Reichsbrücke

Reichsbrücke
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B8-AT.svg Reichsbrücke
 Reichsbrücke
Reichsbrücke
Nutzung Kraftfahrzeuge, im Untergeschoß U-Bahn,
Radfahrer, Fußgänger
Überführt Angerner Straße
Querung von Donau
Donauinsel
Neue Donau
Ort Wien, zwischen Leopoldstadt (2. Bezirk)
und Donaustadt (22. Bezirk)
Konstruktion Spannbetonbrücke, Doppelstockbrücke
Gesamtlänge 865 Meter
Breite 26,10 Meter
Freigabe 8. November 1980
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Lage der Reichsbrücke in Wienp1

Die Reichsbrücke ist eine der bekanntesten Brücken Wiens. Sie überquert die Donau, die Donauinsel sowie die Neue Donau und verbindet den 2. Wiener Gemeindebezirk, Leopoldstadt, mit dem 22. Bezirk, Donaustadt. Das Bauwerk erstreckt sich vom Mexikoplatz am Handelskai (2. Bezirk) in nordöstlicher Richtung bis zur Donau City und dem Vienna International Centre (22. Bezirk).

Die heutige Reichsbrücke wurde im Jahr 1980 eröffnet, – sie ist der dritte Donauübergang in derselben Achse, der den Namen Reichsbrücke trägt. Die erste Reichsbrücke (auch: Kronprinz-Rudolf-Brücke, als Projekt: Reichsstraßenbrücke), eine eiserne Strombrücke auf fünf Pfeilern, bestand von 1876 bis 1937. Die zweite Reichsbrücke, eine Kettenbrücke mit zwei 30 Meter hohen Pylonen auf zwei Strompfeilern, wurde 1937 eröffnet; sie war neben Stephansdom und Riesenrad eines der Wahrzeichen der Stadt Wien. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie der einzige intakte Donauübergang in Österreich stromabwärts von Linz und entwickelte sich zum meistbefahrenen Straßenstück Österreichs. Am Sonntag, dem 1. August 1976, stürzte die Brücke in den frühen Morgenstunden auf voller Breite der Donau ins Wasser. Bei dem Unglück, das mit dem damaligen Stand der Technik nicht vorhersehbar gewesen war, kam ein Mensch ums Leben. Die Bedeutung und emotionale Aufladung, welche die Brücke durch ihre bewegte Vergangenheit bei der Wiener Bevölkerung erhalten hatte, steigerte sich durch den Einsturz weiter.[1]

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Die Donau vor ihrer Regulierung (mittig ist der Standort der Reichsbrücke eingezeichnet)

Einige Jahre nach dem schweren Hochwasser des Jahres 1830 erwog Kaiser Ferdinand I., die Donau zu regulieren und gleichzeitig mehrere Brücken über das dadurch entstehende Strombett zu errichten. Geplant war unter anderem eine Kettenbrücke etwa am Ort der heutigen Reichsbrücke, deren Errichtungskosten auf zwei bis drei Millionen Gulden geschätzt wurden.[2] Diese Pläne kamen jedoch ebenso wie spätere Absichten, stabile Brücken über die unregulierte Donau zu schlagen, vor der Wiener Donauregulierung nicht zur Ausführung; die Projekte kamen über die Planungsphase nicht hinaus. Sämtliche Donaubrücken, ob für den Straßenverkehr oder seit 1838 für die Nordbahn, hatten damals eher provisorischen Charakter: Es waren Jochbrücken aus Holz, die regelmäßig von Überschwemmungen oder Eisstößen weggerissen und anschließend neu errichtet wurden.[3]

Am 12. September 1868 ordnete schließlich Kaiser Franz Joseph I., der Neffe und Nachfolger Ferdinands, die Regulierung der Donau an. Gleichzeitig sollten endlich „stabile Brücken“ errichtet werden. Eine davon sollte eine direkte Verlängerung der Jägerzeile (heute: Praterstraße) und der Schwimmschulstraße (heute: Lassallestraße) darstellen. Mit der Wahl dieses Standortes sollte eine zentrale städtebauliche Achse fortgesetzt werden, die von der Gloriette in Schönbrunn über den Stephansdom und den Praterstern bis zur Donau reichte. Auf der anderen Seite der Donau sollte die Brücke an die Wiener, Kagraner und Leopoldauer Reichsstraße (seit 1910 Wagramer Straße) anschließen, die zu einer wichtigen Verkehrsverbindung in die nordöstlichen Gebiete der Monarchie wurde.[4] Der Name der Brücke wurde dementsprechend auf „Reichsstraßenbrücke“ festgelegt.

Erste Reichsbrücke – 1876 bis 1937

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Kronprinz-Rudolf-Brücke
seit 6. November 1919: Reichsbrücke
Kronprinz-Rudolf-Brücke seit 6. November 1919: Reichsbrücke
Offizieller Name Kronprinz-Rudolf-Brücke (1876–1919), seither Reichsbrücke
Nutzung Fahrzeuge, Straßenbahn (ab 26. Juni 1898,
auf der Strombrücke eingleisig) und Fußgänger
Querung von Handelskai, Donau und Überschwemmungsgebiet
Konstruktion Eiserne Gittertragwerke (Strombrücke), 341,20 Meter
Gesamtlänge 1019,75 Meter (inkl. Brücke über Handelskai und Überschwemmungsgebiet)
Breite 11,40 Meter
Freigabe 21. August 1876
Schließung 11. Oktober 1937
Maut 32 Kreuzer bzw. 64 Heller pro Fahrzeug (bis 1904)

Die von Franz Joseph in Auftrag gegebene Brücke, die den Hauptteil des 2. Bezirks mit dem nach der Donauregulierung am linken Donauufer liegenden Bezirksteil Kaisermühlen, der nunmehrigen Alten Donau und der bis 1890 / 1892 selbstständigen Gemeinde Kagran verband, war vom August 1876 bis zum Oktober 1937 befahrbar. Sie wurde mehrmals umbenannt: Während der Bauzeit hatte sie den vorläufigen Namen Reichsstraßenbrücke, nach ihrer Eröffnung hieß sie Kronprinz-Rudolf-Brücke. Die Bezeichnung „Reichsbrücke“ setzte sich aber schon bald im allgemeinen Sprachgebrauch durch, so hieß zum Beispiel die Haltestelle der Donauuferbahn bei der Brücke offiziell Kommunalbad-Reichsbrücke. Nach dem Zerfall der Monarchie wurde sie am 6. November 1919 offiziell in Reichsbrücke umbenannt.[5]

Mit einer Gesamtlänge von knapp 1.020 Meter war sie die damals längste Brückenverbindung über die Donau. Sie war 11,40 Meter breit, wobei die Fahrbahn 7,60 Meter und die beiden Trottoirs 3,80 Meter einnahmen. Die ursprüngliche Planung hatte eine Gesamtbreite von acht Klaftern (15,20 Meter) vorgesehen; das Parlament entschied kurz vor Baubeginn, die Breite aus Kostengründen zu reduzieren.[6]

Die Brücke bestand aus drei Teilen. Der so genannte Hubertusdamm, der das Marchfeld vor Hochwasser schützte, und das bei der Donauregulierung geschaffene Überschwemmungsgebiet (Inundationsgebiet) am nördlichen, linken Stromufer wurden von einer steinernen, 432 Meter langen Inundationsbrücke überspannt, die aus 16 Bögen mit 23 beziehungsweise 39 Meter lichter Weite bestand. Den Handelskai am südlichen, rechten Stromufer überspannte die sogenannte Kaibrücke aus Stein mit einer Länge von 90,4 Meter und vier Bögen zu je 18,96 Meter lichter Weite.[7] Die eigentliche Strombrücke war 341,20 Meter lang und bestand aus vier einzelnen eisernen Gittertragwerken, die auf fünf 3,80 Meter starken Pfeilern ruhten, von denen drei im Wasser standen. Der Abstand der Pfeiler zueinander betrug 79,90 Meter.[8]

Bau

Die Strombrücke vom nördlichen, linken Donauufer aus gesehen (im Hintergrund der Stephansdom), Aufnahme ca. 1905

Der Bau begann im August 1872. Damals war zwar das Strombett der Donau bereits größtenteils fertiggestellt, jedoch noch nicht geflutet. Die Reichsbrücke wurde also, wie die Nordbahnbrücke, die Stadlauer Brücke und die Kaiser-Franz-Josephs-Brücke (später: Floridsdorfer Brücke), in Trockenbauweise errichtet.

Geplant wurde das Bauwerk vom Straßen- und Wasserbau-Department des k.k. Innenministeriums, dessen Chef, Ministerialrat Mathias Waniek Ritter von Domyslow, mit der Oberbauleitung betraut war. Insgesamt kostete der Bau 3,7 Millionen Gulden.[9] Die Metallkonstruktion hatte ein Gesamtgewicht von 2.193 Tonnen und wurde von der Firma Schneider & Co in Burgund aus belgischem Schweißeisen hergestellt.

Die beiden Brückenpfeiler an den Ufern wurden etwa fünf Meter unter der Flusssohle, die drei im Wasser stehenden Pfeiler etwa elf Meter unter der Flusssohle auf so genanntem „blauen Wiener Tegel“ gegründet (ein steifer bis halbfester Boden ähnlich dem Ton, der als Sedimentgestein typisch für das Wiener Becken ist). Die Pfeiler der beiden Vorlandbrücken (Kaibrücke und Inundationsbrücke) wurden flach in grobem Schotter gegründet.[10]

Als einzige der vier zu jener Zeit gebauten Donaubrücken war die Reichsbrücke noch nicht für den Verkehr freigegeben, als die Donau am 14. April 1875 geflutet wurde. Erst 16 Monate später, am 21. August 1876, dem Geburtstag des Kronprinzen Rudolf, eröffnete der k.k. Statthalter von Niederösterreich, Freiherr Sigmund Conrad von Eybesfeld, in Vertretung des Kaisers die Brücke und gab ihr zu Ehren des Kronprinzen – entgegen der ursprünglichen Planung – den Namen „Kronprinz-Rudolf-Brücke“. An der Eröffnungsfeier nahmen unter anderen eine Delegation aus Japan, Reichskriegsminister Feldzeugmeister Graf Artur Maximilian von Bylandt-Rheidt und der Wiener Bürgermeister Cajetan Felder teil. Der Statthalter verlas eine kaiserliche Verordnung, worin Franz Joseph die volle kaiserliche Zufriedenheit mit Oberbauleiter Waniek bekanntgab und mehrere Ingenieure und Bauräte mit dem kaiserlichen Ritterkreuz ausgezeichnet wurden.[11] Als Höhepunkt der Feier wurde der Schlussstein des letzten Pfeilers der Auffahrtsrampe eingesetzt, – unter ihm wurden in einer Kassette mehrere Urkunden, Fotos der Brücke, Münzen und Medaillen eingemauert.

Brückenbetrieb

Die Kaibrücke über den Handelskai am südlichen, rechten Donauufer, Aufnahme ca. 1907
Die Inundationsbrücke über den Hubertusdamm am nördlichen, linken Donauufer, Aufnahme aus 1876

Nach dem Selbstmord Kronprinz Rudolfs im Jahr 1889 erhielt die Brücke im Volksmund den Namen „Selbstmörderbrücke“.[12] Sie war in den ersten Jahren ihres Betriebs noch kein besonders beliebter Donauübergang: Industrie und Gewerbe siedelten sich nur langsam jenseits der Donau an. Außerdem gab es noch keine nennenswerten Handelswege ins nördlich gelegene Marchfeld: Über die Alte Donau, die dafür hätte überquert werden müssen, führte bis etwa 1900 lediglich eine wackelige Holzbrücke.[13]

In den ersten 28 Jahren ihres Betriebs war die Überquerung der Reichsbrücke kostenpflichtig: Pro Fahrzeug waren 32 Kreuzer bzw. 64 Heller zu entrichten, was regelmäßig von Wiener Zeitungen kritisiert wurde.[14] Erst nachdem die Ortschaften nördlich der Alten Donau im Jahr 1904 eingemeindet wurden, wurde die Überfahrt kostenfrei gestellt und die Beliebtheit der Brücke stieg. Ab dem 26. Juni 1898 wurde die Brücke von der Straßenbahn befahren. Anlass dafür war das 50. Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph. Die Strecke (über die Strombrücke nur eingleisig) führte vorerst zur Schießstätte bei der Arbeiterstrandbadstraße und wurde am 22. Dezember 1898 bis zum Kagraner Platz verlängert. Betreiber war die Wien-Kagraner-Bahn (WKB), die dafür anfänglich sechs aus Hamburg übernommene Triebwagen verwendete. 1904 übernahm der Verkehrsbetrieb Gemeinde Wien - Städtische Straßenbahnen die WKB.[15]

Das Ende der Brücke

Um 1910 erreichte die Einwohnerzahl Wiens die Zwei-Millionen-Grenze. Immer mehr Siedlungen und Gewerbebetriebe entstanden am linken, nördlichen Donauufer. Dies erhöhte zugleich die Bedeutung und die Verkehrsbelastung der Reichsbrücke. Weder die Gesamtlast noch die Fahrbahnbreite von weniger als acht Meter waren für diese Mehrbelastung ausreichend. 1930 wurden Schäden an der Brücke entdeckt, die in absehbarer Zeit eine Generalsanierung notwendig gemacht hätten. In den letzten Jahren ihres Bestandes wurden Gewichtsbeschränkungen verfügt, um die Brücke zu schonen.[16] Die Wiener Stadtregierung plante zunächst einen Umbau der alten Reichsbrücke. 1933 wurde unter der Regierung Dollfuß ein Neubau verfügt.[17]

Während der drei Jahre dauernden Bauarbeiten musste die alte Brücke benutzbar bleiben, – also wurde die bestehende 340 Meter lange und 4.900 Tonnen schwere Strombrücke im September 1934 um 26 Meter stromabwärts verschoben und dort mit den Ufern verbunden. Der Verschiebevorgang dauerte nur sechs Stunden, die Verkehrsunterbrechung bis zur Wiederbenutzbarkeit dauerte insgesamt drei Tage.[18] Die verschobene Brücke war daraufhin noch drei Jahre lang in Betrieb. Direkt nach der Eröffnung ihrer Nachfolgerbrücke wurde sie demontiert.[19]

Zweite Reichsbrücke – 1937 bis 1976

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Zweite Reichsbrücke
Zweite Reichsbrücke
Die zweite Reichsbrücke, zirka 1975
Offizieller Name Reichsbrücke; von 11. April 1946 bis 18. Juli 1956 Brücke der Roten Armee
Nutzung Individualverkehr (2 Fahrstreifen neben den Gleisen, 2 auf den Gleisen), Straßenbahn (2 Gleise in Mittellage), Fußgänger (2 Gehsteige)
Konstruktion über den Strom: Kettenbrücke (selbstverankerte Hängebrücke mit aufgehobenem Horizontalschub)[20]; Verbreiterung der seit 1876 benutzten Inundationsbrücke
Gesamtlänge 1225 Meter
Breite 26,90 Meter (inklusive Gehsteige)
Längste Stützweite 241,2 Meter in der Mittelöffnung, 60,05 bzw. 61,05 Meter in den Seitenöffnungen
Baubeginn September 1934
Freigabe 10. Oktober 1937
Schließung 1. August 1976 (Einsturz)

Die zweite Reichsbrücke hatte eine Gesamtlänge von 1255 Meter. Die Strombrücke war mit einer Länge von 373 Metern und einer maximalen Stützweite von 241,2 Metern beim Bau die drittgrößte Kettenbrücke Europas. Sie besaß zwei Pylonen aus Stahl mit einer Höhe von 30 Meter über Fahrbahnoberkante, die auf zwei Strompfeilern standen und zwei Stahlketten mit den Brückenüberbaulasten trugen.

Die Brücke war als Symbol für den Reichtum und die Größe Wiens inszeniert. So wurde sie noch in den späten 1930er Jahren neben Stephansdom und Riesenrad zum dritten Stadtemblem Wiens erklärt und diente als international verbreitetes Symbol auf allen Werbeschriften und Einladungen zur Wiener Messe 1938.[21]

Wettbewerb

Zunächst schrieb das Handelsministerium einen Vorwettbewerb aus, den zwar die Architekten Emil Hoppe und Otto Schönthal gewinnen konnten, dessen Ergebnis jedoch nicht den Vorstellungen des Ministeriums und der Stadt Wien entsprach.[22] Der finale Wettbewerb zum Neubau der Reichsbrücke wurde schließlich im Frühling 1933 ausgeschrieben und im November prämiert. Als baukünstlerischer Berater der achtköpfigen Jury fungierte der Architekt Clemens Holzmeister. Die Juroren wählten aus 64 eingereichten, wovon eines sogar eine Untertunnelung des Donaustromes vorsah. Das Siegerprojekt war eine Kettenbrücke der Architekten Siegfried Theiss und Hans Jaksch. Dieser Entwurf sah nur zwei im Wasser stehende Pfeiler vor. Drei Viertel der vollen Flussbreite sollten frei überspannt werden. Die Brücke würde direkt an die weiterhin zu nutzende, lediglich zu verbreiternde Inundationsbrücke der ersten Reichsbrücke über Überschwemmungsgebiet und Hubertusdamm anschließen.

Bau

Baubeginn war am 26. Februar 1934, zwei Wochen nach den bürgerkriegsartigen Februarkämpfen. Die Kosten von 24 Millionen Schilling wurden zu einem Drittel der Stadt Wien auferlegt, zwei Drittel kamen aus dem Bundesbudget. Es waren nur österreichische Firmen am Bau beteiligt.[23] Die beiden Pfeiler wurden in Senkkasten-Bauweise errichtet.

Bald tauchten die ersten Schwierigkeiten auf. Der Baugrund, insbesondere in der Donau, auf dem die Brückenpfeiler und die Ankerblöcke für die Ketten fundiert werden sollten, erwies sich als weniger tragfähig als die Planer angenommen hatten. Ursprünglich war vorgesehen, einen Großteil des Gewichtes der Strombrücke, vornehmlich des zwischen den Pfeilern liegenden mittleren Teils der Brücke, von zwei Ketten tragen zu lassen, die auf beiden Seiten über die zwei Pylone verlaufen und direkt im Fluss an schweren, festliegenden Ankerblöcken aus Beton verankert werden sollten. Jedoch wurde befürchtet, dass diese Widerlager auf dem weichen Donauboden durch die großen Zugkräfte von 78,5 Millionen N (8.000 t) je Kette ins Gleiten geraten würden und nicht ausreichend im Donauboden verankert werden könnten.[24]

Professor Paul Fillunger von der Technischen Hochschule in Wien entwickelte sich zum größten öffentlichen Kritiker des Baus. Er war der Ansicht, dass nicht nur die Gründung der Ankerblöcke, sondern auch die der Pfeiler im weichen Donauboden unverantwortlich war, weil die Brücke nicht die nötige Standsicherheit aufweisen würde. Gegensätzlicher Meinung war sein Professorenkollege, der Bodenmechaniker Karl von Terzaghi. Seiner Ansicht nach war die Beschaffenheit des Donaubodens für die Pfeilergründung geeignet. Die Meinungsverschiedenheit war Teil einer persönlichen Fehde, die öffentlich ausgetragen wurde. Fillunger nahm sich 1937 aufgrund eines Disziplinarverfahrens, das an der TH Wien gegen ihn lief, gemeinsam mit seiner Frau das Leben. Die Konstruktion der Brücke wurde nach den Vorschlägen Terzaghis umgeplant: Die Ketten wurden nicht in Ankerblöcken am Donauboden befestigt, sondern direkt an den beiden Hauptträgern des stählernen Tragwerkes, also an der Brücke selbst, rückverankert.[25]

Im Juni 1936 wurde der Bau von einem Schiffsunglück überschattet: Der Personendampfer „Wien“ der DDSG wurde an einen Pfeiler getrieben. Das Schiff zerbrach und sank sofort. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben.[26]

Das Schlussglied der aus 98 Gliedern bestehenden Kette wurde am 16. November 1936 eingelegt. Danach begann das Absenken des Trägergerüsts, um die Kette in Spannung zu versetzen. Die Herstellung der Betonfahrbahnplatte des Brückenüberbaus sowie die Montage der Gehsteige folgte im Frühjahr 1937, im Sommer wurde die Brücke dunkelgrün angestrichen.

Vom 1. bis zum 3. Oktober 1937 fand die Belastungsprobe des Bauwerks statt, bei der die Ketten gedehnt und die Pylonen leicht gedreht wurden.[27] Anschließend wurden als Belastungsprobe 84 Lastkraftwagen und 28 mit Steinen beladene Straßenbahnwagen auf die Brücke gefahren und für einige Stunden dort stehen gelassen.[28] Alle Messungen liefen zufriedenstellend ab, sodass am 4. Oktober die erste Straßenbahn der Linie 16 über die Reichsbrücke fahren konnte. Einen Tag später wurde die Brücke inoffiziell für den Straßenbahnverkehr freigegeben. Für den Autoverkehr blieb sie bis zu ihrer Eröffnung gesperrt.

Austrofaschistische Propaganda

Ein arbeits- und kostenintensives Projekt wie der Bau der Reichsbrücke war ganz im Sinne des austrofaschistischen Regimes: Die Arbeitslosigkeit lag Ende 1933 bei 38,5 Prozent. Der Bau der zweiten Reichsbrücke kann daher auch als Arbeitsbeschaffungsprojekt gesehen werden, ähnlich wie die Errichtung der Großglockner-Hochalpenstraße oder der Wiener Höhenstraße.[29]

Am 10. Oktober 1937 wurde die Reichsbrücke offiziell eröffnet. Die ständestaatliche Regierung veranstaltete einen feierlichen Staatsakt mit Bundespräsident Wilhelm Miklas, Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Kardinal Theodor Innitzer, dem Wiener Vizebürgermeister Fritz Lahr und dem Handelsminister Taucher, der die neue Reichsbrücke als „Symbol schaffender Lebenskraft des neuen Österreich“ bezeichnete.[30] Anwesend waren neben Architekten, Bauverantwortlichen und Konstrukteuren auch eine Delegation des Werks „Neues Leben“ der Vaterländischen Front, alle am Bau beteiligten Arbeiter der Baufirmen sowie 10.000 Schulkinder. Soldaten des Bundesheeres säumten das Ufer.[31]

Der Wiener Stadtforscher Peter Payer schreibt über die pompöse Inszenierung:

„Unübersehbar propagierte die genauestens inszenierte Feier das neue Gesellschaftsmodell der austrofaschistischen Regierung: die Beendigung des Klassenkampfes und die Überwindung sozialer Schranken durch sinnvolle Arbeit und ein Miteinander aller Berufsgruppen. […] Die Vollendung der Brücke wurde als beispiellose kulturelle Errungenschaft, als gemeinsames Werk aller Beteiligten dargestellt.“

Peter Payer[30]

Die Veranstaltung wurde live im Radio übertragen, die Zeitungen berichteten breit darüber. Zu dem Anlass wurden Postkarten, Briefumschläge sowie eine Sonderbriefmarke herausgegeben und sogar ein eigenes „Reichsbrückenlied“ komponiert, in dem es hieß:

„Tausend Hämmer, Räder, Feilen,
tausend Hände mussten eilen,
dass das große Werk entstand!
Heil der Arbeit, die verbindet,
Heil dem Werk, Heil unserm Land!“

Reichsbrückenlied[32]

Die Reichsbrücke im Zweiten Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs setzte die deutsche Wehrmacht zwei Unterstützungspfeiler aus Eisenbeton unter der Reichsbrücke in die Donau, damit das Bauwerk bei einem Treffer nicht vollständig ins Wasser fallen würde, sondern wieder repariert werden könnte. Außerdem wurden an jedem der beiden Pylonen Plattformen für Flugabwehrkanonen errichtet.

Anfang April 1945, in den letzten Tagen des Krieges, bewegten sich sowjetische Armeen von Süden und Westen auf das Stadtzentrum zu. Die flüchtenden Einheiten der SS sprengten bei ihrem Rückzug nach Norden nach und nach alle Wiener Donaubrücken. Auch an der Reichsbrücke hatte die 6. SS-Panzerarmee General Josef Dietrichs Sprengladungen angebracht. Zwar lag für die Reichsbrücke bereits ein Sprengbefehl vor, der Generaloberst Lothar Rendulic, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, ordnete jedoch am 9. April die Entladung der Sprengkammern an. Am nächsten Tag gab es einen neuen Sprengbefehl, der jedoch zurückgezogen wurde. Diesmal blieben die Sprengladungen scharf.[33]

Am 11. April, am Höhepunkt der Schlacht um Wien, rückten die russischen Armeen mit Panzerbooten auf der Donau, von Nordwesten kommend, bis zur Reichsbrücke (von den Russen offiziell „Objekt 56“ genannt) vor und vernebelten das Gebiet. Sie gingen etwa 500 Meter nordwestlich der Brücke an Land und rückten langsam zum Bauwerk vor. Bis heute ist unklar, wie die Sprengung der Reichsbrücke letztlich verhindert werden konnte. Sowohl die sowjetische Armee, als auch die österreichische Widerstandsbewegung O5 sowie Angehörige der Wehrmacht behaupteten später, die Brücke gerettet zu haben.[34] Eine Version besagt, dass schon bei der Schlacht am 11. April einige Soldaten der Roten Armee bis zum Brückenkopf gelangt sein sollen, wo sie die Sprengleitungen zerstörten. Eine andere Version lautet, dass Rotarmisten unter Führung eines ortskundigen Wiener Kanalarbeiters durch das Wiener Kanalsystem zur Brücke geschlichen seien, um die Sprengung zu verhindern.[35]

Endgültig von der Roten Armee eingenommen wurde die Brücke am 13. April 1945. Sie war damals der einzige intakte Donauübergang zwischen Wien und Linz. Der Reichsbrücke wurde dadurch ein Symbolstatus zuteil, sie stand als Zeichen für die Widerstandskraft Österreichs. Die Stadtverwaltung benannte die Reichsbrücke 1946 zu Ehren der Befreier der Stadt in „Brücke der Roten Armee“ um.[34] Außerdem wurde eine Gedenktafel an der Brücke errichtet, auf der zu lesen stand:

„DEM HELDENHAFTEN
GARDELANDUNGSTRUPP
UND DEN MATROSEN
IN DANKBARKEIT
DAS BEFREITE
WIEN“

Gedenktafel an der Brücke[36]

Die Reichsbrücke in der Nachkriegszeit

Bis zum Wiederaufbau der Floridsdorfer Brücke 1946 blieb die Reichsbrücke der einzige Weg, Wien von Nordosten kommend auf der Straße zu erreichen. Obwohl sie nicht gesprengt wurde, erlitt sie dennoch zahlreiche Schäden, in erster Linie durch Granattreffer. 1946 erfolgte die erste Sanierung der Kriegsschäden der Brücke, ab Mai 1947 erfolgten Arbeiten in größerem Umfang. Dabei wurden fünf Hängestangen instandgesetzt und die Gewölbe der Inundationsbrücke repariert. Die Rauchschutzdecke über der Donauuferbahn wurde ausgewechselt. An sieben Kettengliedern mussten insgesamt 26 Lamellen erneuert werden. Dafür wurden Hilfspfeiler auf auf der Flusssohle aufsitzenden Schleppkähnen verwendet.[37] Die Arbeiten wurden 1952 beendet. Auf der Reichsbrücke war ursprünglich Holzstöckelpflaster verlegt, dieses wurde 1958–1960 durch Granitsteinpflaster ersetzt, wodurch sich für jedes Pylonlager eine zusätzliche Auflast von 4688 kN ergab.[38] Der enorm angestiegene Individualverkehr führte immer öfter zur Behinderung des Straßenbahnverkehrs auf der Brücke; daher wurden die Gleise in den sechziger Jahren durch Sperrlinien zu für den Individualverkehr nicht zugelassenen Fahrbahnteilen erklärt. Nun waren Staus des Autoverkehrs die Folge.

Reichsbrückeneinsturz 1976

Das südliche, rechte Ufer nach dem Einsturz, Aufnahme August 1976
Brückentrümmer am nördlichen, linken Ufer, Aufnahme August 1976

Am Sonntag, dem 1. August 1976, stürzte die Reichsbrücke zwischen 4:53 und 4:55 Uhr auf beinahe voller Länge der Strombrücke ins Wasser. Die erste Radiodurchsage erfolgte um 5:00 Uhr. Ein Augenzeuge beschrieb den Einsturz so: „Die ganze Brücke hat sich plötzlich einen halben Meter gehoben und ist dann laut krachend auf der gesamten Länge abgesackt.“[39]

Auf der Kaibrücke sowie auf der Inundationsbrücke brach der Träger samt Fahrbahn an mehreren Stellen, beide Brücken hielten jedoch stand. Die Strombrücke selbst brach in drei Teile, wobei der Mittelteil als Ganzes ins Wasser fiel und die beiden Außenteile schräg ins Wasser hingen. Der südseitige Pylon fiel stromabwärts und beschädigte dabei das Heck eines Passagierschiffes schwer, der nordseitige Pylon stürzte in die andere Richtung auf das Überschwemmungsgebiet.[40]

Zum Zeitpunkt des Einsturzes befanden sich fünf Personen in vier Fahrzeugen auf der Brücke: ein Buschauffeur in einem städtischen Gelenkbus, zwei Mitarbeiter des ÖAMTC in einem Pannenhilfe-Fahrzeug sowie der Lenker eines VW Käfers, der die Pannenhilfe wegen eines defekten Reifens nach einem Unfall angefordert hatte, und der Lenker eines Kleinbusses, der beim ORF als Chauffeur angestellt war. Der Busfahrer stürzte in seinem Fahrzeug in die Donau und konnte binnen weniger Stunden unverletzt geborgen werden. Die ÖAMTC-Mitarbeiter und der VW-Fahrer befanden sich auf jenem Teil der Kaibrücke, der zwar brach und sich senkte, jedoch nicht völlig zerstört wurde, so dass sie sich selbst zu Fuß retten konnten. Der ORF-Chauffeur wurde in seinem Kleintransporter eingeklemmt und erst am Tag nach dem Einsturz tot geborgen.

Binnen einer Stunde war ein Viertel aller in Wien verfügbaren Fahrzeuge der Feuerwehr am Einsturzort, es wurde Alarm der Stufe IV gegeben.[41] Auch Polizei, Rettung und Bundesheer waren mit großen Aufgeboten am Unglücksort. Die auf der Brücke befindlichen Wasserleitungen, die den Norden Wiens mit Trinkwasser versorgten, setzten den Handelskai unter Wasser. Zudem wurden Explosionen befürchtet, weil die über die Brücke geführten Gasleitungen gebrochen waren. Es herrschte tagelang strenges Rauchverbot. Zunächst waren zahlreiche Menschen nördlich der Donau ohne Gas, Strom, Wasser und Telefon. Schon am 2. August war die Versorgung jedoch wiederhergestellt.

Einsturzursachen

Bereits kurz nach dem Einsturz erklärte die Wiener Stadtregierung eine Fremdeinwirkung für höchst unwahrscheinlich. Zugleich gab die Stadtregierung bekannt, dass die Brücke im Jahr der Katastrophe insgesamt siebenmal überprüft worden war, wobei keine erheblichen Mängel festgestellt werden konnten.

Eine umgehend einberufene Expertenkommission aus Universitätsprofessoren der Technischen Universitäten in Wien und Graz legte am 9. August ihren ersten Zwischenbericht vor, in dem die Einsturzursache grob eingegrenzt wurde: So schieden laut Untersuchungskommission eine Sprengung, Erdbeben, generelle Instabilität, ein Abreißen der Ketten oder Hänger, ein Ausreißen der Verankerungen aus den Widerlagern und die Korrosion eines tragenden Bauteiles als Ursachen eindeutig aus.[42]

Ein halbes Jahr später präsentierte die Kommission ihren 400-seitigen Endbericht, der vom vorläufigen Bericht nicht abwich, sondern ihn nur präzisierte. Die zentrale Aussage des Berichtes bestand darin, dass der Einsturz nicht vorhersehbar gewesen sei, weil eine Vielzahl an Faktoren zusammenwirkte und die technischen Mittel 1976 nicht ausreichten, um all diese Faktoren zu berücksichtigen. Die Hauptfaktoren[43] lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Auflagerost, der das gesamte Gewicht der Brückenlager auf die Pfeiler übertrug, lag auf einem Betonsockel ohne Bewehrung. Beim Bau der Brücke war dieser Trägerrost tatsächlich mit minderwertigem Beton ummantelt worden, der Sandbrocken enthielt. Jedoch war dieser Beton nicht tragend – er hatte nur die Aufgabe, den Auflagerost vor Korrosion zu schützen sowie die Blechträger zusätzlich zu stützen. Durch die Minderwertigkeit dieses Füllbetons habe jedoch Wasser in den Pfeilersockel eindringen können, was zu einer „fortschreitenden Zerrüttung“ (Kriechen und Schwinden) im Betonsockel führte. Die Kommission hielt es für wahrscheinlich, dass es dadurch schon früh zu Rissen im Pfeilerbeton gekommen sei – weil die Pfeiler mit massiven Granitblöcken umgeben waren, konnte dies bei früheren Überprüfungen nicht festgestellt werden.

Darüber hinaus erkannte die Kommission mehrere Faktoren, die sich ungünstig auswirkten und zum Einsturz beitrugen. Die wichtigsten davon:[44]

  • Die Brückenpfeiler waren ungewöhnlich schlank ausgebildet, wodurch die Kontaktpunkte der Pfeiler zum Trägerrost äußerst klein waren.
  • Die Festlager (jene Lager, die alle horizontalen Kräfte wie Windlast oder Bremskräfte der Fahrzeuge aufnahmen) waren an der stromabwärts gelegenen Pfeilerseite angebracht worden – was sich als ungünstig erwies, weil die Hauptwindrichtung von Nordwest nach Südost verläuft.
  • Ursprünglich war die Reichsbrücke als reine Hängebrücke konstruiert gewesen. Weil der weiche Donauboden eine Verankerung der Ketten nicht zuließ, änderten die Planer den Entwurf auf eine in sich verankerte Brücke um, was die Statik des Bauwerks nachteilig veränderte.

Politische Folgen

Die in der Stadt Wien regierenden Sozialdemokraten gerieten unverzüglich ins Kreuzfeuer der Opposition. Am Tag nach dem Einsturz kündigte die ÖVP an, eine Sondersitzung des Wiener Gemeinderates einzuberufen und dabei die Absetzung des SPÖ-Stadtrates für Planung, Fritz Hofmann, zu verlangen. Politiker von ÖVP und FPÖ forderten den Rücktritt des Bürgermeisters, der sich zwar gegen diese Angriffe verteidigte, Stadtrat Hofmann aber nicht in Schutz nahm.[45] Am 5. August gab Leopold Gratz schließlich in einer internen Sitzung der SPÖ seinen Rücktritt bekannt. Nach Unterredungen mit Bundeskanzler Bruno Kreisky und Verkehrsminister Erwin Lanc zog er diesen jedoch wieder zurück.

Etwas kurios mutet in der Rückschau die Diskussion um Planungsstadtrat Hofmann an. Dieser war am 31. Juli auf Urlaub gefahren und es galt als wahrscheinlich, dass er nichts vom Einsturz der Reichsbrücke wusste. Sein genauer Aufenthaltsort war nicht bekannt. Hofmann wurde mehrere Tage lang durch Presse und Rundfunk gesucht. Erst am 5. August gab es ein Lebenszeichen von ihm: Er hatte die vergangenen Tage auf einer Berghütte am Matterhorn verbracht und dabei keine Medien konsumiert. In Zermatt wurde sein Autokennzeichen von einer Schweizerin wiedererkannt, die die Suchaufrufe in einer Schweizer Zeitung gelesen hatte. Hofmann wurde mit einem Flugzeug in Zürich abgeholt, er traf am 6. August in Wien ein und erklärte sofort seinen Rücktritt, der von Bürgermeister Gratz angenommen wurde. Durch den Abschlussbericht der Expertenkommission galt Fritz Hofmann als rehabilitiert, was 1981 zu seiner erneuten Berufung zum Stadtrat führte.

Folgen für den Verkehr

Für den Schiffsverkehr war die Donau unpassierbar, Aufnahme August 1976

Die Reichsbrücke war 1976 mit 18.000 Fahrzeugen pro Stunde nicht nur eines der am meisten befahrenen Straßenstücke Wiens, sie überquerte auch eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten Mitteleuropas. Ihr Einsturz wirkte sich daher sowohl auf den Straßen- wie auf den Schiffsverkehr aus.

Noch am Einsturztag wurden bei einer Pressekonferenz erste Maßnahmen für den Straßenverkehr präsentiert. Alle zur Reichsbrücke führenden Straßen wurden abgesperrt, die Straßenbahnlinien 25 und 26 über die Schüttaustraße nach Kaisermühlen abgelenkt sowie die Linien B und BK zum Mexikoplatz kurzgeführt. Der Krisenstab der Wiener Stadtregierung ordnete umgehend an, zwei Ersatzbrücken zu errichten: eine für die Straßenbahn sowie eine für den Autoverkehr. Entgegen den Befürchtungen kam es in Wien zu keinem Verkehrschaos.[46]

Während der Personenschiffsverkehr der DDSG schon am Tag nach dem Einsturz problemlos wiederaufgenommen werden konnte, weil die Anlegestellen entsprechend verlegt wurden (die DDSG bot lediglich Fahrten von Wien oder nach Wien an), kam der Erz-, Kohle-, Benzin- und Heizöltransport auf der Donau in den ersten Wochen komplett zum Erliegen.[47]

Am 1. August wiesen die österreichischen Behörden alle ausländischen Schiffe an, vor Passau (stromaufwärts) sowie vor Budapest (stromabwärts) vor Anker zu gehen. Zwar wurde das Bundesheer beauftragt, am nordseitigen Ufer umgehend eine Schifffahrtsrinne in die Trümmer zu sprengen, jedoch war klar, dass es Wochen dauern würde, bis die Donau wieder regulär befahrbar sein würde.

Am 9. August entschied die Stadtregierung, dass kleine und mit ungefährlichen Gütern beladene Schiffe die Einsturzstelle durch den Donaukanal umschiffen durften. Tanker wurden in dem schmalen Gewässer, das am Stadtzentrum vorbeifließt, jedoch nicht zugelassen. Am 20. September befuhr das hundertste Schiff den Donaukanal.[48] Am 26. September durchfuhr erstmals wieder ein Schiff die Donau auf Höhe der Reichsbrücke, am 30. September wurde die Strecke RegensburgSchwarzes Meer offiziell wiedereröffnet.[49]

Der Einsturz in Kunst und Medien

Die österreichischen Medien berichteten durchwegs entsetzt über den Einsturz und forderten einhellig politische Konsequenzen, vor allem den Rücktritt des Planungsstadtrats Hofmann. Auch Bürgermeister Gratz sowie die gesamte Stadtregierung wurden scharf kritisiert. Mit der Parole „Einer muss gehen!“[50], forderte etwa der Wiener Kurier mindestens ein Mitglied der Stadtregierung zum Rücktritt auf.

Die Katastrophe dominierte am 2. August – neben Niki Laudas Unfall am Nürburgring – auch die europäische Medienberichterstattung. Die Neue Zürcher Zeitung etwa wunderte sich über die vielen Schaulustigen: Unter dem Titel „Sonntagsvergnügen für Schaulustige“[50] berichtete sie über die „Völkerwanderung der Wiener“[50] zum Ort der Katastrophe: Noch am 1. August pilgerten Tausende zum Ort des Einsturzes, um die im Wasser liegende Brücke und als besondere Attraktion den noch auf ihr stehenden Gelenkbus – im Volksmund schon nach einigen Tagen „Donaubus“ genannt [51] – zu besichtigen. Das „Brückenschauen“ wurde später Thema des Volkslieds „Reichsbrückenmarsch“ der beiden Wiener Liedersänger Kratochwil und Napravnik auf einer Single, die ziemlich rasch nach dem Brückeneinsturz erschien. (Auf der Rückseite der Single befindet sich „Donauwies’n“). In dem Lied heißt es:

„Brückenschauen“ – Schaulustige säumen das Ufer, Aufnahme August 1976

„Heute gemma Bruck’n schaun,
schaut’s wie sich die Leute stau’n
Fremdenführer stengan durt,
man hört so manches fremde Wurt.
Grand Rumores, die Bruck’n ist kapores,
Ladies and Gentlemen
please coming to me
um five Schilling can you looking,
durch my looking-glass this Bruck’n
tomorrow is maybe
the Floridsdorfer Bridge’n hi.“

Kratochwil+Napravnik, „Reichsbrückenmarsch“, ariola 17 235[52]

Schon Tage nach dem Einsturz gab es ein reges Geschäft rund um die Brücke, das an einen Devotionalienhandel erinnerte. So wurden etwa Schrauben und Nieten eingesammelt und an Ort und Stelle um 20 Schilling verkauft. Eine Trafikantin aus Kaisermühlen kaufte alle Ansichtskarten der Reichsbrücke, die sie bekommen konnte, und verkaufte sie als letzte Souvenirs des eingestürzten Bauwerks.[53]

Später wurde der Einsturz in mehreren literarischen Texten verarbeitet. So schrieben etwa Gert Jonke[54] und Peter Orthofer[55] literarische Essays zur Katastrophe, Ludwig Roman Fleischer widmete der Brücke einen Roman: Die Reichsbrücken-Rhapsodie erschien 1994. Die Lyrikerin Christine Busta widmete der Brücke ein Gedicht namens „Nachruf einer Brücke“, in dem es unter anderem heißt:

„Wehrlos hat sie gewartet,
vergeblich hinausgezögert, verhalten
ist eine menschenleere Stunde
die tödliche Niederkunft“

Christine Busta, „Nachruf einer Brücke“[56]

Bergung und Wiederverwertung der Brücke

Der berühmt gewordene „Donaubus“, Aufnahme August 1976
Einer von 500 Gedenksteinen: Granitwürfel aus der Reichsbrücke als Anerkennung der Magistratsabteilung 48 (Stadtreinigung und Fuhrpark)

Insgesamt waren 180 Arbeiter in mehreren Schichten an der Bergung der Reichsbrücke beteiligt. Die Arbeiten dauerten bis zum Jänner 1977.

Als Priorität wurden die Brückenteile an den beiden Ufern erkannt, von denen einer die Donauuferbahn blockierte und so den Zugverkehr beeinträchtigte. Erste Bergungsversuche durch das österreichische Bundesheer am 6. August 1976 schlugen fehl: Die Bergepanzer rutschten an den Ufern ab. Auch mehrere Versuche der Feuerwehr, den Boden zu befestigen, scheiterten. Pläne, die schweren Brückenteile am zentrumsseitigen Ufer mit mehreren großen Explosionen zu zerkleinern, wurden nach Probesprengungen wieder verworfen: Die Druckwelle hätte die angrenzenden Hochhäuser beschädigen können. Am 11. August wurden schließlich insgesamt 40 kleine Sprengungen mit insgesamt 15 Kilogramm Gelatine-Donarit in 120 Bohrlöchern durchgeführt. Die Sprengungen erfolgten im Abstand von je einer Tausendstelsekunde.[57] Danach konnten die zerkleinerten Teile nach und nach geborgen werden.

Deutlich aufwändiger gestaltete sich die Bergung des Mittelteils, der als Ganzes ins Wasser gefallen war. Im Oktober 1976 beschloss die Wiener Stadtregierung, den 240 Meter langen Brückenrest in einem Stück aus dem Wasser zu ziehen: Dafür wurden am zentrumsseitigen Ufer, im Bereich Mexikoplatz, Fundamente für 14 hydraulische Pressen gemauert. Die Maschinen wurden mittels Stahlseilbündeln mit der Brücke verbunden. Ende November 1976 begann die Bergung: Die Brücke wurde in einer stundenlangen Prozedur jeweils 30 Meter an Land gezogen und danach abgeschnitten. Anschließend wurden die Seile an der Brücke neu befestigt und der Vorgang insgesamt siebenmal wiederholt. Am 25. Jänner 1977 war die Bergung abgeschlossen.

Im Brückeninformationscenter der Magistratsabteilung 29 (Brückenbau) ist heute noch ein Teil der Brückenauflage zu besichtigen. Einige Nieten und Schrauben werden im Bezirksmuseum Donaustadt ausgestellt. Der legendäre „Donaubus“ konnte nach der Bergung repariert werden und wurde noch 15 Jahre lang im Straßenverkehr eingesetzt. Heute befindet er sich im Wiener Straßenbahnmuseum.[58]

Die Stahlteile der Reichsbrücke wurden in den Monaten nach dem Einsturz nach Linz transportiert, wo sie von Voestalpine eingeschmolzen und wiederverwendet wurden. Die Beton- und Granitteile sind teilweise an Ort und Stelle für den Straßenneubau verwendet worden. Ein Großteil des Brückenbruchs jedoch wurde auf die Mülldeponie Rautenweg im Norden Wiens transportiert. Erst vor wenigen Jahren stießen die Arbeiter der Deponie auf etwa 30.000 Tonnen an steinernen und granitenen Überresten der alten Reichsbrücke, über deren genauen Standort keine Aufzeichnungen existiert hatten. Sie wurden freigelegt (Koordinaten: 48° 15′ 35,5″ N, 16° 28′ 46,5″ O48.2598516.47959) und sollen für den Straßenbau wiederverwertet werden. Aus einem Teil des Granitbruchs machte die für die Müllbeseitigung zuständige Magistratsabteilung 48 (Stadtreinigung und Fuhrpark) 31 Jahre nach dem Brückeneinsturz 500 Reichsbrücken-Gedenksteine für ausgewählte Empfänger. Dazu wurden kleine Granitwürfel aus der alten Reichsbrücke auf Holzbrettern befestigt und an Personen vergeben, die sich in besonderer Art und Weise um die Abfallbeseitigung und den Umweltschutz in Wien verdient gemacht haben.[53]

Ersatzbrücken

Straßenbahn-Ersatzbrücke über die Donau bei der Belastungsprobe

Noch am 1. August beschloss die Wiener Stadtregierung, zwei Ersatzbrücken über die Donau anzulegen, eine Straßenbahnbrücke sowie eine für den Individualverkehr. Die Pläne waren am 4. August fertig, und das Bundesheer begann am 17. August gemeinsam mit Straßenbaufirmen, die Behelfsbrücken zu errichten. Nach fünf Wochen war eine eingleisige Straßenbahnbrücke fertig, das zweite Gleis wurde einige Wochen später verlegt. Der Bau der Brücke für den Individualverkehr dauerte bis in den Dezember. Die Verkehrswege beider Ersatzbrücken wurden am linken, nördlichen Stromufer in die unbeschädigte Inundationsbrücke „eingeschleift“.

1977 erhielten die Donau-Ersatzbrücken den Stahlbaupreis der europäischen Konvention der Stahlbauverbände. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, dass die Brücken demonstrieren würden, „wie mit Stahl als konstruktivem Material eine Katastrophalsituation schnell und sicher wieder beseitigt werden kann“.[59]

Nach dem Abbau wurden die Ersatzbrücken mehrfach bei weiteren Projekten verwendet, so u.a. beim Neubau der Floridsdorfer Brücke und beim Neubau der Brücke der Kremser Schnellstraße S33 über die neue Westbahn östlich von St. Pölten.

Die dritte Reichsbrücke

Dritte Reichsbrücke, vom nördlichen, linken Donauufer aus gesehen
Zentrumsseitiger Teil der Reichsbrücke, über die Donau (Blickrichtung Norden)
Zentrumsfernerer Teil der Reichsbrücke, über die Neue Donau (Blickrichtung Nordosten)

Die dritte Reichsbrücke wurde am 8. November 1980 eröffnet. Es handelt sich um eine zweigeschoßige Spannbetonbrücke, die aus drei Abschnitten besteht: der Strombrücke über die Donauländebahn, die Donau und die Donauinsel, der Brücke über die Neue Donau sowie der Brücke über die Donauuferautobahn parallel zum Hubertusdamm. Auf dem Oberdeck befinden sich sechs Fahrstreifen für den Straßenverkehr. Auf dem Unterdeck der Brücke verläuft die Wiener U-Bahn-Linie U1 mit der U-Bahn-Station Donauinsel. An beiden Seiten des Unterdecks sind überdachte Fahrrad- und Fußwege angelegt. Wie schon bei der Vorgängerbrücke laufen auch über die dritte Reichsbrücke Rohrstränge für Gas-, Wasser- und Fernwärmeversorgung und Kabeltrassen für Starkstrom und Telefon. Die Brücke ist bereits mehrmals generalsaniert worden.

Die Gesamtlänge der Brücke beträgt 865 Meter, wovon 528 Meter auf das Stromtragwerk über die Donau und die Donauinsel, 213 Meter auf das Tragwerk über die Neue Donau sowie 124 Meter auf das Tragwerk über die Donauuferautobahn entfallen.[60]

Wettbewerb

Drei Tage nach dem Einsturz der Reichsbrücke setzte der damalige Wiener Stadtbaudirektor Anton Seda einen Planungskreis Reichsbrücke ein, der aus 23 Personen bestand und von Gerhard Gilnreiner geleitet wurde. Die Stadtregierung beauftragte diese Arbeitsgruppe mit der Durchführung der Vorarbeiten für die Projektierung der neuen Brücke.[61]

Vor der Katastrophe war geplant gewesen, direkt neben der Reichsbrücke einen eigenen Donauübergang für die U-Bahn-Linie U1 zu errichten, die nach Kagran verlängert werden sollte. Durch den notwendigen Neubau war dieser Plan hinfällig geworden. Es stand nun fest, dass die neue Brücke den Donauübergang für die U1 gewährleisten sollte.[62] Dies machte auch Straßenbahnschienen auf der Brücke obsolet. Außerdem wurde die Höhe des neuen Tragwerks bei der Ausschreibung hoch genug angegeben, um ein Donaukraftwerk im Raum Wien zu ermöglichen. So musste die Reichsbrücke beim Bau des Kraftwerks Freudenau im Jahr 1998 nicht auf die entsprechenden Stauziele angehoben werden.

Wenige Monate später, im Dezember 1976, begann der internationale Wettbewerb für den Bau der neuen Reichsbrücke. Den Vorsitz der Jury übernahm der Brückenbauexperte Fritz Leonhardt. Bis zum Ende der Einreichfrist, 2. Mai 1977, gaben 19 Planungsteams 31 Projekte zum Wettbewerb ab.[63] Am 13. Juni gab die Jury bekannt, dass fünf Entwürfe in die engere Wahl genommen würden. Die Planer der fünf Entwürfe wurden zu einer gemeinsamen Diskussion eingeladen, um über Vor- und Nachteile aller fünf Einreichungen zu sprechen. Am 17. Juni schließlich gab die Jury ihre Entscheidung bekannt. Mit acht gegen fünf Stimmen in direkter Abstimmung hatte das Projekt mit dem Namen „Johann Nestroy“ die Unterstützung der Jury. Mit 564 Millionen Schilling geplanter Baukosten war dieses Projekt das billigste von den fünf Projekten in der Endauswahl. Die Planungsgruppe bestand aus den Architekten Norbert Kotz aus Wien und Heikki Siren aus Helsinki, dem Bauingenieur Alfred Popper sowie den Bauunternehmen Hofmann & Maculan, Züblin, Negrelli, Hamberger Industriewerke und Stuag.[64]

Konstruktion

Das Projekt sah eine Brücke vor, die sich – obwohl sie durch die Aufschüttung der Donauinsel streng genommen zwei verschiedene Flüsse überqueren würde – als einheitliches Bauwerk präsentierte. Dies sollte ihren verbindenden Charakter betonen. Die Planer sparten bewusst hohe Aufbauten auf der Brücke aus: Sie sollte sich der städtebaulichen Umgebung unterordnen.

Der Entwurf der Planungsgruppe wurde nur mehr in Details abgeändert. Die wesentliche Konstruktion blieb erhalten: Die Reichsbrücke ist eine zweigeschoßige Balkenbrücke aus Spannbeton. Die größte Spannweite über die Donau beträgt 169 Meter, über die Neue Donau sind es 76 Meter. Die maximale Fahrbahnbreite beträgt 26,10 Meter. Im Querschnitt besteht das Bauwerk über seine ganze Länge aus einem Überbau mit zwei Hohlkästen. In jedem findet ein Streckengleis der U-Bahn Platz. Die seitlichen, überdachten Fußgängerbereiche im Unterdeck sind auf der auskragenden Bodenplatte des Hohlkastens angeordnet. Im Hauptfeld über der Donau ist der Brückenüberbau gevoutet ausgeführt, die maximale Bauhöhe beträgt 8,8 Meter über dem Strompfeiler, die minimale Bauhöhe 5,5 Meter.[65]

Die modernen, kugelförmigen Straßenlaternen an den Seiten sollten zudem für einen Boulevard-ähnlichen Charakter sorgen. Sie wurden später mit dem Österreichischen Staatspreis für Design ausgezeichnet.[66]

Bau

Mit dem Bau wurde im Jänner 1978 begonnen. Geplant war der Spatenstich ursprünglich für November 1977 gewesen, doch es kam zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Vertretern der Stadt Wien und der Bundesregierung über die Aufteilung der Kosten am Bau. Man einigte sich schließlich darauf, die Kosten zu je 50 Prozent zwischen Bund und Wien aufzuteilen. Am Bau waren fünf Firmen beteiligt: Hofman & Maculan, Züblin, Negrelli, E. Hamberger und Stuag.[67]

Die neue Reichsbrücke wurde in der Achse der eingestürzten Brücke errichtet. Für die Unterbauten der neuen Brücke wurden sowohl das Widerlager als auch der alte Pfeiler am rechten Ufer nach gründlicher Sanierung wiederverwendet.[68] Die Konstruktion der Brücke erfolgte im freien Vorbau. Das bedeutet, dass die Brücke Stück für Stück von drei Ufern (Nordufer, Südufer sowie der an dieser Stelle bereits fertig aufgeschütteten Donauinsel) Richtung Flussmitte hergestellt wurde und die Enden der Brücke sozusagen frei in der Luft schwebten.

Der Bau des einzigen Strompfeilers geschah mittels Pfahlgründung. Zu diesem Zweck wurde in der Donau vom südlichen Donauufer her eine Dienstbrücke errichtet, die 140 Meter lang war und bis zur Strommitte reichte. Eine Stahlplattform im Ausmaß von 23 mal 23 Meter am stromseitigen Ende der Brücke ermöglichte den Baufahrzeugen das Wenden. Im Schutz eines Fangdammes und mehrerer stählerner Spundwände wurden 37 Bohrpfähle von je 1,50 Meter Durchmesser bis in eine Tiefe von 28 Meter abgeteuft. Danach wurde der Pfeiler eingesetzt und mit Granitsteinen verkleidet. Die beiden Pfeiler der Brücke über die Neue Donau konnten auf dem Trockenen gebaut werden, weil der Entlastungskanal, den die Brücke heute überquert, erst 1988 fertiggestellt wurde.[69] Während der Bauarbeiten kamen zwei Menschen bei Arbeitsunfällen ums Leben.[70]

Im Oktober 1979 stießen Bauarbeiter auf einen Pfeiler der alten Kronprinz-Rudolf-Brücke, der ersten Reichsbrücke. Er war durch natürliche Veränderungen aus dem Strombett „herausgewachsen“ und verursachte eine Untiefe im Strombett. Das Bundesstrombauamt beschloss, die Untiefe mittels Baggerarbeiten zu beseitigen. Ansonsten verlief der Bau nach Plan: Der sogenannte Brückenschlag (die Verbindung der drei im freien Vorbau errichteten Tragwerksteile) konnte wie geplant am 6. Mai 1980 vorgenommen werden. Kurz nach 7:00 Uhr früh setzten Bürgermeister Leopold Gratz und Bautenminister Karl Sekanina symbolisch den Schlussstein der Brücke. Die Arbeiten dauerten noch bis November 1980 an.

Eröffnung

Drei Tage vor der offiziellen Eröffnung der Brücke sprach Stadtrat Heinz Nittel bei einer inoffiziellen Präsentation davon, dass die Brücke insgesamt 914 Millionen Schilling gekostet habe und dass 50.000 Kubikmeter Beton, 3.100 Tonnen Bewehrungsstahl und 2.400 Tonnen Spannstahl verbaut wurden. Er gab außerdem bekannt, dass sich die Stadt Wien gemeinsam mit dem Bautenministerium auf eine direkte Abfahrt von der Brücke auf die Donauinsel geeinigt habe. Die Benützung dieser Abfahrt ist jedoch bis heute Einsatzfahrzeugen, Radfahrern und Fußgängern vorbehalten.

Die offizielle Eröffnung der Brücke erfolgte am 8. November 1980 vor einem Publikum von etwa 10.000 Menschen.[71] Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, Bürgermeister Gratz, Bautenminister Karl Sekanina und Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym waren bei der Eröffnung anwesend und hielten Ansprachen. Alle Redner sprachen vom Einsturz. Kirchschläger stellte moralische Überlegungen an: „Waren auch andere Pfeiler in unserem Leben so hohl, dass sie im Morgenlicht zerbrechen können?“[72] Bevor der Erzbischof die Brücke weihte, sagte er in seiner Festansprache: „Ich war auch bei der Eröffnung der alten Reichsbrücke dabei und habe ähnliches Lob für die Leistungen gehört. Zu rasch waren die Worte damals verhallt, und auch der Segen der Kirche konnte die Ereignisse der Jahre danach nicht verhindern.“[73]

Die Eröffnung wurde begleitet von Sonderausgaben von Tageszeitungen, die direkt auf der Brücke verteilt wurden. Die Arbeiter-Zeitung stiftete Tausende von Rosen[74], ein Torten-Modell der Brücke wurde angefertigt und angeblich in 400 Portionen zerteilt und verteilt. Laut Augenzeugenberichten soll es zu Rangeleien um ein Stück des Eröffnungsbandes gekommen sein, die von der Polizei geschlichtet werden mussten.[75] Nach Ende der offiziellen Feierlichkeiten überquerten Tausende Fußgänger die neue Brücke. Danach, um etwa 12 Uhr Mittag, wurde sie für den Straßenverkehr freigegeben.

U-Bahn-Eröffnung

Die U-Bahn-Station „Donauinsel“ unter der Reichsbrücke

Während der Autoverkehr seit 1980 über die neue Reichsbrücke geleitet wurde, musste der öffentliche Verkehr weiterhin über die Ersatzbrücke geführt werden. Die Eröffnung der U1 Richtung Kagran war für Herbst 1982 geplant.

Im März 1982 berichteten mehrere Tageszeitungen, dass es zu Problemen bei ersten Testfahrten der U-Bahn über die Reichsbrücke gekommen sei. Schwingungen, die von den Zügen verursacht würden, seien für die Brücke gefährlich. Deshalb könne nur ein sehr eingeschränkter U-Bahn-Betrieb erlaubt werden. Am 8. März berief Planungsstadtrat Hofmann eine Pressekonferenz ein, bei der er dieses Gerücht als unwahr widerlegte. Es stellte sich heraus, dass ein anonymer Anrufer die Tageszeitungen offenbar mutwillig zu diesen Zeitungsenten animiert hatte.[76]

Die erste mit Fahrgästen besetzte U-Bahn passierte am 3. September 1982 um 17:30 Uhr die Reichsbrücke. Am selben Tag setzte zum letzten Mal eine Straßenbahn an dieser Stelle über die Donau, – der Betrieb der Straßenbahnlinien 25 und 26 über die Donau wurde am 4. September eingestellt (die Linien selbst blieben im 22. Bezirk erhalten). Die beiden Ersatzbrücken wurden schließlich im März 1983 abgerissen.

Generalsanierungen und Brückenbetrieb

Auf der Fahrbahn der Reichsbrücke, Fahrtrichtung zum Stadtzentrum.
Auf der Fahrbahn der Reichsbrücke, Fahrtrichtung Kagran.
Getrennter Geh- und Radweg auf der Reichsbrücke nach der Verbreiterung. (Westseite mit Sicht auf die Donau City und das Vienna International Centre.)

In den Jahren 2003 bis 2005 wurde die Reichsbrücke generalsaniert.[77] Dabei wurde der komplette Fahrbahnbelag erneuert, die Fahrbahnen mit Stahlleitwänden neu gesichert und es wurden erstmals drei Bushaltestellen auf der Brücke errichtet. Die beiderseits der U-Bahntrasse angebrachten 3,65 Meter breiten Tragwerke für den Fuß- und Radverkehr wurden abgebrochen und durch Stahlkonstruktionen mit jeweils 5,27 Meter Breite ersetzt. Durch die Verbreiterung der getrennt geführten Geh- und Radwege wurden die ursprünglichen Einrichtungsradwege (östlich stadtauswärts nach Norden; westlich stadteinwärts nach Süden) jeweils in beide Fahrtrichtungen für den Radverkehr geöffnet. Durch Rampen auf beiden Seiten wurden behindertengerechte Zugänge geschaffen. Das Fußgänger-Wegesystem umfasst nun eine Fläche von 10.000 Quadratmeter.

Im Juni 2004 wurde die Reichsbrücke von einem deutschen Passagierschiff gerammt. Es gab dabei einen Schwerverletzten und mehrere Leichtverletzte. Die Brücke wurde dabei jedoch nicht ernsthaft beschädigt.

Heute wird die Reichsbrücke täglich von etwa 50.000 Fahrzeugen befahren.[77] Sie stellt damit eine der wichtigsten Verbindungen der Wiener Innenstadt mit den Stadtteilen am linken Donauufer und dem Umland im Nordosten Wiens dar. Auf der Reichsbrücke befinden sich außerdem Zugänge zum Naherholungsgebiet Donauinsel sowie am zentrumsferneren Brückenende das Kinozentrum „Cineplexx Reichsbrücke“ und der Kinder-Freizeitpark Minopolis. Zu Spitzenzeiten (Juni, Juli und August) überfahren an manchen Tagen mehr als 4.000 Radfahrer die Reichsbrücke.[78]

Seit 1984 findet jährlich im Frühjahr der Vienna City Marathon statt, dessen Strecke über die Reichsbrücke führt. Im Jahr 2004 installierte die Wiener Magistratsabteilung 29 gemeinsam mit der Firma Arsenal Research ein Messsystem, um die Auswirkung der Schwingungen von 25.000 Läufern auf die Brücke zu ermitteln. Diese Messung wurde unter anderem durchgeführt, weil an den Tagen des Marathons von Läufern und Passanten sehr starke Schwingungen der Brücke wahrgenommen wurden. Laut Ergebnis der Studie besteht bei der Reichsbrücke keine Gefahr. Der Einfluss der U-Bahn-Linie U1 ist in Vertikalrichtung um das fünf- bis sechsfache, in Querrichtung sogar um das 16-fache höher als der Einfluss der Tausenden Marathonläufer. Die Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Bewegung der Brücke erklärten die Forscher damit, dass die von den Läufern verursachten Schwingungen im tieferen Frequenzbereich wirksam werden und dadurch deutlicher wahrnehmbar seien als jene der U-Bahn.[79]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Payer 2002, S. 111
  2. Schneider 1987, S. 9
  3. Jaksch 1976, S. 2
  4. Payer 2002, S. 111 f.
  5. Schneider, S. 27
  6. Schneider S. 13
  7. Schneider 1987, S. 37f.
  8. Ramberger/Aigner 2001, S. 166f.
  9. Schneider 1987, S. 9
  10. Ramberger/Aigner 2001, S. 167
  11. Schneider 1987, S. 22
  12. Payer 2002, S. 112
  13. Schneider 1987, S. 25
  14. Schneider 1987, S. 22
  15. Krobot-Slezak-Sternhart, Straßenbahn in Wien, Verlag Slezak, Wien 1972, S. 43
  16. Schneider 1987, S. 27
  17. Jaksch 1976, S. 4
  18. Ramberger/Aigner 2001, S. 169f.
  19. Jaksch 1976, S. 15
  20. Jaksch 1976, S. 42
  21. Payer 2002, S. 116
  22. Schneider 1987, S. 39
  23. Payer 2002, S. 114
  24. Schneider 1987, S. 44f und Jaksch 1976, S. 23
  25. Schneider 1987, S. 45f.
  26. Jaksch 1976, S. 23
  27. Schneider 1987, S. 57f.
  28. Jaksch 1976, S. 25
  29. Payer 2002, S. 113.
  30. a b Payer 2002, S. 115
  31. Schneider 1987, S. 59f.
  32. zitiert nach Schneider 1987, S. 67
  33. Jaksch 1976, S. 37 und Schneider 1987, S. 70f.
  34. a b Payer 2002, S. 117
  35. Jaksch 1976, S. 39
  36. zitiert nach Jaksch 1976, S. 32
  37. Ludwig Faber: Die Instandsetzungsarbeiten an der Brücke der Roten Armee (Reichsbrücke) über die Donau in Wien. In: ZÖIAV, Jahrgang 1953, S. 1-9
  38. Bericht der Expertenkommission zur Beurteilung der Ursache des Einsturzes der Wiener Reichsbrücke. In: der aufbau, Jahrgang 1977, S. 303-313
  39. zitiert nach Schneider 1987, S. 87
  40. Payer 2002, S. 118
  41. Schneider 1987, S. 87
  42. Schneider 1987, S. 123
  43. vgl. hierzu wien.gv.at (Reichsbrücke) (Stand: 19. November 2007), Schneider 1987, S. 123, Jaksch 1976, S. 84f. sowie Payer 2002, S. 120
  44. Arbeiter-Zeitung vom 16. März 1977 Online-Version (Stand: 24. Dezember 2007) sowie Karrer 2002, S. 26
  45. Schneider 1987, S. 127
  46. Schneider 1987, S. 90
  47. Schneider 1987, S. 111f.
  48. Karrer 2002, S. 63ff.
  49. Schneider 1987, S. 112f.
  50. a b c zit. nach Schneider, 1987, S. 93
  51. Payer 2002, S. 119
  52. zitiert nach Schneider 1987, S. 141
  53. a b Die Zeit, Ausgabe 35 vom 23. August 2007: Online-Version (Stand: 24. Dezember 2007)
  54. Jonke, Gert: Reichsbrücke. In: Jonke, Gert: Himmelstraße-Erdbrustplatz oder das System von Wien, Salzburg-Wien 1999, S. 80–83 (erstmals erschienen 1980)
  55. Orthofer, Peter: Apropos Brücken, In: wien aktuell, Heft 10/1980, S. 32
  56. zitiert nach Jaksch 1976, S. 90
  57. Schneider 1987, S. 116
  58. Payer 2002, S. 122
  59. Schneider 1987, S. 111
  60. Vgl.wien.gv.at – Reichsbrücke (Stand:19. November 2007)
  61. Schneider 1987, S. 145
  62. Payer 2002, S. 120
  63. Schneider 1987, S. 149
  64. Wilhelm Schmaus, Sigfried Rölling: Interdisziplinäres Plane – Projektwettbewerb Reichsbrücke Wien. In:Beton und Stahlbetonbau, Jahrgang 1979, S. 101–109.
  65. Schneider 1987, S. 153
  66. Payer 2002, S. 121
  67. Schneider 1987, S. 171
  68. Ramberger/Aigner 2001, S. 178
  69. Schneider 1987, S. 175ff.
  70. www.wien.gv.at (Reichsbrücke Neubau) (Stand: 24. Dezember 2007)
  71. Wiener Zeitung, 10. November 1980
  72. zit. nach Schneider 1987, S. 182
  73. zit. nach Schneider 1987, S. 185
  74. Eine Brücke mit Symbolwert. In: Arbeiter-Zeitung. Wien 10. November 1980, S. 5.
  75. Schneider 1987, S. 185
  76. Schneider 1976, S. 190
  77. a b Die Wiener Reichsbrücke - Instandsetzung 2005. In: Wien.gv.at, Abteilung Brückenbau. Abgerufen am 1. August 2011.
  78. Daten der Radverkehrs-Zählstelle Lassallestraße Richtung Reichsbrücke. Online-Grafik (Stand: 21. November 2007
  79. APA-Journal Bauen&Wohnen v. 17. Mai 2004 und Bau.zeitung Nr. 25/04 v. 18. Juni 2004

Weblinks

 Commons: Reichsbrücke – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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