- Kindheit
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Als Kindheit bezeichnet man den Zeitraum im Leben eines Menschen von der Geburt bis zur geschlechtlichen Entwicklung (Pubertät). Kindheit ist dabei mehr ein kultureller, sozialer Begriff als ein biologischer. Im engeren Sinne folgt die Kindheit auf das Kleinkindalter (2. und 3. Lebensjahr) und gliedert sich in die frühe Kindheit (4.–6. Lebensjahr), die mittlere Kindheit (7.–10. Lebensjahr) und die späte Kindheit (11.–14. Lebensjahr). Nach der Kindheit folgt die Phase des Jugendalters, der Adoleszenz.[1] Mit dem 4. Lebensjahr ist etwa die doppelte Geburtslänge erreicht.[2]
Inhaltsverzeichnis
Recht
In der Kindheit hat der Mensch eine besondere rechtliche Stellung. Diese ist durch eine Reihe von Deutschen Bundesgesetzen und international durch die UN-Kinderrechte geregelt. Die Rechtsfähigkeit des Kindes beginnt in der Bundesrepublik Deutschland gemäß (BGB) § 1 „mit der Vollendung der Geburt“, seine bedingte Geschäftsfähigkeit und bedingte Strafmündigkeit erlangt es stufenweise später.
Kindheit im Wandel der Geschichte
Antike und Mittelalter
Aus Grabbeigaben ist zwar bekannt, dass es für Herrscherkinder, wie die ägyptischen Pharaonen, durchaus den Luxus einer Kindheit gab. Entsprechende Spielzeuge sind überliefert. Konzepte einer allgemeinen Erziehung der Kinder kommen allerdings erst mit der griechischen und römischen Antike auf - zumindest soweit es überlieferte Quellen hergeben.
Ein besonders drastisches und aus heutiger Sicht abstoßendes Beispiel liefert der griechischen Stadtstaat Sparta. Die dort herrschende Kriegerkaste hatte ein Interesse daran, abgehärtete Kämpfer heranzuziehen und griff deshalb zu Methoden, die selbst zur damaligen Zeit außergewöhnlich waren. Die Grundsätze dieser spartanischen Erziehung soll der legendäre Gesetzgeber Lykurg gelegt haben. Demnach wurden die kräftigsten Männer und Frauen ausgewählt, um gemeinsam Nachwuchs zu zeugen. Ein älterer Mann durfte dazu seine jüngere Frau auch einem anderen Mann geben und anschließend das Kind als sein eigenes anerkennen.
Schon früh wurden die so gezeugten Kinder im Spiel und im Sportunterricht gestählt. Ammen kümmerten sich um ihre Erziehung. Der Dichter Plutarch berichtet: „Die Ammen gewöhnten die Kinder daran, mit jeder Speise vorlieb zu nehmen und allein gelassen selbst im Dunkeln ohne Furcht bleiben.“ Mit zwölf Jahren verließen die Jungen das Elternhaus und wurden in Jugendkasernen von älteren Jungen aufgezogen. Prügelstrafen waren üblich. Die jungen Kadetten mussten ohne Decken schlafen und wurden im Kampf unterrichtet. Nach dem Abschluss dieser Schulung gingen die Jungen in die Obhut eines erfahrenen Mentors über, gewöhnlich ein älterer Kämpfer. Dieser lehrte seinen Knappen das Kriegerhandwerk. Diese bis zum 18. Lebensjahr währende Einführung schloss auch sexuelle Beziehungen zwischen Meister und Schüler ein.
Auch den Mädchen wurde eine harte Kur zuteil. Sie sollten abgehärtet werden, um gesunde, kräftige Kinder zu gebären. Griechen aus anderen Stadtstaaten fiel vor allem die leichte Bekleidung der spartanischen Sportlerinnen auf, die als „Schenkelzeigerinnen“ verspottet wurden. Rechte hatten weder Jungen noch Mädchen, ebenso wenig die Eltern. Die Kinder gehörten laut Lykurgs Ausführungen dem Staat.
Weitaus gesitteter ging es in Athen zu. Ein Zitat des Athener Philosophen Sokrates (469 - 399 v. Chr.) lässt zumindest darauf schließen: „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ Züchtigungen waren aber auch in Athen an der Tagesordnung. So empfiehlt der Philosoph Platon (427 - 347 v. Chr.), ungehorsame Kinder „mit Drohungen und Schlägen wie ein Stück verzogenes Holz“ zurechtzubiegen. Kinder, die ungewollt oder missgestaltet waren, wurde ausgesetzt. Beispiele dafür finden sich auch in griechischen Tragödien, wie etwa Ödipus beweist. Die Griechen werden im allgemeinen als Erfinder der allgemeinen Schule angesehen. Diese waren aber zumeist - wie in Athen - Bürgerkindern vorbehalten. Die Kinder kamen mit sieben Jahren in die Schule, die meist von einem einzelnen Lehrer abgehalten wurde. Fächer waren Schrift und Mathematik, Lyrik und Sport. Die Schulzeit dauerte in der Regel bis zum 16. Lebensjahr. Ältere Schüler wurden von Philosophen und Sophisten in Rhetorik und Naturwissenschaften weitergebildet. Diese verlangten für ihre Vorträge Geld. Herrscherkinder wie Alexander der Große wurden von berühmten Lehrern erzogen. Alexanders Lehrmeister war beispielsweise Aristoteles (384 - 322 v. Chr.). Mädchen wurden zuhause aufgezogen. Zugang zur Schule hatten sie nicht.
Die Beziehung zu den Eltern war nicht immer innig. Wer es sich leisten konnte, betreute Ammen und Sklaven mit der Aufzucht des Nachwuchses. In deren Obhut war eine unbeschwerte Kindheit aber durchaus möglich. Das belegen Vasenbilder mit spielenden Kindern und überlieferte Fabeln für den Nachwuchs. Sklavenkinder hatten ebenso wenig zu erwarten wie der Nachwuchs zugereister Fremder, die in Athen nicht das Bürgerrecht genossen.
Viele Aspekte der griechischen Erziehung finden sich auch im antiken Rom wieder. Die Römer holten sich nach der Eroberung Griechenlands zahlreiche griechische Lehrer für ihre Kinder ins Haus oder schickten den Nachwuchs auf griechische Schulen. So finden sich auch viele Aspekte des griechischen Familienlebens in Rom wieder. Rechte hatte nur der pater familias, das männliche Familienoberhaupt. Er ließ sich nach der Geburt das Neugeborene bringen und entschied, ob er es als sein Kind annahm oder nicht. Ausschlusskriterien waren dabei nicht nur körperliche Missbildungen sondern auch rein praktische Erwägungen: Konnte der Vater es sich leisten, noch ein Mädchen aufzunehmen, für dessen Heirat später eine Mitgift gezahlt werden musste? Kindsaussetzungen waren gerade bei armen Familien auch ein einfaches Mittel der Geburtenbeschränkung. Die abseits gelegenen Plätze, an denen ungewollte Kinder ausgesetzt wurden, waren allgemein bekannt. Kinderlose Frauen konnten dort ungewollte Babys an sich nehmen. Waisen die weniger Glück hatten, wurden von Unternehmern als billige Arbeitskräfte aufgenommen. Auch Bordelle fanden dort Nachwuchs. Selbst die Gründer des römischen Staates waren - der Sage nach - Waisen. Romulus und Remus wurden ausgesetzt und von einer Wölfin gesäugt.
Hatte der Vater ein Kind angenommen, hing man ihm die bulla, ein Amulett um, das es vor Schaden schützen sollte. Die Kindersterblichkeit war hoch. Das drückte den Altersschnitt. Wer das fünfte Lebensjahr überstand hatte aber große Chancen 60 Jahre und älter zu werden. Zum Ausgleich der hohen Kindersterblichkeit waren große Familien mit sechs bis sieben Kindern üblich. Wie in Griechenland waren auch in Rom Ammen beliebt. Sie kamen meist aus dem Sklavenstand und kümmerten sich auch weiter um das Kind, wenn es nicht mehr die Brust bekam. Zur Ernährung der Kleinkinder setzte man auf Ziegenmilch. Körperliche Züchtigung war üblich. 374 wurde erstmals ein Gesetz erlassen, dass die Kindestötung verbietet. Diese neue Idee fand in den kommenden Jahrzehnten allerdings wenig Beachtung.
Mit der Ausbreitung des Christentums in Europa setzte sich ein durchaus zwiegespaltenes Verhältnis der Gesellschaft zu Kindern durch. Zwar waren Kinder durchaus weiter gewollt und willkommen. Schließlich galt die Zeugung von Nachwuchs als höchster Ziel der christlichen Ehe. Zugleich wuchs aber auch die Skepsis gegenüber Neugeborenen und Kleinkindern. Der Kirchenvater Augustinus von Hippo (354 - 430) wies darauf hin, dass Säuglinge in Sünde geboren werden, da sie der sündigen Fleischeslust von Mann und Frau entspringen. Sie seien mit der Erbsünde Adams und Evas behaftet. Zudem sind sie laut, launisch, eifersüchtig und triebhaft. „Schwach und unschuldig sind nur die kindlichen Glieder, nicht des Kindes Seele“, schreibt Augustinus. Der verbreitete Aberglaube ging davon aus, dass der Teufel und Feen versuchen, Besitz von Säuglingen zu ergreifen. Deshalb legte man größten Wert darauf, dass die Kinder spätestens nach einer Woche getauft wurden. Säuglinge, die nach oder während der Geburt zu sterben drohten, sollten ebenfalls noch rasch getauft werden. Dafür gab es das Recht der Nottaufe, die jeder Erwachsene vollziehen konnte. Ungetauften Kindern kamen nach mittelalterlicher Auffassung in den Limbus.
Das Misstrauen gegenüber dem Kleinkind setzte sich in den ersten beiden Lebensjahren fort. Statt einer Windel hatten Kleinkinder oft eine Ganz-Körper-Bandage an. Diese sollte zum einen den Übergang vom warmen Mutterleib in die kalte Welt angenehmer machen. Zugleich fürchtete man, dass sich die Kleinen die Augen auskratzen, Knochen verrenken oder Ohren abbeißen würden, wenn sie sich frei bewegen konnten. Anstelle von Schnullern kannte man im Mittelalter sogenannte Lutschbeutel, die mit Mohn gefüllt war, was den Säugling schläfrig machen sollte. Verbreitet war auch der Gedanke, Kindern möglichst viel zu essen zu geben. Das entsprach der Erfahrung häufig drohender Hungersnöte. Kindern, die in guten Zeiten viel zu Essen bekamen, traute man eher zu, schlechte Zeiten zu überstehen.
Ammen waren auch im Mittelalter weit verbreitet. Begüterte Familien leisteten sich eine eigene Amme. Wer weniger Geld hat, gab das Kleinkind einer Amme, die gleich mehrere Mäuler zu stopfen hatte. In adeligen Kreisen ging das mancherorts sogar so weit, dass Kinder die ersten beiden Lebensjahren komplett bei einer Amme verbrachten und erst dann zu ihren Eltern zurückkehrten. Das erleichterte es den Müttern, in rascher Folge Kinder zu bekommen. Das war wegen der hohen Kindersterblichkeit nach wie vor ein erstrebenswertes Ziel. Gleichwohl gab es aber auch Familien, die um Geburtenkontrolle bemüht waren. Verhütung galt allerdings als heidnischer Zauber und Todsünde. Abtreibung, Aussetzung und Kindstötung galten ebenso wie Empfängnisverhütung als Mord. Dennoch waren sie nicht unüblich. Im süddeutschen Raum herrschte angeblich das Ertrinken ungewollter Säuglinge vor. Im Norddeutschen Raum kam es häufiger zu Lebendigbegrabungen mit Pfählung. Das sollte verhindern, dass die Geister der Toten zurückkehrten. Verlässliche Aussagen zur Häufigkeit solcher Vorfälle gibt es allerdings nicht.
Ein besonders abschreckendes Experiment berichtet eine Chronik aus dem Jahr 1285 über Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Er wollte herausfinden, welche Sprache Kinder sprechen, wenn ihnen niemand etwa vorspricht, von dem sie lernen können. Friedrichs Vermutung ging in Richtung des Hebräischen als ältester Sprache. Aber auch Griechisch, Latein oder Arabisch hätten möglich sein können. Um das herauszufinden ließ der Kaiser Neugeborene in einen Turm bringen. Dort durften die Ammen und Pflegerinnen ihnen Milch geben, sie stillen, baden und trockenlegen, aber auf keinen Fall sie liebkosen oder mit ihnen sprechen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Keines des Kinder überlebte.
Das Recht über die Kinder hatte der Vater. Er hatte für seinen Nachwuchs zu sorgen, auch wenn er einer unehelichen Beziehung entsprach. So war es gerade in Städten nicht unüblich, dass im Haushalt eine Reihe von Kindern lebte, die der Vater mit verschiedenen Frauen gezeugt hatte. Uneheliche Mütter konnten den Vater ihres Kindes sogar vor einem Kirchengericht auf Alimente verklagen. Im 15. Jahrhundert galt es vor allem im französischen Hochadel gar als schick, zahlreiche Bastarde zu zeugen. Diese konnten durchaus herausragende Positionen in Kirche und Militär erlangen. Eheliche Kinder erhielten jedoch stets den Vorzug. Gleichwohl gab es auch im Mittelalter Waisenhäuser, die solche Kinder aufnahmen, die keinen Anschluss fanden.
Die Kindheit teilte sich im Mittelalter generell in drei Phasen: infantia, puertia und adolescentia. Jede dauerte ungefähr sieben Jahre. Die ersten sieben Jahre verbrachte der Nachwuchs zuhause. Sie sind am ehesten mit heutigen Vorstellungen von Kindheit zu vergleichen. Die Kleinen wurden zuhause von ihren Eltern erzogen und noch weitgehend aus den häuslichen Pflichten herausgehalten.
Mit sieben Jahren stand die endgültige Entscheidung an, ob der Sohn einen kirchlichen oder weltlichen Weg einschlagen sollte. In jedem Fall stand mit sieben der Beginn der Schulzeit oder Ausbildung an. Auch in den Waisenhäusern ließ man Kindern bis zum siebten Lebensjahr Fürsorge zuteil werden. Mit sieben waren sie dann aber auf sich alleine gestellt. In vielen Bauern- oder Handwerkerfamilien war es allerdings auch schon mit vier bis fünf Jahren für Kinder an der Tagesordnung, ihre Mutter bei den täglichen Pflichten zu entlasten. Ab dem siebten Lebensjahr übernahm dann der Vater die Ausbildung seiner Söhne. Töchter wurden in der Regel auf das Führen des Haushalts hin ausgebildet. Allerdings gab es gerade in jungen Jahren sehr viele Tätigkeiten, die Jungen wie Mädchen gleichsam zu verrichten hatten. Schließlich mussten die Frauen auch auf dem Feld mitarbeiten.
Ziel der Erziehung sollte der fromme, im Dienst Gottes lebende Mensch sein. Dabei gehörte Züchtigung durchaus zu einem gebräuchlichen Mittel der Erziehung. Auf bildlichen Darstellungen von Lehrern findet sich häufig die Rute als wichtigstes Attribut. Der heilige Augustinus soll im Alter von 62 Jahren gesagt haben, er wolle lieber den Tod erleiden, als nochmals in die Schule zu gehen. Auch im Elternhaus war die Züchtigung wohl verbreitet. So schreibt Berthold von Regensburg 1260 in seinen Predigten: „Von der Zeit an, wenn das Kind die ersten bösen Worte spricht, sollt ihr ein kleines Rütlein bereithalten. Ihr sollt es aber nicht mit der Hand an den bloßen Schläfen schlagen, sonst könntet ihr es zu einem Toren machen.“
Schulen waren im frühen Mittelalter private Einrichtungen, für die Schulgeld bezahlt werden musste. Dorfpfarrer gaben gewöhnlich aber ein bis zwei begabten Kindern kostenlosen Unterricht. Zum Ausgleich waren die Kinder zu Ministrantendiensten in der Kirche oder zur Haushaltshilfe bei ihrem Lehrer verpflichtet. Unterrichtssprache war zunächst Latein. Erst ab dem 13. Jahrhundert kam Unterricht in Volkssprache auf. Mit dem dritten und vierten Laterankonzil erleichterte sich zudem der Zugang zu kirchlichen Schulen. Kindern ärmerer Familien wurde das Schulgeld erlassen. Unterrichtsinhalt war Lesen, Schreiben und ein wenig Mathematik. Begabte Schüler oder solche von reichen Familien konnten nach der Elementarschule höhere Lateinschulen besuchen. Ziel war hier vor allem das flüssige Erlernen der Gelehrtensprache Latein. Erst ab dem 16. Lebensjahr war der Besuch einer Hochschule üblich. Dies war aber nur sehr wenigen Vorbehalten.
Neben der weltlichen war auch eine kirchliche Laufbahn für Kinder möglich. Vor allem reiche und adlige Familien gaben häufig eines oder mehrere ihrer Kinder in ein Kloster. Dafür wurden vor allem Jungen ausgewählt, die zu schwach für eine Ritterausbildung erschienen. Oft waren es auch jüngere Geschwister, die keine Aussicht mehr auf einen Teil des Erbes hatten. Auch Mädchen wurden ins Kloster gegeben, wenn sie nicht für eine Heirat vorgesehen waren. Für solche Novizinnen mussten die Eltern eine Mitgift zahlen. Sie fiel aber kleiner aus als bei einer Eheschließung. Auch die Ausbildung zum Priester blieb meist den Sprösslingen des Adels oder der städtischen Bevölkerung vorbehalten. Schon mit sieben Jahren konnten Kinder die ersten, niederen Weihen empfangen.
Es gab aber auch angenehme Seiten der Kindheit im Mittelalter. So gibt es viele Hinweise auf Spielzeuge, die den Kindern zugänglich waren. In schriftlichen Quellen wird aber immer wieder auf „geziemende“ Spiele hingewiesen, die auf keinen Fall „unsittlich“ sein dürfen. Weit verbreitet dürfte das Steckenpferd gewesen sein. Auch für Ball-, Fang und Tanzspiele gibt es Belege. Original erhaltene Spielzeuge sind im Wesentlichen Puppen und Figuren aus Ton. Diese fanden sich nicht nur in herrschaftlichen Anwesen sondern auch in Städten und Dörfern. Auch das Murmelspiel mit Tonkügelchen scheint beliebt gewesen zu sein. In einer Nürnberger Polizeiordnung aus dem 14. Jahrhundert ist derartiges „Wälzen“ und das Herumschießen von kleinen Geldstücken verboten. Offenbar waren solche Spiele aber auch bei den Erwachsenen beliebt. [3]
Kindheit als soziale Konstruktion
Kindheit ist in vielen Kulturen durch Erwerbsfreiheit und Lernen gekennzeichnet, wobei die Rechte der Kinder auf Schutz, Erziehung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit ausgebaut werden. In der Kindheitsforschung setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass Kinder nicht mehr nur „Menschen in Entwicklung“ seien, sondern auch „Personen aus eigenem Recht“. Entwicklung wird als Metapher der Bevormundung zurückgewiesen, da durch sie Kindheit zu einem Übergangstadium zum Erwachsensein reduziert werde. Die subjektiven Bedürfnisse, Wünsche und Interessen des Kindes werden hervorgehoben.
Hinter dem Wandel der Einschätzungen stehen laut Zinnecker zwei Leitideen: Partizipation und Glaubwürdigkeit. Da es einem progressiven (Selbst-)Verständnis einer demokratischen Gesellschaft widerspricht, wenn ganze Bevölkerungsgruppen von der politischen Gestaltung ausgenommen werden, ist es nur natürlich, dass die Bemühungen, die Gruppe der Kinder in diese einzubeziehen, stärker werden.[4] Kinder werden außerdem zunehmend als „Autoritäten in eigener Sache“ (3) betrachtet. Es werden beispielsweise nicht mehr nur erwachsene Experten des Kinderlebens befragt, sondern Kinder werden selbst in Untersuchungen einbezogen. Die Grundlage für diese Leitideen bildet vor allem die sich durchsetzende Vorstellung Kindheit als Konstruktion. „Konstruktionen von Kindheit sind soziale Repräsentationen, die durch die Werte, die eine Gesellschaft Kindern zumisst, die Meinungen, die sie über Kinder hat usw. geschaffen werden“.[5]
Glogger-Tippelt & Tippelt (1986) begründen die Betrachtung von Kindheit als soziale Konstruktion anhand von zwei Argumenten. Eine Erklärung sehen sie darin, dass unterschiedliche historische Epochen verschiedene Vorstellungen von Kindheit und kindlicher Entwicklung hervorgebracht haben. Ein zweites Argument sehen sie in den unterschiedlichen Vorstellungen von Kindheit und kindlicher Entwicklung in verschiedenen Kulturen.[6]
Lage der Kinder in den Industrieländern
2007 legte die UNICEF eine internationale Studie zur Lage der Kinder in 21 Industrieländern vor. Am günstigsten wurde die Lage in den Niederlanden beurteilt, auf den letzten Plätzen landeten die USA (Platz 20) und Großbritannien (Platz 21). Deutschland belegte Platz 11. Neben der materiellen Situation wurden die Gesundheit, Bildung, Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen, Lebensweise und Risiken sowie die eigene Einschätzung der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt. Zur Kinderarmut wurde der Prozentsatz der Kinder ermittelt, die in Haushalten leben, deren Einkommen unter 50 % des Median-Einkommens liegt. "Mehr als die Hälfte der 15-jährigen Deutschen sagen, dass ihre Eltern kaum Zeit haben, sich mit ihnen zu unterhalten. In Ungarn und Italien machen nur etwa ein Viertel der Jugendlichen diese Erfahrung. Deutsche Eltern reden offenbar besonders selten mit ihren Kindern - Deutschland liegt in dieser Hinsicht auf dem letzten Platz."[7]
Studien zufolge hat im deutschsprachigen Raum sowie auch international eine Entwicklung von einer weitgehend ungeplanten Kindheit (Straßenkindheit) hin zu einer verhäuslichten, verplanten Kindheit (verhäuslichte Kindheit, verinselte Kindheit, Terminkindheit). Diejenigen Kinder, deren Freizeit mit speziellen Bildungsangeboten gefüllt ist, eignen sich neben konkreten Fertigkeiten und Kenntnissen in Sport, Sprachen oder Kunst auch kommunikative Fähigkeiten, ein erhöhtes Selbstwertgefühl und insgesamt das Gefühl des Empowerment an; Studien zufolge sind hingegen bei Kindern mit vorstrukturierter, durchorganisierter Kindheit die Fähigkeit zur Gestaltung der eigenen Zeit sowie die Dauerhaftigkeit sozialer Beziehungen tendenziell geringer.[8]
Siehe auch
- Kindheit und Jugend in Deutschland
- Kindheit und Jugend in den Vereinigten Staaten
- Kind
- Kinderfreundlichkeit
- Soziologie der Kindheit
- Jugendsoziologie
- Arbeiterkinder
Literatur
Literatur (Anthropologie)
- Melvin Konner: The Evolution of Childhood: Relationships, Emotion, Mind. Harvard University Press, 2010. ISBN 0674045661.
Literatur (Geschichte, Soziologie, Politik und Wörterbücher)
- Thomas Altgeld, Petra Hofrichter, Reiches Land, kranke Kinder? Gesundheitliche Folgen von Armut bei Kindern und Jugendlichen, Mabuse-Verlag, 2000, ISBN 3-933050-21-9
- Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit. dtv, München 1978, Neuausgabe 2003
- Lloyd deMause: Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977.
- Klaus Arnold: Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance. Beiträge und Texte zur Geschichte der Kindheit, Paderborn 1980 (Sammlung Zebra, hrsg. von Winfried Böhm, Reihe B, Bd. 2), 201 S., 8 Abb.
- Hugh Cunningham: Die Geschichte des Kindes in der Neuzeit, Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2006
- Gabriele Gloger-Tippelt, Rudolf Tippelt (1986): Kindheit und kindliche Entwicklung als soziale Konstruktionen. In: Bildung und Erziehung, 39. Jg., S. 149-164.
- Manfred Günther: Wörterbuch Jugend - Alter Berlin 2010
- Heinz Hengst: Kindheit als Fiktion. Frankfurt am Main 1981, Suhrkamp-Verlag, ISBN 3-518-11081-0
- Michael-Sebastian Honig, Hans Rudolf Leu, Ursula Nissen (Hrsg.) (1996): Kinder und Kindheit. Soziokulturelle Muster - sozialisationstheoretische Perspektiven. Weinheim (Juventa).
- Joe L. Kincheloe: Kinderculture: The Corporate Construction of Childhood, Westview Press Inc., U.S., 1997, ISBN 0-8133-2310-X
- Jacqueline Knörr (Hrsg.) (2005): Childhood and Migration. From Experience to Agency. Bielefeld (Transcript), ISBN 3-89942-384-4.
- Neil Postman: Das Verschwinden der Kindheit, Fischer Frankfurt a.M. 1987 ISBN 3-596-23855-2
- Andreas Rett: Die Geschichte der Kindheit als Kulturgeschichte, Picus Wien 1992, ISBN 3-85452-310-6.
- Otto Rühle: Das proletarische Kind. Eine Monographie. Langen, München 1911
- Dr. Herbert Schweizer, Soziologie der Kindheit (VS Verlag ISBN 978-3-531-14222-7)
- Shulamith Shahar: Die Kindheit im Mittelalter, Düsseldorf 1990.
- Edward Shorter: Die Geburt der modernen Familie, Reinbek 1990.
- Ingeborg Weber-Kellermann: Die Kindheit - eine Kulturgeschichte, Insel, Frankfurt am Main 1997.
Literatur (Psychologie und Psychoanalyse)
- Anna Freud: Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung, Stuttgart: Klett-Cotta, 7. A. 2003, ISBN 3-608-96004-X
- Melanie Klein: Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge zur Psychoanalyse (192..) , Stuttgart: Klett-Cotta, (8. Auflage 2006), ISBN 3-608-95107-5
- Rolf Oerter und Leo Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz 2002. 1200 Seiten - 5. Aufl. ISBN 3-621-27479-0
- Peter Rossmann: Einführung in die Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters Huber, Bern 1996 - 4. A. ISBN 3-456-82723-7
Literatur (Kindheit im Film)
- Chuck Jackson: "Little, Violent, White: The Bad Seed and the Matter of Children - Critical Essay" in: Journal of Popular Film and Television, Summer, 2000
- Emma Wilson: Cinema's Missing Children, Wallflower Press 2003
- Kinderfilme - Versuche einer Grenzziehung: deutscher Dokumentarfilm für große und kleine Kinder aus neun Jahrzehnten; Retrospektive des Bundesarchiv-Filmarchivs während des 42. Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm ; [27.10. bis 31.10.1999] / [Hrsg.: Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin. Red.: Karla Schröder]. - Berlin: Bundesarchiv-Filmarchiv, 1999
Zeitschriften
- Childhood. A journal of global child research
Filme über Kinder (ohne Kinderfilme)
- 1932: Ich wurde geboren, aber..., Regie: Yasujiro Ozu, Japan
- 1933: Betragen ungenügend, Regie: Jean Vigo, Frankreich - Lange Zeit in Frankreich von der Zensur verboten
- 1942: Es war einmal ein Vater, Regie: Yasujiro Ozu, Japan
- 1943: Hitler's Children, Regie: Edward Dmytryk, USA
- 1959: Sie küßten und sie schlugen ihn, Regie: François Truffaut, Frankreich
- 1960: Zazie, Spielfilm, Regie: Louis Malle, Frankreich
- 1962: Ivans Kindheit, Regie: Andrei Arsenjewitsch Tarkowski, UdSSR
- 1968: Nackte Kindheit, Regie: Maurice Pialat, Frankreich
- 1969: Kinder sind keine Rinder, Regie: Helke Sander, Deutschland - Dokumentarfilm über den ersten Kinderladen,
- 1974: Alice in den Städten, Regie: Wim Wenders, Deutschland
- 1975: Die Kinder der Unterentwicklung, Regie: Carlos Álvarez, Kolumbien - Dokumentarfilm über die Lebensbedingungen der kolumbianischen Kinder
- 1978: Ein Tag mit dem Wind, Regie: Haro Senft, Deutschland
- 1982: Fanny und Alexander, Regie: Ingmar Bergman, Schweden
- 1986: Zwei gute Freundinnen, Regie: Jane Campion, Australien
- 1998: Die kleine Verkäuferin der Sonne, Spielfilm, Regie: Djibril Diop Mambéty, Senegal
- 1996: Hide and Seek, Regie: Sue Friedrich, USA
- 1999: Arbeitende Kinder in Matagalpa, Dokumentarfilm, Deutschland
- 2007: Son of a Lion, Regie: Benjamin Gilmour, Australien/Pakistan 2007 [9]
- 2009: Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte, Spielfilm, Regie: Michael Haneke, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien
Einzelnachweise
- ↑ „Entwicklung des Kindes“ – Brockhaus
- ↑ Wilfried de Nève, Wolfgang Presber (Hrsg.): Ergotherapie: Grundlagen und Techniken. 4. Auflage. Elsevier,Urban&FischerVerlag, 2003, ISBN 3-437-47980-6. S. 384 (Scan bei Google Buchsuche)
- ↑ http://www.branchen-baer.de/redaktion/antike-und-mittelalter.html
- ↑ Jürgen Zinnecker (1999): Entwicklung im sozialen Wandel. Weinheim
- ↑ Daniela Bickler (2001): Zielgruppe Kinder - Handlungsspielräume eröffnen, Abhängigkeiten vermeiden. Baden-Baden
- ↑ Gabriele Gloger-Tippelt(1986): Kindheit und kindliche Entwicklung als soziale Konstruktionen. Bildung und Erziehung, 39, 149-164. (Mitautor: R. Tippelt)
- ↑ UNICEF : Deutschland nur Mittelmaß, 14. Februar 2007
- ↑ Alma von der Hagen-Demszky: Familiale Bildungswelten: Theoretische Perspektiven und empirische Explorationen. In: Materialien zum Thema Familie und Bildung I. DJI, Oktober 2006, abgerufen am 8. Februar 2010. S. 50
- ↑ Internationales Forum des jungen Films, 7. bis 17. Februar 2008
Weblinks
- Eintrag, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
Wikiquote: Kindheit – Zitate
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