- Corps Misnia IV (Leipzig und Erlangen)
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Misnia IV war ein Corps in Leipzig und Erlangen, das von 1942 bis 1949 lebte. Der Name steht für Meißen und knüpft an die drei erloschenen Corps gleichen Namens in Leipzig an. Kein Corps hat eine vergleichbar dramatische Geschichte in so kurzer Zeit erlebt.
Inhaltsverzeichnis
Gründung der SC-Kameradschaft
Um die Verbindung zur jungen Studentengeneration aufrechtzuerhalten und die Tradition des SC zu Leipzig weiterzuführen, gründeten die AH-Vorstände der 1935/36 offiziell aufgelösten Leipziger Corps Lusatia, Saxonia, Thuringia IV und Budissa am 13. Dezember 1937 eine Kameradschaft des NSDStB. Saxonia stellte der aktiven Kameradschaft ihr Haus zur Verfügung, entfernte aber alle corpsstudentischen Traditionsgegenstände. Erster Kameradschaftsführer war Helmut Römisch Saxoniae, ein überzeugter Nationalsozialist, der 1942 fiel. Die Führung der gemeinsamen Altherrenschaft übernahm Lusatia. Als besondere Aufgaben waren der Kameradschaft „Landdienst“ und „Grenzlandarbeit“ zugewiesen. Hierzu gehörten Ernteeinsätze an der östlichen Reichsgrenze und die Betreuung „auslandsdeutscher“ Studenten in Leipzig. Unter dem baltendeutschen Kameradschaftführer Walter Masing nahm die Kameradschaft auf dem Deutschen Studententag am 22. Juni 1938 den Namen Markgraf von Meißen an und erinnerte damit an den Universitätsgründer Friedrich den Streitbaren, Markgraf von Meißen. Zum Kameradschaftsleben gehörten Kneipen alter Art, Paukstunden mit dem leichten Säbel und Herrenabende nach dem Vorbild des Corps Lusatia.
Korporation „Markgrafschaft“
Während des Zweiten Weltkrieges waren in der Kameradschaft Studenten aktiv, die entweder noch nicht zur Wehrmacht einberufen oder nach schwerer Verwundung nicht mehr frontdienstfähig waren, sowie vor allem Medizinstudenten, die nach Frontbewährung zum Studium nach Leipzig kommandiert wurden und den Studentenkompanien angehörten.
Unter dem Einfluss von Lausitzern wandelten die Kameradschaftsführer Eberhard Kratochvil (gefallen 1941 in Russland)) und Karl Hirth 1940 die Kameradschaft in eine Korporation nach alten Vorbild um. Sie gab sich eine eigene Konstitution und wählte die Farben schwarz-gold-blau (Fuchsenband gold-blau) sowie als Zirkel die zwei verschlungenen Großbuchstaben M. Intern nannte sie sich „Markgrafschaft“; die Aktiven bezeichneten sich als „Markgrafen“, ihr Haus als „Markgrafenhaus“ und führten in Anlehnung an den Kösener Briefstil den „Markgräflichen Gruß zuvor!“ ein. Als der Baustab Speer das Corpshaus der Saxonia im Wintersemester 1940/41 aus kriegswichtigen Gründen beschlagnahmen ließ, mussten die Aktiven in Leipziger Gaststätten ausweichen.
Stiftung des Corps Misnia IV
Im Sommersemester 1942 bezogen die Aktiven unter dem Kameradschaftsführer Hans-Joachim Funfack, Sohn eines Corpsstudenten, das noch vollständig im alten corpsstudentischen Stil erhaltene Haus der Lusatia in der Karlstraße 7. Nach Befragung aller im Felde stehenden zuverlässigen Kameradschaftsangehörigen beschlossen die zum corpsstudentisch gesinnten Kern gehörenden Mitglieder die Stiftung eines Corps nach Kösener Grundsätzen.
Abgeleitet von dem Kameradschaftsnamen nannten sie das Corps nach den drei gleichnamigen Vorläufern „Misnia“ und übernahmen den Zirkel der Misnia III. Als Stiftungstag bestimmten sie den 22. Juni 1938. In ihrem Wappen verankerte Misnia die Namen der vier Corps, deren Tradition sie fortsetzen wollte: Lusatia, Saxonia, Thuringia und Budissa. Als Wappenspruch übernahm sie den der „Markgrafschaft“ von 1940: „Treue, Ehre, Tapferkeit“. Der vom Corpsburschen-Convent gewählte Senior bekleidete in Personalunion zugleich das Amt des Führers der offiziell bis 1945 weiter bestehenden Kameradschaft Markgraf von Meißen, der auch zahlreiche nicht in das engere Corps übernommene Mitglieder angehörten. Corps und Kameradschaft waren also nicht identisch.
Leipziger Waffenring
Mit der Corpsverfassung war die Einführung der Pflichtmensur auf Glockenschläger beschlossen worden. Am 18. November 1942 focht Misnia die erste Bestimmungsmensur, der eine Serie weiterer folgte, meistens auf dem Lausitzerhaus. Die Gegenpaukanten stellten ortsansässige jüngere Alte Herren Kösener Corps sowie die Leipziger Verbindung Albertina und die in einer Kameradschaft getarnte Landsmannschaft Plavia. Mit dieser und der Landsmannschaft Afrania beschloss Misnia am 15. November 1943 die Gründung eines Allgemeinen Waffenrings zu Leipzig, „um dem in allen Kreisen des deutschen Studententums ständig wachsenden Drang nach einer Renaissance alter deutscher Waffenstudentenideale Form und Richtung zu geben“. Sie musste das Unternehmen aber aus Sicherheitsgründen vorzeitig abbrechen. Bereits Ende 1942 hatte die Wehrmachtführung den Angehörigen der Studentenkompanien aus militärischen Gründen die Austragung von Mensuren untersagt. Ungeachtet der von Wehrmacht und Reichsstudentenführung angedrohten Disziplinarmaßnahmen führte Misnia den Fechtbetrieb bis zum Ende des Sommersemesters 1944 weiter.
Versuchte Neugründung des Kösener SC-Verbandes
Im Mai 1944 beschloss der CC des Corps Misnia, mit gleich gesinnten getarnten Corps anderer Universitäten einen Kösener Verband zu rekonstituieren. Unter dem Briefkopf der Kameradschaft Markgraf von Meißen, aber im hergebrachten Kösener Briefstil, lud Misnia zu einem Kommers nach Leipzig mit anschließendem „Besuch der Traditionsstätten des KSCV in Kösen“ folgende Bünder ein: die Kameradschaften „Yorck“ (Corps Rhenania Bonn), „Schwabenland“ (Corps Suevia Freiburg), „Axel Schaffeld“ (SC zu Heidelberg), „Carl Almenröder“ (SC zu Marburg) und „Theodor Körner“ (Corps Franconia Tübingen) sowie das 1943/44 (ohne Kameradschaft) reaktivierte Corps Bavaria Würzburg. Rhenania Bonn, Franconia Tübingen und Bavaria Würzburg sagten zu und entsandten Vertreter.
Rudelsburg
Nach Verhandlungen auf dem Lausitzerhaus in Leipzig am 10. Juni 1944 unterzeichneten die vier Corps am nächsten Tag auf der Rudelsburg das von Misnia entworfene Abkommen. Darin bekannten sie sich zur unbedingten Satisfaktion mit der Waffe, zur Bestimmungsmensur und zur Aufrechterhaltung und Pflege waffenstudentischer Sitten und Comments. Sie vereinbarten einen jährlich vor Pfingsten abzuhaltenden gemeinsamen Convent, die Einführung des regelmäßigen Meldewesens, laufende gegenseitige Einladungen und ein offizielles Vorstellungsverhältnis.
Die Originalurkunde der Vereinbarungen befindet sich im Lausitzerarchiv.[1]
Verfahren der Gestapo
Die Kösener Vereinbarungen kamen aus kriegsbedingten Gründen nicht mehr zum Tragen. Ein ehemaliger Führer der Heidelberger SC-Kameradschaft denunzierte die Kameradschaft Markgraf von Meißen bei der Gaustudentenführung Baden, die den Vorgang der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) meldete. Diese leitete ein Ermittlungsverfahren wegen eines „hochverräterischen Unternehmens und versuchter Neugründung von Parteien“ ein. Die für das Kösener Treffen verantwortlichen Aktiven der Misnia waren inzwischen zu ihren Truppenteilen versetzt worden und entgingen amtlichen Vorladungen; die Gestapo-Leitstelle Dresden vernahm aber den als geistigen Urheber beschuldigten AHV-Vorsitzenden der Lusatia, und das Reichssicherheitshauptamt lud den nicht mehr frontdienstfähigen neuen Meißnersenior nach Berlin vor. Die Verfahren verliefen sich in den Wirren der letzten Kriegsmonate.
Sitzverlegung nach Erlangen
Nach dem Zweiten Weltkrieg erwies sich die Weiterführung des Corpsbetriebes in der Sowjetischen Besatzungszone als unmöglich. Ein letzter Convent der Misnia in Leipzig am 7. Dezember 1946 beschloss daher, den Sitz des Corps in die Amerikanische Besatzungszone zu verlegen, an die Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen. Hier begann Misnia mit drei aus der Kriegsgefangenschaft schwer verwundet entlassenen Corpsburschen am 14. Dezember 1946 als erstes deutsches Corps nach dem Kriege unter dem Namen Misnia Leipzig zu Erlangen den vollen Aktivenbetrieb ohne Unterstützung durch eine Altherrenschaft, beteiligte sich an der Gründung einer „SC-Notgemeinschaft“ und focht entgegen dem Verbot der Besatzungsmacht am 4. April 1948 die ersten Mensuren.
Das Corps war hochschulpolitisch aktiv; ein Meißner gehörte 1948/49 dem Präsidium des Allgemeinen Studentenauschusses (AStA) an.
Verhältniscorps
Am 30. Oktober 1948 schloss Misnia mit den Corps Hannovera und Thuringia Jena zu Hamburg offizielle Vorstellungsverhältnisse ab.[2] Bei einem Treffen auf dem Haus der Rhenania Bonn am 17. Dezember 1948 anerkannten Vertreter der Lusatia, Saxonia, Thuringia und Budissa die Misnia als Corps und „Fortsetzung der vier Corps des Leipziger SC“. Einige Alte Herren dieser Corps, überwiegend solche der Lusatia, wurden bei Misnia Corpsschleifenträger; die meisten erhielten später das Band.
Weiterführung als Lusatia
In der Folgezeit erfuhren die Aktiven in Erlangen eine dauerhafte wirksame Unterstützung nur durch die mit der Misnia schon zur Kriegszeit eng verbundene Altherrenschaft der Lusatia. Die drei anderen Leipziger Corps gingen eigene Wege. Der CC der Misnia erkannte, dass sich ein gemeinsames SC-Corps nicht aufrechterhalten ließ, und beschloss daher den vollständigen Anschluss an die Lausitzer. Misnia Leipzig zu Erlangen suspendierte am 3. Dezember 1949. Anschließend rekonstituierte sich sofort Lusatia Leipzig zu Erlangen und übernahm durch Rezeption 26 Meißner mit Band und acht weitere, die aus kriegsbedingten Gründen (noch) nicht hatten fechten können, mit Corpsschleife. Lusatia erkannte alle Mensuren der Misnia an und übernahm auch deren offizielle Vorstellungsverhältnisse mit Hannovera (später wieder Kartell) und Thuringia Jena (später befreundet). Die Chargierten der Misnia blieben für das laufende Semester als solche der Lusatia im Amt. In den Kösener Corpslisten 1996 ist das Corps Misnia IV mit einer eigenständigen Liste vertreten, die einschließlich der Mehrbändermänner 90 Mitglieder umfasst.
Zweiundzwanzig Meißner, ein Viertel der Corpsbrüder, fielen im Zweiten Weltkrieg, darunter zehn von fünfzehn Aktiven des Jahres 1939.
Couleur
Die „Meißner“ genannten Corpsmitglieder trugen das Band in den Farben dunkelblau-gold-karmesinrot entsprechend dem Blau der Saxonia, dem Gold der Budissa, dem Karmesinrot der Thuringia (IV) und der Farbenfolge der Lusatia (Fuchsenfarben: dunkelblau-karmesinrot). Sie trugen eine dunkelblaue Mütze im großen Biedermeierformat, drei bereits 1943 in die Lusatia übernommene Aktive die Lausitzermütze. Das Band wurde intern über der Wehrmacht-Uniform getragen. Chargierte trugen die Pekeschen der Lusatia.
Bekannte Mitglieder der Misnia IV
- Eckart Förster (1920-1999), Kinder- und Jugendpsychiater
- Werner Schröder (Theologe) (* 1924)
- Christian Helfer (1930-2008), Rechtssoziologe
- Max Hochrein (1897-1973), Internist, Hochschullehrer
- Fritz Lindenmaier (1881-1960), Richter am Bundesgerichtshof
- Walter Masing (1915-2004), Physiker, Unternehmer
Einzelnachweise
- ↑ E. Bauer: Eine Rekonstitution des KSCV im Juni 1944. Deutsche Corpszeitung 53. (70.) Jahrg., Nr.2/1953, S. 7
- ↑ Hannovera stand gleichzeitig in Hamburg mit dem Corps Suevo-Borussia in einem befreundeten Verhältnis. Das Vorstellungsverhältnis zwischen Hannovera und Thuringia bestand bis zur Rekonstitution von Brunsviga Göttingen als dem alten Kartell der Thüringer in Göttingen.
Literatur
- Erich Bauer: Von der Kameradschaft zum Corps - Die Gründungsgeschichte der Misnia IV zu Leipzig [1937-1942]. Einst und Jetzt (Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung), Bd. 18 (1973), S. 114-131
- Egbert Weiß: Die Constitution der Kameradschaft Markgraf von Meißen. Ein Beitrag zur Geschichte des Corps Misnia IV. Einst und Jetzt (Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung), Bd. 19 (1974), S. 122-140
- Egbert Weiß: Leipziger Mensuren im 2. Weltkrieg. Fortsetzung der Geschichte des Corps Misnia IV [1942-1944]. Einst und Jetzt (Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung), Bd. 20 (1975), S. 60-77
- Egbert Weiß: Leipziger Corpsleben im 2. Weltkrieg. Fortsetzung der Geschichte des Corps Misnia IV [1944/45]. Einst und Jetzt (Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung), Bd. 21 (1976), S. 137-152
Weblinks
Siehe auch
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