Otto Georg Schily

Otto Georg Schily
Otto Schily (1983)

Otto Georg Schily (* 20. Juli 1932 in Bochum) ist Rechtsanwalt und ein deutscher Politiker (SPD). Von 1998 bis 2005 war er Bundesminister des Innern.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ausbildung und Tätigkeit als Rechtsanwalt

Schily ist Sohn einer anthroposophisch orientierten Familie. Sein Vater Franz war promovierter Hüttendirektor. Schily wuchs in Bochum und ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Garmisch-Partenkirchen im Ortsteil Partenkirchen auf. Nach dem Abitur am Werdenfels-Gymnasium studierte Schily Rechts- und Politikwissenschaften in München, Hamburg und Berlin bis zum zweiten juristischen Staatsexamen 1962. Seit 1963 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.

Bereits im Studium engagierte sich Schily politisch und stand dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) nahe. Er freundete sich mit Rudi Dutschke und Horst Mahler an, war Vertreter der Nebenklage im Benno-Ohnesorg-Prozess.

Als Rechtsanwalt war er Hauptmieter einer als „Wielandkommune“ bekannt gewordenen anarchistisch orientierten Wohngemeinschaft und Kommune in der Wielandstraße, Berlin-Charlottenburg.

1971 war er Wahlverteidiger des damaligen RAF-Mitgliedes Horst Mahler, von 1975 bis 1977 der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Schily zweifelte an den Selbsttötungen der Terroristen und machte den Staat für den Tod verantwortlich. Am 19. Oktober 1977 war er bei der Obduktion von Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin anwesend.

Mitbegründer der Grünen

Otto Schily und Petra Kelly auf einer Pressekonferenz nach der Bundestagswahl 1983

1980 war er Mitbegründer der Bundespartei Die Grünen, er galt als Gegenspieler zu dem wertkonservativen Flügel um Herbert Gruhl. Für den West-Berliner Landesverband (Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz) kandidierte Schily 1981 bei der vorgezogenen Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin. 1983 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt und war Mitglied der ersten Grünen-Bundestagsfraktion. Gemeinsam mit Marieluise Beck-Oberdorf und Petra Kelly übte er bis 1984 im Sprecherrat die Funktion des Fraktionsvorsitzenden aus. Innerhalb der Grünen galt Schily zu dieser Zeit als Realo, trat für eine mögliche Koalition mit der SPD ein.

Wegen des damals bei den Grünen noch herrschenden Rotationsprinzips schied er im März 1986 aus dem Bundestag aus. 1987 wurde er erneut in den Bundestag gewählt. Nachdem er 1989 mit seiner Kandidatur für den Fraktionsvorstand der Grünen scheiterte, trat er am 2. November 1989 bei den Grünen aus, legte sein Bundestagsmandat nieder und wurde Mitglied der SPD.

SPD-Politiker

Wahlkampfveranstaltung in München 2005

Am 2. Dezember 1990 wurde er für die SPD zum Mitglied des Deutschen Bundestages gewählt. Von 1993 bis 1994 übernahm er den Vorsitz des Treuhand-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag. Von 1994 bis zum Eintritt in die Bundesregierung 1998 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. In der 14. Wahlperiode (1998–2002) war er Mitglied des Richterwahlausschusses, des Vermittlungsausschusses sowie stellvertretendes Mitglied des Innen- und des Rechtsausschusses sowie des gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53a des Grundgesetzes. In der aktuellen 16. Wahlperiode wurde Otto Schily zum ordentlichen Mitglied im Auswärtigen Ausschuss gewählt.

Schily leitete als Alterspräsident die konstituierenden Sitzungen des Deutschen Bundestages in den Jahren 2002 und 2005.

Sein Wahlkreis ist München-Land.

Am 9. November 2007 leitete Bundestagspräsident Norbert Lammert ein Verfahren gegen Schily ein, weil dieser sich weigerte, seine Nebenverdienste aus einem Beratervertrag mit der Siemens AG offenzulegen. [1]

Bundesinnenminister

Otto Schily (oben links) beim Treffen der G8-Minister für Inneres und Justiz (2004)

Nach dem Sieg von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 wurde Schily am 27. Oktober 1998 zum Bundesminister des Innern ernannt.

1999 machte er mit der Feststellung auf sich aufmerksam, nur drei Prozent der etwa 100.000 Menschen, die jährlich nach Deutschland wollten, seien „asylwürdig“, 97 Prozent seien hingegen Wirtschaftsflüchtlinge. Das bisherige Asylrecht sei daher zu überprüfen. Die Äußerungen wurden kontrovers diskutiert, führten aber im Ergebnis zu keiner Änderung des Aslyrechtes.[2]

Schily war vor allem für die Verschärfung von Gesetzen und Verordnungen nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA verantwortlich. Seine zwei Sicherheitspakete wurden in der Presse in Anspielung auf den Verkaufskatalog des gleichnamigen Versandhauses als Otto-Kataloge bezeichnet.

Ebenfalls 2001 scheiterte er vor dem Bundesverfassungsgericht mit einem Verbotsantrag gegen die rechtsextremistische NPD aus formalen Gründen.

Schily setzte sich als Innenminister für die Einführung von Reisepässen mit biometrischen Merkmalen ein, welche seit Oktober 2005 ausgestellt werden. Am 10. Mai 2005 kündigte er einen Nationalen Plan zum Schutz der Informationsinfrastrukturen in Deutschland an. Dieser soll gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erarbeitet werden. Dabei sollen neue Strategien zur Bekämpfung von Angriffen von Hackern und Viren entwickelt werden.

Am 15. Juli 2005 sagte Schily als Zeuge vor dem Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Es ging um die Vergabe von Touristenvisa für Deutschland an der deutschen Botschaft in Kiew im Zusammenhang mit dem so genannten Volmer-Erlass.

Im September 2005 erteilte Schily die Ermächtigung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitarbeiter des Magazins Cicero. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft genehmigte ein Gericht daraufhin die Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins durch das BKA, die zu einer heftigen Diskussion über Pressefreiheit führte.

Am 18. Oktober 2005, dem Tag der Konstituierung des 16. Deutschen Bundestages, wurde er gemeinsam mit den übrigen Bundesministern aus dem Amt entlassen und gleichzeitig von Bundespräsident Horst Köhler mit der Wahrnehmung der Geschäfte bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung beauftragt. Nach der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin schied er am 22. November 2005 endgültig aus dem Amt.

Es werden Vorwürfe von Politikern aller Parteien, auch seiner eigenen, gegen Schily erhoben, weil er als Bundesinnenminister am 31. Mai 2004 durch den US-amerikanischen Botschafter Dan Coats über den Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri informiert wurde und anschließend bis Herbst 2005 der Bitte des Botschafters nachkam, diesbezüglich Stillschweigen zu bewahren. Khaled el-Masri war nach derzeitigem Sachstand im Jahre 2003 durch die CIA nach Afghanistan entführt, gefoltert und schließlich im Mai 2004 heimlich zurückgeflogen und in einem Wald in Albanien ohne Erklärungen ausgesetzt worden. Die Oppositionsfraktionen im Bundestag haben eine Aktuelle Stunde über die Vorgänge beantragt. Schily äußerte, er habe zu einem Zeitpunkt, wo er hätte eingreifen können, keine Informationen bekommen, die ihn in die Lage versetzt hätten, dafür zu sorgen, dass einem deutschen Staatsbürger kein Leid geschähe.

Wie nach seiner Amtszeit bekannt wurde, stimmte Otto Schily im Jahr 2005 der Änderung einer Dienstanweisung zu, auf Grundlage derer der Verfassungsschutz verdeckte Online-Durchsuchungen durchführte.[3] Nach Angaben des damaligen Staatssekretärs Lutz Diwell soll die Anweisung jedoch nur auf das Eindringen in geschlossene Nutzergruppen und Chatrooms abgezielt haben („offensive Beobachtung des Internets“), nicht hingegen auf das Ausspähen privater Festplatteninhalte.[4]

Aufsichtsrat

Otto Schily wurde nach seiner Zeit als Bundesinnenminister Aufsichtsrat bei der Firma SAFE ID Solutions AG (Unterhaching)[5]. Diese Firma bietet Lösungen zur Personalisierung von Ausweisdokumenten an. Seine Tätigkeit für diese Firma ist umstritten, denn als Bundesinnenminister war Otto Schily ein maßgeblicher Wegbereiter der Einführung des kontrovers diskutierten biometrischen Reisepasses (epass), von dessen Einführung seine nunmehrigen Arbeitgeber in erheblichem Maße wirtschaftlich profitieren.[6] Nach seinen Angaben liegt die eigene finanzielle Beteiligung an der Firma unter 1 Prozent.

Vor dem Hintergrund der Klage von Juli Zeh steht der Verdacht im Raum, dass Schily für weitere Kunden der Ausweis-Branche tätig sein könnte: Mit Verweis auf den Mandantenschutz weigert sich Schily bislang, die Einkünfte zu spezifizieren, die er neben seinem Bundestagsmandat aus seiner Nebentätigkeit als Rechtsanwalt erzielt.[7] Das Bundestagspräsidium sah darin eine Pflichtverletzung und hat deshalb ein Ordnungsgeld in Höhe von 22.000 € verhängt.[8]. Hiergegen hat Schily Klage erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat das zugrunde liegende Gesetz allerdings bereits im Eilverfahren für verfassungsgemäß angesehen.

Privates

Anfang Mai 2008 kündigte Schily für 2009 seinen Rückzug aus der Politik an.[9] Schily ist in zweiter Ehe mit Linda Tatjana verheiratet und hat zwei Kinder: Jenny (* 1967) und Anna (* 1981). Sein Bruder Konrad Schily ist Arzt und wurde bei der Bundestagswahl 2005 für die FDP in den Deutschen Bundestag gewählt.

Auszeichnungen

Ehrungen

Schily wurde am 20. Juni 2001 mit dem Bayerischen Verdienstorden und am 29. Juni 2004 mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Schmähungen

Am 28. Oktober 2005 wurde Schily mit dem Negativpreis Big Brother Lifetime Award 2005 ausgezeichnet. Gewürdigt wurde er „für den Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte und für seine hartnäckigen Bemühungen um die Aushöhlung des Datenschutzes unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung“. Schily hatte die Auszeichnung bereits 2001 für den ersten „Otto-Katalog“ erhalten.

Politische Positionen

Schily wird heute oftmals als Vertreter des Law and Order bezeichnet, vor allem bedingt durch seine weitgehenden Vorschläge zur inneren Sicherheit und Bürgerüberwachung. Kritiker meinen, Schily stehe aufgrund seiner Vorstellungen zur Terrorismusbekämpfung, Zuwanderungspolitik und Einschränkung des Datenschutzes den Unionsparteien näher als der SPD. Dies wurde zum Beispiel damit begründet, dass Schily nicht lediglich auf innenpolitische Ereignisse reagiert, sondern bereits über eine größere Anzahl fertig ausgearbeiteter Vorschläge für Gesetzesverschärfungen verfügt habe; diese hätten passend zu den jeweiligen Ereignissen als Vorschlag präsentiert und dann sofort umgesetzt werden können („Pläne in der Schublade“).

Weblinks

Belege

  1. Lammert leitet Verfahren gegen Schily ein tagesschau.de, 8. November 2007
  2. Härtefall Schily In: Der Spiegel vom 21.11.1999
  3. Bundesregierung gibt zu: Online-Durchsuchungen laufen schon. In: heise online. 25. April 2007. Abgerufen am 31. Januar 2008.
  4. Online-Schnüffeln ohne Freibrief?. In: taz.de. 2. Mai 2007. Abgerufen am 31. Januar 2008.
  5. http://www.safe-id.de/about_us/supervisory_board.html (Überprüft am 13.4.2007)
  6. August 2006: „Otto Schily neues Mitglied im Aufsichtsrat der SAFE ID Solutions AG“, http://www.omnicard.de/index.php?m=88&id=1607. „Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily hat ein Aufsichtsratsmandat bei der SAFE ID Solutions AG, einem Anbieter moderner Personalisierungs-Lösungen im Bereich sicherer Reisedokumente, angenommen. Während seiner Amtszeit als Innenminister war Schily maßgeblich an der Einführung des biometrischen Reisepasses (ePass) beteiligt.“
  7. http://www.bundestag.de/mdb/bio/S/schilot0.html
  8. Pressemitteilung des Deutschen Bundestages: Präsidium verhängt Ordnungsgeld gegen Schily
  9. Otto Schily kündigt Abschied aus der Politik an

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