Geschichte der Physik

Geschichte der Physik
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Galileo Galilei

Die Geschichte der Physik beginnt in der Antike und schreitet in mehreren Etappen von Wissenszuwächsen und methodischen Fortschritten fort, bis im 14. Jh. beginnende Verselbständigungstendenzen im 16. Jahrhundert zu einer methodischen und disziplinären Eigenständigkeit führen, die dem modernen Verständnis schon sehr nahe kommt. Der antiken Trennung der Natur in die Welt über und unter dem Mond spiegelt sich wider in der Zuständigkeitsaufteilung der Fallgesetze Galileo Galileis für erstere, der Planetengesetze Johannes Keplers für letztere, bis Isaac Newtons Mechanik beide Bereiche einheitlich beschreibt. Im 17. Jahrhundert entsteht die moderne Optik, im 18. Jh. die Elektrizitätslehre und die Lehre von den Flüssigkeiten und Gasen. Im 19. Jh. werden die Lehre vom Elektromagnetismus und die Wärmelehre entwickelt, im 20. Jahrhundert die Lehre vom Aufbau des Kosmos, der Materie, der Atome, Atomkerne und Elementarteilchen. Dabei wird zunächst die Quantentheorie beschrieben, während die Maxwellsche Elektrodynamik in die spezielle Relativitätstheorie übergeht, um schließlich beide in einer relativistischen Quantenelektrodynamik und Quantenfeldtheorie zu vereinen.

Inhaltsverzeichnis

Physik der Babylonier

Babylonier haben bereits erste Beobachtungen der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Fixsterne durchgeführt. Mit diesen Erkenntnissen bestimmten sie die Zeitdauer eines Monats und eines Jahres und legten den Beginn der Jahreszeiten fest. Die genaue Beobachtung der Fixsterne erlaubte ihnen die Orientierung in unwegsamem Gelände. Durch langjährige Beobachtungen konnten sie auch Mondfinsternisse vorhersagen.

Konzeptionen der Physik in der griechischen Antike

Die griechische antike Physik sammelt, teilweise in Abhängigkeit von mesopotamischen und ägyptischen Kenntnissen, diverses Einzelwissen und sucht grundlegende Erklärungen, insbesondere nicht selbst dem Wandel unterliegende Erklärungsprinzipien und mathematisiert teilweise bereits einzelne Sachverhaltsbeschreibungen, kommt aber nicht der erst in der Neuzeit begründeten modernen experimentellen Methodologie nahe. Wissen über die frühesten physikalischen Kenntnisse ist aus Texten ab dem 5. Jh. v. Chr. erhalten sowie in Darstellungen von Aristoteles, Theophrastos, Euklid, Archimedes, Heron, Ptolemaios und Plinius dem Älteren.[1] Die ionische materialistische Naturphilosophie eines Thales, Anaximander, Anaximenes, Heraklit erwirbt Kenntnisse über Naturphänomene wie Ab- und Zunahme der Luftdichte, den Aufstieg warmer Luft, magnetische Anziehung und Bernsteinreibung.[2]

Empedokles begründet die langezeit maßgebliche Lehre von vier Elementen, Leukippos und Demokrit führen die von Epikur weiterverfolgte Atomhypothese ein: alles besteht aus kleinsten Teilchen, die selbst nicht teilbar oder intrinsisch wandelbar sind und deren Zusammensetzung den Wandel der Phänomene erklärt.

Die Pythagoreer lehren dagegen keinen derartigen Materialismus, sondern verstehen die Zahlen als ontologische Prinzipien; sie begründen eine mathematische Harmonielehre und begründen die Optik als Lehre vom Sehvorgang. Mit den in der Legende von Pythagoras in der Schmiede beschriebenen Zahlenverhältnissen von Wohlklängen und unabhängig von der Frage, welche Untersuchungen tatsächlich zur Erlangung der Erkenntnisse beigetragen haben, handelt es sich bei der Formulierung dieser Zahlenverhältnisse um das erste konkret und quantitativ beschriebene Naturgesetz.[3]

Auch Platon nimmt immaterielle Urbilder an, an welchen die vielfältigen apparenten Objekte teilhaben und versucht, damit Bewegung und Gravitation zu erklären; im Timaios entwickelt er Ansätze einer Kosmologie.

Der Platon-Schüler Aristoteles (um 350 v. Chr.) bestimmt die Physik als eine von drei theoretischen Disziplinen (neben Metaphysik und Mathematik). Diesen drei theoretischen stehen die handwerklich hervorbringenden Techniken sowie die praktisch-ethischen Disziplinen gegenüber. Nach seiner Ontologie ist die Identität und der Wandel der Objekte durch das Arrangement zweier Grundprinzipien erklärbar, Form und Materie. Er nimmt vier Ursachen an, unter welchen die Bewegungsursache nur eine ist (neben Ziel, Form und Materie). Seine Bewegungslehre aber ist eine Vorform der klassischen Dynamik. Auch sonst beschreibt er Naturphänomene eher materialistisch. Aristoteles hat diverse physikalische und sonstige naturwissenschaftliche Studien betrieben und in Werken oder Vortragsnotizen u. a. über die Physik, den Himmel, die Meteorologie, Entstehen und Vergehen, Fragen der Mechanik zusammengestellt.

Im Hellenismus (ca. 300 v. - 150 n.) wird das Museion von Alexandreia eine Art "erste() staatl(iche) Forschungsstätte"[2]. Euklid hat nicht nur eine axiomatische Begründung der Geometrie vorgelegt, sondern nach diesem methodischen Ideal auch die Optik entwickelt und insbesondere die Spiegelung mathematisch behandelt. Auch Ptolemaios folgt diesem mathematischen Methodenideal und misst u. a. die Refraktion durch Experimente. Auch Archimedes hat mathematische Studien betrieben. Andererseits besteht ein ausgeprägtes Anwendungsinteresse, das Erfinder wie Ktesibios, Philon oder Heron (der das Reflexionsgesetz beweist) prägt, welche hydraulische, pneumatische und mechanische Phänomene nützen[4], aber auch wiederum Archimedes, der um ca. 250 v. Chr. den Auftrieb und die Hebelgesetze beschrieb. Er bestimmte den Schwerpunkt von Flächen und Körpern und mathematisiert nach dem Vorbild des Euklid Statik und Hydrostatik. Ab dem 2. Jh. bis Ende des 6. Jh. werden kaum noch neue Erkenntnisse gewonnen, aber die bisherigen zusammengestellt, etwa im Werk über die Mechanik des Papos und bei den naturwissenschaftlich interessierten Autoren Lukrez, Plinius d. Ä. und Vitruv.[5] Eine Ausnahme ist Johannes Philoponus, der im 6. Jh. die aristotelische Bewegungslehre kritisiert und eine Impetustheorie vorschlägt.[6]

Die Stoa gliedert die Wissenschaften dreiteilig in Ethik, Physik und Logik, wobei die Physik auch die Theologie umfasst, da auch die Götter als Wirkkräfte verstanden werden.

Mittelalter und Frühe Neuzeit

Diverse antike und frühmittelalterliche Kompendien überliefern die physikalischen Kenntnisse der antiken Wissenschaftler.

Im arabischen Kulturraum sind u. a. die Zusammenstellungen und Kommentierungen von Avicenna und Averroes wichtig, die auch für die im 12. und 13. Jh. erfolgende Rezeption antiken Wissens im lateinischen Westen bedeutsam werden.

Insgesamt hat sich das bei Aristoteles stark ausgeprägte Interesse an einer Ausweitung physikalischer Einzelerkenntnise und ihrer zusammenfassenden Systematisierung im lateinischen Westen über längere Zeit hin verloren. Stattdessen überwiegt ein Interesse an der Natur als Zeichen für den göttlichen Willen, wie dies schon die Bibelauslegung des Augustinus kennzeichnete.[7] Augustinus übernimmt die stoische Dreigliederung der Wissenschaften. Diese Kategorisierung überlagert sich in der Folge mit jener des Aristoteles.

Ein Interesse an der Natur im Sinne empirischer Erklärungssuche wird Anfang des 12. Jh. rudimentär greifbar, etwa bei Adelard von Bath, der die Natur nicht mehr als "Buch" göttlicher Zeichen versteht, sondern in seinen Quaestiones naturales biologische, physiologische, kosmologische und klimatologische Phänomene beschreibt und sich nicht auf Buchwissen, sondern Beobachtung, experimentum, stützt, ohne dies freilich methodologisch auszuarbeiten.[8]

Dieses theoretisch motivierte Interesse[9], das sich an der Methodik des Boethius orientiert und v. a. kosmologische Fragen betrifft, bedingt eine Faszination für die naturphilosophische und naturwissenschaftliche Überlieferung, die, vermittelt v. a. über arabische Schriften, von Theoretikern u. a. der sogenannten Schule von Chartres erschlossen werden, darunter insbesondere der Timaios von Platon. Mit Bernhard von Chartres' Glosae super Platonem findet der Timaios bis Abschnitt 53c Eingang in den Kathedralschulunterricht. Wilhelm von Conches versteht, ähnlich wie Thierry von Chartres, der auch die Weltentstehung physikalisch beschreiben will, im Sinne der Einteilung des Aristoteles die Physik als Teil der theoretischen Philosophie, wobei nach Thierry die natürlichen Gegenstände gemäß dem Verstand (ratio), die göttlichen gemäß der Vernunft (intellectus) und die mathematischen "disciplinaliter" zu behandeln sind. Gegenstand der Physik sind die körperlichen Substanzen, deren Bewegung und Verbindung, insb. die vier Elemente, die Erschaffung der Lebewesen und der materia prima und die Ursachen der Veränderung[10].

Mitte des 13. Jh. werden die empirisch-naturwissenschaftlichen Interessen im Zuge der stärkeren Rezeption aristotelischer Schriften bestärkt. Dessen Physik wird, wie auch kleinere Schriften, im 12. Jh. in lateinischer Wiedergabe bekannt (Translatio vaticana und Transl. vetus), Mitte des Jh. in der sogenannten Schule von Salerno in Medizinkommentaren verwendet, welche die scientia physica theoretisch zu begründen versuchen.[11] Im 13. Jh. werden die aristotelischen Schriften dann in der Wiedergabe durch Wilhelm von Moerbeke ("Physica nova") verwendbar. Pariser Magister der artes liberales versuchen sich zu Anfang des 13. Jh. an Auslegungen, die 1210, 1215 und 1231 zu Lehrverboten der libri naturales führen. Betroffen ist etwa David von Dinant, welcher die hyle mit Gott identifiziert.[12] Erst 1255 wird die aristotelische Philosophie in Paris offiziell erlaubt. In Oxford dagegen gab es keine derartigen Verbote. Hier werden auch die Paraphrasen und Kommentare von Avicenna und Averroes verwendet, ab Anfang der 1270er Jahre auch die griechischen Kommentare von Alexander von Aphrodisias, Themistius, Simplikios und Johannes Philoponus[13].

Teilweise parallel, teilweise noch bevor Albertus Magnus in Köln sein umfängliches, durch Kommentare des Gesamtwerks fundiertes Projekt realisiert, die Dominikanerausbildung auf eine Durchdringung des aristotelischen Werkcorpus zu gründen, legen Magister in Paris und Oxford ihre Kommentare vor, darunter Roger Bacon, Adam von Bocfeld, Gottfried von Aspal, Boetius von Dacien, Siger von Brabant.[14] Die "Physik" im Sinne Alberts ist, ähnlich wie bei den vorbenannte, auf materielle Körper und deren Bewegung bezogen und schließt sämtliche Naturwissenschaften ein, darunter die Bewegungslehre, die Biologie und die Psychologie, insoweit sie die Verbindung zum Körper betrifft. Die Stoffgliederung folgt den Typen bewegbarer Körper[15] - ganz ähnlich wie bei Alberts wirkungsgeschichtlich bedeutsamem Schüler Thomas von Aquin, wobei der unbewegte Beweger beispielsweise nur hinsichtlich seiner Ursächlichkeit behandelt wird - ansonsten aber in der Metaphysik[16].

Robert Grosseteste entwickelt im Anschluss an die platonische geometrische Weltbetrachtung eine Lichttheorie, welche die quantitative, qualitative, räumliche und substantielle Bewegung auf Lichtgesetze zu reduzieren versucht (De motu corporali et luce und De lineis). Damit wird die Optik (bei Robert scientia perspectiva) eine "Modellwissenschaft"[17]. Auch Roger Bacon will alle Naturkausalität als Wirkung energetischer Strahlung erklären.[18] Witelo gibt der Optik einen ähnlich zentralen Rang in seiner Übertragung und Erklärung der Perspectiva von Ibn al-Haitam.[19] Die ähnlich angelegte Perspectiva communis Johannes Peckhams wird noch von Lorenzo Ghiberti und Leonardo da Vinci verwendet.[20]

Mit diesen Neuerungen kann die klassische, weisheitlich orientierte Wissenschaftssystematik kaum Schritt halten, was sich an behelfsweisen Stoffsystematiken etwa bei Dominicus Gundissalinus belegen lässt. Konservative Theologen wie Bonaventura und teils auch Thomas wenden sich gegen die Pariser Averroisten, vornehmlich Siger von Brabant und Boetius von Dacien (v. a. aber auch wegen deren theologische Lehren), die 1270 und 1277 verurteilt werden. Ein Duns Scotus muss sich um 1300 gegen eine philosophische Mehrheitsmeinung stellen, welche an der Selbständigkeit von Philosophie, Natur und damit auch Naturerkenntnis gegenüber der Theologie besteht. Gleichzeitig kritisiert er, wie andere Zeitgenossen, einen buchstabengläubigen Aristotelismus und ermöglicht damit indirekt als "entfernte Möglichkeit", im Anschluss an die "empirischen Verfahren" des Aristoteles, "auch eine neue Wissenschaft von der Natur zu entwickeln".[21] Die nachfolgende Generation von Aristoteleskommentaren, aus welchen Heinrich von Ghent und Aegidius Romanus hervortreten, ist weniger buchstabenorientiert als etwa die thomasische. Aegidius erklärt grundlegende Begriffe wie Ort und Zeit, Materie und Unendlichkeit und führt eine quantitative Begrifflichkeit ein, die "dem modernen Massebegriff nahe kommt"[22].

Wilhelm von Ockham bezieht die Physik auf die sinnlich wahrnehmbaren Substanzen, die aber nicht Gegenstand strenger syllogistischer Wissenschaft sein könnten.[23] Allgemeinbegriffe sind für ihn in antirealistischem Sinn nur Worte ohne direkten Sachbezug, darunter auch der Begriff der Bewegung, der "das jeweilige notwendig nacheinander eingenommene "ubi" [Wo] des "mobile" [Bewegbaren] bezeichnet"[24]. Walter Burley dagegen verteidigt einen Realismus.

Kurz vor Mitte des 14. Jahrhunderts arbeitet Nikolaus von Autrecourt eine scharfe Kritik am Wissenschaftsstatus metaphysischer Ansprüche auf Erkenntnis und Disziplinprimat aus. Parallel erfordert und ermöglicht die merkantile und technische Entwicklung des 14. Jh. eine Quantifizierung der Natur und eine Kritik der aristotelischen Bewegungslehre, d. h. allgemein der Verursachungslehre. Dem widmen sich etwa Franciscus de Marchie († 1320) und Johannes Buridan († 1358), der Begründer der sog. Impetustheorie, den Pierre Duhem einen "Vorläufer Galileis" nennt.[25] Diese Theorie bleibt langezeit maßgeblich, bis sie durch die Trägheitstheorie abgelöst wird. Nikolaus von Oresme, Albert von Rickmersdorf und Marsilius von Inghen entwickeln sie weiter, nur in Oxford begegnet man ihnen mit Zurückhaltung (Thomas Bradwardine) oder Ablehnung (Richard Swineshead).[26] Die beiden letztgenannten gehören mit Johannes Dumbleton und William Heytesbury zu den sog. "Oxford Calculators" am Merton College, die eine allgemeine Mathematisierung der Naturbeschreibung versuchen.

Nikolaus von Oresme († 1382) nimmt auch sonst viele Anregungen Buridans auf und entwickelt sie z. B. unter Berufung auf das Prinzip der Denkökonomie zu der These weiter, dass die Annahme der Erdrotation ebenso durchführbar ist wie die überkommene Vorstellung einer Rotation der Sonne um die Erde. Ebenso wird die aristotelische Zweiteilung der Physik in eine Welt über und unter dem Mond von ihm überwunden, die Relativität aller Bewegungszuschreibungen erkannt und ein Koordinatensystem eingeführt, das quantitativ genaue Beschreibungen qualitativer Veränderungen erlaubt.[27] Im Gefolge dieser Ansätze steht zu Anfang des 15. Jh. z. B. Biagio Pelacani da Parma († 1416)[28], zur Mitte des 15. Jh. beispielsweise Nikolaus von Kues, dessen Versuche mit der Waage quantitative Verfahren für die Medizin beschreiben und als exemplarisch für die Interessen der Frührenaissance gelten können. Cusanus, der in Kontakt mit zahlreichen Renaissancegelehrten stand, hält aber zugleich an der platonischen, bei den Chartrensern belegten Vorstellung fest, dass die gesamt Welt als Spur und Ausfaltung Gottes zu verstehen ist. Cusanus versucht also eine Vermittlung spätmittelalterlicher und neuzeitlicher Wissensbegriffe auch im Kontext der mathematischen und physikalischen Wissenschaftstheorie.

Unter den Naturforschern der Renaissance hat sich der wohl bekannteste unter ihnen, Leonardo da Vinci († 1519), aus v. a. praktischen Motiven für eine Mathematisierung der Optik, Wasserbewegungen, Kraftübertragung und Vogelflug interessiert.

Mit den Entdeckungen von Nikolaus Kopernikus in seinem Buch De Revolutionibus Orbium Coelestium von 1543, aber auch mit dem von Giovanni Battista Benedetti 1554 in seinem Werk Demonstratio proportionum motuum localium contra Aristotilem et omnes philosophos beschriebenen Gedankenexperiment, in dem er die falsche Hypothese des Aristoteles widerlegt, dass verschieden schwere Körper verschieden schnell fallen, und besonders mit den sorgfältigen Himmelsbeobachtungen von Tycho Brahe in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beginnt das tradierte Weltbild zu wanken.

Eine Methodologie der physikalischen Erkenntnis, die modernen Kriterien an mathematisch exakte und experimentelle Standards nahe kommt, haben allerdings erst Galileo Galilei, René Descartes und schließlich Isaac Newton entwickelt. Damit etabliert sich die Physik endgültig als eigenständige Disziplin hinsichtlich ihrer Methode, ihres Gegenstandsbereichs, ihrer wissenschaftssystematischen und institutionellen Verortung. Diese neue Methodik teilt die Physik im Wesentlichen in theoretische Physik und Experimentalphysik auf. Die theoretische Physik beschäftigt sich vorwiegend mit formellen Beschreibungen und den Naturgesetzen. Sie abstrahiert Vorgänge und Erscheinungen in der wirklichen Natur in Form eines Systems von Modellen, allgemeingültigen Theorien und Naturgesetzen sowie intuitiv gewählter Hypothesen. Bei der Formulierung von Theorien und Gesetzen bedient sie sich vielfach der Methoden der Mathematik und der Logik. Ziel dieser Betrachtung ist die Vorhersage des Verhaltens eines Systems sowie die experimentelle Prüfung der Gültigkeit und Vorhersagekraft der gewählten Hypothesen durch Vergleich des vorhergesagten Verhaltens mit den Vorgängen und Erscheinungen in der wirklichen Natur. Diese Überprüfung in Form reproduzierbarer Messungen oder durch Beobachtung natürlicher Phänomene macht das Teilgebiet der Experimentalphysik aus.

Entstehung der klassischen Mechanik im 18. Jahrhundert

Leonhard Euler (1707–1783)

Die von Newton und Leibnitz begründete Infinitesimalrechnung blühte im 18 Jahrhundert auf, immer mehr Mathematiker wanden sich ihr zu und entwickelten sie weiter. Die Anwendung der Differentialrechnung auf die Bewegung der Körper wurde später als Klassische Mechanik bezeichnet. Diese entwickelte sich aus der Himmelsmechanik, wurde aber auch für die Beschreibung von Vorgängen in Flüssigkeiten herangezogen. Das geschah etwa durch Daniel Bernoulli in seiner 1738 veröffentlichten Hydrodynamica, die die Hydrodynamik begründete.[29]

Basierend auf den Newtonschen Gesetzen wurde in der Ära der klassischen Mechanik der mathematische Apparat zur Beschreibung von Bewegungen entwickelt. Der Schwerpunkt lag dabei auf der verbesserten Handhabung komplexer Berechnungen und im Aufstellen von Näherungsverfahren wie der Approximation. Johann Baptiste Horvath veröffentlichte ein repräsentatives Lehrbuch hierzu. Ende des 18. Jahrhunderts konnte mathematisch die Stabilität des Sonnensystems beschrieben werden, ohne dass Bezug auf das Wirken himmlischer oder göttlicher Kräfte nötig war. Andere einfach aussehende Konstellationen wie das Dreikörperproblem blieben allerdings unlösbar.[30]

Im Laufe des 18. Jahrhunderts verloren britische Mathematiker wie Brook Taylor and Colin Maclaurin ihre Vorreiterpostition an Kontinentaleuropa. Dortige Akademien erlebten ihre Blütezeit, angeführt von Mathematikern wie Daniel Bernoulli, Leonhard Euler, Joseph-Louis Lagrange, Pierre-Simon Laplace und Adrien-Marie Legendre. Zum Ende dieses Jahrhunderts dominierten die Mitglieder der Französischen Akademie der Wissenschaften das Fachgebiet.[31][32][33][34]

Die Entwicklung zur klassischen Elektrodynamik im 19. Jahrhundert

Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten Thomas Young und Augustin Jean Fresnel das Interferenzprinzip beim Licht. Das verhalf der Wellentheorie des Lichts, erstmals vertreten durch Christiaan Huygens, zum Durchbruch. Young konnte aufgrund seiner Erkenntnisse die Wellenlängen des Lichts verschiedener Farben berechnen, und Fresnel die Beugungsmuster von Licht an verschiedenen Hindernissen und Öffnungen. Beide stelllten sich Lichtwellen als Longitudinalwellen vor, was die Polarisation des Lichts, die verschiedene Reflexion unterschiedlich linear polarisierter Lichtstrahlen und die Doppelbrechung nicht erklären konnte. Young erklärte diese Vorgänge durch die Beschreibung des Lichts als transversale Ätherwelle. 1849 bestimmte Hippolyte Fizeau einen Wert für die Lichtgeschwindigkeit. James Clerk Maxwell faßte das empirische Wissen über Licht und elektromagnetische Wellen zu einem Satz Gleichungen zusammen: die Maxwell-Gleichungen. Diese bildeten die Grundlage für das Gebiet der klassischen Elektrodynamik. Man ging fest davon aus, dass die Lichtwellen ein Medium für ihre Ausbreitung benötigen, den Äther.[35]

Aufbruch in die moderne Physik: Spezielle Relativitätstheorie

Das Michelson-Morley-Experiment zeigte, dass sich die Erde relativ zum angenommenen Lichtäther nicht bewegte. Das führte zu nicht erklärbaren Effekten, wie die Aberration in der Astronomie. Henri Poincaré deutete diese Erkenntnis als Hinweis darauf, dass der Äther als Medium des Lichts nicht existiert. Albert Einstein stellte 1905 die Spezielle Relativitätstheorie vor, die ohne die Ätherhypothese auskommt. Elektromagnetische Wellen wie das Licht werden seitdem als sich selbst erhaltende Wellen verstanden, als eine Eigenschaft des elektromagnetischen Feldes.

Die Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit weder von der Geschwindigkeit der Lichtquelle noch von der Geschwindigkeit des Beobachters abhängt, sondern konstant ist, ist die entscheidende Grundlage der speziellen Relativitätstheorie und führt zu Folgerungen, die die Physik des beginnenden 20. Jahrhunderts revolutionierten.

Anfänge der Quantentheorie

Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurden weitere Unzulänglichkeiten der klassischen Musik offensichtlich. Bei der Erklärung der Strahlung des schwarzen Körpers zeigte sich, dass das Rayleigh-Jeans-Gesetz für hohe Frequenzen der elektromnagnetischen Wellen versagt, da es mit der Frequenz ansteigende Strahlungsintensitäten voraussagt. Das führt dazu, dass ein Hohlraum mit einer Temperatur über dem absoluten Nullpunkt einen unendlich hohen Energieinhalt an elektromagnetischen Wellen enthalten müßte. Beobachtet wurde aber bei hohen Frequenzen ein Zurückgehen der Strahlungsintensität mit steigender Frequenz, experimentell beschrieben durch das Wiensche Strahlungsgesetz.

Max Planck stellte das Plancksche Strahlungsgesetz auf, das die Frequenzverteilung sowohl für niedrige als auch für hohe Frequenzen richtig beschreibt. Er erklärte es mit der Annahme, dass elektromagnetische Wellen nur in Energiebeträgen emittiert und absorbiert werden, die ein ganzzahliges Vielfaches einer frequenzabhängigen Energie betragen: \Delta E = n \cdot h \nu. Dabei ist n eine ganze Zahl, h eine neue Naturkonstante, das Plancksche Wirkungsquantum, und f die Frequenz der emittierten oder absorbierten Lichtwelle.

Siehe auch

Literatur

Bibliographien

  • Roderick W. Home: The history of classical physics. A selected, annotated bibliography, New York, Garland 1984.
  • Stephen G. Brush, Lanfranco Belloni: The history of modern physics. An international bibliography, New York, Garland 1983.

Überblicksdarstellungen und Handbücher

  • Armin Hermann: Wie die Wissenschaft ihre Unschuld verlor. Macht und Mißbrauch der Forscher. DVA, Stuttgart, 1982, 272 Seiten, ISBN 3548342043
  • Gerald Holton, Stephen G. Brush: Physics, the Human Adventure: From Copernicus to Newton and Beyond, Rutgers University Press 2001
  • Friedrich Hund: Geschichte der physikalischen Begriffe, 1968, 2. Aufl. (2 Bände), Mannheim, BI 1978 (Band 1: Die Entstehung des mechanischen Naturbildes, Band 2: Die Wege zum heutigen Naturbild), Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996, ISBN 3-8274-0083-X
  • Friedrich Hund: Grundbegriffe der Physik, Mannheim, BI 1969, 2. Auflage 1979
  • Robert Locqueneux: Kurze Geschichte der Physik, Stuttgart 1989.
  • Klaus Mainzer: Art. Physik, in: HWPh 7, 937-947
  • Wolfgang Schreier (Hrsg.): Geschichte der Physik, Berlin u. a. 3. A. 2002.
  • Emilio Segrè Die großen Physiker und ihre Entdeckungen, Piper Verlag, 2 Bände, 1986
  • Károly Simonyi: Kulturgeschichte der Physik. Harri Deutsch, Thun, Frankfurt a. M. 1995 (übersetzt von Akademiai Kiado), ISBN 3-8171-1379-X.Populäre, bebilderte Darstellung
  • Roger G. Newton: From Clockwork to Crapshoot: A History of Physics, Belknap 2007.
  • Albert Einstein und Leopold Infeld: Die Evolution der Physik, Rowohlt Tb, 1995. ISBN 3499183420

→ siehe auch Geschichte der Naturwissenschaften

Lexika

  • Charles Coulston Gillispie (Hg.): Dictionary of Scientific Biography, 16 Bde., New York 1970-80.
  • Armin Hermann (Herausgeber): Lexikon Geschichte der Physik A-Z, Köln 3. A. 1987.
  • J.C. Poggendorff: Biographisch-literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften. Datenbank, hg. Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Verlag Wiley-VCH, Weinheim 2000.

Mittelalter

  • A. C. Crombie: Augustine to Galileo: The History of Science A.D. 400 - 1650, Penguin 1969, ISBN 0-14-055074-7.
  • S. Donati / Andreas Speer: Physik und Naturphilosophie, in: Lexikon des Mittelalters, J. B. Metzler 2000, Bd. 6, 2111-2117.
  • Edward Grant: Physical Science in the Middle Ages, Wiley History of Science Series, New York/London: John Wiley 1971.
  • Edward Grant: The Foundations of Modern Science in the Middle Ages: Their Religious, Institutional and Intellectual Contexts. Cambridge: Cambridge Univ. Pr., 1996. ISBN 0-521-56762-9
  • Edward Grant (Hg.): A Sourcebook in Medieval Science. Cambridge: Harvard Univ. Pr. 1974. ISBN 0-674-82360-5
  • Toby E. Huff: The Rise of Early Modern Science: Islam, China, and the West, Cambridge University Press, 2003. ISBN 0-521-52994-8.
  • David C. Lindberg: The Beginnings of Western Science. Chicago: University of Chicago Press 1992. ISBN 0-226-48230-8.
  • David C. Lindberg (Hg.): Science in the Middle Ages. Chicago: Univ. of Chicago Pr. 1976. ISBN 0-226-48233-2
  • M. H. Shank (Hg.): The Scientific Enterprise in Antiquity and the Middle Ages. Chicago: Univ. of Chicago Pr., 2000. ISBN 0-226-74951-7
  • J. Thijssen: Die Stellung der scholastischen Naturphilosophie in der Geschichte der Physik: Herbst des Mittelalters oder Frühling der Neuzeit? in: Jan A. Aertsen / Martin Pickavé (Hgg.): Herbst des Mittelalters? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts, De Gruyter 2004, 512ff.

Spezielle Themen

Impetustheorie
  • Enrico Giannetto: The impetus theory: Between history of physics and science education, in: Science & Education 2/3 (1993), 227-238.
Quantentheorie
  • Jagdish Mehra, Helmut Rechenberg: The historical development of Quantum Theory, 6 Bände, Springer Verlag, New York 1982-2002.
  • Bartel Leendert van der Waerden (Hg.): Sources of Quantum Mechanics, North Holland 1967, Dover / Amsterdam 1968.
  • Friedrich Hund: Geschichte der Quantentheorie, 1967, 2. Aufl., Mannheim, BI 1975, 3. Auflage 1984

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Schreier: Art. Physik, in: Johannes Irmscher, Renate Johne (Hg.): Lexikon der Antike, Leipzig: Bibliographisches Institut 10. A. 1990, 451
  2. a b Schreier 1990, 451
  3. Károly Simonyi: "Kulturgeschichte der Physik", Kapitel "Mystik und Mathematik: Pythagoras", Seiten 61 bis 66, Verlag Harri Deutsch, Thun / Frankfurt am Main 1990
  4. Schreier, l.c.
  5. Schreier, l.c.
  6. Vgl. dazu Eintrag, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)Vorlage:SEP/Wartung/Parameter 1 und weder Parameter 2 noch Parameter 3
  7. Vgl. De genesis ad litteram, De Civitatei Dei 21, 8; Donati/Speer.
  8. Donati/Speer mit Verweis auf Quaest. nat. 6 und 22
  9. So jedenfalls Donati/Speer
  10. Donati/Speer mit Verweis auf Wilhelms Glossae in Timaeum 6 und Thierrys Lectiones 2, Commentum 2,1 und In Hexaemeron
  11. n. Donati/Speer
  12. n. Donati/Speer
  13. Donati/Speer
  14. n. Donati/Speer
  15. Donati/Speer mit Verweis auf Albert, Phys. Buch 1, Traktat 1, Kapitel 4
  16. vgl. Donati/Speer mit Verweis auf Thomas, In 1 Phys., lect. 1,3; In 2 Phys., l. 4, 175 und In Boethii De Trin., qu. 4 art. 2 ad 3
  17. Donati/Speer
  18. Opus maius, Teil 4, n. Donati/Speer
  19. n. Donati/Speer
  20. Donati/Speer
  21. Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart: Reclam 2000, 539
  22. Donati/Speer
  23. n. Donati/Speer mit Verweis auf In Phys., prol. und In Sent. 1, d. 2, q. 4
  24. Donati/Speer, die hier In 3 Phys. c. 2 zitieren
  25. hier n. Flasch, l.c., 543
  26. Donati/Speer
  27. Vgl. Flasch, 545
  28. Vgl. zu ihm Flasch, 569-572
  29. Darrigol, Olivier: Worlds of Flow: A History of Hydrodynamics from the Bernoullis to Prandtl. Oxford University Press, New York 2005, ISBN 0198568436
  30. Bos, Henk: Mathematics and Rational Mechanics In: Rousseau, G.S.: The Ferment of Knowledge: Studies in the Historiography of Eighteenth Century Science. Cambridge University Press, 1980
  31. Greenberg, John: Mathematical Physics in Eighteenth-Century France. In Isis, vol. 77, 1986, S. 59-78, doi=10.1086/354039
  32. Guicciardini, Niccolò: The Development of Newtonian Calculus in Britain, 1700–1800. Cambridge University Press, New York 1989
  33. Guicciardini, Niccolò: Reading the Principia: The Debate on Newton’s Methods for Natural Philosophy from 1687 to 1736. Cambridge University Press, New York 1999
  34. Garber, Elizabeth: The Language of Physics: The Calculus and the Development of Theoretical Physics in Europe, 1750–1914. Birkhäuser Verlag, Boston 1999
  35. Eugene Hecht: Optik, 4., überarbeitete Auflage aus dem Englischen von Dr. Anna Schleitzer, Oldenbourg 2005, ISBN 3-486-27359-0, S. 6-9

Weblinks

 Wikisource: Physik – Quellen und Volltexte
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