder für sich in Anspruch genommen, so dass der nördliche Mündungsarm des Skirwieth-Stromes die neue Grenze gebildet hätte. Da die Grenzziehung durch den Versailler Vertrag hier nicht eindeutig war, ließ der französische Gouverneur, General Odry, eine Entscheidung der mit der Durchführung des Friedensvertrags beauftragten Botschafterkonferenz herbeiführen. Diese traf ihre Entscheidung dahingehend, dass als Grenzlinie derjenige Mündungsarm des Skirwieth-Stromes zu gelten hat, der die Schifffahrtslinie bildet. Da der südliche Arm (die Ostraginnis-Ost) die Schifffahrtslinie bildete, wurde der Helena-Werder dann in den Kreis Heydekrug und damit in das Memelgebiet einbezogen. Endgültig wurden die Grenzstreitigkeiten erst durch den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Litauen über die Regelung der Grenzverhältnisse vom 29. Januar 1928 beigelegt (s. Reichsgesetzblatt 1929, Teil II, S. 212). In diesem Vertrag wurden z. B. auch die Grenzen auf den Memelbrücken in Tilsit geregelt.

Am 10. Januar 1923 wurde das Memelgebiet von litauischen Truppen besetzt und am 7. Mai 1923 unter litauische Oberhoheit gestellt.

Rückgliederung an Deutschland

Infolge des Vertrags über die Wiedervereinigung des Memelgebiets mit dem Deutschen Reich vom 22. März 1939 (s. Reichsgesetzblatt 1939, Teil II, S. 608) trat der Kreis Heydekrug von Litauen (Memelgebiet) wieder zurück zum Deutschen Reich. Er wurde wie vor 1920 wieder in den Regierungsbezirk Gumbinnen in der Provinz Ostpreußen eingegliedert. Entsprechend den reichseinheitlichen Regelungen wurde er jetzt als Landkreis bezeichnet.

Mit der Auflösung des benachbarten Landkreises Pogegen wurde der Landkreis Heydekrug erheblich vergrößert. Er erhielt am 1. Oktober 1939 (vgl. Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, S. 1453):

  • aus dem früheren Landkreis Pogegen die Landgemeinden Akmonischken, Alt Stremehnen, Altweide, Augskieken, Bersteningken, Coadjuthen, Heydeberg, Kaszemecken, Kawohlen, Matzstubbern, Medischkehmen, Meischlauken, Mädewald, Pageldienen, Pakamonen, Skerswethen, Steppon-Rödszen, Stonischken, Szameitkehmen, Uszpelken und Wersmeningken und den Gutsbezirk Dingken, Forst (teilweise),
  • aus dem Landkreis Elchniederung die Gemeinden Elchwinkel und Skirwiet.

Das Ende

Im Oktober 1944 wurde das Kreisgebiet durch die Rote Armee besetzt. Es wurde danach Teil der Sowjetunion. Dort wurde der Norden der Litauischen und der Süden der Russischen Sowjetrepublik zugeordnet. Seit der Auflösung der Sowjetunion gehören die beiden Kreisteile entsprechend zu Litauen und der russischen Oblast Kaliningrad (als Teil des Rajons Slawsk, der aus dem früheren Landkreis Elchniederung hervorging).

Kommunalverfassung

Der Kreis gliederte sich zunächst in Landgemeinden und in selbstständige Gutsbezirke. Diese kommunale Gliederung blieb auch im Wesentlichen in der memelländischen Zeit bestehen.

Die Entwicklung, die in der 1920er und 1930er Jahren in Preußen stattgefunden hatte, wurde nach der Rückgliederung am 1. Mai 1939 vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die im Deutschen Reich bereits längere Zeit gültige Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 eingeführt, wonach die bisherigen Landgemeinden nun als Gemeinden bezeichnet wurden. Am gleichen Tage fand eine Gebietsreform statt, bei der nahezu alle bisher selbstständigen Gutsbezirke aufgelöst und benachbarten Gemeinden zugeteilt wurden; ferner wurde die Zahl der Gemeinden durch Zusammenlegungen erheblich verringert. Auch die Zusammenfassung der Gemeinden in Amtsbezirke änderte sich.

Die Landgemeinde Heydekrug, die mittlerweile städtische Züge trug, erhielt am 27. September 1941 die Bezeichnung „Stadt“.

Eine neue Kreisverfassung wurde nicht mehr geschaffen; es galt weiterhin die Preußische Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872 in der seit 1. April 1884 gültigen Fassung.

Ortsnamen

Die bis 1939 gültigen Ortsnamen wurden bis auf wenige Ausnahmen mit kleinen Veränderungen bis 1945 beibehalten (s. Amtsblatt der Regierung in Gumbinnen, Jahrgang 1939, S. 115). Eine radikale Eindeutschung der memelländisch-litauisch-kurischen Ortsnamen war zwar vorbereitet, wurde aber bis Kriegsende nicht mehr durchgeführt.

Die letzte offizielle Änderung eines Ortsnamens erfolgte am 9. Juli 1942. Hierbei wurde die Gemeinde Heydeberg in Kugelhof umbenannt.

Siehe auch

Literatur

  • Walter Buttkereit: Der Kreis Heydekrug (Memelland). Flensburg-Mürwik 1976.
  • Paul Dost: Die Privatbahnen und Kleinbahnen Ostpreußens. Böttchers Kleine Eisenbahnschriften. Heft 37. Folge 1.
  • Karte des Deutschen Reichs, Maßstab 1 : 100.000. Großblatt 1
  • Wilhelm Keil: Neumanns Orts-Lexikon des Deutschen Reichs. Ein geographisch-statistisches Nachschlagebuch für deutsche Landeskunde. 3. Auflage. Leipzig 1894.

Quellen

  • Amtsblatt der Regierung in Gumbinnen, Jahrgang 1939, S. 115 (Gemeinden ab 1. Mai 1939)
  • Reichsgesetzblatt 1929, Teil II, Jahrgang 1929, S. 212 (Regelung der Grenzverhältnisse)
  • Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Jahrgang 1939, S. 1453 (neue Kreiseinteilung im Memelland)
  • Reichsgesetzblatt 1939, Teil II, Jahrgang 1939, S. 608 (Rückgliederungsvertrag vom 22. März 1939)

Weblinks


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