- Carillon
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Ein Carillon [kariˈjɔ̃] ist ein spielbares, großes Glockenspiel, das sich typischerweise in einem Turm oder einem eigens errichteten Bauwerk befindet. Es besteht aus chromatisch oder diatonisch gestimmten Glocken, die mittels einer Klaviatur durch einen Spieler oder mechanisch (etwa mittels einer Walze oder durch elektronische Steuerung) gespielt werden können. Die konzertante Spielbarkeit unterscheidet es von der Spieluhr-Form des Glockenspiels, seine Größe und die Art der Glocken vom Orchesterröhrenglockenspiel.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Carillon ist die französische Bezeichnung für ein „Turmglockenspiel“. Der Ausdruck bezeichnet auch das in Kapellen und Orchestern gespielte Metallstabglockenspiel und Musikstücke, die für das Glockenspiel bestimmt sind. Der Name ist von „quatrillionem“ abgeleitet, dem rhythmischen Anschlag von vier Glocken, wie er bereits im 14. Jahrhundert vom Turmwächter angewandt wurde.
Seinen Ursprung hat das Carillon in Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich. Das erste gestimmte Carillon wurde 1652 von Pieter und Francois Hemony gegossen und in Zutphen aufgebaut. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geriet diese Kunst in Vergessenheit. Erst am Ende des 19. Jahrhundert kam das Carillon, besonders durch den Carillonneur Jef Denyn aus Mechelen in Belgien wieder in Mode.[1]
In den Niederlanden gibt es den größten Bestand an Glockenspielen weltweit (insgesamt 806 Glockenspiele, davon 158 Carillons nach WCF-Standard, in Deutschland sind es 43 Carillons).
Moderne Definition
Die World Carillon Federation (WCF) verlangt von einem Carillon, dass es über mindestens 23 Glocken (chromatisch über zwei Oktaven) verfügt und die Glocken direkt von einem Spieltisch mittels Seilzügen angeschlagen werden können. Die nachfolgende Darstellung behandelt insbesondere diese Art von Instrumenten.
Moderne Instrumente sind frei über ein elektrisches Orgelmanual zu spielen. Wenn die Bezeichnung „Carillon“ nur für Instrumente mit mechanischem Spieltisch verwendet wird, fehlt für Instrumente mit elektrischem Spieltisch eine eigenständige Bezeichnung, da „Glockenspiel“ ein Überbegriff ist, der zum Beispiel auch tragbare und von Hand angeschlagene Instrumente umfasst. Es bleibt abzuwarten, ob sich hier – wie bei Pfeifenorgeln mit mechanischem oder elektrischem Spieltisch – eine einheitliche Bezeichnung entwickelt.
Die Möglichkeit, gespielte Stücke zu speichern und später automatisch wiederzugeben, besteht auch bei einem Teil der Carillons mit mechanischem Spieltisch, und zwar sowohl auf traditionelle Art (zum Beispiel Welte-System) oder mittels Computersteuerung.
Aufbau
Die Klöppel der Glocken oder außerhalb der Glocke angeordnete federnd gelagerte Hämmer sind mittels Zugdrähten und Kipphebel mit den Tasten des Spieltisches verbunden und werden mechanisch von dem Carilloneur gespielt. Der Spieltisch eines Carillons ist dem einer Orgel ähnlich. Er besteht aus einem Rahmenwerk, in dem die Stöcke für das Manual und die Tasten des Pedals eingebaut sind. Die Stöcke des Manuals sind wie Klaviertasten angeordnet, die Abstände zwischen den einzelnen Stöcken sind jedoch wesentlich größer als bei einem Klavier.
Spielweise
Da für das Anschlagen der Glocken eine große Kraft erforderlich ist, wird das Manual eines Carillons mit der Faust gespielt, die größeren Glocken können zudem nicht nur per Manual, sondern zusätzlich mit den Füßen per Pedal gespielt werden. Manchmal gibt es jedoch auch größere Glocken, die nur über das Pedal, nicht über das Manual erreicht werden können.
Differenzierung der Spielweise
Aufgrund der Spielweise können pro Hand nur ein bis maximal drei Töne mit Intervallen bis zu einer Quinte gespielt werden. Um beispielsweise zwei Töne gleichzeitig mit einer Hand zu spielen, unterscheidet sich die Spielweise von der oben genannten, indem die Hand geöffnet wird und die Stöcke mit Daumen und Zeigefinger herunter gedrückt werden.
Die Glocken beim Carillon sind nicht mit einer Dämpfung versehen, so dass vor allem die tiefen Glocken sehr lange nachklingen. Somit ist es auch nicht mehr möglich, den Klang einer einmal angeschlagenen Glocke noch zu beeinflussen, bis diese ausgeklungen ist. Des Weiteren klingen die großen Glocken wesentlich lauter und länger als die kleineren Glocken. Zudem ist der Teilton der kleinen Terz deutlich hörbar, was bei lang nachschwingenden Tönen schnell zu Dissonanzen führen kann. Somit erfordert das Carillonspiel eine sehr stark wechselnde Dynamik, die durch die Anschlagstärke der Stöcke reguliert wird, um Dissonanzen zu minimieren.
Bekannte Carillon-Komponisten
- Matthias van den Gheyn
- Johannes Gruytters
- Staf Nees
- Leen 't Hart
Bekannte Carillonneure
- Jacob van Eyck
- Hans Uwe Hielscher
- Thomas Jörg Frank
- Ulrich Leykam
- Reinhard Raue
- Staf Nees
- Frank Steijns
(Kategorie:Carilloneur)
Ausgewählte Carillons
Deutschland
Die größten Carillons in Deutschland, nach Zahl der Glocken sortiert:
- Carillon des Roten Turmes in Halle (Saale), 76 Glocken (54.980 kg), 1993
- Carillon im Tiergarten in Berlin, 68 Glocken (48.000 kg), 1987
- Carillon in St. Joseph in Bonn-Beuel, 62 Glocken (10.200 kg), 1960
- Carillon der Pfarrkirche Mariahilf in München, Au, 62 Glocken, derzeit in Bau
- Carillon im Französischen Dom in Berlin, 60 Glocken (29.000 kg), 1987
- Carillon des Bartholomäusturmes in Erfurt, 60 Glocken (13.600 kg), 1979/1992
- Carillon der St.-Nikolai-Kirche (Hamburg), 51 Glocken (13.000 kg), 1993
- Carillon der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 51 Glocken (3.600 kg), 2005
- Carillon im Olympiapark München, 50 Glocken (3.600 kg), 1972
- Carillon im Kieler Kloster, 50 Glocken (4.085 kg), 1999/2005
- Carillon in der Stiftskirche Herrenberg, 50 Glocken (größte Glocke 375 kg)
- Carillon der Kath. Stadtkirche Unsere Liebe Frau in Eppingen, 49 Glocken, (3.983 kg) 1986, Karlsruher Glockengießerei
- Carillon im Turm der St.-Martins-Kirche in Illertissen, 49 Glocken (1.500 kg), 2006
- Carillon im Glockenturm der Gustav-Adolf-Stabkirche Hahnenklee, 49 Glocken (2.000 kg), 2002/2005
- Carillon in der Wiesbadener Marktkirche, 49 Glocken (21.001 kg), 1986
- Carillon Krankenhaus Henriettenstiftung Hannover, 49 Glocken (2.600 kg), 1960, von Schilling, Heidelberg
- Carillon im Marktturm des Aachener Rathauses, 49 Glocken (2.500 kg), 1979
- Carillon auf der Stadtpfarrkirche in Geisa, 48 Glocken (2.003 kg), 2002
- Das Carillon im Turm des Neuen Rathauses der Stadt Chemnitz (Sachsen), 48 Glocken, 1978
- Carillon im Schloss Johannisburg (Aschaffenburg), 48 Glocken, 1969
- Carillon im alten Rathausturm in Köln, 48 Glocken, 1958
- Carillon im Turm der Protestantischen Stiftskirche (Kaiserslautern), 47 Glocken, 2009
- Carillon der Alten Nikolaikirche in Frankfurt, 47 Glocken, 1957/1959/1994
- Glockenspiel am Magdeburger Rathaus, 47 Glocken, 1974
- Carillon Karlskirche, Kassel, 47 Glocken, 1957/1989
- Carillon in der Aldegundiskirche in Emmerich, 43 Glocken, 2000
- Glockenspiel der Christianskirche in Hamburg-Ottensen, 42 Glocken
- Carillon in der Nikolaikirche (Berlin), 41 Glocken, von Schilling, Waren
- Carillon in der Kornmarktkirche in Mühlhausen, 41 Glocken, 1991
- Carillon in der Annakirche in Düren, 37 Glocken, 1964
- Carillon im Rathausturm, Melle, 37 Glocken, 2010 (von Eijsbouts)
- Mobiles Carillon in Rostock, 37 Glocken, 2004
- Carillon am alten Schulhaus des Marktes Weilbach, 37 Glocken, 2006
- Carillon am Rathaus in Gera, 37 Glocken, 1988
- Carillon an der Kleinen Stiftskirche in Wechselburg, 36 Glocken, 1988
- Carillon am Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz in Rostock, 32 Glocken, 1986
- Carillon in der Kath. Pfarrkirche in Schirgiswalde, 29 Glocken, 1991
- Carillon am Rathaus in Heidelberg, 26 Glocken, 1961
- Carillon am Schlachtermarkt in Schwerin, 26 Glocken, 1991
- Carillon im Alten Rathaus in Offenburg, 25 Glocken, 1989
- Carillon im Park Bergfried in Saalfeld, 25 Glocken, 1986
- Carillon in der Kath. Pfarrkirche in Altenburg, 24 Glocken, 1982
- Carillon im Ehrenhain in Potsdam, 24 Glocken, 1987
- Carillon in der Turmlaterne der St.-Johannis-Kirche[2] in Lößnitz im Erzgebirge, 23 Glocken, 1939, von Schilling in Apolda
- Carillon im Stadtpark in Bad Godesberg, 23 Glocken
Belgien
- Die zwei Carillons der Kathedrale St. Rombouts, Mechelen; hier ist eine renommierte internationale Carillonschule (niederländisch: „beiaardschool“) tätig[3]
- Das moderne Carillon der Katholieke Universiteit Leuven, 63 Glocken, in den USA angefertigt
- Carillon des Belfrieds in Brügge
- Carillon der Liebfrauenkathedrale, Antwerpen
- Carillon der Kirche St. Sulpitius, Diest
- Carillon der St.-Gudulakathedrale, Brüssel
- Carillon in Peer
Niederlande
- Carillon des Westerturms (Westertoren) in Amsterdam, 50 Glocken, von Hemony; Bourdon (Hauptglocke) wiegt 7.500 kg und wurde 1636 gegossen
- Carillon im „Palast auf dem Dam“, dem ehemaligen Rathaus ( 17. Jahrhundert, Hemony), Amsterdam
- Carillon der Alten Kirche (Oude Kerk) in Amsterdam
- 2 Carillons (35 & 58 Glocken) des Turms der Liebfrauenkirche in Amersfoort
- Modernes Carillon der technischen Universität Twente, Enschede
- Carillon der alten Bavokirche, Haarlem
- Carillon des Rathauses und der Sint Servaas Basilika (59 Glocken, 1983) in Maastricht
- Carillon der Basilika St. Plechelmus, Oldenzaal
- Carillon im Turm des Utrechter Doms, 50 Glocken, 35 davon von Hemony, 1663–1664 gegossen
- Carillon von St. Martinustoren, Venlo (Limburg), 53 Glocken
- Carillon von de Grote Kerk in Den Haag, 51 Glocken
Übriges Europa
- Glockenspiel der Kunstuhr im Straßburger Münster, 1382
- Glockenspiel im Belfried der Stadt Douai (Frankreich), 62 Glocken, 1954/1974
- Glockenspiel der Stiftskirche Notre-Dame-en-Vaux in Châlons-en-Champagne (Frankreich), 56 Glocken, 1864
- Glockenspiel am Innsbrucker Dom, 48 Glocken
- Glockenspiel der Cobh Cathedral in Cobh (Irland), 49 Glocken, 1916
- Das Glockenspiel in der Neuen Residenz (Salzburg), 35 Glocken, 1702
- Glockenspiel im Zisterzienser-Stift Heiligenkreuz (Niederösterreich), 43 Glocken, 1982
- Glockenspiel im frei stehenden Turm in Løgumkloster (Nordschleswig), 49 Glocken, 1973
- Carillon in Loughborough (England), 47 Glocken, 1923
- Glockenspiel der Katharinenkirche in Danzig, 49 Glocken
Andere
- Ann Arbor, USA, Burton Tower: 55 Glocken (43.000 kg), dabei ein Bass-Bourdon von 12.000 kg, John Taylor 1936
- Bloomfield Township, USA, Apostles' Tower bei Kirk in the Hills: 77 Glocken, Petit & Fritsen, 1960
- Daejeon, Südkorea, Hyechon College, College Tower: 77 Glocken (ca. 11.000 kg), Petit & Fritsen 2001
- New York, USA, Riverside Church: 74 Glocken (18.500 kg) 1925–1930, Basisglockenton c
- Chicago, USA, Universitätskapelle: 72 Glocken (17.300 kg) 1932, Basisglockenton cis
- Lawrence (Kansas), USA: World War II Memorial Carillon & Campanile. 1950–1951
- Washington, D.C., USA: Peter-Pauls-Kathedrale: 53 Glocken (10.900 kg) 1963, Basisglockenton es
- Ottawa, Kanada, Parlament, Friedensturm: 53 Glocken (10.150 kg) 1927, Basisglockenton e
Verschiedenes
Im Film Willkommen bei den Sch'tis kommt ein Carillon vor, was dessen Bekanntheit unter anderem in Deutschland steigerte.[4]
Literatur
- Alexander Buchner: Vom Glockenspiel zum Pianola. Artia, Prag 1959
- Winfred Ellerhorst: Das Glockenspiel. Bärenreiter, Kassel 1939
- Frank Percival Price: The Carillon. Oxford University Press, London 1933
- Margarete Schilling: Glocken und Glockenspiele. 2. Auflage. Greifenverlag, Rudolstadt 1985
- Margarete Schilling: Das Magdeburger Glockenspiel. Rat der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1979
Einzelnachweise
- ↑ The History of the Carillon. The Guild of Carillonneurs in North America, 8. Dezember 2007, abgerufen am 26. Oktober 2008 (englisch).
- ↑ Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Lößnitz-Affalter St.Johanniskirche
- ↑ Carillonschule Mechelen (en, nl, fr)
- ↑ Das kuriose Instrument aus den "Sch’tis". WELT ONLINE, 23. Dezember 2008,, abgerufen am 29. Dezember 2008 (deutsch).
Weblinks
Commons: Carillon – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Literatur zum Schlagwort Carillon im Katalog der DNB und in den Bibliotheksverbünden GBV und SWB
- Weltweite Informationen und Auflistungen der Carillons (en, fr, nl)
- World Carillon Federation
- Deutsche Glockenspielvereinigung
- www.carillon-museum.nl
- Das Carillon der Stadtpfarrkirche Geisa
- Das Carillon im Olympiapark München
- Carillon Marktkirche Wiesbaden
- http://www.henriettenstiftung.de/stiftung/carillon/car_unser.php Das Carillon der Henriettenstiftung Hannover
- http://www.architekt-hauck.de/inhalt/referenzen/carillon.php Entstehung des Carillons des Marktes Weilbach
- Karlskirche Kassel
- Glockenspiel Karlsruhe Rathaus
- Deutschlands einziges transportables Glockenspiel befindet sich in Rostock.
- (NL)www.beiaard.be: Belgische Glockenspiele mit vielen interessanten Einzelheiten
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