Landkreis Ortelsburg

Landkreis Ortelsburg
Kreisgebiet um 1910
Lage in Ostpreußen
Gut Jablonken um 1860, Sammlung Alexander Duncker

Der Landkreis Ortelsburg war ein deutscher Landkreis im Regierungsbezirk Königsberg (später Allenstein) der preußischen Provinz Ostpreußen. Sitz der Kreisverwaltung war die Stadt Ortelsburg, weitere Städte waren Passenheim und Willenberg. Der im Süden der Provinz gelegene Kreis bestand von 1818 bis 1945. Heute gehört diese Region überwiegend zum polnischen Landkreis Powiat Szczycieński.

Inhaltsverzeichnis

Geographie

Der Landkreis Ortelsburg lag in der Region Galinden im zentralen Süden Ostpreußens an der Grenze zu Polen. Er reichte im Norden bis zum Baltischen Höhenrücken, schloss die Allensteiner Seenplatte und die Johannisburger Heide mit ein und ging im Süden in die masurische Tiefebene über. Die Landschaft ist sehr waldreich, der Große Schobensee war mit etwa 860 Hektar der größte See im Kreisgebiet. Mit dem Omulef, der Rosogga und der Szkwa berührten drei größere Narew-Nebenflüsse den Kreis.

Das Wirtschaftsgeschehen wurde hauptsächlich von der Land- und Forstwirtschaft bestimmt. Im 19. Jahrhundert wurde östlich der Kreisstadt ein 2500 km² großes Bernsteinlager ausgebeutet. Die industrielle Infrastruktur bildeten Ziegeleien, Mühlen und Sägewerke. In Passenheim hatte sich ein Kalksandsteinwerk angesiedelt.

Verkehrsmäßig war der Landkreis durch die Bahnlinien Allenstein–Ortelsburg–Johannisburg und Bischofsburg–Ortelsburg–Neidenburg sowie durch die Reichsstraßen 128 Königsberg–Ortelsburg–Polen und 134 Ortelsburg–Preußisch Eylau erschlossen.

Verwaltungsgeschichte

Vorgeschichte

Bevor der Deutsche Orden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in das Gebiet vorstieß, war es nahezu unbewohnt und mit Urwald bewachsen. Im Rahmen seiner Besiedlungspolitik gründete der Orden zahlreiche Ortschaften, und bereits 1386 wurde Passenheim als erster Siedlung das Stadtrecht verliehen. Ortelsburg und Willenberg wurden hingegen erst 1723 zu Städten ernannt. Mit einer zweiten Ansiedlungsaktion erschloss der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts den Osten des späteren Kreisgebietes durch die Gründung zahlreicher neuer Dörfer.

Die Gründung des Kreises bei der Verwaltungsreform 1818

Während die ersten Kreise im Herzogtum Preußen bereits im Zusammenhang mit dessen Konstituierung im Jahre 1525 gebildet wurden, entstand der Kreis Ortelsburg erst mit der Verwaltungsreform vom 30. April 1815. Er wurde mit Wirkung vom 1. Februar 1818 durch die Ausgliederung der drei Städte Ortelsburg, Passenheim und Willenberg mit ihren umliegenden Landgemeinden aus dem Kreis Neidenburg gebildet. Mit einer Flächengröße von 1.703 km² gehörte er danach zu den größten Kreisen der Provinz Preußen, dem späteren Ostpreußen.

Der neue Kreis umfasste die Kirchspiele Friedrichshof, Fürstenwalde, Klein Jerutten, Kobulten, Mensguth, Ortelsburg, Passenheim, Rheinswein, Theerwisch, Schöndamerau und Willenberg. Das Landratsamt wurde in Ortelsburg angesiedelt.

Volksabstimmung 1920

Durch den Versailler Vertrag von 1919 war der Kreis Ortelsburg der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Ostpreußen oder Polen unterworfen. Am 11. Juli 1920 entschieden sich 48.207 Stimmberechtigte des Kreises gegen 497 Stimmen für einen Verbleib bei Ostpreußen. Dieses fast einstimmige Ergebnis ist vor allem auch deswegen bemerkenswert, weil ungefähr ein Drittel der Kreisbevölkerung ethnische Polen waren und es gemeinsam mit den Masuren sogar eine slawische Bevölkerungsmehrheit im Kreisgebiet gab – die sich aber für viele überraschend für eine Zugehörigkeit zu Deutschland entschieden.

Zum 30. September 1929 fand im Kreis Ortelsburg entsprechend der Entwicklung im übrigen Preußen eine Gebietsreform statt, bei der mit Ausnahme von vier Waldgebieten alle bisherigen Gutsbezirke aufgelöst und den benachbarten Landgemeinden zugeteilt wurden.

Nationalsozialismus

Im Rahmen der von den Nationalsozialisten veranlassten „Germanisierung“ von Ortsnamen durch lautliche Angleichungen, Übersetzungen oder freie Erfindungen wurden am 16. Juli 1938 im Kreis Ortelsburg 50 Gemeinden umbenannt. Betroffen waren zum Beispiel Jablonken („Wildenau“), Piasutten („Seenwalde“) oder Wawrochen („Deutschheide“). Zum 1. Januar 1939 erhielt der Kreis Ortelsburg wie alle Gemeindeverbände im Reich die einheitliche Bezeichnung „Landkreis“.

Die deutsche Verwaltungstätigkeit im Landkreis Ortelsburg endete im Januar 1945 mit der Eroberung der Region durch die Roten Armee, das Gebiet wurde später in polnische Verwaltung übergeben, die meisten deutschen und sogar auch viele masurische Bewohner wurden vertrieben.

Polen

Auch heute ist Ortelsburg wieder Sitz einer Kreisverwaltung. Der Powiat Szczycieński („Ortelsburger Kreis“) umfasst alle größeren Gemeinden des ehemaligen deutschen Landkreises. Er gehört zur Woiwodschaft Ermland-Masuren, die in etwa dem polnischen Südteil Ostpreußens entspricht.

Gemeinden

Sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche Eingemeindungen vorgenommen. Während zum Kreis 1908 noch 200 Gemeinden zählten, waren es 1931 nur noch 166 und am 1. Januar 1945 noch 164 Gemeinden.

Im Jahr 1939 bestand der Landkreis Ortelsburg aus drei Städten, 157 Gemeinden und vier Gutsbezirken (Forsten). Mehr als 1000 Einwohner hatten

Insgesamt hatte der Landkreis 1939 72.146 Einwohner, von denen 85,9 Prozent Evangelische und 12,1 Prozent Katholiken waren. Bei der Volkszählung 1900 gaben 43,4 % der Bewohner masurisch als ihre Muttersprache an. Mit einem Anteil von 31,1 Prozent (1900) lebte eine verhältnismäßig große polnischsprachige Minderheit im Kreis.

Landräte

In der Zeit seines 128jährigen Bestehens hatte der Kreis lediglich sieben Landräte. Sowohl der erste Landrat Ritter von Berg (1818 bis 1851) als auch Victor von Poser (1914 bis 1945) kamen auf lange Amtszeiten.

  • 1812: von Berg in Passenheim
  • 1818: von Berg in Ortelsburg
  • 1852: Gustav Adolph August von Röbel
  • 1876: Lilie
  • 188?: von Klitzing
  • 1892: Hermann Bärecke[1]
  • 1897: Paul von Rönne
  • 1914: Victor von Poser und Groß-Naedlitz

Literatur

  • Max Brenk: Der Kreis Ortelsburg im Bild, Rautenberg Verlag, Leer, 3. Auflage, 1996.
  • Hugo Krüger: Die Kirchen des Kreises Ortelsburg, Rautenberg Verlag, Leer 1989.
  • Joachim K. H. Linke: Vierhundert Jahre Ortelsburg. Ortelsburger Mosaik. Schriftenreihe der Kreisgemeinschaft Ortelsburg, Band 1. Rautenberg, Leer 1983.
  • Max Meyhöfer: Die Landgemeinden des Kreises Ortelsburg, 2. Auflage, Rautenberg, Leer 1984, 326 Seiten, ISBN 3-7921-0311-7
  • Max Meyhöfer: Die Landgemeinden des Kreises Ortelsburg (Ergänzungsband), Rautenberg Verlag, Unveränderte Neuauflage, Leer 1995.
  • Victor von Poser, Max Meyhöfer: Der Kreis Ortelsburg. Ein ostpreußisches Heimatbuch. Rautenberg Verlag, Neuauflage, Leer 1995.

Genealogische Literatur

  • Martin Jend, Marc Plessa: Das Kirchspiel Jerutten. Die Familien und ihre Kinder. Nr. 24 der Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg. Historische Einwohnerverzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen. Bornheim/Rheinland, Selbstverlag der GeAGNO, 2011.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Corps Hansea Bonn

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