Paulus Gerhardt

Paulus Gerhardt
Paul Gerhardt, Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert

Paul Gerhardt (* 12. März 1607 in Gräfenhainichen im Kurfürstentum Sachsen; † 27. Mai 1676 in Lübben (Spreewald)) war ein evangelisch-lutherischer Theologe und gilt neben Martin Luther als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Kirchenlieddichter.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gräfenhainichen

Paul Gerhardt wurde als zweites von vier Kindern in eine Gastwirtsfamilie geboren. Er erhielt den Vornamen seines Großvaters väterlicherseits, der sich einst in Gräfenhainichen niedergelassen hatte. Sein Vater, Christian Gerhardt, hatte am 12. Mai 1605 in der Nikolaikirche in Eilenburg Dorothea Starcke geheiratet, die Tochter des Eilenburger Superintendenten Caspar Starcke, die ihrem Mann nach Gräfenhainichen folgte. Hier wurde ihnen 1605 der Sohn Christian geboren; es folgten Paul, Anna (1612) und Agnes (1619).

Pauls Vaterstadt, seinerzeit noch Henichen genannt, hatte um die Zeit seiner Geburt ungefähr 1000 Einwohner. Sein Vater ernährte die Familie durch die Bewirtschaftung eigenen Gartenlands; er engagierte sich zudem im Rat der Stadt und wurde zu einem der drei Bürgermeister gewählt. Paul besuchte die Stadtschule, in der er sich Grundkenntnisse in der lateinischen Sprache und im Chorgesang erwarb. Wie viele andere Familien in Kursachsen hatten auch die Gerhardts unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges – Hungersnot, Seuchen und den Übergriffen der Soldaten – zu leiden; 1619 starb sein Vater, 1621 die Mutter.

Grimma

Fürstenschule St. Augustin, Stich aus dem 17. Jahrhundert

Paul Gerhardt wurde am 4. April 1622, wie schon sein Bruder zwei Jahre zuvor, in die Fürstenschule St. Augustin in Grimma aufgenommen. Die Schule galt als Schmiede des sächsischen Pfarrer- und Beamtennachwuchses. In einem straff organisierten Tagesablauf wurde den Schülern vor allem Wissen in der Religion und den alten Sprachen beigebracht. Leonhard Hutters Compendium war dabei seit 1609 Lehr- und Lernbuch und formte Gerhardts theologisches Grundgerüst wesentlich. Daneben wurden auch die Artes Liberales, Rhetorik, Dialektik, Musik und Poetik, gelehrt. Paul zeichnete sich durch Fleiß und Gehorsam aus; man bescheinigte ihm das Talent, sich den geforderten Aufgaben zu stellen. Drei Tage nach seiner erfolgreichen Prüfung verließ Gerhardt am 15. Dezember 1627 die Fürstenschule mit den nötigen Voraussetzungen für das Studium an einer Universität.

Wittenberg

Paul Gerhardts Wohnhaus in Wittenberg, 2006

Gerhardt entschied sich für ein Studium der Theologie an der lutherischen Universität Wittenberg, wo er sich am 2. Januar 1628 immatrikulierte. Gerhardt war bereits im Elternhaus und in Grimma der Theologie der reinen lutherischen Lehre begegnet und fand in Wittenberg bedeutende Lehrer der Lutherischen Orthodoxie. Er wurde zudem an der philosophischen Fakultät aufgenommen. Hier hielt August Buchner Vorlesungen über die Dichtkunst, die den Mittelpunkt des Wittenberger Dichterkreises bildeten, der in Beziehung zur Fruchtbringenden Gesellschaft und zu dem Dichterkreis in Schlesien um Martin Opitz stand und Gerhardts Schaffen inspirierte.

Vor allem von Paul Röber lernte Gerhardt, dass sich lutherische Rechtgläubigkeit und poetisch geformte Frömmigkeit keineswegs ausschließen. Röber war ein Mann mit vielfältigen Begabungen und schöngeistigen Neigungen. Er war berühmt für seine Predigten, die sich durch reiche Verwendung rhetorischer Formeln, eine emblematische Themenfassung und die Einstreuung von Liedversen auszeichneten. Die persönliche Aneignung von Wort und Wahrheit der Bibel in Formen barocker Poesie und Rhetorik sollte sich später in Gerhardts Liedtexten widerspiegeln.

Aufgrund von Geldsorgen nahm er beim Archidiakon der Wittenberger Stadtkirche August Fleischhauer in der Collegienstraße 7 eine Anstellung als Hauslehrer an und zog in dessen Haus ein. In Wittenberg hatten viele Menschen vor den Folgen des Krieges Zuflucht gesucht, im Jahr 1636/37 grassierte die Pest. Das Kirchenamt musste für die Pesttoten eigene Sterbebücher anlegen. Paul Gerhardts nahe gelegene Heimatstadt wurde am 11. April 1637 von schwedischen Soldaten vollständig zerstört. Am 7. November 1637 starb Gerhardts Bruder Christian. Die Erfahrungen in Wittenberg wirkten auf Gerhardt prägend. Am 26. April 1642 verfasste er hier sein erstes Gelegenheitsgedicht anlässlich einer Feier für das bestandene Magisterexamen des Sohnes eines Hamburger Professors.

Erste Berliner Zeit

Das Berliner Gesangbuch „Praxis Pietatis Melica…“ von Johann Crüger, Titelblatt der 29. Auflage von 1721

Um 1643 ging Gerhardt nach Berlin. Die Stadt war durch den Dreißigjährigen Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen; Pest, Pocken und die Bakterienruhr reduzierten die Bevölkerungszahl von 12.000 vor dem Krieg auf 5.000 Einwohner bei Kriegsende. Hier fand Gerhardt bei dem Kammergerichtsrat Andreas Berthold und seiner Frau Elisabeth, geb. Hortleder, eine Anstellung als Hauslehrer. Im selben Jahr heiratete eine der Töchter, Sabina, und er wünschte ihr Glück mit einem seiner ersten Gedichte, einer Ode.

Gerhardt verfasste unter den Eindrücken der Kriegsereignisse und ihrer Folgen weitere Liedtexte und entwickelte sich dabei auch theologisch. Er beschränkte sich nicht auf die Reflexion seiner Eindrücke, sondern beteiligte sich an der geistlichen und geistigen Erbauung seiner Zeitgenossen, indem er ihnen in seinen Liedern neuen Mut und Hoffnung geben wollte. Seinen seelsorgerisch geistlichen Beitrag leistete Gerhardt vor allem an der Berliner Nikolaikirche, wo er 1657–1667 als Pfr. tätig war. Hier wirkte seit 1622 Johann Crüger als Kantor, der 1640 erstmalig das Gesangbuch „Praxis Pietatis Melica – Das ist Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen“ herausgegeben hatte. Zwischen ihm und Gerhardt entstand eine langjährige freundschaftliche Zusammenarbeit. Als Crüger 1647 sein Gesangsbuch erneut auflegte, steuerte Gerhardt bereits 18 Lieder bei. Bis zur 5. Auflage 1653 erhöhte sich ihre Zahl auf 82. Auch mit dem Propst der Kirche, Petrus Vehr, war Gerhardt befreundet; dieser ebnete ihm später den Weg zum Pfarramt nach Mittenwalde.

Mittenwalde

Paul-Gerhardt-Denkmal (1905/2001) vor der Kirche in Mittenwalde, 2006

Nach dem Tod des langjährigen 1. Mittenwalder Pfarrers 1651 und einer gewissen Erholung von den Kriegsfolgen setzte sich der Rat der Stadt in der Frage der Neubesetzung der Pfarrstelle mit dem Berliner Konsistorium in Verbindung. Dieses empfahl den theologischen Kandidaten Paul Gerhardt, der in der Berliner Gemeinde durch Fleiß und Gelehrsamkeit als lutherischer Theologe ein untadeliges Zeugnis erworben und sich beliebt gemacht hatte. Die Stadtväter von Mittenwalde folgten dem Anraten und luden Gerhardt am 28. September 1651 zu einer Probepredigt für zwei Tage ein. Nach der theologischen Prüfung durch das Kirchenamt wurde er am 18. November 1651 in der Berliner Nikolaikirche auf das Konkordienbuch, d. h. die Confessio Augustana sowie auf deren Apologie, die Schmalkaldischen Artikel, den kleinen und großen Katechismus und die Konkordienformel verpflichtet und ordiniert.

Daraufhin wurde er am 30. November in sein Amt in Mittenwalde eingeführt. Von nun an gehörte es zu seinen Aufgaben, der Gemeinde beim Gottesdienst die Predigt zu halten und das Abendmahl zu reichen. Auch führte er die Amtshandlungen zu Taufen, Trauungen, Beichten und Begräbnissen durch. Mit der Übernahme des Propst-Amtes war er auch Inspektor der umliegenden Pfarreien geworden. Ihm unterstanden elf Pfarrstellen in Königs Wusterhausen, Gräbendorf, Teupitz und Gussow, die er theologisch und verwaltungsmäßig kontrollieren, beraten und unterstützen musste. Seine vier erhaltenen Leichenpredigten aus dieser Zeit zeigen eine volkstümliche und anschauliche Art zu predigen. Wie in seinen Liedern verdeutlichte Gerhardt die theologischen Inhalte und Einzelheiten durch greifbare und eingängige Beispiele.

Neben seiner pfarramtlichen Tätigkeit pflegte er auch in Mittenwalde die Liedkunst. 1653 erschien die fünfte Auflage von Crügers Gesangbuch, in dem sich 64 neue Lieder von Gerhardt befanden. Während dieser Zeit verfasste er unter anderem das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“, das in der 6. Auflage von Crügers Gesangbuch 1656 erschien und heute zum Weltkulturerbe gerechnet wird. Es ist die Übersetzung des lateinischen „Salve caput cruentatum“ von Arnulf von Löwen, das lange Zeit Bernhard von Clairvaux zugeschrieben wurde und Eingang in die Matthäus-Passion Johann Sebastian Bachs fand.

Die Beziehungen zur Berliner Gemeinde erhielt Gerhardt aufrecht. Am 11. Februar 1655 heiratete er Anna Maria (* 19. Mai 1622), die Tochter von Andreas Berthold. Das Paar wurde im Bertholdschen Haus in Berlin durch Propst Petrus Vehr getraut. Im Jahr darauf, am 19. Mai 1656, bekam das Paar eine Tochter, Maria Elisabeth, die bereits ein halbes Jahr später am 28. Januar 1657 starb. Sie wurde in Mittenwalde begraben, wo ihr an der St.-Moritz-Kirche ein Epitaph errichtet wurde. Dem Paar wurden noch vier weitere Kinder geboren, von denen drei, Anna Catharina, Andreas Christian und Andreas, aber bald verstarben; als einziger überlebte der Sohn Paul Friedrich seine Eltern.

Zweite Berliner Zeit

Nikolaikirche Berlin, Stich von 1740. Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Titelblatt der Geistlichen Andachten, 1667

Im Mai 1657 wurde Gerhardt mitgeteilt, dass er zum zweiten Diakon an der Berliner Nikolaikirche gewählt worden war. Nachdem er am 4. Juni der Wahl zugestimmt hatte, nahm er am 22. Juli mit der Taufe eines Kindes seine erste Amtshandlung vor. Mit seiner Frau bewohnte er in dieser Zeit eine Wohnung in der Stralauer Straße 38.

Der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund war 1613 vom lutherischen zum reformierten calvinistischen Bekenntnis übergetreten und erhob diesen zur Hof- und Beamtenreligion. In der Confessio Sigismundi gestattete er indes seinen Landeskindern, diesen Übertritt nicht nachzuvollziehen und begründete damit eine Ausnahme von der damals üblichen Praxis nach der Formel cuius regio eius religio. Dennoch kam es immer wieder zu konfessionellen Spannungen, vor allem, als Kurfürst Friedrich Wilhelm das Verfügungsrecht über die Kirchenangelegenheiten übernahm und eine Politik begann, die er als Toleranzpolitik kennzeichnete, die aber de facto die Lutheraner ausgrenzte. Dies führte zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den Vertretern der lutherischen Orthodoxie, wie etwa Abraham Calov. Die Folge war, dass der Kurfürst 1662 seinen Untertanen verbot, an der Universität Wittenberg zu studieren.

Im Land des Kurfürsten regte sich der Unmut der lutherischen Theologen, deren Zentrum Berlin war. So war auch Gerhardt an den Auseinandersetzungen beteiligt und vertrat vehement den lutherischen Standpunkt, um dem Synkretismus keinen Vorschub zu leisten. Die starre Haltung der Lutheraner kam der Politik des Kurfürsten nicht gelegen. Er sah darin eine Gefährdung des Friedens und verordnete daher am 16. September 1664 ein Toleranzedikt. Die Verordnungen der reformierten Lehre waren für den lutherischen Standpunkt nicht vertretbar, bedeuteten sie doch die Anerkennung einer vermeintlich ketzerischen Religion und damit die Abkehr vom unverfälschten Glauben. Dennoch forderte der Kurfürst die Lutheraner auf, das Toleranzedikt mit ihrer Unterschrift anzuerkennen. Alle, die sich weigerten, wurden vom Kurfürsten entlassen.

Am 31. Januar 1666 sollte auch Gerhardt seine Unterschrift leisten. Wie viele andere verweigerte er sie und wurde daraufhin am 13. Februar als Pfarrer entlassen. Die Berliner Bürger und Gewerke waren mit der Amtsenthebung Gerhardts nicht einverstanden und forderten in einer Vielzahl von Eingaben seine Wiedereinsetzung unter Befreiung der Unterschriftsleistung. Der Berliner Magistrat wandte sich daher an den Kurfürsten, der dieses Ansinnen zunächst ablehnte. Da sich Gerhardt mit seinen geistlichen Liedern auch außerhalb Berlins Ansehen erworben hatte, intervenierten auch die märkischen Landstände gegen Gerhardts Entlassung. Der Kurfürst setzte Gerhardt am 12. Januar 1667 wieder in sein Amt ein. Der jedoch verzichtete aus Glaubens- und Gewissensgründen auf sein Amt. Daraufhin verfügte der Kurfürst am 4. Februar 1667 die endgültige Entlassung Gerhardts, der nun ohne Einkommen war.

Bereits 1666 hatte er begonnen kleine Hefte anzulegen, die bis zum Jahr 1667 gedruckt wurden und jeweils 12 Arbeiten von Gerhardt enthielten. Diese wurden in den 1667 erschienen „Geistlichen Andachten“ als erste Gesamtausgabe seiner Liedertexte zusammengefasst. Herausgeber war Johann Georg Ebeling, der als neuer Kantor an der Nikolaikirche der Nachfolger Johann Crügers war. Die Ausgabe wurde in Berlin und Frankfurt/Oder gedruckt. Sie enthält 10 Dutzend, also 120 Lieder von Gerhardt, darunter 26 Neuerscheinungen. In jene Zeit fiel auch der Tod seiner Frau Anna Maria, die am 5. März starb.

Lübben

Paul Gerhardt, Öl auf Leinwand (um 1700). Lübben (Kirche)

Am 5. September 1668 war der Pfarrer von Lübben gestorben. Der Rat von Lübben, das damals nicht zu Brandenburg, sondern zu Kursachsen gehörte, suchte daraufhin eine geeignete Person zur Neubesetzung der Stelle. Man entschloss sich, Gerhardt zu einer Gastpredigt einzuladen. Gerhardt folgte dem Ruf nach Lübben und hielt dort am 14. Oktober 1668 seine Gastpredigt. Daraufhin wurde er am 29. Oktober 1668 durch den Bürgermeister und den Rat in das Amt des Archidiakons an der damaligen Nikolaikirche berufen.

Gerhardts Amtsantritt verzögerte sich, weil sein Sohn erkrankte und zudem die angebotene Unterkunft viel zu klein für den Hausstand Gerhardts war. Daher wurde durch den Rat zunächst die Wohnung ausgebaut und Gerhardt zog erst im Juni 1669 nach Lübben, wo er am 16. Juni feierlich in sein Amt eingeführt wurde. Hier verbrachte er seine letzten Lebensjahre in bescheidenen Verhältnissen. Dennoch hat er stets seine geistlich-seelsorgische Arbeit erledigt und die organisatorischen Kirchenangelegenheiten geklärt.

Gerhardt starb in seinem 70. Lebensjahr am 27. Mai 1676 in seiner Lübbener Pfarrwohnung. Er wurde im Chorraum nahe dem Altar seiner letzten Wirkungsstätte beigesetzt, die seit 1930 seinen Namen trägt. Die Beisetzung erfolgte jedoch erst am 7. Juni 1676.

Ihm zu Ehren erhielt die Paul-Gerhardt-Kirche in Lübben ein Gedenkgemälde. Dieses ist von einem unbekannten Maler um 1700 geschaffen worden und mit einem lateinischen Epigramm von Gottlieb Wernsdorf dem Älteren versehen. Seine Übersetzung lautet:

Wie lebend siehst Du hier Paul Gerhardts teures Bild,
Der ganz vom Glaube, Lieb und Hoffnung war erfüllt.
In Tönen voller Kraft, gleich Asaphs Harfenklängen
Erhob er Christi Lob Mit himmlischen Gesängen.
Sing seine Lieder oft, o Christ, in heil’ger Lust,
so dringet Gottes Geist durch sie in deine Brust.

Wirken

Gerhardt als Lyriker

Paul-Gerhardt- und Johann-Crüger-Gedenkplatte an der Berliner Nikolaikirche mit einer Liedzeile: „Ermuntert euch und singt mit Schall…“

Gerhardts früheste Lebensjahre lagen im Schatten einer der furchtbarsten innerdeutschen Katastrophen. Er erlebte die Pest und das Leid der Menschen durch den Krieg hautnah mit. Diese Erfahrungen prägten Gerhardt, der ein friedfertiger Mensch war. Das spiegelt sich auch in seinen Gedichten wider, die in ihrer Schlichtheit, Gefühlswärme und Singbarkeit zu Volksliedern geworden sind. Ob er Eigenes schuf oder aus den Psalmen der Bibel schöpfte, ob er die lateinischen Hymnen eines Arnulf von Löwen oder die Gebete Johann Arndts seinen Liedern zu Grunde legte, stets wusste er den bekannten Inhalt poetisch so zu bearbeiten, dass er emotional berührte.

Gerhardts Lyrik, die sich einer ebenso bildhaften wie anschaulichen Sprache bedient, behandelt die christliche Kirche, die Tages- und Jahreszeiten, das Ehe- und Familienleben. Mit dem Adventslied „Wie soll ich dich empfangen“ beginnt er das Kirchenjahr, es folgen Weihnachtslieder wie „Fröhlich soll mein Herze springen“ und „Ich steh an deiner Krippe hier“, denen das erschütternde Passionsgedicht „O Haupt voll Blut und Wunden“ gegenübertritt. Das Oster- und Pfingsterlebnis verbindet sich mit der Freude an der erwachenden Natur, mit deren Tieren und Pflanzen sich Gerhardt vertraut fühlte. In „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ zeigt er das sommerlich blühende Land; er schildert Regentage und Sonnenschein, Erdenleid und Erdenglück. Er singt das Lob der Hausfrau; er tritt aber auch zu den Eltern am Grabe ihres Kindes oder lässt das verstorbene Kind zu seinen Eltern sprechen.

Bei allen Schicksalsschlägen predigt Gerhardt Zufriedenheit, Geduld und Gottvertrauen, das besonders in seinen Trostgesängen zum Ausdruck kommt, etwa in „Gib dich zufrieden und sei stille“, „Warum sollt ich mich denn grämen“, „Ich bin ein Gast auf Erden“, und in dem Lied „Befiehl du deine Wege“ seinen glaubensstarken Ausdruck bekommt. Auch die Kriegsnot und die Sehnsucht nach Frieden spiegeln sich in Gerhardts Lyrik wider, am Ende des Dreißigjährigen Krieges dichtete er das Danklied „Gott Lob, nun ist erschollen das edle Friede und Freudenwort“.

Die heute bekannten Werke Paul Gerhardts, 139 deutsche Liedtexte und Gedichte, sowie 15 lateinische Gedichte, wurden u. a. von Johann Crüger, Johann Georg Ebeling und Johann Sebastian Bach vertont. Gerhardt selbst war ein bescheidener, behutsamer und anspruchsloser Dichter.

Gerhardts Lieddichtung will den Leser zu einem Gespräch mit Gott führen und im Menschen Vertrauen wecken in eine kirchliche und persönliche Frömmigkeit. Somit bilden seine Werke den Übergang von der kirchlichen Objektivität zur Subjektivität des persönlichen Gefühlslebens, vom Bekenntnisgesang zum Erbauungslied. Bei Martin Luther ruft die Gemeinde zu Gott, bei Gerhardt spricht der Einzelne. Gerhardts Lieder markieren den Anfang einer neuzeitlichen deutschen Lyrik und weisen in einer neuen Zeit den Weg zur barocken Lieddichtung, die später Johann Wolfgang von Goethe perfektionieren sollte.

Bedeutung

Paul-Gerhardt-Büste im Paul-Gerhardt-Stift der Lutherstadt Wittenberg

Obwohl Paul Gerhardt einer geistigen und dichterischen Zeit angehört, die uns fern zu liegen scheint, lebt er heute noch unmittelbar im Bewusstsein seiner Werke fort. Seine Lieder sind tief religiösen Charakters und entsprechen damit ganz der Eigenart seiner religiös orientierten Zeit. Sie sind insofern der typische Ausdruck jener Periode und zielen jedoch zugleich weit darüber hinaus. In Gerhardt zeigt sich die Verkörperung eines selbstständigen natürlichen Denkens und Empfindens, wenngleich er in den Überlieferungen der lutherischen Orthodoxie verwurzelt ist und an ihnen festhält.

Ohne weiteres steht ihm das Verdienst zu, die Entwicklung vom Bekenntnislied zum Andachtslied und das zuversichtliche Preis- und Dankgebet gefördert zu haben. Seine Gedichte haben sich zu Volks- und Familienliedern christlichen Glaubens entwickelt. Sie geben Worte zu Lob und Dank und spenden Trost im Leid.

Nachwirkung

Paul Gerhardts Lieder wurden schon bald nach ihrem Erscheinen auch in andere Gesangbücher übernommen. In der Zeit der Aufklärung schätzte man ihn hingegen wenig, seine Lieder wurden stattdessen wie auch andere seiner Zeit, häufig umgedichtet. Erst nach den Befreiungskriegen, zur Zeit von Romantik, Erweckung und Vormärz, hat das Schaffen Gerhardts neue Anerkennung gefunden, so etwa durch Ernst Moritz Arndts Schrift Vom Wort und von dem Kirchenliede.

Die Wiederentdeckung der Oratorien Bachs durch Felix Mendelssohn Bartholdy ließen die Choräle Gerhardts darin neu präsent werden. Viele seiner Choralstrophen (vor allem Befiehl du deine Wege) gehörten für Generationen zum Lernpensum des Konfirmandenunterrichts.

Gerhardts Dichtungen haben nicht nur die Zeiten überdauert, sondern sind grenzübergreifend zwischen konfessionellen und sprachlichen Schranken geworden. So wurden sie in die holländische, französische, englische, spanische, aber auch in afrikanische, asiatische und in andere Sprachen übersetzt. Sie fanden Eingang in viele, auch katholische Gesangbücher, und auch in der reformierten Kirche werden sie gesungen. Damit ist Gerhardt zum ökumenischen Dichter geworden. Gerhardt hat für fast jede Festgelegenheit gedichtet. Die ständige Auseinandersetzung mit seinen Texten macht ihn daher gegenwärtig.

Im derzeitigen Evangelischen Gesangbuch EG (1993) sind 26 Lieder Gerhardts enthalten, in Regionalteilen weitere vier. Ebenfalls 25 sind es im Evangelisch-reformierten Gesangbuch RG von 1998 (Schweiz). Im Katholischen Gesangbuch Gotteslob sind etwa sieben Lieder enthalten (je nach Regionalteil): 141, 179, 226, 267, 549, 671, 912. Die Lieder 141, 179, 267 und 671 stehen auch im EG.

Erinnerungskultur

Paul-Gerhardt-Kapelle in Gräfenhainichen
Paul Gerhardt. Das Gemälde war ein Geschenk von Friedrich Wilhelm IV. zur Einweihung der Paul-Gerhardt-Kapelle, 1844. Paul-Gerhardt-Haus, Gräfenhainichen
Briefmarke (1957) zum 350. Geburtstag

200 Jahre nach seinem Tod wurde 1876 an seiner letzten Ruhestätte in Lübben eine Gedenktafel angebracht, die 1976 erneuert wurde; 1907 wurde vor der Kirche ein Denkmal errichtet. Im Jahre 1930 gestaltete man das Eingangsportal zum Turm der Kirche neu und versah es mit Gerhardts Liedzeile „Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit“.

Die Geburtsstadt Gräfenhainichen errichtete 1830 zum Gedächtnis eine Paul-Gerhardt-Kapelle sowie 1907 ein Paul-Gerhardt-Haus, wo sich auch das 1911 geschaffene Denkmal von Friedrich Johannes Pfannschmidt befindet. Die Lutherstadt Wittenberg bewahrt sein Andenken im Paul Gerhardt Stift, in der Paul-Gerhardt-Straße und den beiden Gedenktafeln am Wohnhaus von Paul Gerhardt; die Gedenktafel aus Sandstein von 1924 an der Rückseite des Hauses ist jedoch stark verwittert.

In der Mittenwalder St. Moritzkirche hat man 1950 buntbleiverglaste Chorfenster von Gerhard Olbricht eingefügt, die Paul Gerhardt als Prediger und Dichter zeigen. Nach einem Festgottesdienst am 14. Juli 2001 wurde an der Südseite der Stadtpfarrkirche ein Denkmal enthüllt, das nach der Vorlage des Gipsmodells von Pfannschmidt aus dem Jahre 1905 gefertigt ist. Dieses befindet sich im Diakonissenmutterhaus im Paul Gerhardt Stift Berlin. Ebenfalls in Berlin, an seiner Hauptwirkungsstätte, der Berliner Nikolaikirche, befindet sich seit 1957 eine Gedenktafel; eine weitere, die im Jahre 1999 angebracht wurde, würdigt neben Gerhardt auch Johann Crüger.

Ebenfalls 1957, zum 350. Geburtstag, brachte die Deutsche Bundespost eine Gedenkbriefmarke mit seinem Porträt heraus.

Die erste Ausgabe der Schallplattenreihe Mathias Wiemans kleine Diskothek widmet sich 1961 insbesondere dem Schaffen Paul Gerhardts als Lyriker.

Doch nicht nur in den Hauptwirkungsstätten finden sich die Spuren Gerhardts. Da er als Dichter grenzüberschreitend wirkte, findet sich sein Name in vielen deutschen Städten und Gemeinden an Schulen, Kindergärten, Häusern, Straßen, Kirchen und Gemeinden. Diese Einrichtungen halten den Namen Paul Gerhardts im Andenken der Menschen aufrecht.

Im Jahr 2007 wurde Gerhardts 400. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass veröffentlichten Musiker, die eher dem konservativen Flügel des Protestantismus zuzuordnen sind, wie Dieter Falk (A Tribute to Paul Gerhardt, instrumental) und Sarah Kaiser (Gast auf Erden – Paul Gerhardt neu entdeckt) verjazzte Variationen zu Paul Gerhardts Liedern. Einige sehen in dieser Modernisierung frühneuzeitlicher Orthodoxie ein Gegenwicht zu theologischen Aufbrüchen in feministischer und befreiungstheologischer Tradition, das einer verbreiteten Tendenz zum Konservatismus in der protestantischen Volksfrömmigkeit entspreche.

Andenken an Paul Gerhardt

Werke (Auswahl)

  • Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschicht, Osterlied (EG 112/F&L 256)
  • Befiehl du deine Wege, basiert auf Psalm 37 „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen“; jeder Vers beginnt mit einem dieser Worte. Von Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion verwendet (EG 361/RG 680/NG 146/F&L 428).
  • Die güldne Sonne (EG 449/RG 571/F&L 457)
  • Du bist ein Mensch, du weißt das wohl (RG 677)
  • Du meine Seele singe (EG 302/RG 98/NG 257/F&L 48)
  • Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld, Passionslied (EG 83)
  • Fröhlich soll mein Herze springen, Weihnachtslied (EG 36/RG 400/AK 349/F&L 206)
  • Geh aus mein Herz und suche Freud, Sommerlied (EG 503/RG 537/AK 658/F&L 493)
  • Gib dich zufrieden und sei stille (EG 371/EG 683/NG 149)
  • Herr, der du vormals hast dein Land (EG 283)
  • Ich bin ein Gast auf Erden (EG 529/RG 753)
  • Ich singe dir mit Herz und Mund (EG 324/RG 723/NG 258/F&L 52)
  • Ich steh an deiner Krippen hier (EG 37/RG 402/GL 141/NG 17/AK 329/F&L 208), von Johann Sebastian Bach vertont.
  • In einer Jungfrau zart (EG 312)
  • Ich weiß, mein Gott, daß all mein Tun (EG 497)
  • Ist Gott für mich, so trete (EG 351/RG 656/NG 150/F&L 316)
  • Kommt und laßt uns Christum ehren (EG 39/RG 403/NG 19/AK 331/F&L 210)
  • Lobet den Herren alle, die ihn ehren (EG 447/RG 570/GL 671/NG 151/AK 687/F&L 460)
  • Nun danket all und bringet Ehr (EG 322/RG 235/GL 267/AK 581/F&L 53)
  • Nun freut euch hier und überall Osterlied (RG 476/AK 420)
  • Nun laßt uns gehn und treten, Lied zur Jahreswende (EG 58/RG 548/NG 29/AK 709/F&L 230)
  • Nun ruhen alle Wälder, Abendlied (EG 477/RG 594/NG 323/F&L 474)- Der Hymnologe Günter Balders wies nach, dass dieses Abendlied persönliche Grüße an eine Berliner Familie enthält. In der Schlussstrophe finden sich die Monogramme der Familienmitglieder und das Signet des Studenten der Heiligen Schrift Paul Gerhardt.[1]
  • O Haupt voll Blut und Wunden, Übersetzung des lateinischen „Salve caput cruentatum“ von Arnulf von Löwen (traditionell Bernhard von Clairvaux zugeschrieben), von Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion verwendet (EG 85/RG 445/GL 179/NG 43/AK 372/F&L 241)
  • O Herz des Königs aller Welt (AK 471)
  • O Jesu Christ, mein schönstes Licht (RG 654)
  • O Welt, sieh hier dein Leben, Passionslied (EG 84/RG 441/F&L 246)
  • Sollt ich meinem Gott nicht singen (EG 325/RG 724 und 725/NG 259/F&L 54)
  • Wach auf, mein Herz, und singe (EG 446/RG 568/F&L 461)
  • Warum sollt ich mich denn grämen? (EG 370/RG 678/NG 152/F&L 387)
  • Wer wohlauf ist und gesund (EG-Württemberg 674)
  • Wie soll ich dich empfangen Adventslied, von Johann Sebastian Bach im Weihnachtsoratorium aufgenommen. (EG 11/RG 367/NG 3/AK 307/F&L 182)
  • Wir singen dir, Immanuel
  • Zeuch ein zu deinen Toren, Pfingstlied (EG 133/RG 508/F&L 280)

(EG: Evangelisches Gesangbuch; RG: Evangelisch-reformiertes Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz; F&L: freikirchliches Gesangbuch Feiern und Loben; GL: katholisches Gotteslob; NG: Neuapostolisches Gesangbuch; AK: Alt-Katholisches Gesangbuch Eingestimmt)

Literatur (Auswahl)

Ausgaben

  • Wach auf, mein Herz, und singe: vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte. Hrsg. Eberhard von Cranach-Sichart. Wuppertal: Brockhaus: 2004, ISBN 3-417-24795-0
  • Geistliche Lieder. Nachwort von Gerhard Rödding. Stuttgart: Reclam 1992 (Reclams Universal-Bibliothek, 1741), ISBN 3-15-001741-6 (Teilausgabe)
  • Geh aus, mein Herz: sämtliche deutsche Lieder. Mit Illustrationen von Egbert Herfurth. Hrsg. von Reinhard Mawick und mit einer Einführung von Inge Mager. Leipzig: Faber und Faber 2006, ISBN 3-936618-77-1
  • Meines Herzens Licht. Mit Aquarellen von Andreas Felger. Ausgewählt und eingeleitet von Oliver Kohler. Mit einem Nachwort von Albrecht Goes. Hünfelden: Präsenz Kunst & Buch 2006, ISBN 978-3-87630-062-7
  • Du meine Seele, singe. Mit Audio-CD, ausgewählt von Gerhard Schnitter, Hänssler 2006,ISBN 3-7751-4003-4

Sekundärliteratur

  • Gerhard Rödding: Warum sollt ich mich denn grämen. Paul Gerhardt – Leben und Dichten in dunkler Zeit, 2006, ISBN 3-7615-5477-X
  • Elke Axmacher: Johann Arndt und Paul Gerhardt. Studien zur Theologie, Frömmigkeit und geistlichen Dichtung des 17. Jahrhunderts (Mainzer Hymnologische Studien 3), Tübingen und Bern 2001, ISBN 3-7720-2913-2
  • Petra Bahr: Paul Gerhard – Leben und Wirkung – „Geh aus mein Herz…“; Herder Spektrum, Freiburg, 2007, ISBN 978-3-451-05786-1
  • Hans-Joachim Beeskow: Paul Gerhardt 1607–1676. Eine Text-Bild-Biographie. Heimat-Verlag Lübben, 2006, ISBN 3-929600-30-7
  • Christian Bunners: Paul Gerhardt. Weg – Werk – Wirkung. Berlin/München, 1993. Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe: Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2006 ISBN 978-3-525-55781-5, ISBN 3-525-55781-7; 4. Auflage 2007. (Standardwerk, die Paul-Gerhardt-Biografie)
  • Reinhard Ellsel: Du kommst und machst mich groß. Predigten zu Liedern von Paul Gerhardt. Luther-Verlag, Bielefeld 2006, ISBN 3-7858-0497-0.
  • Jörg Erb: Paul Gerhardt und seine Lieder (Dichter und Sänger des Kirchenliedes, Bd. 3), Neuhausen-Stuttgart 1974.
  • Lisbet Foss: Paul Gerhardt. Eine hymnologisch-komparative Studie. Museum Tusculanum Press, University of Copenhagen 1995.
  • Sven Grosse: Gott und das Leid in den Liedern Paul Gerhardts. Göttingen 2001 (zugleich: Erlangen, Nürnberg, Univ., Habil.-Schr., 1999), ISBN 3-525-55191-6 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 83).
  • Markus Jenny, Edwin Nievergelt: Paul Gerhardt. Wege und Wirkung. Gotthelf, Zürich 1976 (aus: Musik und Gottesdienst. 1976, H. 3 u. 4.) ISBN 3-85706-190-1.

Werk- und Literaturverzeichnis

  • Gerhard Dünnhaupt: „Paul Gerhardt (1607–1676)“, in: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, Bd. 3. Stuttgart: Hiersemann 1991, S. 1589–98, ISBN 3-7772-9105-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Klaus Rösler: Artikel: Elstaler Hymnologe zur Buchstabensymbolik in Paul Gerhardts Gedichten, in: Zeitschrift DIE GEMEINDE, 27.5. 2008

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