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Unter Libertarismus (lat. Libertas: „Freiheit“) versteht man eine seit den 1930er Jahren vor allem aus den USA stammende politische Philosophie des Liberalismus, welche eine Laissez-faire-Gesellschaft fordert.[1] Libertäre betonen, dass jedes Individuum das Recht habe, mit seinem Leben und seinem Besitz zu tun, was immer es möchte, solange dadurch die Freiheit anderer Individuen nicht verletzt werde. Im 19. Jahrhundert wurde libertär noch synonym für „anarchistisch“ benutzt und wird teilweise auch heute noch so verwendet. Dieser Artikel behandelt die US-amerikanische, kapitalistisch orientierte politische Philosophie.
Inhaltsverzeichnis
Überblick
Vereinfacht lässt sich der Libertarismus als radikale Strömung des Liberalismus bezeichnen. Als Wurzeln des Libertarismus sind zu nennen:
- Der Klassische Liberalismus amerikanischer Prägung, der ökonomisch durch eine weitgehende Laissez-faire-Haltung und politisch durch eine ausgeprägte Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen und Interventionen geprägt ist.
- Der amerikanische Individualanarchismus, wie er vor allem von Henry David Thoreau und Benjamin Tucker geprägt wurde.
- In der Wirtschaftstheorie die Österreichische Schule, vertreten vor allem durch Ludwig von Mises. Dessen Schüler Murray Rothbard gilt als einer der bedeutendsten Libertären und trug den Spitznamen „Mr. Libertarian“.
- Der sogenannte Objektivismus Ayn Rands, wobei diese Philosophie innerhalb des Libertarismus jedoch umstritten ist, und Ayn Rand selbst den Libertarismus nachdrücklich ablehnte.[2]
Der Libertarismus betont die individuellen Freiheitsrechte und will staatliches Handeln auf ein absolutes Minimum beschränkt sehen. Häufig wird postuliert, dass jeder Mensch nur sich selbst gehört und nicht der Gemeinschaft (Selbsteigentum). Einige Vertreter dieser Richtung, die Anarcho-Kapitalisten (auch „Free-Market-Anarchisten“ oder „Anarcholiberale“) lehnen den Staat insgesamt als nicht legitime (weil unfreiwillige) Zwangsorganisation ab. Libertäre legen das Selbstbestimmungsrecht des Individuums so aus, dass es völlig frei in seinem Handeln und im Gebrauch seines Privateigentums sein sollte, solange die Rechte von niemand anderem verletzt werden. Insofern stimmen sie mit dem klassischen Liberalismus überein. Erhebliche Unterschiede bestehen aber in den Ansichten darüber, wie dem Recht in Konfliktfällen Geltung verschafft werden soll (Minarchismus vs. Anarchismus). Libertäre erkennen keine positiv definierten Rechte wie etwa das Recht auf Nahrung, Obdach oder Gesundheitsfürsorge an, sondern nur negativ definierte Freiheiten, wie die Freiheit, nicht angegriffen, missbraucht, beraubt oder zensiert zu werden. Nach ihrer Theorie ergibt sich daraus eine klare Eigentumsordnung (siehe Naturrecht). Nur den Rechten, die sich aus dieser Eigentumsordnung ergeben, gestehen sie juristische Schutzwürdigkeit zu. Soziales Handeln und Solidarität entstehen nicht mit juristischem Druck, sondern durch ethische Erwägungen. Libertäre halten staatlich erzeugte soziale Maßnahmen für kontraproduktiv und daher letztlich für unsozial.
In den USA ist das Wort „Libertarianism“ in den 1930er Jahren in Abgrenzung zum New Deal des Präsidenten Franklin D. Roosevelt entstanden, welcher während der Wirtschaftskrise 1929 zahlreiche sozialstaatliche Maßnahmen einführte.
Philosophie
Eigentum
Eigentumsnormen gewinnen erst dann einen praktischen Bezug, wenn sie nicht nur von einem „Eigentümer“ von der Welt eingefordert werden, sondern auch Dritte diese Normen als solche verstehen. Insofern ist Eigentum in einer freien Gesellschaft, wie Libertäre sie für sich anstreben, nur das Ergebnis freiwilliger Interaktion und keine politische Doktrin. Ein Beispiel: Für eine freie Gesellschaft wäre es undenkbar, dass einzelne Staaten (bzw. juristische Personen) die ganze Antarktis unter sich aufteilen, obwohl sie dort nicht mehr besitzen als ein paar Mess-Stationen (wie das heute der Fall ist). Eine solche Eigentumsnorm wäre zwar für ein paar Pioniere methodisch, würde aber von Personen, die die Antarktis friedlich besiedeln möchten, nicht verstanden werden.
Kritisch eingewendet wird hier oft, dass Eigentum in einer Massengesellschaft eben nur durch einen Rechtsstaat als Gewaltmonopolist garantiert werden könne. Der Eigentumsbegriff (sofern er Gerechtigkeit in dem Sinne einschließt, dass sich der Eigentümer sein Eigentum in irgendeiner Weise „verdient“ oder „erarbeitet“ haben soll) setzt in dieser Sichtweise das Vorhandensein eines Staates notwendigerweise voraus, um in einer Massengesellschaft überhaupt sinnvoll zu sein. Minarchisten würden dieser Position zustimmen, während Anarcho-Kapitalisten darauf verweisen, dass im Verhältnis der Staaten zueinander eine ebensolche Situation besteht, dass es keinen obersten Gewaltmonopolisten gibt und friedliches Zusammenleben inklusive Eigentumsschutz offensichtlich möglich ist. Libertäre haben daher oft ein kritisches Verhältnis zu konstituierten Rechten und denken in dieser Beziehung wie Max Stirner. [3]
Naturrecht und Konsequentialismus
Libertäre wie Robert Nozick und Murray Rothbard sehen die Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum als Naturrechte, d.h. aus sich selbst begründet. Direkt oder indirekt gehen ihre Ansichten auf die Schriften von Thomas Hobbes und John Locke zurück. Ayn Rand, eine andere Autorin mit großem Einfluss auf den Libertarismus, sah diese Philosophie im Naturrecht begründet.
Einige Liberale wie z. B. Milton Friedman, Ludwig von Mises oder Friedrich Hayek leiteten diese Rechte aus pragmatischen, konsequentialistischen Überlegungen ab [4]. Liberalismus ist aus ihrer Sicht die effektivste Wirtschaftspolitik, um Wohlstand und Reichtum für alle Individuen der Gesellschaft zu schaffen und zu erhalten. Sie sehen auch Gewaltanwendung in einigen Notfällen als gerechtfertigt an. Libertäre wie Jan Narveson leiten ihre Philosophie aus dem Vertragsrecht ab – rational handelnde Menschen würden sich auf diese Rechte als Grundlage ihrer Interaktion einigen.
Politik
Libertäre lehnen eingreifende Staatswesen grundsätzlich ab, und fordern eine Reduktion des Staates auf seine Funktion zur Sicherstellung der Grundfreiheiten oder sogar eine völlige Abschaffung des Staatswesens (Anarchokapitalismus).
Libertäre gehen davon aus, dass eine Organisation der Gesellschaft nach dem Marktprinzip letztlich die stabilste Form der Gesellschaft mit dem größtem Wohlstand für alle nach sich zieht. Sie fordern daher eine völliges Laissez-faire sowohl im Bereich der Wirtschafts- und der Gesellschaftspolitik. Generell vertreten sie die Ansicht, dass Aufgaben durch den Marktmechanismus besser und günstiger gelöst werden als es durch Staaten jemals möglich wäre. So befürworten sie beispielsweise Freihandel und Bankfreiheit.
Sie betrachten jede Form staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft, etwa durch Einschränkung der Vertragsfreiheit oder Steuern (Steuern sind Diebstahl), als illegitime „Enteignung“. Ebenso bekämpft wird das Eingreifen des Staates in das Privatleben der Menschen, etwa durch staatliche Überwachung oder Wehrpflicht.
Die Zurückweisung und Beschränkung staatlicher Macht fußt in der Auffassung, dass der Staat eine Ansammlung egoistischer Individuen sei, welche die ihnen zur Verfügung stehende Macht zu aller erst zur eigenen Bereicherung nutzen. Libertäre werfen politischen Gegnern häufig Staatsfetischismus vor, da diese dem Staat ausufernde Macht zugestehen würden, ohne den Machtmissbrauch durch tatsächliche Politiker zu überdenken. Anderen politischen Richtungen, welche wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Aufgaben durch einen zentral geleiteten Staat bewältigen wollen, werfen Libertäre dementsprechend häufig Staatsgläubigkeit vor: Es sei ein Irrtum, dass der Staat durch zentrale Planung und Intervention Probleme lösen könne. Tatsächlich würden staatliche Intervention nur den Interessen von Lobbys dienen, und durch die Fehlallokationen in Folge unzureichender Information kombiniert mit zu großer Macht würde Menschen Schaden zugefügt werden.
Im Gegensatz zur gängigen Meinung, dass die heutige Weltordnung „kapitalistisch“ oder „neoliberal“ dominiert sei, betrachten Libertäre das derzeitige globale Staatensystem als sozialistisch, und sehen eine generelle Tendenz zu Totalitarismus und Kollektivismus. Dementsprechend wird beispielsweise die Globalisierung als Selbstentfaltung weltweit vernetzter Wirtschaftsakteure verstanden, welche autoritäre Staaten durch Protektionismus einschränken wollen, um ihre eigene Macht zu erhalten. [5][6][7]
Minarchismus und Anarcho-Kapitalismus
Einige Libertäre sind Minarchisten, d.h. sie betrachten einen minimalen Staat mit einer minimalen Steuerquote als notwendiges Übel für das Aufrechterhalten öffentlicher Institutionen zum Schutz von Bürgerfreiheiten und Eigentumsrechten, beispielsweise der Polizei, eines freiwilligen Militärs ohne Wehrpflicht und öffentlicher Gerichte.
Im Gegensatz dazu betrachten Anarcho-Kapitalisten - wie z. B. David Friedman oder Hans-Hermann Hoppe - den Staat selbst als überflüssig bzw. verwerflich. Sie lehnen staatliche Steuern, das staatliche Gewaltmonopol und staatliche Gesetzgebung vollständig ab, und befürworten eine Gesellschaft in welcher diese Aufgaben an private Organisation delegiert sind. Sie argumentieren im Gegensatz zu den Minarchisten, dass jedes Staatswesen nicht in einem vernünftigen Rahmen gehalten werden kann, und sich zwangsläufig zu einem despotischen Zwangssystem hinentwickelt.
Die politischen Position von Minarchisten und Anarcho-Kapitalisten zu aktuellen Mainstreamthemen scheinen sich häufig zu überlappen, da beide Pole existierende Staatswesen als zu intrusiv betrachten. Einige libertäre Philosophen wie Tibor R. Machan sehen in beiden Polen keinen wirklichen effektiven Unterschied.
Eine neuere Bildung ist Paläolibertarismus, der Libertarismus und Paläokonservatismus zu vereinigen versucht
Geschichte
Die erste politische Verwendung des Ausdrucks „libertär“ stammt von dem Anarcho-Kommunisten Joseph Déjacque, der den franz. Ausdruck „libertaire“ 1857 in einem Brief an Pierre-Joseph Proudhon benutzte.[8] Während der Ausdruck in sozialistischen Kreisen in Europa synonym zu Anarchismus verwendet wird, bezieht er sich in den USA zumeist auf sog. „kapitalistische“ Libertäre.
Die in diesem Sinn als „libertär“ bezeichnete Philosophie, auch Klassischer Liberalismus genannt, wurzelt im Liberalismus aus dem Zeitalter der Aufklärung in Europa und Amerika. Maßgebend waren hierbei u. a. John Locke und der Baron de Montesquieu, sowie moralische und ökonomische Lehre von Adam Smith. Die Gedanken des Liberalismus breiteten sich im Züge der industriellen Revolution schnell während des 18. Jahrhunderts im Westen aus.
Die Ursprünge des heutigen Libertarismus als eigenständige Philosophie und Bewegung liegen im frühen 20. Jahrhundert. In dieser Zeit verschob sich der Fokus der öffentlichen Meinung von negativer Freiheit und Marktfreiheit hin zu positiven Rechtsauffassung, welche vor allem von der Bürgerrechtsbewegung in den USA und den Sozialisten und Sozialdemokraten in Europa unterstützt wurden. Die Regierung sollte sich nicht länger nur auf die bloße Sicherstellung der Rechte beschränken („Nachtwächterstaat“), sondern aktiv in die Gesellschaft eingreifen, um Soziale Gerechtigkeit sicherzustellen.
Nachdem das Wort „liberal“ in englischsprachigen Ländern zwischen 1920 und 1940 immer mehr mit linker Politik in Verbindung gebracht wurde, welche die liberale Minimalstaatsphilosophie ablehnte und mit „Freiheit“ stärker auf soziale und kulturelle Emanzipation als die Wirtschaftsliberalen, bezeichneten sich deren Anhänger zunehmend als „klassische Liberale“.
Im frühen 20. Jahrhundert wurden die Aufstiege des Nationalsozialismus in Deutschland bzw. des Faschismus in Europa sowie die Einführung des Kommunismus in der Sowjetunion generell als unterschiedliche Bewegungen betrachtet. Der Sozialismus bzw. Realsozialismus wurde von weiten Teilen der westlichen Linken grundsätzlich in Schutz genommen und unterstützt. Eine Gruppe europäischer Ökonomen griff diese in ihren Augen ungerechtfertigte Unterscheidung zwischen den totalitären Regimen an. Die Österreichische Schule der Ökonomie etwa sah Kollektivismus als gemeinsame und verbindende Basis sowohl des Faschismus als auch des Sozialismus, und vertrat die Auffassung, jeder Kollektivismus laufe den westlichen Wertmaßstäben fundamental zuwider. Diese Schule umfasste u. a. Ludwig von Mises, Friedrich Hayek und Walter Block. Die österreichische Schule gewann größeren Einfluss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als der Ausdruck „Libertarismus“ etabliert wurde als Bezeichnung für einen radikalen Liberalismus.
Libertäres Gedankengut floss teilweise in die Ökonomien von Margaret Thatcher und Ronald Reagan ein, welche von der neoliberalen Chicagoer Schule um Milton Friedman beeinflusst wurden.
Verbreitung
In den Vereinigten Staaten sind einige Befürworter des kapitalistischen Libertarismus durchaus einflussreich und sogar politisch aktiv. Sie sehen sich selbst jenseits eines politischen „Rechts-Links“-Schemas und sind vor allem in der Libertarian Party vertreten, der (mit großem Abstand) drittstärksten Partei nach den Demokraten und Republikanern. Allerdings gibt es Libertäre auch in den großen Parteien, vor allem bei den Republikanern, wie Ron Paul, der auch für die Libertarian Party als Präsidentschaftskandidat kandidierte.
Costa Ricas Movimiento Libertario (Libertäre Bewegung) ist eine libertäre Partei in einem Entwicklungsland, welche ca. 10% der Sitze im Parlament Costa Ricas besitzt. Sie gilt als eine ersten libertären Parteien welche substantiellen Einfluss auf nationaler Ebene eines Staates erhalten hat, obgleich dies nicht ohne Kontroverse geschah. Beispielsweise verlor Rigoberto Stewart, Mitgründer der Partei und Gründer des "The Limón REAL Project" [9] für die Autonomie einer Provinz Costa Ricas, und Direktor des INLAP[10], einer libertären Denkfabrik, Unterstützung innerhalb der Partei und für sein Projekt. Einige führen dies auf darauf zurück, dass die Partei, während sie Geld von der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung erhielt, Kompromisse bezüglich ihrer libertären Position einging im Gegenzug für mehr Macht. [11]
In Deutschland finden sich Libertäre teilweise im Umfeld der CDU und der Grünen[12], und vor allem bei der FDP[13]. Manche betrachten die FDP jedoch als zu wenig liberal, um sich mit ihr zu identifizieren.[14][15] Eine nennenswerte libertäre Publikation ist die Zeitschrift „eigentümlich frei“ des Verlegers André Lichtschlag.
Auch wenn sich Libertäre parteilich organisieren, lehnen viele andere Libertäre Parteien ab, da jede politische Organisation in ihren Augen zu Korruption und Machtmissbrauch führt.
Unterströmungen und Varianten
Wie in den meisten anderen politischen Ideologien existieren auch im Libertarismus verschiedene Unterströmungen.
Paläolibertarismus ist Strömung des amerikanischen Libertarismus, welche von Lew Rockwell und Murray Rothbard begründet wurde, und sich besonders im Umfeld des amerikanischen Ludwig-von-Mises-Institut existiert. Sie vereinigt radikalen Libertarismus in Wirtschaft und Politik mit Konservatismus im sozialen Bereich. Sie zieht ihre Ansichten gegenüber Wirtschaft, Handel und Staatswesens besonders aus der Österreichischen Schule der Ökonomie, dem Anarchokapitalismus und dem amerikanischen Antiförderalismus. Sie gehen häufig Allianzen mit Konservativen ein, treten ein für Dezentralisierung und eine nichtinterventionistische Außenpolitik.
Als Neolibertarismus wird eine Richtung des Libertarismus bezeichnet, welche mit dem amerikanischen Konservatismus verknüpft ist. Im Gegensatz zu den meisten Libertären befürworten sie interventionistische Außenpolitik zum Zwecke der nationalen Verteidigung, u.a. damit auch den Krieg gegen den Terror. Da ihre konkrete Politik inkrementalistisch geprägt ist, werfen andere Libertäre ihnen Inkonsequenz und Verrat vor.
Des Weiteren hat sich in den letzten Jahren aus der amerikanischen libertären Tradition heraus eine ihr untergeordnete Richtung entwickelt, die den Libertarismus als linke Philosophie versteht und Potential für eine breitere Unterstützung des Libertarismus in der traditionellen Linken sieht. "Linkslibertäre" Autoren wie Chris Sciabarra, Roderick Long, Charles Johnson, Kevin Carson, Arthur Silber und Sheldon Richman konzentrieren sich, im Gegensatz zu den kulturell konservativen Paläolibertären, vermehrt auch auf nichtpolitische Formen der Unterdrückung, auf die Rolle der ärmeren Bevölkerung in der Dritten Welt und in den westlichen Staaten und auf das Zusammenwirken von großen Unternehmen und Regierungen.
Links und libertär ist ihrem Selbstverständnis nach auch die postanarchistische Sicht auf die heutigen gesellschaftlichen Probleme durch den australischen Politologen Saul Newman.
Auch der Agorismus wird oft als „linker“ Libertarismus angesehen. Er stellt aber weniger eine philosophische, wirtschaftliche oder kulturelle Analyse dar, sondern beschreibt eine Strategie für Libertäre, die sich vor allem auf Aktivitäten in freien Märkten („Schwarzmärkten“) konzentriert.
Ganz aus dem politischen Schema fallen Techno-Libertarians wie John Perry Barlow heraus, der seine Vorstellungen über den Cyberspace in US-libertäre Ideologie kleidete. Besonders im Bereich der Internet-Politik haben sein Techno- oder Internet-Libertarismus und die Vorstellung einer Electronic Frontier (deutsch: Elektronische Grenze) während der Boomphase des Internets in den 1990er Jahren starken Einfluss ausgeübt, der aber in der augenblicklichen Konsolidierungsphase merklich schwindet (siehe auch: Technoliberalismus).
Verhältnis zu anderen Richtungen
Libertäre betrachten sich selbst als radikale Vertreter des Liberalismus und sehen sich weniger in Opposition zu gemäßigten Liberalen, sondern vielmehr als Untergruppe im Spektrum des politischen Liberalismus.
Wirtschaftlich steht der Libertarismus sowohl nationaler Politik als auch linker oder sozialistischer Politik entgegen. Libertäre fordern ein minimales Eingreifen in die Wirtschaft. - In wirtschaftlichen Fragen sehen einige Libertäre Gemeinsamkeiten zu Konservativen, und versuchen politische Allianzen mit ihnen zu bilden. Hierbei muss allerdings zwischen „konservativ“ im amerikanischen und im europäischen Sinn unterschieden werden. Während amerikanische Konservative ein schwaches Eingreifen des Staates in die Wirtschaft befürworten, was sich größtenteils mit den Zielen libertärer Politik deckt, bezeichnet der Ausdruck „konservativ“ in Europa oft eine stärker sozialstaatlich ausgerichtete Politik, was in diesem Fall libertären Idealen diametral entgegensteht.
Gesellschaftspolitisch führt das Ideal des minimalen Staates zu Opposition sowohl gegenüber linken und sozialistischen als auch gegenüber rechten, konservativen und nationalistischen Gruppen. Gesellschaftliche Veränderung von Seiten des Staates können aus libertärer Sicht keine positiven Auswirkung auf die Individuen einer Gesellschaft haben, etwaige politische Maßnahmen dienten in Wahrheit lediglich Partikularinteressen und der despotischen Umsetzung von Ideologien. Libertäre lehnen daher Quotenpolitik, Zensur und jede Einschränkung der Redefreiheit ab, und bekämpfen Gesellschaftskonzeptionen wie Patriotismus, Multikulturalismus, konservativen Sexismus, aber auch Feminismus, jeweils insofern diese staatlich verordnet oder unterstützt werden.[16][17] [18][19]
Trotz dieses Nichtinterventionsprinzips haben Libertäre durchaus gesellschaftspolitische Ansichten. Das Spektrum reicht von Neokonservativen, welche im Rahmen einer freien Gesellschaft ein Leben nach entsprechenden Wertvorstellungen leben wollen (oder sogar eine Bedingung zwischen Libertarismus und Konservatismus sehen), bis hin zu polemisch als „Sex, Drugs and Rock-’n’-Roll“-Libertären bezeichneten Individuen, welche die libertäre Gesellschaft als Voraussetzung für Meinungsfreiheit, Sexuelle Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sehen. Libertäre jeder Richtung lehnen jedoch die Umsetzung gesellschaftlicher Entwürfe durch Zwang und Indoktrination strikt ab. [20]
Einordnung in das politische Spektrum
Viele Libertäre wehren sich gegen eine Einordnung in das traditionelle politische Rechts-Links-Schema, da sie sich sowohl zu konservativer und nationalistischer wie auch zu sozialistischer Politik in Opposition sehen. In ihren Augen besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen (extremer) linker und (extremer) rechter Politik.[21][22]
Anstelle des Links-Rechts-Spektrums bevorzugen einige Libertäre insbesondere in den USA ein zwei-dimensionales Feld, um politische Ansichten zu klassifizieren. Hierbei wird die Einstellung zur „persönlichen Freiheit“ auf der einen, und die „wirtschaftliche Freiheit“ auf der anderen Achse dargestellt, wobei diese von „absolut restriktiv“ bis „absolut liberal“ reichen. Das Nolan-Diagramm ist benannt nach und wurde gestaltet von dem Libertären David Nolan.[23]Gemäß diesem Schema teilen Libertäre die Ansichten „Linker“ im Gesellschaftlichen, und „Rechter“ im wirtschaftlichen Bereich. Das Schema wird jedoch auch von Libertären kritisiert, da sie die Trennung zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen als eine Illusion betrachten. Viele bevorzugen wiederum selbst ein Ein-Dimensionales Schema, welches sich von libertärer bis zu anti-libertärer Politik erstreckt - Libertäre sehen in der Regel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Linken und Rechten und im Extremfall Kommunisten und Faschisten.
Siehe auch
Literatur
- Roland Baader: Das Kapital am Pranger: Ein Kompass durch den politischen Begriffsnebel. ISBN 3-935197-45-4.
- Frederic Bastiat: Der Staat - die große Fiktion. 2001, Ott Verlag, Thun. ISBN 3-7225-6918-4.
- Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest. Über den Widerspruch zwischen Staat und Wohlstand. Edition Eigentümlich Frei, Grevenbroich 2001, ISBN 3-8311-1869-8 (PDF)
- David D. Friedman: Das Räderwerk der Freiheit - Für einen radikalen Kapitalismus, Norderstedt 2003 ISBN 3-8330-0529-7.
- André F. Lichtschlag: Libertarianism - eine (anti-)politische Bewegung in den USA und ihre Bedeutung für Deutschland, Grevenbroich 2000
- Ludwig von Mises: Human Action - A Treatise on Economics (Scholars Edition). Ludwig von Mises Institute, Auburn (Alabama) 2007, ISBN 978-0945466246 ([2]).
- Murray N. Rothbard: Eine neue Freiheit - Das libertäre Manifest. 1999, ISBN 3-933631-08-4.
- Murray N. Rothbard: Die Ethik der Freiheit. 2000, ISBN 3-89665-086-6.
Weblinks
- Matt Zwolinski: „Libertarianism“ in der Internet Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
- Jan Narveson: Libertarianismus. Eine Philosophische Einführung, Aufklärung und Kritik, 2/2004
Einzelnachweise
- ↑ Sie vertritt, ausgehend von Thoreau, u. a. Grundsätze wie „Steuern sind Diebstahl“.
- ↑ http://www.lewrockwell.com/rothbard/rothbard23.html - Murray N. Rothbard, The Sociology of the Ayn Rand Cult
- ↑ Zu dem ebenfalls kritischen Verhältnis von Libertären und Anarchokapitalisten zu Stirner vgl. Bernd A. Laska: Die Anarcho-Kapitalisten und Max Stirner. In: Eigentümlich Frei, Heft 11, 3. Quartal 2000, S. 381-383
- ↑ http://guidohulsmann.com/pdf/Austro_oder_Chicago_Lib.pdf Utilitaristische Denkweisen in der Österreicher und der Chicagoer Schule der Nationalökonomie
- ↑ http://www.libertaria.de/art_niemietz_attac.htm ATTAC ist kein Schicksal - eine freiere Welt ist möglich!, Kristian Niemietz (29. November 2005)
- ↑ http://www.libertaria.de/art_uebersetz.htm Die Pioniere der Globalisierung und der Völkerverständigung, Sophie Rémeur (31. März 2005)
- ↑ http://www.libertaria.de/meldungen/?p=118#more-118 David Schah, Der “Spiegel” erklärt China den Weltkrieg
- ↑ Déjacque, Joseph. Letter to P. J. Proudhon (französisch)
- ↑ [1] - Das Limon REAL Projekt
- ↑ www.inlap.org
- ↑ Movimiento Libertario, Not a movement, Not libertarian
- ↑ Grüne Freiheit – bürgerrechtlich und liberal orientierte grüne Politiker und Politikinteressierte
- ↑ Die Libertäre Plattform in der FDP
- ↑ „Man sollte vielleicht begreifen, dass das deutsche Parteiensystem seit bald 25 Jahren den Wählern die Auswahl zwischen vier Spielarten von Sozialdemokratie anbietet.“ (Peter Sloterdijk, in: Der Spiegel, Nr.35/04)
- ↑ http://www.libertaria.de/art_fdp.htm Wie wählbar ist die FDP?, Naomi Braun-Ferenczi
- ↑ http://www.lewrockwell.com/rothbard/rothbard4.html - Murray N. Rothbard, Against Women's Lib
- ↑ http://www.lewrockwell.com/yates/yates70.html Steven Yates, What went wrong with affirmative Action (And why it never could have gone right)
- ↑ http://www.lewrockwell.com/yates/yates37.html - Steven Yates, Combating Academic Political Correctness
- ↑ http://www.libertaria.de/art_iuf_ichbindeutschland.htm Ich bin nicht Deutschland, IUF weekly comment, Sascha Tamm (7. November 2005)
- ↑ http://www.lewrockwell.com/block/block42.html - Walter Block, Libertarianism and ‘Sex, Drugs, & Rock ’n’ Roll’; Review eines Zeitungsartikels von Susan Lee in The Wall Street Journal
- ↑ http://www.lewrockwell.com/shaffer/shaffer104.html - Why the ‘Left’ and ‘Right’ Are Only Two Wings of the Same Bird of Prey
- ↑ http://www.nzz.ch/2006/10/21/wi/kommentarEKYFV.html Wirtschaftsliberal, gesellschaftsliberal oder ganz einfach liberal?, NZZ Online
- ↑ http://freedomkeys.com/nolancharts.htm Nolan Chart Variations
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