Hermann Krumey

Hermann Krumey
Hermann Krumey im Gewahrsam der US-Army

Hermann Alois Krumey (* 18. April 1905 in Mährisch Schönberg; † 27. November 1981 in Erftstadt) war ein deutscher SS-Führer, der während des Zweiten Weltkriegs zentral an der Vernichtung der Juden beteiligt war. Als Leiter der Umwandererzentralstelle (UWZ) koordinierte Krumey von 1940 bis 1943 die Vertreibung von Polen aus den vom Deutschen Reich annektierten Gebieten Wartheland, Danzig-Westpreußen und Ostoberschlesien. Als leitender Mitarbeiter im Sondereinsatzkommando Eichmann organisierte er 1944 als Stellvertreter Eichmanns die Deportation der ungarischen Juden in die Vernichtungslager. Krumey wurde 1969 von deutschen Gerichten wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil hatte im Kontext der juristischen Aufarbeitung der NS-Taten in der Bundesrepublik durch die Art des Schuldspruchs (Verurteilung wegen Mord und nicht wegen Beihilfe zu Mord bei einem Schreibtischtäter) und die Höhe des Strafmaßes einen „deutlichen Ausnahmecharakter“.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft und Eintritt in die SS (1905–1939)

Hermann Alois Krumey wurde 1905 im überwiegend deutschsprachigen nördlichen Teil Mährens geboren, als dieses noch zur k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn gehörte. Nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 gehörte sein Heimatort Mährisch Schönberg dann als Šumperk zur Tschechoslowakei. Krumey legte die Berufsausbildungsprüfung zum Drogisten ab und leitete später „zeitweise“ als Geschäftsführer eine Drogerie.[2]

Anfang 1935 trat Krumey in die Sudetendeutsche Partei (SdP) (damals noch Sudetendeutsche Heimatfront) ein, die von Konrad Henlein geführt wurde. Nachdem im Oktober 1938 in Folge des Münchner Abkommens das Sudetenland dem Deutschen Reich zufiel, wurden SdP-Parteimitglieder automatisch in die NSDAP übernommen, so auch Krumey.[2] Krumey hatte schon vor dem „Anschluss“ des Sudetenlandes verdeckt für Wehrmacht und den Auslandsgeheimdienst im SD gearbeitet. Im November 1938 wurde er hauptamtlich in die SS übernommen[2] (SS-Mitgliedsnummer: 310441).[3] Der höchste SS-Dienstgrad, den Krumey im Laufe des Krieges erreichen sollte war Obersturmbannführer (entspricht Oberstleutnant).

Einsatz in Polen (1939–1944)

Im November 1939, nach Ende des Polenfeldzugs, wurde Krumey durch das SS-Personalhauptamt zum Stab des Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) Koppe im Wartheland versetzt und dort dem „Amt für Umsiedlung der Polen und Juden“ unter SS-Obersturmbannführer Albert Rapp zugewiesen. Das Amt wurde im März 1940 dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD unterstellt, der neue Name lautete Umwandererzentralstelle Posen (UWZ). Ein Teil des Amtes befand sich in Łódź, es wurde als „Umwandererzentralstelle Posen/Dienststelle Lodz“ bezeichnet (Łódź wurde erst im April 1940 in Litzmannstadt umbenannt). Krumey wurde mit Termin der Umorganisation per März 1940 selbständiger Leiter der UWZ-Dienststelle Lodz.[4]

Damit war Krumey nun als Mitglied der Sicherheitspolizei (Sipo) bzw. des SD für die Deportation von „Fremdvölkischen“ (Polen und Juden) im Warthegau zuständig. Krumey war insgesamt für die Deportation von mehr als 390.000 Menschen verantwortlich. Zu diesem Zweck unterhielt er bis zu zwölf Außenstellen seines Amtes und betrieb mindestens fünf Lager für die aus ihren Wohnstätten vertriebenen polnischen Familien. Im Rahmen der Aktion Zamość, mit der große Teile des Bezirks Lublin germanisiert werden sollten, war er für die Vertreibung von knapp 10.000 Polen verantwortlich, wobei er eng mit Odilo Globocnik zusammenarbeitete. 1942 organisierte er mindestens sechs Transporte von Juden aus dem Lager Zamość in das KZ Auschwitz-Birkenau.[5]

Im Sommer 1941 wurde ein Sonderkommando unter Krumeys Führung nach Kroatien gesandt, um dort die Internierung der Juden in Konzentrationslagern voranzutreiben.[6]

Im Juni 1942 wurden im Protektorat Böhmen und Mähren 98 Kinder elternlos, nachdem ihre Väter zusammen mit allen anderen Männer im Massaker von Lidice ermordet und ihre Mütter zusammen mit den anderen Frauen in das KZ Ravensbrück eingeliefert wurden. Nachdem drei der 98 Kinder von Vertretern des SS-Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) vor Ort als „eindeutschungsfähig“ ausgewählt waren, und sieben Kinder unter einem Jahr als noch zu jung für eine „rassische Musterung“ in ein Prager Kinderheim gegeben wurden, verblieben 88 Kinder im Alter zwischen einem bis 15 Jahren, die per Bahn in das Jugendkonzentrationslager in der Gneisenaustraße in Litzmannstadt deportiert wurden.[7] In Litzmannstadt wählte der dortige RuSHA-Leiter Walter Dongus weitere sieben „rückdeutschungsfähige Kinder“ aus, denen nach einer Zwischenstation in einem Heim in Puschkau deutsche Namen gegeben wurden, um sie dann deutschen Pflegefamilien zu überlassen. Krumey berichtete am 22. Juni 1942 in einem Fernschreiben an Standartenführer Hans Ehlich vom Referat III B des RSHA, dass er sich betreffs des Verbleibs der restlichen 81 Kinder an das RSHA-Referat IV B4 von Eichmann gewandt hätte, in der Annahme die Kinder sollten einer „Sonderbehandlung“ zugeführt werden. Die 81 Kinder wurden daraufhin in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) gebracht, wo sie vergast wurden.[8] 14 Tage nach Lidice wurden auch die Einwohner des böhmischen Dorfes Ležáky ermordet. Wieder wählte das RuSHA elternlose Kinder nach rassischen Gesichtspunkten aus; es schickte zwölf „nicht-eindeutschungsfähige“ Kinder (zusammen mit sechs weiteren Kindern zur „Eindeutschung“) zu Krumey nach Litzmannstadt. Die zwölf Kinder wurden am 25. Juli 1942 der Gestapo in Litzmannstadt übergeben, die sie nach Kulmhof zur Vergasung brachte.[9] Das Fernschreiben von Krumey an Eichmann vom 22. Juni 1942 wurde als Beweisstück T/1094 im Eichmann-Prozess verwendet.[10]

Einsatz in Ungarn (1944)

Krumey meldete sich freiwillig von der Sipo/SD zum Reichssicherheitshauptamt, wo er dem Referat IV B 4 zugeteilt wurde. Mit dem Beginn der Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht am 19. März 1944 wurde Krumey nach Ungarn versetzt. Er war Teil des Sonderkommandos Eichmann, das den Auftrag zur Vernichtung der ungarischen Juden hatte. Krumey war Stellvertreter von Adolf Eichmann und organisierte einen Judenrat und die Transporte nach Auschwitz. Zur Führung des Sonderkommandos gehörten neben Eichmann und Krumey ferner Otto Hunsche (Verwaltung und Rechtsfragen) und Dieter Wisliceny.

Nach Verhandlungen mit einem Hilfskomittee unter Leitung von Joel Brand sonderte Krumey 21.000 Juden in das Lager Strasshof ab, um im Austausch der Gefangenen Hilfslieferungen zu erhalten, gefordert waren unter anderem 10.000 Lastwagen („Blut gegen Ware“). Die meisten der abgesonderten Gefangenen überlebten den Krieg, von den 377.000 aus Ungarn in die Vernichtungslager deportierten Juden wurden mindestens 290.000 ermordet.[11]

Nachkriegszeit und juristische Aufarbeitung (1945–1981)

Im Mai 1945 wurde Krumey in Italien von den Alliierten festgenommen, aber auf Basis einer Aussage des Ungarn Rudolf Kasztner wieder freigelassen. Kasztner hatte auf jüdischer Seite an den Verhandlungen zu den 21.000 ungarischen Juden teilgenommen. Krumey ging nach Deutschland, wo ihn eine Spruchkammer im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ einstufte. Als Heimatvertriebener erhielt er einen Kredit über 12.000 DM und betrieb im hessischen Korbach eine eigene Drogerie. Er war Abgeordneter des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) im Kreistag von Korbach und Kreisobmann in der sudetendeutschen Landsmannschaft.[12]

Im April 1957 wurde Krumey erstmals festgenommen, jedoch im Juni 1957 mangels Fluchtverdacht wieder freigelassen.[13] Nach Aussagen von Adolf Eichmann im Eichmann-Prozess begann die Strafverfolgung 1960 erneut.[14] Am 24. Mai 1960 wurde Krumey festgenommen und verblieb bis zu seiner ersten Verurteilung 1965 in Untersuchungshaft.[13] Das Strafverfahren wurde gemeinsam gegen Krumey und Otto Hunsche wegen „Gemeinschaftlichen Mord in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen“ geführt, und wurde als Krumey-Hunsche-Prozess bekannt.

Nach neunmonatiger Verhandlung verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main Krumey im Februar 1965 wegen Beihilfe zum Mord an den ungarischen Juden zu fünf Jahren Zuchthaus.[15] Durch Verrechnung der Haftstrafe mit seiner bereits in Untersuchungshaft verbrachten Zeit kam Krumey frei. Sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung gingen in Revision, die der BGH durch Aufhebung des Urteils entschied. Das Verfahren wurde an das LG zurückverwiesen, die Empfehlung lautete, das Strafmaß für Krumey zu erhöhen.[16] Im August 1969 wurde Krumey daraufhin zu lebenslanger Haft verurteilt.[17] Im Januar 1973 wurde die durch Krumey erneut eingelegte Revision vom BGH verworfen, so dass das Urteil rechtskräftig wurde.[18]

Literatur

  • Fritz Bauer, Joachim Perels, Irmtrud Wojak: Die Humanität der Rechtsordnung. Campus, 1998. ISBN 3-593-35841-7.
  • Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147687-5.
  • Isabel Heinemann: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“ – das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas. Wallstein, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-623-7.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
  • Gerhard Mauz: Teufelskreis aus Blut und Tinte. In: Der Spiegel. Nr. 7, 1965, S. 35–36 (Zum Urteil im Krumey-Hunsche-Prozess, online).
  • Joseph Poprzeczny: Odilo Globocnik, Hitler’s Man in the East. McFarland, Jefferson NC 2004, ISBN 0-7864-1625-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, S. 107. ISBN 3-16-147687-5.
  2. a b c Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, S. 97. ISBN 3-16-147687-5.
  3. Joseph Poprzeczny: Odilo Globocnik, Hitler’s Man in the East. McFarland, Jefferson (North Carolina) 2004, S. 192. ISBN 0-7864-1625-4.
  4. Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, S. 97–98. ISBN 3-16-147687-5.
  5. Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, S. 99. ISBN 3-16-147687-5.
  6. Eberhard Jäckel (Herausgeber): Enzyklopädie des Holocaust. Argon, Berlin 1993, Bd. 2., S. 831. ISBN 3-87024-302-3.
  7. Isabel Heinemann: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“ – das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas. Wallstein-Verlag, Göttingen 2003, S.515–516. ISBN 3-89244-623-7.
  8. Volker Koop: Dem Führer ein Kind schenken – die SS-Organisation „Lebensborn“ e. V.. Böhlau Verlag, Köln 2007, S. 155–159 ISBN 978-3-412-21606-1
  9. Isabel Heinemann: „Until the Last Drop of Good Blood“: The Kidnapping of „Racially Valuable“ Children and Nazi Racial Policy in Occupied Eastern Europe, S. 251–252. In: A. Dirk Moses (Herausgeber): „Genocide and Settler Society“. Berghahn Books, 2004. ISBN 1-57181-410-8.
  10. Haim Gouri: Facing the Glass Booth: Reporting the Eichmann Trial. Wayne State University Press, 2004, S. 86–87. ISBN 0-8143-3087-8.
  11. Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, S. 103. ISBN 3-16-147687-5.
  12. Thilo von Uslar: Der „ehrenwerte“ Karmasin. In: Die Zeit, Nr. 26/1966.
  13. a b Gerhard Mauz: Teufelskreis aus Blut und Tinte. In: Der Spiegel. Nr. 7, 1965, S. 35–36 (online).
  14. Der Endlöser. In: Der Spiegel. Nr. 25, 1960 (online).
  15. LG Frankfurt/Main vom 3. Februar 1962, Aktenzeichen Ks 1/63.
  16. BGH vom 22. März 1967, Aktenzeichen 2 StR 279/66.
  17. LG Frankfurt/Main vom 29. August 1969, Aktenzeichen Ks 1/63.
  18. BGH vom 17. Januar 1973, Aktenzeichen 2 StR 186/72.

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