Deutschsprachige Minderheiten

Deutschsprachige Minderheiten

Unter deutschsprachigen Minderheiten versteht man zumeist autochthone Bevölkerungsgruppen in Gebieten außerhalb Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Luxemburgs und Liechtensteins. Diese ethnischen Minderheiten entstanden in den vergangenen Jahrhunderten unter anderem durch die deutsche Ostkolonisation, durch gezielte Auswanderungsbewegungen, durch religiös oder politisch motivierte Flüchtlingsströme sowie durch Grenzverschiebungen und Vertreibungen nach Kriegen, vor allem den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert. Angehörige von deutschsprachigen Minderheiten im engeren Wortsinn besitzen im Allgemeinen die Staatsangehörigkeit des Landes, in dem sie wohnen.

Inhaltsverzeichnis

Zuordnung

In Artikel 32 der KSZE-Deklaration von Kopenhagen (Juni 1990) wird ausdrücklich betont, dass die „Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit Angelegenheit der persönlichen Entscheidung eines Menschen ist und als solche für ihn keinen Nachteil mit sich bringen darf“.[1] Das bedeutet, dass die betroffenen Menschen selbst darüber entscheiden, ob sie in einem bestimmten Kontext als Staatsangehörige des Landes betrachtet werden wollen, in dem sie leben, oder als Angehörige einer (hier: der deutschen) Minderheit in dem Land, in dem sie sich ständig aufhalten.

Geographische Verteilung

Europa

Belgien

Die deutschsprachigen belgischen Staatsbürger, rund 75.000 Menschen, dürften hinsichtlich ihrer weitgehenden Minderheitenrechte die am besten gestellte deutsche Minderheit in einem mehrheitlich anderssprachigen Land sein. Ihr Siedlungsgebiet, die sogenannten Ostkantone, wurde 1920 nach dem Ersten Weltkrieg von Belgien annektiert. Auch hier bilden die deutschen Belgier die Mehrheitsbevölkerung. Für die deutschsprachigen Luxemburger im Areler Land (Provinz Luxemburg, Südostbelgien) besteht kein offizieller Status als Minderheit.[2]

Frankreich

Elsässer und Lothringer in Frankreich: Das Elsass und Deutsch-Lothringen wurden ab dem 17. Jahrhundert nach und nach von Frankreich annektiert (die Stadt Mülhausen gehörte bis 1798 zur Schweiz) und wechselten seitdem vier Mal zwischen Deutschland und Frankreich hin und her. Von 1918 bis in die 1970er Jahre versuchte die französische Regierung, Deutsch und die regionalen Dialekte (etwa das Elsässerdeutsch) durch die französische Sprache zu verdrängen. Inzwischen hat sich dieser Prozess verselbstständigt und Deutsch bzw. die Dialekte sind vom Aussterben bedroht. Die einstige deutsche Muttersprache wird heute fast ausschließlich von den über 40-Jährigen und auch da fast nur im privaten Umfeld, überwiegend auf dem Land, gesprochen. Die Weitergabe an die Kinder ist fast vollständig unterbrochen, was auf die zeitweilige, nach 1944 übliche Sprachpolitik zurückgeht, bei Strafe zu verbieten, Deutsch bzw. Dialekt zu sprechen.

Italien

Nordeuropa

Polen

Hauptartikel: Deutsche Minderheit in Polen sowie am Beispiel Deutsche in Pabianice

Die Deutsche Minderheit in Polen besteht vor allem aus Deutschen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Vertreibung 1945 in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches geblieben sind, sowie deren heute dort lebenden Nachfahren. Eine Besonderheit im Falle Polens stellt der Umstand dar, dass dort Menschen leben, die 1945 Bürger des Deutschen Reichs waren, welche nach deutschem Recht (Art. 116 GG) nie ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben und deren Nachkommen sich demzufolge nach dem „ius sanguinis“ gegebenenfalls darauf berufen können, ebenfalls einen Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen.[3] Das erklärt die relativ hohe Anzahl von 300.000 bis 400.000 Bürgern Polens deutscher Nationalität, von denen die Deutsche Botschaft in Warschau ausgeht.[4]

Die Regionen Pommern, Ostbrandenburg, Nieder- und Oberschlesien sowie das nördliche Ostpreußen waren nach der Ostkolonisation überwiegend deutsch besiedelt, während es im südlichen Ostpreußen, in Westpreußen, Posen und dem östlichen Oberschlesien schon immer unterschiedlich große Anteile polnischer Bevölkerung gab.

Zur deutschen Nation bekannten sich in der Volkszählung[5] von 2002 152.897 Personen; dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 0,38 %. Die meisten von ihnen leben in der oberschlesischen Woiwodschaft Oppeln, wo sie mit 106.855 Menschen 10,033 % der Bevölkerung ausmachen. In den übrigen Woiwodschaften liegt der Anteil der deutschen Bevölkerung zwischen 0,005 % und 0,672 %. Nur etwa 60 % (91.934) von ihnen sprechen Deutsch als Muttersprache.

Rumänien

Spanien

  • Die Deutschen in Spanien sind keine traditionelle Minderheit, vielmehr wählen einige Deutsche dieses Land als Alterssitz oder sind ab etwa 1960 dorthin ausgewandert. Auf Mallorca leben etwa 22.000 Deutsche, was einen Anteil von 3% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Auf den Kanaren leben etwa 36.000 Deutsche.

Tschechien und Slowakei

  • Als Sudetendeutsche oder Deutschböhmen bezeichnet man die deutsche Bevölkerung in den Ländern Böhmen und Mähren, dem heutigen Tschechien. Diese Bevölkerungsgruppe von rund 3,2 Millionen Menschen, Bürger im Kaisertum Österreich, wurde 1918 nach Gründung der Tschechoslowakei bis 1938 zu einer „deutschen Minderheit im Ausland“. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg fast vollständig nach Deutschland und Österreich vertrieben.
  • Deutsche in Tschechien, die nach der Vertreibung im Land verbliebenen Sudetendeutschen, heute etwa 40.000 Menschen.
  • Hultschiner Ländchen
  • Karpatendeutsche, die Deutschen in der Slowakei, siedelten dort seit dem 13. Jahrhundert. 1938 gab es knapp 130.000 Deutsche in der Slowakei, heute sind es noch rund 6.000. Ein prominenter Vertreter dieser Volksgruppe ist der frühere slowakische Präsident Rudolf Schuster.

Weitere deutschsprachige Minderheiten in Europa

Afrika

Amerika

Deutschsprachige Bevölkerung in den USA, 1872

Nordamerika

Lateinamerika

Asien

Australien

Ethno-religiöse Minderheiten

Mennoniten

Die Gruppe der vorwiegend Plautdietsch sprechenden Mennoniten bzw. Russlandmennoniten unterhält geschlossene Siedlungen in Russland, der Ukraine, Kasachstan, in Nord- und Südamerika. Aufgrund reger Missionstätigkeit steigt der Anteil der nicht deutsch sprechenden Mennoniten. Die Russlandmennoniten bilden eine niedersächsischsprachige (ugs. Plattdeutschsprachige) Minderheit. Traditionell werden sie aber mit zu den deutschen Minderheiten im Ausland gezählt. Größere Siedlungen befinden sich in der Ukraine, Russland, in Kanada (Manitoba), den USA, in Mexiko, Belize, Paraguay.

Forschung

Deutsch(sprachig)e Minderheiten und deutsche Volksgruppen werden im Rahmen der Volkstumskunde, der Ostforschung, und heute vor allem in der Kontaktlinguistik und in Forschungen zur Interkulturalität untersucht.

Literatur

  • Mathias Beer, Dietrich Beyrau, Cornelia Rauh-Kühne (Hrsg.): Deutschsein als Grenzerfahrung. Minderheitenpolitik in Europa zwischen 1914 und 1950. Klartext, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0097-4

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Alfons Nossol: Kulturelle Identität und Konfessionalität. In: Christoph Bergner / Matthias Weber (Hg.): Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven. 2009. S.101
  2. [1]
  3. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Warschau: Merkblatt zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit http://www.warschau.diplo.de/Vertretung/warschau/de/04/Informationen__Deutsche/download__staatsangehoerigkeit,property=Daten.pdf
  4. „Die deutsche Minderheit in Polen“ Webseite der Deutschen Botschaft Warschau
  5. Die genauen Zahlen der Volkszählung von 2002 finden sich im Hauptartikel.

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