Gerhard von Scharnhorst

Gerhard von Scharnhorst
Gerhard von Scharnhorst, Gemälde von Friedrich Bury

Gerhard Johann David von Scharnhorst (* 12. November 1755 in Bordenau, heute Teil von Neustadt am Rübenberge; † 28. Juni 1813 in Prag) war ein preußischer General. Neben August Graf Neidhardt von Gneisenau war er – als Vorsitzender der Militärreorganisations-Kommission seit Juli 1807 – der entscheidende Organisator der folgereichen Preußischen Heeresreform. Da er am deutlichsten den Zusammenhang zwischen Militärreform und gesellschaftlichen Veränderungen erkannte, gilt er noch heute als der Vorbildlichste der Militärreformer der Zeit der Befreiungskriege.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Geburtshaus von Scharnhorst in Bordenau
Scharnhorst-Denkmal im Geburtsort Bordenau

Gerhard Johann David Scharnhorst wurde am 12. November 1755 in Bordenau bei Hannover als Sohn des Quartiermeisters Ernst Wilhelm Scharnhorst geboren, der wiederum aus einer alteingessenen Bordenauer Brinksitzer-, das heißt Kleinbauernfamilie, stammte, und dessen Ehefrau Wilhelmine Tegtmeyer, Tochter des Besitzers eines „landschaftsfähigen“ Gutes in Bordenau. Die früheren Besitzer des Gutes, das Ernst Wilhelm Scharnhorst nach einem Rechtsstreit erbte, waren Mitglieder der machtvollen Ständevertretung, genannt die Calenberg-Grubenhagensche Landschaft. Dies setzte noch im 17. Jahrhundert eigentlich Zugehörigkeit zum Adel voraus; später hing aber die „Landstandschaft“ nicht mehr am Adelsprädikat, sondern am Gutsbesitz. Bordenau war nur ein kleines Gut, das nie lohnenden Ertrag abwarf, und aus der Sicht der preußischen Gardeoffiziere, die sich später über Scharnhorsts Herkunft mokierten (geadelt erst 1804), nur eine „Klitsche“.[1]

Scharnhorst besuchte seit 1773 die vom Grafen Schaumburg-Lippe errichtete Militärschule auf dem Wilhelmstein und trat 1778 als Fähnrich in das hannoversche Reiterregiment des Generals von Estorff ein. In dieser Zeit war er in Northeim (damals Nordheim) bei Göttingen stationiert. 1782 wurde er Leutnant in der Artillerie. 1783 begann er mit einer Militärischen Studienreise durch Bayern, Sachsen, Baden, Österreich und Preußen. Anschließend verfasste er Berichte über das Bayrische Militär, das in seinen Schriften nicht sehr gut abschnitt, bald darauf wurde er Lehrer an der Kriegsschule und 1792 Stabskapitän.

In den Jahren 1793–1795 machte er an der Spitze einer reitenden Batterie die Feldzüge in Flandern und Holland in der alliierten Armee mit und spielte besonders bei dem Rückzug aus Hondschoote und der Verteidigung Menens eine wichtige Rolle, weshalb er auf Betreiben des Generals von Hammerstein zum Major befördert wurde.

Nach dem Krieg 1796 zum Oberstleutnant befördert, beschäftigte er sich mit literarisch-militärischen Arbeiten (wie für die allseits in Europa anerkannte Zeitschrift Neues Militärisches Journal), in denen er seine Erfahrungen aus den Feldzügen von 1793-1795 verarbeitete. Zudem legte er seinen Vorgesetzten mehrere Denkschriften über Reformen, die seiner Meinung nach in der Hannoverschen Armee nötig seien, vor. Nachdem er die Reformen in Hannover nicht durchsetzen konnte, trat er 1801 als Oberstleutnant der Artillerie in den preußischen Dienst über und wurde zum Direktor der Lehranstalt für junge Infanterie- und Kavallerieoffiziere ernannt, auf die sein Unterricht großen Einfluss ausübte. Hier unterrichtete er seine späteren Freunde und Mitarbeiter bei der Heeresreform Carl von Clausewitz, Hermann von Boyen, Karl Wilhelm Georg von Grolman und Karl von Müffling.

1802 stiftete er die Militärische Gesellschaft in Berlin, der General Ernst von Rüchel als Präses vorstand. Die Gesellschaft gilt als Keimzelle der Heeresreform.

1804 in den Adelsstand erhoben und zum Obersten befördert, wurde er 1806 als Chef des Stabes zunächst dem General von Rüchel, später dem Herzog von Braunschweig zugeteilt. Ununterbrochen schrieb er auch in diesen Jahren Denkschriften über Reformen wie z. B. die Einführung einer Nationalmiliz und die Mobilmachung.

In der Schlacht bei Auerstedt führte er sein Regiment vortrefflich, wurde jedoch in der linken Seite verwundet und machte den Rückzug Blüchers nach Lübeck mit. In einem Brief an seine Tochter Julie am 22. November 1806 aus Rostock schreibt er:

„Wenn Schmit [sein Diener] bei mir im Wagen schläft, so habe ich die traurige Freiheit, mich ganz dem Ausbruch des Schmerzes zu überlassen. Mich trifft es doppelt, da ich all die Fehler, die Dummheit, die Feigheit kenne, die uns in die jetzige Lage gebracht haben. Der einzige Trost, der innere, ist, daß ich Vorschläge von Anfang an getan habe, wie man unserm Unglück zuvorkommen konnte, die Einrichtung einer Nationalmiliz, der allgemeinen Bewaffnung des Landes im Vorigen Sommer, die Verstärkung der Regimenter, eine engere politische Verbindung. Ebenso habe ich in den Operationen immer den richtigen Gesichtspunkt gezeigt; in der Schlacht selbst habe ich den Teil, bei dem ich war, zum Siege geführt; kurz, ich habe für meine Person tausend mal mehr getan als ich zu tun brauchte.“

Mit Blücher gefangen, aber mit demselben bald wieder ausgetauscht, wohnte er als Generalquartiermeister in L’Estocqs Korps der Schlacht bei Preußisch Eylau bei. Wegen seines tapferen und klugen Einsatzes in der Schlacht wurde er mit dem Pour le Mérite ausgezeichnet. Nach dem Frieden von Tilsit wurde er am 25. Juli 1807 zum Chef des Kriegsdepartements (Kriegsministerium), zum Chef des Generalstabes und zum Vorsitzenden der Militär-Reorganisationskommision ernannt, zu deren wichtigsten Mitgliedern Gneisenau, Grolman, Boyen und Clausewitz gehörten. In dieser Stellung reorganisierte er das Heer von Grund auf, indem er Qualifikationsvoraussetzungen für den Offizierstand einführte, das Werbesystem beseitigte und durch möglichst rasche Ausbildung der Rekruten (dem Krümpersystem) eine starke Reserve schuf sowie den Soldatenstand sittlich und geistig hob; er wandelte das Söldnerheer in ein stehendes Volksheer um und bereitete so die Organisation der Landwehr und die Befreiung Deutschlands vor.

Im Juni 1810 musste er durch französischen Druck „der Form nach“ vom Amt des preußischen Kriegsministers zurücktreten, blieb jedoch Chef des Generalstabes und nutzte die gewonnene Zeit als neuer Chef des Ingenieurkorps zu dessen Aufbau.

Als die Russen Anfang 1813 an der Grenze Schlesiens erschienen waren, betrieb Scharnhorst mit Eifer die Erhebung Preußens und den Abschluss des Traktats von Kalisch mit Russland (28. Februar). Mit Sicherheit hat Scharnhorst das Militärbündnis von Kalisch und die Stiftung des Eisernen Kreuzes dringend befürwortet; ihn jedoch als Initiator zu sehen, stellt eine Überschätzung dar. Entscheidender für den Abschluss des Vertrages von Kalisch war der Kanzler Hardenberg. Scharnhorst bewog den König zur Stiftung des Eisernen Kreuzes und wurde dann beim Ausbruch des Kampfes als Chef des Generalstabs der schlesischen Armee des preußischen Oberbefehlshabers Blücher zugeteilt, mit dem gemeinsam er vergeblich eine energischere Kriegführung anriet.

Grabstätte von Scharnhorst auf dem Invalidenfriedhof in Berlin

In der Schlacht bei Großgörschen (2. Mai 1813) erlitt er eine Schussverletzung am linken Knie, am selben Tage wurde ihm das Eiserne Kreuz verliehen. Wenige Wochen später, am 28. Juni 1813, starb er in Prag wegen unzureichender Behandlung der Fußverletzung, als er auf dem Weg nach Wien war, um Österreich zum Anschluss an die Koalition zu bewegen. Er wurde auf dem Invalidenfriedhof in Berlin beigesetzt, wo sein Grab ein von Karl Friedrich Schinkel gestaltetes Monument mit einem Relief von Friedrich Tieck schmückt. 1822 ließ König Friedrich Wilhelm III. dem Verstorbenen durch Rauchs Meisterhand vor der Hauptwache in Berlin eine Bildsäule errichten. In seinem Geburtsort Bordenau besteht ein Denkmal vor seinem Geburtshaus.

Nachkommen

Scharnhorsts ältester Sohn, Wilhelm von Scharnhorst, geb. 1786, avancierte zum Artillerieinspektor von Stettin und Koblenz, befehligte 1849 gegen die Badische Revolution die Artillerie und wurde nach der Übergabe von Rastatt Kommandeur dieser Festung. 1850 nahm er als General der Infanterie seinen Abschied und starb 13. Juni 1854 in Bad Ems. Verheiratet war er mit Agnes, einer Tochter Gneisenaus. Mit dem Tod ihres gemeinsamen Sohnes August von Scharnhorst, der am 11. November 1875 als Platzmajor von Pillau starb, erlosch der Mannesstamm der Scharnhorsts, im Gegensatz zu der von Tochter Julie von Scharnhorst (1788–1827) durch ihre Heirat mit Graf Friedrich zu Dohna-Schlobitten (1784–1859) im Jahre 1809 begründeten Linie.

Vermächtnis

Nach Gerhard von Scharnhorst wurden der Große Kreuzer SMS Scharnhorst und das Schlachtschiff Scharnhorst benannt. Seinen Namen tragen die ehemalige Zeche Scharnhorst und – davon abgeleitet – die Stadtteile Alt-Scharnhorst und Scharnhorst-Ost sowie der Stadtbezirk Scharnhorst in Dortmund. Nach ihm wurde der Scharnhorst-Orden der DDR benannt. 1980 gab die DDR zum 225. Geburtstag Scharnhorsts eine 10-Mark Gedenkmünze heraus.

An Scharnhorst erinnert der Preis für die Jahrgangsbesten der Offizieranwärterjahrgänge des Deutschen Heeres, das Scharnhorsthaus an der Panzertruppenschule in Munster sowie der Scharnhorstsaal, das Audimax der Offizierschule des Heeres in Dresden. Zudem trägt das Scharnhorstgymnasium in Hildesheim seinen Namen, und in Wunstorf die Scharnhorstschule. In Wunstorf am Stadtgraben an die Auebrücke befindet sich ebenfalls ein Gedenkstein. Die Gründung der Bundeswehr wurde 1955 bewusst auf den 12. November gelegt, den 200. Geburtstag von Scharnhorsts. Aus Anlass seines 250. Geburtstages fand am 12. November 2005 an seinem Geburtsort in Bordenau ein Feierliches Gelöbnis statt. Dieses bildete den Abschluss der Veranstaltungsreihe „50 Jahre Bundeswehr“.

Die Bundeswehr hat einige Kasernen nach Scharnhorst benannt, z. B. die Scharnhorst-Kaserne in Lingen (Ems), Northeim, Bremen oder Lüneburg, welche Mitte der 1990er Jahre in einem umfangreichen Konversionsprojekt zu einem Campus der Universität Lüneburg umgestaltet wurde. Die Scharnhorst-Kaserne, eine Sanitätskaserne in Hamburg-Harburg wurde 1993 aufgegeben und das Gelände im Stadtteil Heimfeld mit einer Wohnsiedlung „Scharnhorst Höhe“ bebaut.


Ihm zu Ehren wurde eine Büste in der Walhalla aufgestellt.

Anmerkungen

  1. Der Name Klitsche leitet sich (wahrscheinlich) vom slawischen Klita ab und steht für Schlechtes Haus, Hütte oder Lehmhütte; vgl. Klitsche.

Werke

Scharnhorst - zeitgenöss. Stich
  • Handbuch für Offiziere in den angewandten Teilen der Kriegswissenschaften. 3 Bde., Hannover, 1787–90; neue vervollständigte Auflage von Hoyer, 1817–20.
  • Militärische Denkwürdigkeiten. 5 Bde., Hannover, 1797–1805.
  • Handbuch der Artillerie. Hannover, 1804, 1806, 1814.
  • Militärisches Taschenbuch zum Gebrauch im Felde. Mit einem Vorwort von Ulrich Marwedel, Neudruck der 3. Auflage von 1794, Osnabrück: Biblio Verlag, 1980 (=Bibliotheca Rerum Militarium, XXXI), ISBN 3-7648-0841-1.
  • Über die Wirkung des Feuergewehrs. Für die Königl. Preußischen Kriegs-Schulen. Neudruck der Ausgabe von 1813. Mit einer Einleitung von Werner Hahlweg, Osnabrück: Biblio Verlag, 1973 (=Bibliotheca Rerum Militarium, XXVI), ISBN 3-7648-0181-6.
  • Ausgewählte Schriften. Mit einer Einführung hrsg. v. Ursula von Gersdorff, Osnabrück: Biblio Verlag, 1983 (=Bibliotheca Rerum Militarium, XLIX), ISBN 3-7648-1273-7.
  • Ausgewählte militärische Schriften, Berlin: Militärverlag der DDR, 1. Auflage, 1986, ISBN 3-327-00024-7.
  • Private und dienstliche Schriften, Band 1: Schüler, Lehrer, Kriegsteilnehmer (Kurhannover bis 1795), hrsg. von Johannes Kunisch, bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 52,1), Köln / Weimar / Wien 2002.
  • Private und dienstliche Schriften, Band 2: Stabschef und Reformer (Kurhannover 1795-1801), hrsg. von Johannes Kunisch, bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 52,2), Köln / Weimar / Wien 2003
  • Private und dienstliche Schriften, Band 3: Lehrer, Artillerist, Wegbereiter (Preußen 1801 - 1804) , hrsg. von Johannes Kunisch, bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 52,2), Köln / Weimar / Wien 2005
  • Private und dienstliche Schriften, Band 4: Generalstabsoffizier zwischen Krise und Reform (Preußen 1804 - 1807), hrsg. von Johannes Kunisch, bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 52,2), Köln / Weimar / Wien 2007

Literatur

  • Hermann von Boyen: Beiträge zur Kenntnis des Generals von Scharnhorst und seiner amtlichen Thätigkeit in den Jahren 1808–13. Berlin, 1833.
  • O. F. Schweder: Scharnhorsts Leben. Berlin, 1865.
  • Georg Heinrich Klippel: Das Leben des Generals von Scharnhorst. 3 Bde., Leipzig 1869–71.
  • Max Lehmann: Scharnhorst. 2 Bde., Leipzig 1886–87.
  • Bernhard von Poten: Scharnhorst, Gerhard. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 30, Duncker & Humblot, Leipzig 1890, S. 588–597.
  • Rudolf Stadelmann: Scharnhorst. Schicksal und Geistige Welt. Wiesbaden: Limes 1952.
  • Hansjürgen Usczeck, Scharnhorst: Theoretiker, Reformer, Patriot. Berlin: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1979.
  • Heinz Stübig: Scharnhorst. Die Reform des preußischen Heeres. Göttingen/Zürich: Muster-Schmidt 1988. ISBN 3-7881-0131-8.
  • Klaus Hornung: Scharnhorst. Soldat, Reformer, Staatsmann. Esslingen: Bechtle Verlag, 2001, ISBN 3-7628-0538-5.
  • Andreas Broicher: Gerhard von Scharnhorst. Soldat – Reformer – Wegbereiter. Aachen: Helios-Verlag, 2005, ISBN 3-938208-20-1. Mit 85 Abbildungen.
  • Ralph Thiele: Gerhard von Scharnhorst. Zur Identität der Bundeswehr in der Transformation. Bonn: Bernard & Graefe Verlag, 2006, ISBN 3-7637-6261-2.
  • Michael Sikora: Spuren einer politischen Soldatenkarriere. Einleitung zu: Gerhard von Scharnhorst. Private und dienstliche Schriften, Band 1: Schüler, Lehrer, Kriegsteilnehmer (Kurhannover bis 1795), hrsg. von Johannes Kunisch, bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 52,1), Köln / Weimar / Wien 2002, S. IX-XXX.
  • Heinz Stübig: Gerhard von Scharnhorst - preußischer General und Heeresreformer. Studien zu seiner Biographie und Rezeption. Berlin: Lit 2009. ISBN 978-3-643-10255-3.

Weblinks

 Commons: Gerhard von Scharnhorst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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