N. F. S. Grundtvig

N. F. S. Grundtvig
N.F.S. Grundtvig im hohen Alter

Nikolai Frederik Severin Grundtvig [ˈgʀondviːʔ] (* 8. September 1783 in Udby (Seeland); † 2. September 1872 in Kopenhagen), bekannter als N.F.S. Grundtvig, war ein dänischer Schriftsteller, Dichter, Philosoph, Historiker, Pfarrer, Pädagoge und Politiker.

N.F.S. Grundtvig ist eine der bedeutendsten Personen in der Geschichte Dänemarks. Er war stark beeinflusst von Johann Gottfried von Herder. Grundtvig ist Begründer der Volkshochschulbewegung. Seine Anhänger nennen sich Grundtvigianer. Der Grundtvigianismus ist als kirchliche Reformbewegung wesentlicher Bestandteil der dänischen Kirchengeschichte. Grundtvigs Dichtung prägte das Selbstverständnis der Dänen.

1861 wurde er in Anerkenntnis seines Lebenswerkes von König Frederik VII. zum Bischof von Seeland ernannt. Er war damit nominell Primas der dänischen Kirche. Leben und Werk von N.F.S Grundtvig finden in Dänemark bis heute Beachtung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Als Sohn des Pfarrers Johan Grundtvig wurde Nikolai Frederik Severin am 8. September 1783 in Udby auf der Insel Seeland in Dänemark geboren. Ab 1800 besuchte er die Aarhus Katedralskole. Er lernte dort Latein und bezeichnete diese Zeit später als eine Phase, in der er sich in eine kalte und altkluge Person verwandelt habe.

1803 wurde er Kandidat der Theologie an der Universität Kopenhagen. Danach kehrte er nach Udby zurück. 1805–1807 war er Privatlehrer auf dem Landgut Egelykke auf der Insel Langeland. Dort verliebte er sich unglücklich in die Frau des Hauses, Constance Leth. In seiner Biografie wird das als eine Modeerscheinung der damaligen Zeit geschildert, als sich alle jungen Männer unglücklich verlieben mussten – ganz nach dem Vorbild der Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe, was seinerzeit sehr prägenden Einfluss auf die Jugend hatte. Danach war er bis 1811 Geschichtslehrer am Scousboeske Institut.

Bei der Predigt anlässlich seiner Ordination 1810, welche für die folgende Zeit mustergültig werden sollte, eifert er gegen seine rationalistischen Kollegen, die seiner Meinung nach das Wort Gottes nicht richtig verkündeten. Im selben Jahr durchlebte er eine, sein ganzes weiteres Leben prägende, gesundheitliche und mentale Krise.

Er arbeitete in Udby von 1811–1813 als Vikar und half seinem Vater, der 1813 verstarb. Vergeblich bewarb er sich um dessen Nachfolge als Pfarrer und ging so nach Kopenhagen. Dort schlug er zunächst die Laufbahn des Dichters ein. 1816–1819 erschien seine Monatszeitschrift Danne-Virke, die sich mit den Themen Vernunft und Offenbarung beschäftigte. Ein weiterer Schwerpunkt war die Rolle der Phantasie in Kunst und Poesie. Hier veröffentlichte er Gedichte und Aufsätze über Kirche, Staat und Schule. Parallel dazu entstand sein interdisziplinäres Werk über die Weltgeschichte.

Am 12. August 1818 heiratete er nach siebenjähriger Verlobungszeit Elisabeth (Lise) Blicher. 1821–1822 wurde er Pfarrer in Præstø. Hier wurde sein erster Sohn Johan geboren, und hier begrub er seine Mutter. Danach war er bis 1826 Vikar der Erlöserkirche (Kopenhagen). In dieser Zeit entstand mit Nyaars-Morgen (Neujahrs-Morgen) Grundtvigs größtes einzelstehendes poetisches Werk.

1826 bezichtigte er in einer theologischen Streitschrift den anerkannten Theologieprofessor Henrik Clausen der Ketzerei, stand vor Gericht und wurde unter lebenslange Zensur gestellt, die allerdings 1837 wieder aufgehoben wurde.

1829, 1830 und 1831 reiste Grundtvig nach England, wohin er 1843 noch einmal fuhr. Er interessierte sich für alte angelsächsische Handschriften. Die Englandreisen beeinflussten darüber hinaus sowohl sein weiteres kirchliches Denken, als auch seine pädagogischen Ideen. England erweckte in ihm den fortan unauslöschlichen Drang nach Freiheit. Das Jahr 1832 markierte einen weiteren entscheidenden Wendepunkt in Grundtvigs Biografie: Er wandte sich als Theologe der Aufklärung zu.

1844 eröffnete er die erste Volkshochschule der Welt. Im selben Jahr durchlebte er eine erneute mentale Krise und musste aufgrund seiner Depressionen eine Schaffenspause einlegen.

Nach der Märzrevolution 1848 in Dänemark begann der parteilose Grundtvig seine politische Laufbahn. Er galt als äußerst liberal, setzte sich für Religions- und Schulfreiheit ein, und gehörte zu den wenigen Männern seiner Zeit, die die beginnende Frauenbewegung unterstützten.

Im Januar 1851 starb seine Frau Lise. Neun Monate später heiratete er am 25. Oktober die große Liebe seines Lebens, Marie Toft. Jedoch verstarb sie bereits drei Jahre nach der Hochzeit. Grundtvigs Liebeslied Hvad er det, min Marie (Was ist das, meine Marie?) gehört zum dänischen Liedgut.

Am 14. April 1858 heiratete er Asta Reedz. In der Öffentlichkeit wurde dies teilweise als anstößig empfunden, denn Grundtvig war damals schon 75 Jahre alt. Die Ehe wird aber als glücklich beschrieben. 1861 wurde Grundtvig vom dänischen König der Titel des Bischofs von Seeland verliehen. Er war damit das nominelle Kirchenoberhaupt in Dänemark.

1863–1872 etablierte sich der Brauch der Freundestreffen um Grundtvig, nachdem er seinen 80. Geburtstag feierte. Jährlich trafen bei ihm Freunde und Bewunderer ein. Sein Biograf Alchin spricht von einem einsetzenden Personenkult in seinen letzten Lebensjahren. 1867 erlebte Grundtvig eine erneute mentale Krise. Diese manische Periode spitzte sich am Palmsonntag zu, als er eine stark prophetisch gefärbte Predigt hielt. Er sprach vom nahenden Erscheinen Gottes auf Erden. Viele glaubten, das sei nun sein Ende, aber er erholte sich und blieb rüstig.

Am 2. September 1872 starb N.F.S. Grundtvig im Alter von fast 89 Jahren. Tausende Freunde begleiteten seinen Sarg auf dem letzten der legendären Freundestreffen, anstelle seinen 89. Geburtstag zu feiern, der 6 Tage nach seinem Tod gewesen wäre.

Der Theologe

N.F.S. Grundtvig, der Theologe (1843)

N.F.S Grundtvig gilt als der markanteste Theologe in Dänemark. Berühmt sind seine Psalmen (dänisch.: salme), von denen er ungefähr 1.500 verfasste. Weltanschaulich wandelte er sich vom Fundamentalisten zum Reformer. Er vertrat dann die Auffassung: Menneske først – kristen så = Erst Mensch – dann Christ. Das dänische Internetprojekt Grundtvig på Nettet (deutsch: Grundtvig im Netz) hat sich zur Aufgabe gemacht, seine 600 überlieferten Predigten, die in Manuskripten erhalten sind, zu entziffern und dann (meist erstmals) zu veröffentlichen.

Als Kritiker und Gegner von Grundtvigs theologischer Anschauung gelten dabei vor allem der von Schleiermachers Vermittlungstheologie beeinflusste Rationalist Henrik Nicolai Clausen (1793-1877), der religiöse Schriftsteller Sören Kierkegaard (1813-1855) sowie der isländische Theologe und religiöse Schriftsteller Magnús Eiríksson (1806-1881).

Theologische Laufbahn

Grundtvig, der Pastorensohn, wurde als Jugendlicher 1800 auf die Kathedralenschule in Århus geschickt, und studierte ab 1803 Theologie in Kopenhagen. Nach seiner Probepredigt mit dem Titel Warum ist das Wort des Herrn aus seinem Hause verschwunden? gegen viele seiner Predigerkollegen 1810 ereilte ihn ein mentaler Schock: Ihm erschien nach eigenen Angaben im Gasthof Vindbyholt kro der Teufel. Grundtvig soll danach so laut gebetet haben, dass er alle anderen Gäste aufweckte. Danach verfasste er seinen ersten Psalm Dejlig er den himmel blåSchön ist des Himmels Blau. Er beschloss die Erneuerung des Luthertums gegen den in dieser Zeit dominierenden Rationalismus.

1811 bis 1813 war Grundtvig Kaplan in seinem Heimatort und unterstützte seinen Vater in der Kirche. Nach dessen Tod war er vom Februar 1821 bis November 1822 Priester in Præstø auf Seeland. Es ist überliefert, dass dort die „Chemie stimmte“.

1822 bis 1826 war er Priester an der Erlöserkirche (Kopenhagen) [5]. Dies wird als eine für Grundtvig schwierige Zeit geschildert. Gleichwohl entwickelte er seinen kirchlichen Standpunkt weiter. Er legte großen Wert auf das Glaubensbekenntnis, die Sakramente und die altkirchliche Tradition, also das Dogma. Die Erlöserkirche trägt heute neben dem Beinamen Königskirche auch den Beinamen Grundtvigskirche.

In seinem Pamphlet Kirkens Genmåle (Erwiderung der Kirche) reagierte er 1826 auf das Buch des rationalistischen Theologen Henrik Clausen Verfassung, Lehre und Ritus des Katholizismus und Protestantismus (1825). Von Clausen wegen Beleidigung angezeigt verzichtete Grundtvig 1826 auf sein Pfarramt. Zudem wurde er am 30. Oktober zu einer Geldstrafe verurteilt und unter lebenslange Zensur gestellt. Diese wurde 1837 aufgehoben. Voller Glück hierüber verfasste er Moders navn er en himmelsk lyd – "Mutters Name ist ein himmlischer Laut".

Bereits 1832 erhielt er von der Regierung die Erlaubnis, in der Kopenhagener Christianskirche zu predigen. Seine Anhängerschaft wuchs. Dieses Jahr markierte seine Hinwendung zur Aufklärung. Sein Grundproblem war nach Auffassung seines Biografen Kaj Thaning (1963) die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Christenleben und dem Menschenleben. Dies manifestierte sich fortan in Grundtvigs Grundsatz: Menneske først og kristen såZuerst Mensch und dann Christ. Er interessierte sich immer mehr für den Humanismus. Thanning beschreibt 1832 als den wichtigsten Wendepunkt in Grundtvigs Leben. Anders als andere Biographen, die 1810 (mentale Krise) und 1825 (Auseinandersetzung mit Professor Clausen) nennen.

1837 erschien sein Sang-Værk til den danske Kirke, sein Liederbuch für die dänische Kirche. Es umfasst 400 der insgesamt 1.500 Grundtvig-Psalmen. Sang-Værk (Liedwerk) bedeutete bis dahin in der dänischen Sprache eigentlich Glockenspiel, wie man es in Kirchtürmen findet.

Am 9. Juni 1839 bekam er das Pfarramt am Kopenhagener Vartovhospital. Er galt nach dem Eklat von 1826 wieder als rehabilitiert. Zu seiner großen Gemeinde dort zählte unter anderem Königin Caroline Amalie. Seine Psalmensammlung Festsalmer wurde das Gesangbuch der Gemeinde. Von hier nahm der Grundtvigianismus seinen Ausgang und veränderte das gesamte geistliche Leben Dänemarks. Heute befindet sich hier die Grundtvig Bibliothek.

1860 erschien das lange Gedicht Christenhedens Syvstjerne, das Siebengestirn der Christenheit, in Anlehnung an die sieben Gemeinden in der Offenbarung des Johannes. In dem Gedicht kommen sechs große Kirchen vor: die jüdische (die Christen aus dem Judentum), die griechische, die römische, die englische, die deutsche und die nordische. Welches die siebte sein soll, blieb sein Geheimnis.

1861, 50 Jahre nach seiner Ordination, wurde N.F.S. Grundtvig vom König zum Bischof ernannt. Als Bischof von Seeland war er nominell Primas der dänischen Kirche. Bis zu seinem Tode 1872 predigt er jeden Sonntag in Vartov.

Der Nationaldichter

N.F.S. Grundtvig, der Dichter (1820)

Nach dem Tod des Vaters 1813 und seinem Gang nach Kopenhagen, ließ sich N.F.S. Grundtvig dort in der Løngangsstræde nieder. Dieser Ort bezeichnet seine schriftstellerische Phase bis 1821. Nachdem man ihm seinen Wunsch, eine eigene Pfarrei zu bekommen, ausgeschlagen hat, schlug er eine Dichterlaufbahn ein.

Bruch mit der Romantik

Er spezialisierte sich in (Älterer) Skandinavistik und Anglistik. Gleichzeitig brach er mit der damals vorherrschenden Stilrichtung der Romantik. Er selbst nannte diese Zeit rückblickend seine Bücherwurmzeit. In seiner Zeitschrift Danne-Virke 1816–1819 erschienen zahlreiche Gedichte, neben philosophischen und theologischen Essays.

1818–1822 übersetzte und veröffentlichte Grundtvig Saxo og Snorre, 1820 Beowulf.

1824 erschien sein größtes poetisches Einzelwerk, Nyaars-Morgen (Neujahrs-Morgen). Es handelt sich um ein großes autobiografisches, prophetisches Gedicht, das in 10 Liedern seine persönliche Entwicklung und seine große Hoffnung in die Zukunft Skandinaviens ausdrückt. Die Bildersprache des Werkes lehnt sich an die Jahres- und Tageszeiten an, dem Gegensatz zwischen Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, Leben und Tod. Nyaars Morgen erfreut sich bis heute ungebrochener Popularität in Dänemark.

Sein Interesse für die alte angelsächsische Sprache und Literatur führte ihn 1829, 1830, 1831 und 1843 nach England. König Frederik VI. setzte sich persönlich dafür ein, dass er die nötigen finanziellen Mittel hierfür erhielt. England erweckte Grundtvigs großes Streben nach Freiheit, das für seine weitere Entwicklung prägend wurde.

Sein unabhängiger Geist manifestierte sich 1832 in seiner Mythologie des Nordens (bereits 1808 erschien ein ähnlich benanntes Werk von ihm, damals noch national-romantisch geprägt).

Grundtvigs Bemühungen um die nordische Philologie führten auch zu einer engen Freundschaft mit dem färöischen Linguisten V. U. Hammershaimb, der die neufäröische Schriftsprache entwickelte. Grundtvigs Einfluss wird hier als prägend angesehen. Er stand bis zu seinem Tod 1883 mit Hammershaimb in ständigem Briefkontakt. Grundtvigs Sohn Svend Grundtvig führte das Werk seines Vaters fort und wurde bedeutender Herausgeber der färöischen Balladen.

Der Historiker

1812, 1814 und 1817 erschien N.F.S. Grundtvigs Udsigt over Verdens-Krøniken, seine Weltgeschichte, wo er seine drei Schwerpunktgebiete Geschichtswissenschaft, Dichtkunst und Theologie in einem umfangreichen Werk zusammenfasst und dort die Zusammenhänge der drei Disziplinen untereinander beschreibt.

1832 erschien das monumentale Werk Mythologie des Nordens, der volle dänische Titel lautet: Nordens Mythologi eller Sindbilled-Sprog – Historisk-Poetisk udviklet og oplyst af N. F. S. Grundtvig. Er schuf eine Kombination von Poesie und Geschichtswissenschaft.

1838 machte Grundtvig durch seine historischen Vorträge von sich reden. Hierbei handelte es sich um eine Vorlesungsreihe über die Geschichte Europas. Hier begründete er seine Gewohnheit, einen Vortrag mit dem Singen eines seiner Psalmen zu beginnen: Seine Zuhörer stimmten selbst spontan den Psalm Kommer hid, I piger smaa, "Kommet her, ihr kleinen Mädchen", an. Diese Tradition wird bis heute an den dänischen Volkshochschulen gepflegt.

Der Volkspädagoge

International bekannt sind die von Grundtvig begründeten Schulen: nichtstaatliche Volkshochschulen in Dänemark, die so genannten folkehøjskoler. 1844 eröffnete die erste Volkshochschule der Welt: Rødding højskole in Südjütland. 1851 folgt die Ryslinge Højskole auf der Insel Fünen, 1856 die Marielyst højskole in Hillerød (heute Grundtvigs Højskole [6]) und 1865 die Askov Højskole in Vejen.

Grundtvigs Grundidee war die Schaffung einer Alternative zum staatlichen Erziehungssystem. 1849 und 1855 erkämpfte er in Dänemark die Schulfreiheit.

Sein pädagogisches Konzept war das lebendige Wort zwischen Lehrer und Schüler. In Grundtvig-Schulen gibt es keine Noten. Nicht die Lehrer dozieren einen Stoff, sondern sie lernen selbst durch die Fragen der Schüler. All das unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung. Grundtvig wollte die Schule des Lebens, lebenslanges Lernen für alle Beteiligten. Die Theorie der Grundtvig-Schule ist in keinem kompakten Kanon niedergeschrieben. Vielmehr wird sie in erster Linie mündlich und vor allem durch die Praxis überliefert.

Heute ist Grundtvig der Namensgeber eines gleichnamigen EU-Programms, das sich unter dem Sokrates-Programm die Idee des Life-Long-Learning auf die Fahnen geschrieben hat. Die Grundtvig-Programme bemühen sich um die Entstehung europäischer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung.

Der Politiker

Im 19. Jahrhundert war N.F.S. Grundtvig ein wichtiger dänischer Politiker. Zunächst ein überzeugter Monarchist und gegen den Liberalismus der deutschfreundlichen dänischen Bourgeoisie eingestellt, nahm er dennoch an der bürgerlichen Revolution von 1848 teil. Er wurde Mitglied der dänischen Nationalversammlung, die die erste Verfassung des Königreichs verabschiedete und so die konstitutionelle Monarchie einführte.

Er setzte sich als Parteiloser ebenso für Religionsfreiheit und Schulfreiheit ein, wie auch für die aufkeimende Frauenbewegung. Sein Freiheitsdrang manifestierte sich in einer äußerst liberalen Gesinnung.

Von 1850–1858 war er Abgeordneter im dänischen Reichstag. 1866, nach dem Debakel der Düppeler Schanzen, erfuhr er als 83-Jähriger ein spätes Comeback und profilierte sich als Führer der linken Opposition.

Der Philosoph

N.F.S Grundtvig war vom Gedanken der Volksaufklärung beseelt. Er vertrat eine emanzipatorische Sicht, die sich nach dem nationalen Trauma von 1864 (Deutsch-Dänischer Krieg) in einer nationalen Position wiederfand, die man mit den Worten umschreiben kann: Was außerhalb verloren wurde, muss innerhalb wiedererlangt werden. Er verstand die nationale Krise Dänemarks als Chance zur nationalen Identitätsfindung.

Volkliches Denken

Grundtvig hielt das dänische Volk für das auserwählte Volk und führte die Entstehung des dänischen Volkes auf die alttestamentlichen Stämme zurück. Dabei bedient er sich einer gotizistisch-nordistischen Interpretationstradition. Selbst nennt er seine Methodik eine historische Wissenschaft, die Vidskab. Mit ihr werden die Welt-, Heils- und eigener Lebensgeschichte miteinander gedeutet und parallelisiert. Statt Empirie setzte Grundtvig "eine ästhetische Wahrnehmungslehre" [1] und legitimierte seine Erkenntnisse mittels mythischer Traditionen. Nach Inga Meincke sieht sich Grundtvig dabei in der "ungebrochener Tradition zu den seherischen Skalden der Edda..., billige sich die erforderliche Fähigkeit zur nordisch-historischen Anschauung auf exklusive Weise zu. Indem er Gott als seinen Wahrheitszeugen benenne, entwickele er eine Legitimationsstrategie, in der das eigene Leben zu dem Gegenstand werde, an dem Grundtvig seine historisch-poetische Wissenschaft bevorzugt praktiziere. Nichtsdestoweniger fühle Grundtvig sich in seinen autobiographischen Schriften nicht zur Exaktheit verpflichtet, erst durch die Bearbeitung enthülle sich der zeichenhafte Charakter seines Lebens."[2] (Alexandra Bänsch)

Dem Zeitalter der Aufklärung setzte Grundtvig sein Konzept der Volklichkeit (Folkelighed) entgegen. Die Französische Revolution begriff er als eine Krise des Christentums. Dagegen benötige das Dänentum keine Politik, der Absolutismus sei die geeignete Regierungsform. Aufklärung sei hingegen durch die historisch-poetische Wissenschaft zu gewinnen, als dessen Prophet sich Grundtvig darstellte. Grundtvig Vorstellungen von einer Weltgeschichte und einem Weltgericht war durch das Bild der Krise bestimmt. Diese Krise stehe zwischen dem Vergangenen Goldenem Zeitalter (Guldalder) und das heraufkommende Gylden-Aar (Güldenjahr). Um die Krise zu überwinden, müsse das dänische Volk "seine Folkelighed [= Volklichkeit] unter Beweis stellen, wofür Grundtvig das Konzept der Herkunftsgemeinschaft um das der Überzeugungsgemeinschaft ergänze. Als Däne sei der Mensch zwar schon durch seine Abstammung nobilitiert, im Geiste könne der einzelne der dänischen Nation aber nur durch ein Bekenntnis angehören."[3]

Rechtsextremistische Rezeption

Grundtvigs Konzept der Volklichkeit wird von rechtsextremistischen Theoretikern, insbesondere von der Neuen Rechten aufgenommen und mit Ausprägungen völkischen Denkens verbunden. In Deutschland wurde besonders von der nationalrevolutionären Zeitschrift Wir selbst, Zeitschrift für nationale Identität, und Volkslust [4] versucht, Vokabular und Ideologeme Grundtvigs aufzunehmen, um an völkische Ideologien anzuschließen und sie "salonfähig" zu machen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Alexandra Bänsch, Rezension zu Inga Meincke: Vox viva. [1]
  2. Zitat: Alexandra Bänsch, Rezension zu Inga Meincke: Vox viva. Die "wahre Aufklärung" des Dänen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig. (Skandinavistische Arbeiten, Band 17) Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2000. [2]
  3. Zitat: Alexandra Bänsch, Rezension zu Inga Meincke: Vox viva. Die "wahre Aufklärung" des Dänen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig. (Skandinavistische Arbeiten, Band 17) Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2000. [3].
  4. Clemens Heni: Deutsche Lust. In: Klick nach rechts [4]

Herausgeberschaft

  • Johannes Knudsen: Selected Writings. Fortress, Philadelphia 1976. ISBN 0-8006-1238-8
  • What Constitutes Authentic Christianity? Fortress, Philadelphia 1985, ISBN 0-8006-1844-0
  • Max Lawson: Selected educational writings. The International People's College, Helsingör 1991. ISBN 87-88735-08-7
  • Niels Lyhne Jensen: A Grundtvig Anthology. Selections from the Writings. James Clarke & Co., Cambridge 2000, ISBN 0-227-67885-0

Literatur

  • Poul Dam: Nikolaj Frederik Severin Grundtvig (1783–1872) – The preacher and revivalist. Königlich Dänisches Außenministerium, Kopenhagen 1983 (auch auf deutsch, französisch und spanisch). ISBN 87-87646-08-0
  • Christian Thodberg, Anders Pontoppidan Thyssen (Hrsg.): N.F.S. Grundtvig – Tradition and Renewal. Grundtvig's Vision of Man an People, Education and Church, in Relation to World Issues Today. Det Danske Selskab, Kopenhagen 1983. ISBN 87-7429-045-2
  • Paul Röhrig (Hrsg.): Um des Menschen willen. Grundtvigs geistiges Erbe als Herausforderung für Erwachsenenbildung, Schule, Kirche und soziales Leben. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1991. ISBN 3-89271-252-2
  • Arthur Macdonald Allchin: N.F.S. Grundtvig. An Introduction to his Life and Work. Århus University Press, Århus 1997, ISBN 87-7288-656-0
  • Inga Meincke: Vox viva – Die "wahre Aufklärung" des Dänen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig. Heidelberg 2000, ISBN 3-8253-1045-0 (Universität München ISAL. Rezension von Alexandra Bänsch [7])
  • Bernd Henningsen: Die Politik des Einzelnen. Studien zur Genese der skandinavischen Ziviltheologie: Ludvig Holberg, Sören Kierkegaard, N.F.S. Grundtvig. Göttingen 1977.

Weblinks

Grundtvigs Højskole, Hillerød


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