- Revolutionsklassizismus
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Klassizismus steht in der Bildenden Kunst einschließlich der Architektur für eine Strömung, in der die Nachahmung des klassischen Altertums, vorrangig der griechische Antike zum Programm erhoben wird. Sie ist in der gesamten Kunstgeschichte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert – etwa zwischen 1770 und 1830 – anzusiedeln.
Inhaltsverzeichnis
Charakteristik
In der Architektur wird auf den Formenkanon des griechischen Tempelbaus zurückgegriffen.
In der Malerei lösen sich die Künstler von dem meist allegorischen Programm der Barockzeit und malten Szenen aus der griechischen und römischen Antike, die oft einen „patriotischen“ Hintersinn haben. Wichtig sind Gesten, Gebärden und die Komposition der Figuren in der Gruppe, was der Malerei einen theatralischen Zug verleiht. Die Konturen werden klarer und die pastose Farbgebung verschwindet zugunsten eines flächigen Farbauftrages mit klar abgegrenzten Farben. Manche Kunsttheoretiker sehen daher im Klassizismus eine Art „Zäsur“ zwischen Rokoko und Impressionismus. In Illustrationen sind Umrissradierungen für den Klassizismus charakteristisch.
Der Klassizismus im Kontext der Antikenrezeption
„Klassizierend“ ist als Wort für die Rezeption der Antike umfassender geläufig. So bezeichnet man beispielsweise bereits die Baukunst Palladios (1508 bis 1580) als Klassizismus, ebenso die Kunst Frankreichs, Hollands und Englands im 17. Jahrhundert. Tatsächlich gibt es seit der Renaissance (die ja selbst eine Interpretation der antiken Kunst darstellt) eine ‚klassizistische‘ Unterströmung, die auch in der Zeit des Barock immer wirksam bleibt. Besonders ausgeprägt ist diese Strömung in Frankreich und England (siehe: Klassizistischer Barock).
Im Unterschied zu früheren Stilepochen findet der Klassizismus nach Ende der Restauration (infolge des Wiener Kongresses 1815) in den Jahren 1830–48 keine deutliche Ablösung durch etwas gänzlich Neues, sondern zieht sich noch etliche Jahrzehnte weiter. Der programmatische Fokus auf die klassische Antike unterscheidet den Klassiszismus bei allen Abgrenzungsschwierigkeiten aber deutlich vom Historismus: Dieser greift auf zahlreiche andere Strömungen zurück (Neuromanik, Neugotik, Neorenaissance, Neobarock, Neorokoko, und schließlich sogar die Neudeutung seiner selbst im Neohistorismus, einschließlich nochmaliger Neuinterpretation des Klassizismus der Wende 18./19. Jahrhundert als Neoklassizismus. Auch fehlt dem Historismus der Bezug auf die theoretischen Konzeptionen, wie sie etwa Vitruv und andere römische Bauforscher entwickelt haben, und die im Klassizismus noch als Kanon gelten: Sein Zugang zur klassisch-antikisierenden Formensprache ist eklektisch, also auf formale Aspekte beschränkt.
Stilphasen
Frühklassizismus
Im späten 18. Jahrhundert galt der Klassizismus mit einer purifizierenden Vereinfachung der Formen als Gegenmodell zur Kunst des Barock, die mit dem Feudalismus assoziiert wurde. Gegenüber dem vorangegangenen Rokoko zeichnet sich der Klassizismus durch eine Rückkehr zu geradlinigen, klaren Formen und einer stärkeren Anlehnung an klassisch-antike Vorbilder aus.
Als geistiger Begründer im deutschsprachigen Raum gilt Johann Joachim Winckelmann. Der Übergang von spätbarocken Formen zum Klassizismus wird vor allem in der älteren deutschen Kunstgeschichte bisweilen als Zopfstil bezeichnet. Benannt ist er nach dem Zopf, in dem die barocke Blumengirlande zu einem dünnen Band reduziert wird.
In Frankreich beginnt die Epoche des Klassizismus gegen Ende der Regierungszeit von Ludwig XV., der vergleichbare Stil wird Louis-seize (vorrevolutionärer Klassizismus) genannt. Während einer Übergangszeit von 1750–1760, die als style transition bezeichnet wird, finden sowohl Elemente des Rokoko, des goût pittoresque als auch klassische Formen Verwendung. Der Frühklassizismus wird in Frankreich auch als goût grec bezeichnet, geht nach 1770 in den goût étrusque des Louis-seize aus der Regierungszeit Ludwig XVI. über.
In Österreich fällt dies mit der Regierungszeit Josephs II. zusammen, der auch neue Bauaufgaben initiiert (Kirchen für neue Pfarrsprengel, Krankenhäuser, öffentliche Schulen und Parks) (siehe Josephinismus).
In England nennt man die frühklassizistische Phase Late Georgian.
Der Klassizismus der Revolution und des Empire
Ab den 1790er Jahren galt der Klassizismus als der „Stil der Revolution“, vor allem in der Architektur, wo wuchtige Formen bevorzugt werden. Mit der Vereinnahmung der Revolution durch Napoléon Bonaparte kommt es dann zum dekorativeren Empirestil, der sich mit der Herrschaft des Kaisers über ganz Westeuropa ausbreitet. Auch Jacques-Louis David, der Begründer des Klassizismus in der Malerei, wird zum Anhänger der Revolution und dann Hofmaler Napoleons.
In England fasst man diese Zeit als Regency zusammen (nach der Herrschaft des Prinzregenten und künftigen Königs Georg IV.).
Zeit der Restauration
Die Architektur und Malerei des Biedermeier stellt ihm gegenüber eine weitere Wendung ins Dekorative dar, die gleichwohl keine grundsätzliche ästhetische Abwendung bedeutet. In der Malerei hält sich diese Ästhetik bis in die 1870er Jahre, in der Architektur wird sie schon in der ersten Jahrhunderthälfte durch alternative Bauformen, am frühesten von der Neugotik in Frage gestellt. Gesellschaftlich werden die neuen Bauformen mit dem aufstrebenden Bürgertum und seiner Wünsche nach Repräsentation assoziiert. Paul Sprenger, ein wichtiger Repräsentant der späten klassizistischen Architektur in Österreich, wurde geradezu als „Metternich der Architektur“ bezeichnet.
Zur Abgrenzung von Klassizismus und Historismus
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine Entwicklung vom Klassizismus hin zum Historismus ein. Eine prägende Stilform dieses Übergangs ist der Rundbogenstil, der ab etwa 1828, gedanklich untermauert durch die Schrift „In welchem Style sollen wir bauen?“ von Heinrich Hübsch, eine erste stilistische Transformation des Klassizismus einleitete. Die Abgrenzung des Klassizismus zum Historismus ist weder chronologisch noch stilistisch ganz einfach. Einerseits ist der Klassizismus selbst ein „historisierender“ Stil, der sich an die Antike und ihrer Interpretation in der Renaissance anlehnt.
Andererseits teilt der Historismus zum Teil dasselbe Formenrepertoire, besonders deutlich in der Neorenaissance. Dazu kommt noch, dass der späte Klassizismus durchaus eine Vorliebe für bestimmte Dekorationsformen, etwa aus der byzantinischen oder arabischen Kunst, zeigt. Der Grundzug des Historismus ist dann auch nicht so sehr die „Ablösung“ vom Klassizismus, sondern sein Einfügen in einen pluralistischen Kanon von Stilen – daher auch der Alternativbegriff Eklektizismus. Der schlagendste Unterschied ist die weitaus größere Dekorfreudigkeit der historistischen Bauten und Ausstattungen, die dem in der Gründerzeit reichgewordenen Bürgertum eher zusagte als der spartanische Stil der ersten Jahrhunderthälfte.
Als Übergangsbauwerk zwischen Klassizismus und Historismus in Österreich gilt die Altlerchenfelder Pfarrkirche, bei deren Bau eine Debatte über den „richtigen Stil“ geführt wurde, was schon die Geisteshaltung des Historismus ankündigt.
Späte Epigonen des 20. Jahrhunderts
Die Schlichtheit der klassizistischen Formen machte diesen Stil im beginnenden, aber noch mehr in der Mitte des 20. Jahrhunderts wieder attraktiv. Adolf Loos fühlte sich weniger als Revolutionär denn als Fortsetzer Kornhäusels. Vor allem zwischen 1930 und 1960 lehnte sich die Architektur teilweise wieder an klassizistische Formen an, man spricht hier von Neoklassizismus.
Liste von Vertretern des Klassizismus
Architektur
- Robert Adam, schottisch-englischer Baumeister
- Chrystian Piotr Aigner, polnischer Baumeister, der insbesondere in Warschau tätig war
- Étienne-Louis Boullée, Vertreter der französischen Revolutionsarchitektur
- Isidor Marcellus Amandus Canevale, französisch-österreichischer Baumeister
- Antonio Corazzi, der z. B. die Staatsoper in Warschau, das größte klassizistische Theater der Welt von 1825–1833 erbaute
- Clemens Wenzeslaus Coudray, Baumeister von Sachsen-Weimar-Eisenach, zahlreiche Bauten des klassischen Weimar
- Johann Carl Friedrich Dauthe, Stadtbaumeister von Leipzig
- Carl Ludwig Engel, deutschstämmiger Baumeister, der das Stadtzentrum von Helsinki gestaltete
- Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, schuf mit Schloss Wörlitz das erste rein klassizistische Gebäude in Deutschland
- Heinrich Gentz, deutscher Baumeister in Berlin
- Laurynas Gucevičius, litauischer Architekt
- Johann Georg Hagenauer, österreichischer Baumeister
- Christian Frederik Hansen, dänischer Staatsbaumeister
- Emmanuel Héré, lothringischer Architekt insbesondere des Stadtensembles um die Place Stanislas in Nancy
- Pierre Michel d’Ixnard, in Südwestdeutschland tätiger französischer Baumeister
- Johann Christian Kamsetzer, deutsch-polnischer Baumeister am Hof Stanislaw August Poniatowskis
- Leo von Klenze, deutscher Baumeister
- Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, Baumeister in Preußen
- Joseph Kornhäusel, österreichischer Baumeister
- Carl Gotthard Langhans, preußischer Baumeister
- Georg Ludwig Friedrich Laves, deutscher Architekt
- Claude-Nicolas Ledoux, Vertreter der französischen Revolutionsarchitektur
- Domenico Merlini, italienisch-polnischer Baumeister, der in Polen, insbesondere Warschau, tätig war
- Georg Moller, der in Darmstadt und im südlichen Hessen wirkte
- Ludwig Persius, deutscher Baumeister und Schüler von Schinkel
- Matteo Pertsch, deutsch-italienischer Architekt, insbesondere in Triest tätig
- Giuseppe Piermarini, italienischer Architekt u.a. der Mailänder Scala
- Giovanni Battista Piranesi, italienischer Kupferstecher, Architekt und Architekturtheoretiker
- Gaetano Matteo Pisoni und Paolo Antonio Pisoni, schweizer Architekten aus Ascona, Tessin
- Giacomo Quarenghi, italienisch-russischer Architekt, der im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in Sankt Petersburg wirkte
- Carlo Rossi, italienisch-russischer Baumeister; prägte das Stadtbild St. Petersburgs
- Simon Louis du Ry, hugenottischer Glaubensflüchtling, Hofbaumeister in Kassel
- Nicolas Alexandre Salins de Montfort, französischer Baumeister, Schöpfer des Rohan-Schlosses in Zabern und zahlreicher Bauten in Frankfurt am Main
- Karl Friedrich Schinkel, der in Berlin und Preußen viele Baudenkmäler schuf
- John Soane, englischer Architekt in London
- Paul Wilhelm Eduard Sprenger, Baumeister und Schüler von Schinkel
- Friedrich August Stüler, deutscher Baumeister und Schüler von Schinkel
- Nikolaus Friedrich von Thouret, württembergischer Baumeister
- Adolph von Vagedes, preußischer Regierungsrat, Baumeister und Schüler von Schinkel
- Friedrich Weinbrenner, der z. B. der Stadt Karlsruhe ihr heutiges Bild verlieh
- Simon Gottlieb Zug, deutsch-polnischer Baumeister
Brandenburger Tor in Berlin
Beispiel für einen klassizistischen Kirchenbau: Guebwiller im Elsaß, Notre-Dame, 1760–1785 von Louis Beuque erbaut
Ratinger Tor im Hofgarten Düsseldorf
Malerei
- Adele Canterbury, englische Malerin
- Johann Asmus Carstens, deutscher Maler
- Jacques-Louis David, französischer Maler
- Heinrich Füger, deutsch-österreichischer Maler
- Gavin Hamilton, schottischer Maler
- Gustav Adolph Hennig, deutscher Maler
- Philipp Friedrich von Hetsch, deutscher Maler
- Jean Auguste Dominique Ingres, französischer Maler
- Angelika Kauffmann, deutsche Malerin
- Joseph Anton Koch, österreichischer Maler
- Anton Raphael Mengs, deutscher Maler
- Moritz Retzsch, deutscher Maler und Illustrator
- Johann Baptist Seele, deutscher Maler
- Marie-Denise Villers, französische Malerin
- Anselm Feuerbach, deutscher Maler
Bildhauerei
- Roman Anton Boos (1733–1810), deutscher Bildhauer
- Edmé Bouchardon (1698-1762), französischer Bildhauer
- Antonio Canova (1757-1822), italienischer Bildhauer
- Francis Chantrey (1782-1841), britischer Bildhauer
- Antoine Chaudet (1763-1810), französischer Bildhauer
- Johann Heinrich Dannecker (1758-1841), deutscher Bildhauer
- Pierre Jean David d’Angers (1788-1856), französischer Bildhauer
- John Flaxman (1755-1826), britischer Bildhauer
- Johann Baptist Hagenauer (1732-1811), österreichischer Bildhauer
- Jean-Antoine Houdon (1741-1828), französischer Bildhauer
- Ignaz Ingerl (1751?-1800?), deutscher Bildhauer
- Martin Gottlieb Klauer (1742-1801), deutscher Bildhauer
- Josef Malinský (1752-1827), tschechischer Bildhauer und Schnitzer
- Franz Xaver Messerschmidt (1736-1783), deutscher Bildhauer
- Augustin Pajou (1730-1809), französischer Bildhauer
- Christian Daniel Rauch (1777-1857), deutscher Bildhauer
- William Rush (1756-1833), US-amerikanischer Bildhauer
- Johann Gottfried Schadow (1764-1850), deutscher Bildhauer
- Bertel Thorvaldsen (1770-1844), dänischer Bildhauer
- Johann Georg Wieland (1742-1802), deutscher Bildhauer
Literatur
- Martin Dönike: Pathos, Ausdruck und Bewegung. Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796–1806, de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-018237-8, Rezension von Reinhard Wegner online
- R. Toman: Klassizismus und Romantik. Architektur-Skulptur-Malerei-Zeichnung. Könemann im Tandem-Verlag, 2006, ISBN 3-8331-1430-4.
Weblinks
- Informationen zu Klassizismus im BAM-Portal
- Helmut Pfotenhauer, Klassizismus als Anfang der Moderne? Überlegungen zu Karl Philipp Moritz und seiner Ornamenttheorie
- Klassizistische Werke im Museumsportal Schleswig-Holstein
- Klassizistische Architektur im Südwesten Deutschlands unter badischewanderungen.de
- Sonja Steiner-Welz, Bauwerke in Deutschland Klassizismus, Neo-klassizismus, illustriert von Sonja Steiner-Welz, Mannheim 2007
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