Landesregierung von Nordrhein-Westfalen

Landesregierung von Nordrhein-Westfalen

Das politische System des deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen basiert auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen.

Das Land ist im föderalen System Deutschlands ein Gliedstaat, der nach den Grundsätzen eines republikanischen, sozialen und demokratischen Rechtsstaats organisiert ist. Die Exekutive wird vom Ministerpräsidenten geleitet, die Legislative liegt beim Landtag. Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit wird durch den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeübt.

Nordrhein-Westfalen ist mit Abstand das bevölkerungsreichste Bundesland und bildet das industrielle Kernzentrum der Bundesrepublik, es übt daher erheblichen Einfluss auf die Bundespolitik aus. In den letzten Jahrzehnten wurde die Landespolitik von der SPD dominiert. Seit Mai 2005 ist eine Landesregierung mit einer CDU/FDP-Koalition unter Jürgen Rüttgers im Amt.

Inhaltsverzeichnis

Verfassung

Die Landesverfassung trat am 11. Juli 1950 in Kraft. Da sie erst nach dem Grundgesetz entstanden ist, verfügt sie über keinen eigenen Grundrechtekatalog, sondern stützt sich auf die im Grundgesetz verankerten Grundrechte. Manche werden lediglich ein wenig näher charakterisiert.

Gebäude des Landtages

Der Landtag nahm die Verfassung mit einer knappen Mehrheit von 110 gegen 97 Stimmen an, bei einer Volksabstimmung am 18. Juni 1950 sprachen sich 3,62 Millionen Einwohner für die Verfassung und 2,24 Millionen dagegen aus. Hauptstreitpunkt zu dieser Zeit war die Frage, ob die Verfassung Konfessionsschulen oder Gemeinschaftsschulen den Vorrang geben sollte.

Ergänzt wurden die Landesverfassung durch landesspezifische Rechtsgarantien und Staatszielbestimmungen. Dazu gehören etwa Bestimmungen zur Arbeits- und Sozialordnung oder ausführlichere Bestimmungen für den Bereich des Kultur- und Sozialwesens.

Verfassungsänderungen bedürfen einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag. Wichtige Verfassungsänderungen waren 1968 die Vorrangstellung der Gemeinschaftsschule vor der Konfessionsschule, 1978 ein Grundrecht auf Datenschutz sowie die Einführung der Staatszielbestimmung Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (1985).[1]

Staatsfunktionen

Die Souveränität liegt beim Volk. Der Aufbau und die Aufgaben der einzelnen Landesorgane werden nach dem Prinzip der Funktionentrennung festgelegt.

Legislative

Die Legislative wird durch den Landtag Nordrhein-Westfalen ausgeübt. Ihm obliegt also die Landesgesetzgebung. Direktdemokratische Elemente sieht die Landesverfassung zwar vor, spielen aber in der Praxis keine bedeutende Rolle.

Etwa drei Viertel der Gesetzentwürfe stammen von der Landesregierung, etwa ein Viertel aus dem Landtag. Der Landtag beschließt den Landeshaushalt. Während die gesetzgeberischen Aufgaben durch die Bundeskompetenzen und durch die Ausweitung der EU-Befugnisse in den letzten Jahrzehnten abnahmen, nehmen die Landtagsabgeordneten verstärkt lokale und regionale Interessen gegenüber der Landesverwaltung wahr.

Der Landtag ist ein Arbeitsparlament; der größte Teil der parlamentarischen Arbeit findet in den Ausschüssen statt, nicht im Plenum. Im Landtag sitzen seit 2005 insgesamt 181 Abgeordnete. Von 1980 bis 2005 waren es 201, bis 1980 waren es 200. In der Regel handelt es sich bei ihnen um Berufspolitiker. Zum Beginn einer Wahlperiode wählen die Abgeordneten Präsidium und Ältestenrat und besetzen die Ausschüsse.

Der Landtag kann sich nach Art. 35 der Landesverfassung selbst auflösen. Wird ein vom Landtag abgelehnter Gesetzentwurf durch Volksentscheid angenommen, kann die Landesregierung den Landtag auflösen. Nach der Landtagswahl 2005 setzt sich der Landtag wie folgt zusammen:

Partei Sitze
CDU 89
SPD 74
GRÜNE 12
FDP 12
Insgesamt 187

Die Landesverfassung sieht Volksentscheide und Volksbegehren vor. Per Volkentscheid kann das Volk Landesgesetze erlassen, aufheben oder verändern. Ein Volksbegehren muss von 20 % der Wahlberechtigten unterstützt werden, was in der nordrhein-westfälischen Geschichte erst einmal geschehen ist. 1978 war ein von der CDU-Opposition unterstütztes Volksbegehren im Zusammenhang mit der Zwangseinführung der kooperativen Schule erfolgreich. Die damalige SPD-Landesregierung musste ihre Schulpolitik ändern.

Exekutive

Die Exekutive wird von der Landesregierung, die sich aus dem Ministerpräsidenten und den Landesministerien zusammensetzt, sowie der Landesverwaltung ausgeübt.

Landesregierung

Wie auf der Bundesebene sind Exekutive und Legislative miteinander verschränkt: So ist die Landesregierung dem Landtag verantwortlich und hat das Recht, Gesetzentwürfe beim Landtag einzubringen.

Die Stellung des Ministerpräsidenten ähnelt stark der des deutschen Bundeskanzlers. Er wird ohne Aussprache vom Landtag mit Kanzlermehrheit gewählt und ernennt danach die Landesminister. Er besitzt die Richtlinienkompetenz. Abgewählt werden kann er nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Seine Amtszeit endet, wenn er abgewählt wird, zurücktritt oder wenn ein neugewählter Landtag zusammentritt. Als Besonderheit kann nur ein Landtagsabgeordneter zum Ministerpräsidenten gewählt werden.

Landesministerien und untergeordnete Behörden

Die unmittelbare Landesverwaltung besteht aus den obersten Landesbehörden (insbesondere den Landesministerien) und den ihr nachgeordneten Landesbehörden: den Landesoberbehörden, den Landesmittelbehörden und den Unteren Landesbehörden.

Auf der Ebene der staatlichen Mittelinstanz gliedert sich das Land in die fünf Regierungsbezirke Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster.

In jüngster Zeit werden wieder Stimmen laut, die fordern, die Zahl der Regierungsbezirke auf drei zu reduzieren. Alle Kommunen im Ruhrgebiet, die im Regionalverband Ruhr organisiert sind, sollen danach in einem Regierungsbezirk zusammengefasst werden. Die übrigen Teile des Landes würden dann den Regierungsbezirken Köln und Münster zugeteilt. Zukünftig würde dann die Landeshauptstadt Düsseldorf in der Mittelinstanz von Köln regiert. Konkrete Vorstellungen existieren allerdings derzeit (August 2004) noch nicht.

Landesrechnungshof

Der Landesrechnungshof ist eine oberste Landesbehörde neben den Landesministerien. Seine Mitglieder werden vom Landtag gewählt, er begutachtet die staatlichen Finanzen aus externer Stellung heraus. Er erfüllt eine ministerialfreie Exekutivfunktion.

Judikative

Die Judikative liegt in der Hand von unabhängigen Gerichten (siehe Liste der Gerichte des Landes Nordrhein-Westfalen). Verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen werden vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster ausgetragen. Der Landtag wählt vier der sieben Verfassungsrichter.

Kommunale Selbstverwaltung

Die Kommunale Selbstverwaltung wird in Nordrhein-Westfalen von den 31 Kreisen, mit 373 kreisangehörigen Gemeinden und Städten, den 23 kreisfreien Städten und zwei Landschaftsverbänden wahrgenommen.

Gemeinden und Kreise

Zwischen 1967 und 1975 führte der Landtag eine umfangreiche Verwaltungsreform durch: die Zahl der Gemeinden sank damals von 2.365 auf 396, die der Kreise von 57 auf 31 und die der kreisfreien Städte von 38 auf 23.

Landschaftsverbände

Die beiden Landschaftsverbände Rheinland (LVR) mit Sitz in Köln und Westfalen-Lippe (LWL) mit Sitz in Münster nehmen überwiegend regionale Aufgaben wahr, ihre gesetzliche Grundlage bildet die Landschaftsverbandsverordnung Nordrhein-Westfalen. Oberstes Gremium ist die Landschaftsversammlung, die durch mittelbare Wahl gebildet wird. Die Finanzausstattung erfolgt durch eine Umlage der Kreise und kreisfreien Städte.

Parteien

Alle großen Parteien sind durch Landesverbände in Nordrhein-Westfalen vertreten.

Die großen Parteien blieben noch lange nach der Bildung des gemeinsamen Bundeslandes in getrennte Landesverbände Rheinland und Westfalen aufgeteilt. Der SPD-Landesverband wurde beispielsweise erst 1970 gegründet [1], die vier Bezirke (Mittelrhein, Niederrhein, Westliches Westfalen und Ostwestfalen-Lippe) blieben jedoch bis zu ihrer Auflösung 2001 dem Landesverband überlegene Machtzentren. Die beiden Landesverbände der CDU haben sich erst am 7. März 1986 zu einem gemeinsamen Landesverband zusammengeschlossen [2].

Wahlen

Landtagswahlen

Ähnlich wie die Wahlen auf Bundesebene werden die Landtagsabgeordenten in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer, geheimer und freier Wahl gewählt. In Nordrhein-Westfalen gilt ein Einstimmenwahlrecht: die abgegebene Stimme zählt sowohl für den Direktkandidaten als auch für die Landesliste. In insgesamt 128 Wahlkreisen (bis zur Wahl 2000: 151) gibt es Direktkandidaten, 53 (bis zur Wahl 2000: 50) Abgeordnete werden über Landeslisten bestimmt. Überhangmandate sind möglich und kamen in den letzten Wahlperioden regelmäßig vor.

Landtagswahlen NRW 1947-2005 (in % der Stimmen)
Jahr SPD CDU FDP Grüne Sonstige
1947 32% 37,5% 5,9% - 24,6%
1950 32,3% 36,9% 12,1% - 18,7%
1954 34,5% 41,3% 11,5% - 12,7%
1958 39,2% 50,5% 7,1% - 3,2%
1962 43,3% 46,4% 6,9% - 3,4%
1966 49,5% 42,8% 7,4% - 0,3%
1970 46,1% 46.3% 5,5% - 2,1%
1975 45,1% 47,1% 6,7% - 1,1%
1980 48,4% 43,2% 4,98% 3,0% 0,4%
1985 52,1% 36,5% 6,0% 4,6% 0,8%
1990 50,0% 36,7% 5,8% 5,0% 2,5%
1995 46,0% 37,7% 4,0% 10,0% 2,3%
2000 42,8% 37,0% 9,8% 7,1% 3,3%
2005 37,1% 44,8% 6,2% 6,2% 5,7%
Erläuterungen: Hinter den relativ hohen Werten für sonstige Parteien in den ersten Jahren verbergen sich v.a. das Zentrum (1947 9,8%) und die KPD (1947 14,0%). [2]

Die Mitglieder des Landtags wurden bis 1969 auf vier, seitdem auf fünf Jahre gewählt. Bis 1966 war die CDU die dominierende Partei, ehe 1966 erstmals die SPD stärkste Fraktion war. Danach war die CDU für eine Dauer von 39 Jahren in der Opposition; zwar war sie von 1970 bis 1980 erneut stärkste Partei im Landtag, die Regierung wurde jedoch von einer Koalition aus SPD und FDP gestellt. 1980 bis 1995 regierte die SPD mit absoluter Mehrheit, was hauptsächlich dem damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau zugeschrieben wurde. Er bekleidete dieses Amt von 1978 bis 1998, womit er der am längsten amtierende Ministerpräsident eines Bundeslandes in der Geschichte der BRD ist. Nachdem die SPD 1995 die absolute Mehrheit verfehlt hatte, bildete sie eine Koalition mit den GRÜNEN, die 2000 trotz deutlicher Stimmenverluste beider Parteien im Amt bestätigt wurde.

Die Landtagswahl 2005 endete mit einem klaren Sieg der CDU, die zusammen mit der FDP die neue Regierung stellt. Die SPD ist damit das erste mal seit 1966, die Grünen das erste mal seit 1995 nicht mehr an der Regierung beteiligt. Da dieses Wahlergebnis bewirkte, dass die zu diesem Zeitpunkt regierende rot-grüne Bundesregierung über keine Sitze mehr im Bundesrat verfügte, führte dies zu einer vorzeitigen Neuwahl im Bund.

Kommunalwahlen

Die letzten Kommunalwahlen fanden am 26. September 2004 statt. Die CDU verlor ca. 7%, bleibt aber stärkste Partei im Land. Die SPD verliert erneut ca. 3%, die Grünen und die FDP gewinnen jeweils ca. 3%.

Geschichte und politische Kultur

Das Land Nordrhein-Westfalen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der britischen Besatzungsmacht vornehmlich aus Westfalen und dem nördlichen Rheinland geschaffen. Später kam noch Lippe hinzu.

Großbritannien wollte, gegen den Widerstand Frankreichs das industrielle Zentrum Westdeutschlands, das Ruhrgebiet, mit seinem westfälischen und nordrheinischen Teil in einem Bundesland zusammenfassen, um es so möglichst leistungsfähig zu erhalten.

Trotz der historisch geprägten politischen Teilkulturen kann man von einer politischen Kultur des gesamten Landes sprechen, da die wichtigsten politischen Entscheidungen auf Landesebene stattfinden und kaum z.B. in den Landschaftsverbänden oder Regierungsbezirken.

siehe auch Politische Kultur in Westfalen bis 1933

Das Land Nordrhein-Westfalen war und ist zweifellos geprägt durch die Ballungsgebiete an Rhein und Ruhr. Dort konzentriert sich die Bevölkerung und lange Zeit schlug das wirtschaftliche Herz im Ruhrgebiet. Gleichwohl machen diese Ballungsgebiete nur einen Teil des Landes aus. Hinzu kamen eine Reihe weniger konzentrierter Industrieregionen (wie die Gegend um Bielefeld, das Siegerland oder Teile des bergischen Landes). Ein großer Teil des Landes besteht dagegen aus Gebieten, die zumindest zu Beginn der Landesgeschichte noch eher ländlich und agrarisch geprägt waren und eine vergleichsweise geringe Bevölkerungsdichte aufwiesen. Dazu zählen beispielsweise Teile des Rheinlandes (wie die Eifel), das Münsterland oder das Sauerland.

Im Laufe der Entwicklung kam es dabei teilweise zu erheblichen Veränderungen. Im Ruhrgebiet ging seit den 1960er Jahren im Zuge eines kontinuierlichen Strukturwandels die Bedeutung von Kohle und Stahl immer mehr zurück. Stattdessen gewannen der Bildungs- und Dienstleistungssektor an Bedeutung. Dagegen nahm anderswo - wie etwa im Sauerland - die Bedeutung des produzierenden Sektors zu. Diese wirtschaftliche Struktur und ihre Entwicklung hatte erhebliche Auswirkungen für die politische Kultur des Landes, gleichwohl blieben erhebliche Unterschiede zwischen großstädtisch und kleinstädtisch/ländlichen Gebieten ein Charakteristikum des Landes.

Ebenso bedeutsam wie der Unterschied zwischen städtischem und ländlichen Raum war die in der Frühen Neuzeit geprägte Landkarte der Konfessionen. Ein Teil des Landes wie das ehemalige Minden-Ravensberg, Lippe, das Siegerland, das bergische Land, das märkische Sauerland und Teile des Ruhrgebiets waren protestantisch geprägt, während weite Teile des Rheinlandes, das Münster-, Sauer- oder Paderborner Land und beträchtliche Teile des späteren Ruhrgebiets blieben katholisch. Mit der Politisierung des Katholizismus im 19.Jahrhundert gewann dieser Gegensatz für die politische Kultur an Gewicht.

Es gab zwar in Rheinland und Westfalen auch liberale und konservative Traditionsstränge, aber prägend für das Land waren zum einen die sozialen Folgen der Industrialisierung und zum anderen die Folgen des Kulturkampfs. Für die politische Kultur Rheinland und Westfalens im Kaiserreich und der Weimarer Republik war daher das Nebeneinander des katholischen und sozialdemokratischen Milieus charakteristisch. Von dem letzteren spaltete sich während der Krisenjahre der Weimarer Republik das kommunistische Milieu ab.

Wenig überraschend ist, dass die katholischen ländlichen und kleinstädtischen Gebiete Rheinland und Westfalen von der Zentrumspartei dominiert wurde. Daran konnte die (überkonfessionell ausgerichtete) CDU meist nahtlos anknüpfen. So ist die Union im Münster- oder Sauerland auch nach der Jahrtausendwende die politisch führende Kraft. Ebenso wenig überrascht es, dass in einigen protestantischen Industriegebieten wie die Gegend um Bielefeld, dem Siegerland oder dem märkischen Sauerland gestützt auf ein tief verwurzeltes sozialdemokratisches Milieu lange Zeit die Sozialdemokratie dominierte.

Das (katholische) Ruhrgebiet und weite Teil des industriell geprägten Rheinlandes waren ursprünglich keineswegs eine traditionelle sozialdemokratische Hochburg. Vielmehr war auch dort vor während des Kaiserreichs meist die Zentrumspartei führend. Insbesondere der Sozialkatholizismus hatte dort eine seiner stärksten Bastionen. Bereits während der Weimarer Republik gab es im "Zentrumsturm" zwar erste Risse, gleichwohl blieb die Partei nicht selten eine führende politische Kraft. Von Ausnahmen abgesehen war daneben im Lager der Linksparteien die KPD stärker als die SPD.

Nach dem Krieg kam es zunächst in gewisser Weise auch in den Ballungsgebieten zu einer Restauration des Parteisystems der Vorkriegszeit. Zunächst war die KPD von erheblicher Bedeutung und die CDU konnte das Erbe der Zentrumspartei antreten. Für die politische Kultur des Landes insgesamt war von entscheidender Bedeutung, dass sich die alten Wählerbindungen aus verschiedenen Gründen in den Industriegebieten schneller auflösten als in anderen Teilen des Landes. Die KPD verlor als Anhängsel der SED rasch an Legitimität und wurde zudem 1956 verboten. Die CDU konnte die Arbeiterwähler im Revier auf Dauer nicht halten. Dabei spielten Säkularisierungstendenzen nur eine Rolle. Auch die Bindung der Kirche an ein politisches Lager verlor vor dem Hintergrund des Zweiten Vatikanischen Konzils an Bedeutung. So gab die katholische Kirche vor der Landtagswahl von 1966 erstmals keine Wahlempfehlung mehr zu Gunsten der CDU ab.

Ebenso wichtig waren die Folgen der beginnenden Kohlekrise. Der wirtschaftspolitische Kurs der CDU schien vor allem für die Bergleute keinen Schutz vor einer drohenden Arbeitslosigkeit zu bieten. Sowohl ehemalige KPD- wie auch CDU-Wähler gingen daher zunehmend zur SPD über. Dieser Schritt fiel insbesondere den ehemaligen Unionsanhängern auch deshalb leicht, weil die Sozialdemokratie nach dem Godesberger Programm alte ideologische Barrieren aus dem Weg geräumt hatte. Vor allem seit den 1960er Jahren wurde das Revier dann zur "Herzkammer der Sozialdemokratie" (Willy Brandt).

Erst in den späten 1990er Jahren sorgten zum einen die wirtschaftlichen Umbrüche, zum anderen die sich ändernde Programmatik der SPD für einen erneuten Wandel. Der Anteil der klassischen SPD-Klientel, gewerkschaftsorganisierte Arbeiter, ging in der nordrhein-westfälischen Bevölkerung stark zurück. Ebenso konnten sich diese Wähler in der geänderten Parteiprogrammatik weniger gut wieder finden. Die Ergebnisse bei Landtagswahlen gingen seit 1990 kontinuierlich zurück, bei den Kommunalwahlen 1999 gelang es der CDU selbst in großen Ruhrgebietsstädten Wahlen zu gewinnen. Obwohl dabei auch eine gesellschaftspolitisch offenere Haltung der CDU gegenüber der städtischen Bevölkerung beitrug (u. a. fordert sie im Landtagswahlkampf 2005 Islamunterricht und Ganztagsschulen), war dafür vor allem die stark sinkende Wahlbeteiligung ausschlaggebend. Vor allem SPD-Stammwähler verweigerten die Wahlteilnahme.

Diese langfristige Entwicklung prägte auch die Regierungsbildung im Lande. Ab 1958 waren die kleineren Parteien (KPD und Zentrum) nicht mehr im Landtag vertreten: die Volkspartei gewannen bis zu 90% der Stimmen, bei klarer Überlegenheit der CDU. Nachdem diese von 1947 bis 1950 noch eine Allparteienregierung (bis 1948 sogar zusammen mit der KPD) führte, war sie ab 1950 klar bestimmende Partei; sei es in einer Alleinregierung in einer Koalition mit dem Zentrum oder mit der FDP.

Nach einem kurzen sozialliberalen Zwischenspiel von 1956-1958 erfolgte die vorerst wichtigste Zäsur in der Landespolitik bei der Landtagswahl von 1966. Die SPD errang die relative Mehrheit und koalierte schließlich mit der FDP. Seitdem blieb die SPD größte Regierungspartei, musste 1970 und 1975 die relative Mehrheit aber wieder an die CDU abgeben. Seit 1980 war Nordrhein-Westfalens ein sicheres SPD-Stammland, erst Anfang des 21. Jahrhunderts sollte diese Position wieder in Gefahr geraten. Die Landtagswahl 2005 endete mit einer klaren SPD-Niederlage.

Nach wie vor haben es die kleinen Parteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums schwer. So gehört NRW zu den Bundesländern, in denen die NPD regelmäßig unter der Marke von einem Prozent blieb.

Stellung in Deutschland

Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland und nimmt dementsprechend im föderalen System der Republik eine wichtige Stellung ein. Im Land leben etwa 22 Prozent aller bundesdeutschen Wahlberechtigten, in der Bundesrepublik vor 1990 waren es sogar 30 Prozent. Im Bundesrat hat Nordrhein-Westfalen sechs Stimmen und ist damit im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße unterrepräsentiert. Im aktuellen Bundestag sind 135 der 601 Abgeordneten für das Land gewählt (gut 22%). Aufgrund seiner Größe und der damit verbundenen Mitgliederstärke der regionalen Parteigliederungen nehmen Politiker aus Nordrhein-Westfalen traditionell wichtige Plätze in ihren Parteien ein. Zurzeit stammen in den großen Parteien zwei Parteivorsitzende (Franz Müntefering, (SPD), Guido Westerwelle, (FDP)), sowie ein Stellvertretender Vorsitzender (Jürgen Rüttgers, CDU) aus Nordrhein-Westfalen. In der SPD kommen mit Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zwei stellvertretende Vorsitzende aus Nordrhein-Westfalen.

Besonders in den frühen Jahren der Bundesrepublik versuchte die Bundespolitik auch Einfluss auf die Politik im Land zu nehmen. Konrad Adenauer verhinderte 1950 eine vom CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold angestrebte Große Koalition, da Adenauer eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Bund und Bundesland für nötig hielt. 1966 bildete die neu formierte SPD-FDP-Koalition den Vorreiter für die 1969 etablierte Sozialliberale Koalition im Bund, ab 1995 war die Rot-Grüne Koalition im Land Testlauf für die spätere gleiche Koalition im Bund. Nach der klar verlorenen Landtagswahl 2005 kündigten der damalige SPD-Parteivorsitzdende Franz Müntefering und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (auch SPD) an, den Bundestag auflösen zu wollen und für den Herbst 2005 Neuwahlen zum Bundestag einzuberufen.

Siehe auch

Quellen

  1. vergl. Andreas Kost. Nordrhein-Westfalen. Vom Land aus der Retorte zum "Wir-Gefühl." In: Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Die Deutschen Länder. Geschichte, Politik, Wirtschaft. 3.akt.Aufl. Wiesbaden, 2004. S.206f.
  2. Detlef Briesen u.a.: Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens. Köln, 1995. S.287, Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung NRW: Die Gemeinden Nordrhein-Westfalens 2005. Düsseldorf, 2005. (CD-Rom Ausg.)

Literatur

  • Uwe Andersen (Hrsg.): Kommunale Selbstverwaltung und Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen, 1987, Köln u.a.
  • Christian Dästner: Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Kommentar., 1996, Köln.
  • Johannes Dietlein: Die Verfassungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 25 Jahren. In: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge / Bd. 51, 2003, S. 343-384.
  • Michael Giese: Politische Steuerung von Standortpolitik und Verwaltungsreform in NRW. INEF-Report Nr. 60, 2002 Duisburg.
  • Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Nordrhein-Westfalen - eine politische Landeskunde.; 1984, Köln.
  • Landtag Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Der Kraftakt: Kommunale Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf, 2005 (Schriften des Landtages Nordrhein-Westfalen; 16).
  • Mensch und Staat in NRW, 1971, ISBN 3774502315 (Autor nicht bekannt)
  • NRW-Lexikon - Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Recht, Kultur; 1990, Opladen.
  • Wichard Woyke: Nordrhein-Westfalen und die Europäische Gemeinschaft; 1990, Opladen.

Weblinks


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