Dietrich Klagges

Dietrich Klagges
Dietrich Klagges

Dietrich Klagges (* 1. Februar 1891 in Herringsen, heute zu Bad Sassendorf; † 12. November 1971 in Bad Harzburg) war ein Politiker der NSDAP und in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945 ernannter Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig.

Inhaltsverzeichnis

Jugend und früher beruflicher Werdegang

Klagges war das jüngste von sieben Kindern eines Waldwärters. Nach dem Besuch der Volksschule wurde er am Lehrerseminar in Soest zum Volksschullehrer ausgebildet und arbeitete als solcher ab 1911 in Harpen bei Bochum. Während des Ersten Weltkrieges wurde er 1916 bei Neuve Chapelle schwer verwundet und deshalb aus dem Heeresdienst entlassen.[1] 1918 trat er der DNVP bei, deren Mitglied er bis 1924 blieb. Nach Kriegsende wurde er 1918 Mittelschullehrer in Wilster/Holstein. Nach seinem Austritt aus der DNVP war Klagges für kurze Zeit Mitglied der Ende 1922 gegründeten rechtsextremen Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP), die er bald wieder verließ, um bereits 1925 in die NSDAP einzutreten. Von 1926 bis 1930 arbeitete er als Konrektor einer Mittelschule in Benneckenstein (Harz),[1] wo er von 1928 bis 1930 gleichzeitig Leiter der NSDAP-Ortsgruppe war. Aufgrund seiner Position in der NSDAP wurde er während der Weimarer Republik 1930 ohne Pensionsansprüche aus dem preußischen Schuldienst entlassen.[1] Im selben Jahr trat er erstmals im Freistaat Braunschweig in Erscheinung, wo er sich als Propagandaredner für die NSDAP betätigte.

Autorentätigkeit

Ab 1921 betätigte sich Klagges als Autor völkischer, antidemokratischer und antisemitischer Schriften, die in entsprechenden Zeitungen u. Ä. erschienen. Er schrieb beispielsweise für Die völkische Schule oder Deutschlands Erneuerung und war selbst Herausgeber der Zeitschrift Nordlicht. Seine z. T. theologischen Veröffentlichungen, wie z.B. "Das Urevangelium Jesu" sind von radikal religiösem Rassismus geprägt.

In braunschweigischen Diensten

Aus den Kommunalwahlen im Freistaat Braunschweig vom 1. März 1931 war die NSDAP wider Erwarten nur als drittstärkste Partei (mit 10 Sitzen) hinter SPD und KPD (mit zusammen 28 Sitzen) hervorgegangen.

Ernennung zum Regierungsrat

Am 1. Januar 1931 wurde Klagges vom Innen- und Kultusminister des Freistaates Braunschweig und ebenfalls NSDAP-Mitglied Anton Franzen zum Regierungsrat im Volksbildungsministerium ernannt. Nach längeren politischen Querelen und Ränkespielen, musste Franzen aber schon wenige Monate später wegen Begünstigung eines Parteigenossen zurücktreten, des Gleichen der Vorsitzende der NSDAP-Fraktion Franz Groh, was eine innenpolitische Krise im Freistaat auslöste, da nun ein Bruch der Koalition drohte.

Wahl zum Staatsminister

Aufgrund der immanenten Krise im Freistaat, griff Adolf Hitler selbst in das Geschehen ein und stellte der DNVP ein Ultimatum, was schließlich dazu führte, dass Klagges am 15. September 1931 durch den Braunschweigischen Landtag zum Staatsminister für Inneres und Volksbildung gewählt und somit Mitglied der Braunschweigischen Landesregierung wurde[1]; kurz darauf wurde Klagges 1932 in den Reichstag gewählt. Bereits 1931, zwei Jahre vor der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten, erfolgten durch Klagges im Land Braunschweig erste Berufsverbote gegen Sozialdemokraten und Juden, wovon u. a. auch zahlreiche Lehrende der Technischen Hochschule Braunschweig betroffen waren.

Die Einbürgerung Adolf Hitlers

siehe Hauptartikel: Einbürgerung Adolf Hitlers

Hitler hatte sich der österreichischen Staatsbürgerschaft 1925 entledigt und war seitdem staatenlos. Seitdem gab es mehrere Versuche von "politischen Freunden", ihm die deutsche Staatsangehörigkeit zu verschaffen. Dies gelang aber erst 1932 in Braunschweig, als der Freistaat das einzige Land der Weimarer Republik war, in dem die NSDAP mitregierte und so die „Einbürgerung“ des „Führers“ in ihrem Sinne steuern und beeinflussen konnte.

Verantwortlich für diese „Einbürgerung“ war allerdings nicht die Stadt Braunschweig, sondern das Land, der „Freistaat Braunschweig“ – in persona: Staatsminister für Inneres und Volksbildung und NSDAP-Mitglied Dietrich Klagges. Er erhielt als Regierungsvertreter des Freistaates Braunschweig den direkten Auftrag der NSDAP-Parteiführung zur „Einbürgerung“ Hitlers. Goebbels notierte diesbezüglich am 4. Februar 1932 in seinem Tagebuch: „Es ist beabsichtigt, den Führer in Braunschweig zum außerordentlichen Professor zu ernennen.“

Professor Hitler

Zunächst versuchte Klagges, Hitler eine außerordentliche Professur für den konstruierten Lehrstuhl „Organische Gesellschaftslehre und Politik“ an der Technischen Hochschule Braunschweig zu verschaffen. Der dilettantisch ausgeführte Plan wurde alsbald öffentlich bekannt und scheiterte in der Folge kläglich, denn ihm stellte sich sofort eine große Opposition u. a. aus Hochschulleitung und Bildungsbürgertum entgegen - man wollte an der renommierten Braunschweiger Universität keinen arbeitslosen Postkartenmaler ohne Schulabschluss. Der Plan musste fallen gelassen werden. Klagges hatte damit unabsichtlich genau das erreicht, was die NSDAP auf jeden Fall hatte vermeiden wollen, das Vorhaben war an die Öffentlichkeit gedrungen und Hitler dem Spott preisgegeben; Hitlers Ruf war – nicht nur in Braunschweig – beschädigt und Klagges sollte dafür später die „Quittung“ erhalten.

Regierungsrat Hitler

In einem zweiten Versuch schlug der DVP-Abgeordnete Heinrich Wessel vor, Hitler eine Stelle in der braunschweigischen Gesandtschaft beim Reichsrat in Berlin zu verschaffen.

Dieser zweite Anlauf glückte schließlich: Am 26. Februar 1932 erfolgte Hitlers Vereidigung, womit er gleichzeitig die deutsche Staatsangehörigkeit erhielt und schließlich die Möglichkeit, bei der Reichspräsidentenwahl zu kandidieren.

In der Braunschweigischen Landeszeitung erklärte Klagges kurz darauf:

„Wenn unsere Beteiligung an der Regierung in Braunschweig weiter keinen Erfolg zu verzeichnen gehabt hätte als den, daß wir unserem Führer Adolf Hitler das Staatsbürgerrecht verschafft haben, so hätte diese Tatsache allein genügt, um die Notwendigkeit dieser unserer Regierungsbeteiligung zu beweisen.“
(zitiert nach: Roloff: Bürgertum und Nationalsozialismus 1930-1933. Braunschweigs Weg ins Dritte Reich, S. 96)

Offensichtlich erschöpfte sich damit aber auch schon die Tätigkeit Hitlers für die Gesandtschaft des Landes Braunschweig in Berlin. Am 16. Februar 1933 ersuchte der nunmehr amtierende Reichskanzler Adolf Hitler in einem kurzen Telegramm um Entlassung aus dem braunschweigischen Staatsdienst – welche ihm umgehend „mit sofortiger Wirkung“ gewährt wurde.

Bruch zwischen Hitler und Klagges

Die Einbürgerung Hitlers sollte schnell und vor allem unauffällig vorgenommen werden, ohne dass die Öffentlichkeit davon Kenntnis bekam. Aufgrund der dilettantischen Vorgehensweise Klagges’ entwickelte sich das Ganze aber für den späteren „Führer“ zu einer Farce, denn er scheiterte zunächst beim ersten Anlauf kläglich in aller Öffentlichkeit. Erst beim zweiten Versuch gelang der Coup.

Hitler hat Klagges diese öffentliche Bloßstellung und Demütigung seiner Person nie verziehen und rechnete bei seinem letzten Besuch in Braunschweig, am 17. Juli 1935, mit ihm ab, indem er ihn de facto entmachtete. Klagges hatte von nun an Reichsstatthalter Wilhelm Loeper in Dessau sowie Reichsminister Hanns Kerrl alle Pläne zur Genehmigung vorzulegen und wurde so zum Provinzpolitiker degradiert. Klagges war damit von der Bühne der großen NSDAP-Politik abgedrängt worden. Dass er nicht umgehend von Hitler beseitigt wurde, hatte er wahrscheinlich nur Görings Protektion zu verdanken (die allerdings auch nur bis etwa 1940 anhielt).

Der Freistaat Braunschweig nach der Machtergreifung

Fast unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 kam es in Braunschweig zu ersten Terroraktionen gegen politisch Andersdenkende, denen im Laufe der Jahre weitere folgten.

Ernennung zum Ministerpräsidenten des Freistaates Braunschweig

Am 6. Mai 1933 wurde Klagges von Reichsstatthalter Wilhelm Loeper zum Ministerpräsidenten des Freistaates Braunschweig ernannt, nachdem er sich selbst für das Amt vorgeschlagen hatte.[1] Klagges' klar formuliertes Ziel war die Schaffung eines NS-Musterlandes. Am 10. Mai fand die erste Bücherverbrennung am Schlossplatz in Braunschweig statt.

Nationalsozialistisches Musterland

Klagges’ Planungen für ein NS-Musterland galten dem Ziel, Braunschweig weiterhin so unabhängig wie möglich vom Berliner NS-Dirigismus zu halten, sodass er, Klagges, weiterhin nach Gutdünken in seinem „Reich“ schalten und walten konnte, wie es ihm beliebte. Eine Integration des Landes (und damit dessen faktische Auflösung) in Preußen lehnte er strikt ab. Hitler selbst hatte Klagges zugesichert, dass Braunschweig als kulturelles Zentrum erhalten bleibe und nicht etwa in einem „Reichsgau Hannover“ aufgehen würde. Auch sollte das Land Braunschweig nach dem Krieg weiter fortbestehen. Zum eigenen Machterhalt und -ausbau versuchte er deshalb einen neuen Gau ins Leben zu rufen – auch um von Hannover unabhängig zu bleiben. Dieser „Gau Ostfalen“, sollte Braunschweig als Gau-Hauptstadt und ihn selbst als Gauleiter haben. Unterstützung fand Klagges für seine Pläne im braunschweigischen Bildungsbürgertum, im bürgerlicher Mittelstand, bei der IHK und sogar bei der evangelischen Kirche.

Zu diesem Zwecke unternahm Klagges etliches, um Braunschweigs politische und wirtschaftliche Position in Deutschland zu stärken: Ab Juni 1933 wurde an der Dietrich-Klagges-Stadt gebaut. Des Weiteren holte er wichtige nationalsozialistische Institutionen in die Stadt, wie z.B. die Akademie für Jugendführung, die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, die Führerschule des deutschen Handwerks, die Gebietsführerschule der Hitler-Jugend, das Luftflottenkommando 2, den Reichsjägerhof „Hermann Göring“, die SS-Junkerschule, den SS-Oberabschnitt „Mitte“ sowie die Bernhard-Rust-Hochschule für Lehrerbildung. Auch bei der Infrastruktur entwickelte er Braunschweig durch die Anbindung an die neu entstehende Autobahn und den Mittellandkanal weiter. Zu guter Letzt wurde Braunschweig durch Klagges auch ein Zentrum der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie, da sich in unmittelbarer Nähe wichtige Industriezentren entwickelten, nämlich die Reichswerke Hermann Göring (in deren Aufsichtsrat er seit 1937 war) und das Volkswagen-Werk in Fallersleben.

Verfolgung politisch Andersdenkender

Terror in Braunschweig“ : Eine der frühesten Dokumentationen von NS-Repressalien im Freistaat Braunschweig.

1933 veröffentlichte Hans Reinowski, bis zu seiner Flucht aus Deutschland 1933, in der Braunschweiger SPD als Bezirkssekretär tätig, in Zürich die 30-seitige Broschüre „Terror in Braunschweig“, die gleichzeitig in Deutsch, Englisch und Französisch herauskam. Reinowskis Bericht zählt zu den frühesten Dokumentationen nationalsozialistischer Gräueltaten in Braunschweig. So schildert er erste Repressalien des NS-Regimes gegenüber politisch Andersdenkenden in Stadt und Land Braunschweig, u. a. die Besetzung des Volksfreund-Hauses am 9. März 1933, den „Stahlhelm-Putsch“ vom 27. März, die Ermordung des SPD-Politikers Matthias Theisen am 10. April, sowie auf die erst kurz vor Drucklegung der Broschüre begangenen Rieseberg-Morde am 4. Juli 1933. Klagges war an all diesen Verbrechen organisatorisch zumindest beteiligt, wenn nicht für deren Durchführung verantwortlich.

Nachfolgend einige Beispiele, wie und mit welchen Mitteln Dietrich Klagges ihm politisch missliebige Personen(gruppen) z. T. bis in den Tod hinein verfolgte bzw. verfolgen ließ (s. dazu auch unten den Abschnitt „Die Klagges-Prozesse“).

Die Rieseberg-Morde
Gedenkstein für die Rieseberg-Opfer

Hauptartikel: Rieseberg-Morde

Bereits kurz nach der Machtergreifung kam es zu ersten Terroraktionen in Stadt und Freistaat Braunschweig, bei denen v. a. die sogenannte „SA-Hilfspolizei“ auffiel, die von Klagges selbst nur zu diesem Zweck aufgestellt worden war und die nur wenige Monate existierte. Sie war ihm direkt unterstellt. Die Aktionen, bei denen Klagges tatkräftig von anderen hohen NS-Politikern, wie z. B. Friedrich Alpers (Finanz- und Justizminister des Freistaates) und Friedrich Jeckeln (Gestapo- und Polizeiführer in Braunschweig) unterstützt wurde, richteten sich hauptsächlich gegen Angehörige verschiedener Arbeiterorganisationen, die SPD, die KPD, aber auch gegen Juden. Die Maßnahmen wurden mit außerordentlicher Brutalität durchgeführt. Klagges ist dabei für den Tod von mindestens 25 Gegnern des NS-Regimes verantwortlich. Er half in diesem Zusammenhang auch mit, eine richterliche Untersuchung über die Todesumstände von elf Personen, die am 4. Juli 1933 in der Nähe des kleinen Ortes Rieseberg bei Königslutter am Elm, ca. 30 km östlich von Braunschweig, von Angehörigen der SS ermordet worden waren, zu vereiteln bzw. zu unterdrücken.

Ernst Böhme

Rechtsanwalt und SPD-Mitglied Ernst Böhme war von 1929 bis 1933 demokratisch gewählter Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig.

Nach der Machtergreifung sah er sich jedoch zunehmenden Repressalien und wachsender Verfolgung durch Klagges ausgesetzt. Dieser verfügte am 13. März 1933 Böhmes Amtsenthebung und ließ ihn in das zweckentfremdete AOK-Gebäude bringen, das von den Nationalsozialisten als „Schutzhaft“-Gefängnis bezeichnet wurde. Dem Einsatz des ebenfalls von Klagges verfolgten ehemaligen Braunschweigischen Ministerpräsidenten Heinrich Jasper war es zu verdanken, dass Böhme schon bald frei kam.

Kurz darauf wurde Böhme allerdings wieder verhaftet und in das mittlerweile ebenfalls zweckentfremdete ehemalige „Volksfreund“-Haus der SPD gebracht und misshandelt. Man erzwang von ihm eine Mandatsverzichtserklärung. Nach seiner Freilassung verließ Böhme Braunschweig und kam erst 1945 zurück.

Am 1. Juni 1945 wurde Ernst Böhme von der US-Militärregierung zum Oberbürgermeister von Braunschweig bestimmt. Dieses Amt hatte er bis zum 17. Dezember 1948 inne.

Heinrich Jasper

Rechtsanwalt und SPD-Mitglied Heinrich Jasper war u. a. seit 1903 Stadtverordneter, Fraktionsvorsitzender der SPD im Braunschweigischen Landtag, Mitglied der Weimarer Nationalversammlung sowie zwischen 1919 und 1930 Braunschweigischer Landesminister sowie mehrfach Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig.

Jasper wurde auf Veranlassung Klagges’ unter einem Vorwand am 17. März 1933 in „Schutzhaft“ genommen und in das AOK-Gebäude gebracht, wo er schwer misshandelt wurde, um ihn so zum Verzicht auf sein Mandat zu zwingen, was Jasper aber verweigerte. Anschließend brachte man ihn in das „Volksfreund“-Haus, wo er bis zu seiner vorläufigen Freilassung am 19. April weiteren Misshandlungen ausgesetzt war.

Am 26. Juni 1933 wurde er erneut verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, aus dem er erst 1939 unter bisher ungeklärten Umständen wieder entlassen wurde. Jasper kehrte daraufhin nach Braunschweig zurück, stand nun jedoch unter ständiger Überwachung und musste sich täglich bei der Gestapo melden.

Das fehlgeschlagene Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 lieferte erneut Vorwand, um Jasper am 22. August 1944 zu verhaften. Nach mehreren KZs kam er schließlich im Februar 1945 in das KZ Bergen-Belsen, wo er am 19. Februar 1945 an Flecktyphus gestorben sein soll.

August Merges

August Merges gehörte verschiedenen linksgerichteten Parteien an, war einer der Hauptakteure der Novemberrevolution in Braunschweig und Präsident der Sozialistischen Republik Braunschweig. Nach 1933 zog er sich aus der aktiven Parteiarbeit zurück und engagierte sich im Widerstand gegen das NS-Regime.

Im April 1935 wurde er zusammen mit anderen Widerstandskämpfern verhaftet und schwer misshandelt. Er wurde wegen Hochverrats verurteilt, allerdings 1937 wegen Haftunfähigkeit vorzeitig entlassen. Auf Betreiben Klagges’ wurde er sofort wieder verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen.

Nachdem Merges wieder freigelassen worden war, wurde er dennoch wiederholt von der Gestapo abgeholt und für kürzere Zeit inhaftiert. Er starb an den Folgen der durch die Gestapo erlittenen Misshandlungen.

Der „Stahlhelm-Putsch“

Hauptartikel: Stahlhelm-Putsch

Der Schauplatz des „Stahlhelm-Putsches“: das AOK-Gebäude.

Der sogenannte „Stahlhelm-Putsch“ fand am 27. März 1933 statt. Ehemalige Mitglieder des von den Nationalsozialisten verbotenen linksgerichteten Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sollten im national-konservativen Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten aufgenommen werden, worüber sich Führungsmitglieder beider Verbände geeinigt hatten. Klagges, damals noch Innenminister, erfuhr von dem Vorhaben und organisierte zusammen mit SA, SS (Alpers) und Herbert Selle, dem Kommandeur der Schutzpolizei, einen Überfall auf die versammelten Personen. Bei dieser Aktion, die Klagges bzw. die NSDAP als Putschversuch des Stahlhelm gegen die amtierende Reichsregierung unter Adolf Hitler propagandistisch instrumentalisierte, wurden ca. 1.400 Personen verhaftet, z. T. bis zu 30 Stunden lang schwer misshandelt und der Stahlhelm im Freistaat Braunschweig dauerhaft entwaffnet.

Zwangsarbeit und Konzentrationslager

Ab dem 21. Januar 1941 ließ er die Juden Braunschweigs in die Konzentrationslager deportieren. 1944 befanden sich 91.000 Zwangsarbeiter im Bereich Watenstedt-Salzgitter, Braunschweig und Helmstedt. Das war die größte Dichte an Arbeitslagern im Deutschen Reich überhaupt. Als die Truppen der US-Alliierten kurz vor der deutschen Kapitulation am 12. April 1945 Braunschweig besetzten, befreiten sie noch 61.000 Gefangene aus den Lagern.

In seiner Funktion als SS-Gruppenführer nahm er an der Gruppenführer-Tagung am 4. Oktober 1943 in Posen teil, bei der Heinrich Himmler die erste Posener Rede hielt[2].

Geplanter Einsatz als Reichskommissar

Am 7. April 1941 schlug Alfred Rosenberg vor, zusätzlich zum Reichskommissariat Ukraine ein Reichskommissariat „Don-Wolga“ einzurichten und dort in Rostow Dietrich Klagges als Reichskommissar einzusetzen. Im Mai/Juni änderte Rosenberg diesen Vorschlag dahingehend, dass er nun das dortige Gebiet dem Reichskommissariat Ukraine zuordnete.[3] Somit wurde auch der geplante Einsatz von Klagges in den neu besetzten Ostgebieten hinfällig.

Familie

Klagges heiratete 1919 und hatte fünf Kinder[1] (Jungen und Mädchen). Einer seiner Söhne, der ebenfalls Dietrich hieß, ist im Krieg gefallen.[4] Während seiner Zeit als Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig bewohnte er zusammen mit seiner Familie eine Dienstvilla auf dem Löwenwall.

Kriegsende und Nachkriegszeit

Am 12. April 1945 wurde Klagges von den in Braunschweig einrückenden amerikanischen Truppen gefangen genommen und 1946 von einem Militärgericht in Bielefeld zu sechs Jahren Zuchthaus wegen Verbrechen in seiner Funktion als SS-Gruppenführer verurteilt (Seinen höchsten Dienstgrad in der SS – Obergruppenführer – erreichte er 1942. Zusätzlich war er „Ehrenführer“ der 49. SS-Standarte.).

Die Klagges-Prozesse

Der 1950 nach Braunschweig gekommene neue Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der in den 1960er-Jahren im Auschwitz-Prozess ebenfalls als Vertreter der Anklage tätig war, trug in großem Maße dazu bei, dass Klagges in einem normalen Strafverfahren am 4. April 1950 zu lebenslänglichem Zuchthaus wegen der von ihm als Braunschweiger Staatsminister und Ministerpräsident begangenen Verbrechen verurteilt werden konnte – u. a. wegen der Rieseberg-Morde.[1]

Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil jedoch schon 1952 wieder auf. In einem zweiten Prozess, in dem Klagges nachgewiesen werden konnte, dass er an Morden, Folterungen, Freiheitsberaubung etc. beteiligt bzw. diese Taten (mit) geplant hatte, wurde Klagges’ Haftstrafe auf 15 Jahre reduziert.

Zu seiner Verteidigung brachte Klagges vor, dass er von all dem nichts gewusst habe, da er nur vom Schreibtisch aus agiert habe; er sei von seinen Untergebenen über die tatsächlichen Ausmaße des nationalsozialistischen Terrors getäuscht worden.

1955 stellte seine Ehefrau einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Haft ohne weitere Bewährungsauflagen. Dieser erste Antrag wurde jedoch abschlägig beschieden, so wie auch der im Folgejahr. 1957 jedoch wurde Klagges nach Verbüßung von rund 80 Prozent seiner Haftstrafe entlassen und zog mit seiner Frau nach Bad Harzburg, wo er sich bis zu seinem Tode 1971 hauptsächlich als Verfasser rechtsradikaler Schriften betätigte und Kontakte zu Neonazi-Gruppen in Niedersachsen unterhielt.

Erfolgreiche Klage auf Nachzahlung der Beamtenpension

1970 klagte Klagges als ehemaliger preußischer bzw. braunschweigischer Staatsbeamter auf Nachzahlung seiner Pension[1], die ihm schließlich vom Bundesverwaltungsgericht in Höhe von 100.000 DM zugesprochen wurde.[1]

Bibliographie (Auswahl)

  • Das Urevangelium Jesu, der deutsche Glaube (1926)
  • Kampf dem Marxismus (1930)
  • Die Weltwirtschaftskrise (1930)
  • Reichtum und soziale Gerechtigkeit: Grundfragen einer nationalsozialistischen Volkswirtschaftslehre (1933)
  • Geschichtsunterricht als nationalpolitische Erziehung (1936)
  • Menschen kämpfen. Märchen von Tapferkeit und Treue. Volk und Führer. Deutsche Geschichte für Schulen (1937, mit anderen)
  • Volk und Führer: So ward das Reich, Deutsche Geschichte für die Jugend (1939, mit anderen)
  • An alle Völker der Erde (1972)
  • Eine Tugend gegen alle Todsünden - Das organische Weltbild (1974)

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i Richard Bein: Juden in Braunschweig. 1900–1945. Materialien zur Landesgeschichte. 2. Auflage, Braunschweig 1988, S. 51
  2. Romuald Karmakar, Das Himmler-Projekt, DVD 2000, Berlin, ISBN 3-89848-719-9
  3. Andreas Zellhuber: „Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu …“ Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941–1945, München 2006, S. 73 und 87. (Abb. 6: Vorschläge zur Besetzung der Reichskommissariate, April bis Juli 1941.)
  4. Brunswyk: Gespräch mit einer Zeitzeugin am 13. August 2006.

Literatur

  • Reinhard Bein: Im deutschen Land marschieren wir. Freistaat Braunschweig 1930–1945, Braunschweig 1984
  • Reinhard Bein: Juden in Braunschweig. 1900–1945. Materialien zur Landesgeschichte. 2. Auflage, Braunschweig 1988
  • Reinhard Bein und Berhardine Vogel: Nachkriegszeit. Das Braunschweiger Land 1945 bis 1950. Materialien zur Landesgeschichte. Braunschweig 1995
  • Reinhard Bein: Widerstand im Nationalsozialismus – Braunschweig 1930 bis 1945, Braunschweig 1985
  • Braunschweiger Zeitung (Hrsg.): Braunschweiger Zeitung Spezial: Kriegsende, Nr. 2 (2005), Braunschweig 2005
  • Braunschweiger Zeitung (Hrsg.): Braunschweiger Zeitung Spezial: Wie braun war Braunschweig? Hitler und der Freistaat Braunschweig, Nr. 3 (2003), 2. Auflage, Braunschweig 2003
  • Braunschweiger Zeitung (Hrsg.): Braunschweiger Zeitung Spezial: Wie Hitler Deutscher wurde, Nr. 1 (2007), Braunschweig 2007
  • Holger Germann: Die politische Religion des Nationalsozialisten Dietrich Klagges: Ein Beitrag zur Phänomenologie der NS-Ideologie. Frankfurt am Main, 1994
  • Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon. 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1996
  • Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hrsg.): Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, ISBN 3930292289
  • Helmut Kramer (Hrsg.): Braunschweig unterm Hakenkreuz. Braunschweig 1981
  • Karl-Joachim Krause: Braunschweig zwischen Krieg und Frieden. Die Ereignisse vor und nach der Kapitulation der Stadt am 12. April 1945. Braunschweig 1994
  • Hans-Ulrich Ludewig und Dietrich Kuessner: „Es sei also jeder gewarnt“ – Das Sondergericht Braunschweig 1933–1945, in: Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte, Band 36, Selbstverlag des Braunschweigischen Geschichtsvereins, Langenhagen 2000
  • Hans Reinowski: Terror in Braunschweig. Aus dem ersten Quartal der Hitlerherrschaft. Bericht herausgegeben von der Kommission zur Untersuchung der Lage der politischen Gefangenen. Zürich 1933
  • Ernst-August Roloff: Braunschweig und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1918-1933. In: Braunschweiger Werkstücke, Band 31, Braunschweig 1964
  • Ernst-August Roloff: Bürgertum und Nationalsozialismus 1930–1933. Braunschweigs Weg ins Dritte Reich, Hannover 1961
  • Gunhild Ruben: Bitte mich als Untermieter bei Ihnen anzumelden – Hitler und Braunschweig 1932 – 1935. Norderstedt 2004
  • Eckhard Schimpf: Heilig. Die Flucht des Braunschweiger Naziführers auf der Vatikan-Route nach Südamerika. Braunschweig 2005
  • Erich Stockhorst: 5000 Köpfe – Wer war was im Dritten Reich. Arndt, Kiel 2000, ISBN 3-88741-116-1. 

Weblinks


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