Hahnöfersand

Hahnöfersand
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Hahnöfersand ist eine Insel in der Elbe (bei Jork) und eine hamburgische Jugendstrafanstalt und Justizvollzugsanstalt für Frauen in Niedersachsen.

Inhaltsverzeichnis

Lage

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Hahnöfersand (Hamburg)
Hahnöfersand
Hahnöfersand

Hahnöfersand ist eine von vielen Marschinseln in der Unterelbe (auf der niedersächsischen Seite) in unmittelbarer Nähe zum Alten Land und etwa gegenüber der Stadt Wedel. Der nächste Ort auf der niedersächsischen Seite ist Jork (ca. 5 Kilometer). Die Insel hat eine Fläche von etwa 1,6 km²; ist rund 700 Meter breit und war ursprünglich 3,5 Kilometer lang;[1] nachdem Teilgebiete in Watt verwandelt wurden (s.u.) ist sie lediglich noch ca. 1,1 km lang.

Geschichte der Insel

Hahnöversand und Umgebung im Jahre 1914

Der Ursprung des Namens Hahnöfersand ist nicht genau zu rekonstruieren. Namen wie Hansodt-Sand, Hannoversand, Hanensand, Hanenhöygersand oder Hanöfersand tauchen in Bezug auf die Insel auf. Hansodt-Sand könnte ein Name von ehemaligen Besitzern sein. Eine sagenhafte Geschichte ist, dass bei einer Sturmflut nur noch die Kirchturmspitze aus den Fluten geschaut hätte, der einen Hahn als Spitze besaß und sich dadurch der Name „Hahn öfer Sand“ (Hahn über dem Sand) abgeleitet wurde.

Hahnöfersand war ursprünglich mit dem Festland (dem Alten Land) verbunden und entstand als Insel vermutlich während der Cäcilienflut im November 1412. Staatsrechtlich gehört Hahnöfersand weiterhin zu Niedersachsen. Es wurde aber 1902 durch den Hamburger Senat für die Stadt Hamburg von der preußischen Domänenverwaltung für 250.000 Reichsmark erworben.[2] Anfangs diente die Insel eigentlich nur als Lagerstätte für den aus dem Hamburger Hafen gebaggerten Sand. Deshalb ist noch heute die Insel etwa acht Meter höher als das Niveau des Alten Landes. Es gab auch Überlegungen, einen Zeppelin- oder einen Artillerieplatz anzulegen.[3]

Zuletzt war Hanöfersand durch einen schmalen Nebenarm, die Borsteler Nebenelbe, vom Südufer der Elbe getrennt. Die Eindeichung der Elbe quer über Ein- und Ausgang dieses Wasserarms beendete in den 1970er Jahren die Existenz Hanöversands als Insel.

Gefängnis

1911 wurde die Insel an die Hamburger Gefängnisverwaltung übergeben und 1913 die ersten Gefangenen nach Hahnöfersand gebracht. Sie lebten noch in unbefestigten Wohnstätten und hatten die Aufgabe, den Boden durch das Aufbringen von Schlick und Kleiboden nutzbar zu machen. Im März 1915 wurde diese Arbeit von 1200 russischen Kriegsgefangenen weitergeführt. Vermutlich durch eine Epidemie starben in dieser Zeit 77 Gefangene.

Jugendstrafanstalt

Die Gründung der Jugendstrafanstalt erfolgte am 20. Juni 1920. Interessant dabei war, dass ein Gesetz, welches den gesonderten Jugendstrafvollzug regelte, erst drei Jahre später in Kraft trat. Der Mitgründer und Leiter der hamburgischen Strafanstalten Christian Koch (DDP) verfolgte mit der Gründung der Anstalt einen reformatorischen Ansatz. Die Jugendlichen sollten gefördert und erzogen und nicht nur weggesperrt und gedrillt werden.[4] Die in diesem Rahmen von Curt Bondy und Walter Herrmann praktizierten reformpädagogischen Experimente gelten bis heute als „bahnbrechend“.[5] Der Architekt Fritz Schumacher entwarf 1926–1929 Gebäude für die Jugendstrafanstalt.

Während der Nationalsozialistischen Zeit wurde der reformorientierte Ansatz wieder zurückgedrängt und stattdessen auf einen Strafvollzug mit militärischem Drill zurückgegriffen. Ab 1940 wurden die Gefangenen in andere hamburgische Anstalten verlegt und das Gelände für eine Flugabwehr-Einheit zum Schutze der Industrie auf Finkenwerder genutzt.

Gleich nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Insel wieder zu einem Gefängnis für Jugendliche und junge Erwachsene. Neu war der offene Vollzug, der auch Privilegien wie Besuche zu Festlichkeiten zuhause zuließ. Vor allem zur Landwirtschaft wurden die Insassen herangezogen, sie hatten aber auch die Möglichkeit der Ausbildung zum Tischler, Maurer und anderer handwerklicher Berufe.[6]

1976 wurde Hahnöfersand im Rahmen von Flutschutzmaßnahmen eingedeicht und mit einem Damm und einer Straße wieder an das Festland angeschlossen.[7] 1997 kam das Frauengefängnis hinzu.[8] 2002 geriet das Gefängnis wegen eines „desolaten Zustands“ in die Schlagzeilen.[9]

Künstliches Watt

Als Ausgleichsmaßnahme für die teilweise Zuschüttung des Mühlenberger Loches durch Airbus wurden die östliche und die westliche Spitze der Insel künstlich in Wattflächen umgewandelt. Diese werden von den Krickenten gut angenommen, nicht aber von den gefährdeten Löffelenten.

Staatsrechtlicher Status der Haftanstalt

Die Haftanstalt liegt auf niedersächsischem Hoheitsgebiet (in der Gemarkung Borstel der Gemeinde Jork). Hamburg ist lediglich zivilrechtlicher Eigentümer des Geländes, sodass auf dem Gelände grundsätzlich das Landesrecht von Niedersachsen gilt. Hiervon abweichend haben Hamburg und Niedersachsen in einem Verwaltungsabkommen vom 12./14. Januar 2010 vereinbart, dass Hamburgische Justizvollzugsbedienstete berechtigt sind, die erforderlichen Amtshandlungen auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand vorzunehmen und auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand die hamburgischen Vorschriften zum Justizvollzug sowie das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz gelten.[10] Das Abkommen ist am 1. August 2010 in Kraft getreten.

Sonstiges

Die Insel besitzt einen Friedhof, auf dem auch die verstorbenen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs liegen. Zudem gibt es ein Museum, welches durch seine Lage innerhalb der Gefängnisanlage der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.[11]

Auf der Insel gefundene Knochen wurden als „Neandertaler von Hahnöfersand“ durch Reiner Protsch auf ein Alter von 36.000 Jahren datiert. Als sich herausstellte, dass eine Vielzahl von Datierungen des von ihm seit 1973 geleiteten Datierungslabors völlig fehlerhaft waren, wurde eine unabhängige Neudatierung erforderlich. Überprüfungen in einem C-14-Labor in Oxford ergaben jedoch lediglich ein Alter von höchstens 7500 Jahren.[12]

Siegfried Lenz hat für seinen Roman Deutschstunde die Insel als einen der Schauplätze der Rahmenhandlung gewählt. Der Roman gibt eine guten Eindruck vom Leben in der Strafvollzugsanstalt nach Ende des Krieges.

Die JVA ist auch kurz Schauplatz in Hark Bohms Film Nordsee ist Mordsee von 1976. Die beiden jugendlichen Protagonisten Uwe und Dschingis fliehen mit einem Segelboot von zu Hause und legen versehentlich auf der Insel an.

Der Fernsehfilm Bittere Wahrheit aus der ZDF-Reihe Stubbe – Von Fall zu Fall spielt überwiegend in der Haftanstalt Hahnöfersand (Erstsendung: 22. Dezember 2007).

Literatur

  • Walter Herrmann: Das hamburgische Jugendgefängnis Hahnöfersand: ein Bericht über Erziehungsarbeit im Strafvollzug. In Zusammenarbeit mit Curt Bondy, Mannheim 1926 (2. Auflage), Neuausgabe mit einem Vorwort von Klaus Eyferth und einem Nachtrag von Jörg Ziegenspeck. Lüneburg 1997 (Schriften-Studien-Dokumente zur Erlebnispädagogik, Bd. 17)
  • Karlheinz Ohle (Manuskript und Bilder): Hahnöfersand. Geschichte und Information zum Jugendvollzug. Justizbehörde Hamburg in Zusammenarbeit mit der staatlichen Pressestalle Hamburg (Hrsg.), Hamburg 1989.
  • Kurt Stypmann: Hahnöfersand – Die Insel im Wandel der Zeit.
  • Straftat Nummer 69. In:Die Zeit, Nr. 29/1998.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ohle: Hahnöfersand, S. 3.
  2. Ohle: Hahnöfersand, S. 4.
  3. Raritäten im Museum auf Hahnöfersand. In: Die Welt, 7. August 2001
  4. Ohle: Hahnöfersand, S. 6.
  5. Christine Dörner: Erziehung durch Strafe. Die Geschichte des Jugendstrafvollzugsvon 1871–1945. Weinheim und München 1991, S. 93; vgl. auch Ohle: Hahnöfersand, S. 10
  6. Ohle: Hahnöfersand, S. 10.
  7. Ohle: Hahnöfersand, S. 3.
  8. Richtfest auf Hahnöfersand (PDF)
  9. Matthias OnkenPulverfass Jugendknast. In: Hamburger Morgenpost 17. Dezember 2002
  10. Abkommen zwischen dem Land Niedersachsen und der Freien und Hansestadt Hamburg über die Befugnisse der mit den Aufgaben der Justizvollzugs beauftragten Bediensteten der Freien und Hansestadt Hamburg in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand und das dort anzuwendende Recht v. 12./14. Januar 2010, HmbGVBl. 2010 S. 378 und Nds. GVBl. 2010 S. 230.
  11. Bericht über das Museum auf Hahnöfersand auf Hamburg.de
  12. Matthias Schulz: Die Regeln mache ich. In: Der Spiegel. Nr. 34, 2004, S. 128ff. (online).

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