- Europäisches Kulturerbe-Siegel
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Das Europäische Kulturerbe-Siegel (englisch European Heritage Label; französisch Label Patrimoine Européen) ist eine staatliche Auszeichnung für Kulturdenkmale, Kulturlandschaften oder Gedenkstätten, die auf europäischer Ebene als bedeutend erachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
Zwischenstaatliche Initiative
Die Initiative für ein „Europäisches Kulturerbe-Siegel“ ging 2006 zunächst von einzelnen europäischen Staaten aus (insbesondere Frankreich, sowie Spanien, Ungarn, Portugal und Griechenland).[1] Unmittelbarer Anlass waren die gescheiterten Volksabstimmungen in den EU-Mitgründungsstaaten Frankreich und Niederlande über eine gemeinsame Verfassung der EU im Jahre 2005, nach denen das Bewusstsein der Bevölkerung für Europa gestärkt werden sollte.[2] Der Initiative schlossen sich weitere Länder der Europäischen Union sowie die Schweiz als Nichtmitglied an, insgesamt derzeit 18 Staaten. Seither vergeben diese Länder das Siegel an Stätten „mit grenzüberschreitendem oder gesamteuropäischem Charakter“. Die Länder wählen die materiellen oder immateriellen Kulturgüter jeweils in eigener Verantwortung aus, die Maßstäbe sind dabei von Land zu Land unterschiedlich. Das Sekretariat der Initiative ist derzeit beim Kulturministerium Spaniens angesiedelt.[3] Bisher wurden 64 Objekte in den 18 beteiligten Ländern ausgezeichnet (Stand: Anfang 2010):
Ausgezeichnete Stätten nach dem bisherigen System
Belgien
- Fürstbischöflicher Palast in Lüttich (Wallonien)
- Steinzeug aus Raeren (Deutschsprachige Gemeinschaft)
- Archäologische Ausgrabungsstätte Ehemaliger Palast in Brüssel-Coudenberg
- Archäologische Ausgrabungsstätte Historische Siedlung von Ename (Flandern)
Bulgarien
- Archäologische Stätte Debeltus bei Burgas
- Wassil-Lewski-Denkmal in Karlowo
- Historisches und Architektur-Ensemble Stadtkern Russe
- Musikzentrum „Boris Christoff“ in Sofia
Frankreich
- Abtei Cluny
- Wohnhaus von Robert Schuman (ehem. Präsident des Europäischen Parlaments, gilt als einer der Gründervater der Europäischen Union) in Scy-Chazelles (bei Metz)
- Ehrenhof des Papstpalastes in Avignon
Griechenland
- Akropolis in Athen
- Palast von Knossos, Kreta
- Archäologische Stätte von Poliochni
- Byzantinische Ausgrabungsstätte von Monemvasia
Italien
- Kapitolsplatz in Rom
- Insel Ventotene
- Museums-Geburtshäuser von Puccini, Rossini und Verdi
- Museums-Geburtshaus von Alcide de Gasperi in Pieve Tesino
Lettland
- Historischer Stadtkern von Riga
- Schloss Rundāle (ehem. Ruhenthal)
- Stadt Kuldīga (ehem. Goldingen)
Litauen
- Werke des Komponisten und Malers Mikalojus Konstantinas Čiurlionis
- Historisches Stadtzentrum von Kaunas
- Heilige Wälder von Žemaitėjė und der Berg der Kreuze
- Museum zum Gedenken an die Opfer des sowjetischen Völkermordes (zwischen 1940 und 1991) in Vilnius
Malta
- Katakomben von Rabat
Polen
- Schiffswerften in Danzig
- Hügel Lech (mit Kathedrale, Kirche, Episkopalpalast und Museum) in Gniezno
- Kathedrale St. Stanislaus und St. Wenzeslaus auf dem Wawel-Hügel in Krakau
- Stadtzentrum von Lublin
Portugal
- Kathedrale Sé Velha in Braga
- Convento de Jesus (Kloster und Klosterkirche) in Setúbal
- Bibliothek der Universität Coimbra
- Abschaffung der Todesstrafe
Rumänien
- Archäologische Stätte von Histria
- Palast der Phanariotendynastie der Cantacuzino in Bukarest
- Rumänisches Athenäum in Bukarest
- Brâncuși-Ensemble in Târgu Jiu
Schweiz
- Kathedrale St. Peter in Genf
- Schloss in La Sarraz
- Hospiz St. Gotthard
Slowakei
- Vorrömische religiöse Bauten: Kirche Sankt Margarete in Kopčany und Kirche Sankt Georg in Kostoľany pod Tribečom
- Burg Červený Kameň
- Stadtzentrum von Brezová pod Bradlom
- Mincovňa Kremnica[4]
Slowenien
- Friedhof Žale, Ljubljana
- Partisanenlazarett Franja in Dolenji Novaki
- Heilig-Geist-Kirche in Javorca (bei Tolmin)
Spanien
- Archiv der Krone Aragon
- Königliches Kloster von Yuste
- Kap Finisterre
- Residencia de Estudiantes (Studentenheim, erstes Kulturzentrum Spaniens) in Madrid
Tschechische Republik
- Schloss Kynžvart in Kynžvart (Königswart)
- Antonín-Dvořák-Gedenkstätte in Vysoká u Příbramě)
- Industriegebiet von Zlín (Schuhfabrik Baťa)
- Kohlebergwerk in Vítkovice, Ostrau
Ungarn
- Festung Szigetvár
- Reformierte Kirche und Reformiertes Kolleg in Debrecen
- Königsburg in Visegrád
- Königsburg in Esztergom
Zypern
- Befestigungen von Nikosia
- Burg Kolossi
- Archäologische Stätte von Kourion
- Ring von sechs Kirchen mit byzantinischen und nachbyzantinischen Fresken in der Region Troodos
Umwandlung in eine EU-Initiative
Im März 2010 schlug die Europäische Kommission die Umwandlung der bisher von Einzelstaaten getragenen Initiative in eine formelle EU-Initiative vor. Der Beschlussvorschlag wird nun dem EU-Ministerrat und dem Europäischen Parlament zur Annahme vorgelegt, um eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Wird der Vorschlag angenommen, könnte er 2011 oder 2012 in Kraft treten.[5][6]
Die bisherigen Maßstäbe sollen nach dem Vorschlag durch europaweit einheitliche Kriterien ersetzt werden. Außerdem sollen die Kriterien verändert werden, um nicht mit bereits bestehenden ähnlichen Initiativen wie dem „UNESCO-Welterbe“ oder den „Kulturwegen Europas“ des Europarates[7] zu konkurrieren, die das Siegel lediglich ergänzen soll. Doppelauszeichnungen sollen weitgehend vermieden werden.
Ausgezeichnet werden sollen nunmehr solche Stätten, „die Symbole und Beispiele der europäischen Einigung, der Ideale und der Geschichte der EU sind“. Die Auswahl erfolgt nur nach dem symbolischen Wert der Stätten für Europa, nicht aufgrund der Schönheit oder architektonischen Qualität. Zudem soll die pädagogische Dimension, insbesondere mit Blick auf junge Menschen, eine maßgebliche Rolle spielen.
Jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten soll künftig alle zwei Jahre bis zu zwei Stätten für das Kulturerbe-Siegel vorschlagen dürfen. Die Vorschläge werden von einer unabhängigen Expertenjury bewertet, die aus den Vorschlägen jährlich pro Land maximal eine Stätte auswählen kann. Wer die Experten auswählen und wer die endgültige Entscheidung über die ausgezeichneten Stätten treffen wird, ist noch unklar.
Bereits nach früherem System ausgezeichnete Stätten können das alte Siegel behalten und sich zusätzlich um die Auszeichnung nach dem neuem Reglement bewerben. In diesem Fall müssen sie dann nach den geänderten Kriterien nochmals neu bewertet werden. Nicht ausgeschlossen wird, dass die Möglichkeit zur Teilnahme später auch auf Länder ausgeweitet wird, die zwar nicht Mitglied der EU sind, jedoch am EU-Programm „Kultur“ teilnehmen. Da die Schweiz bisher nicht Mitglied der EU ist und auch nicht am Programm Kultur teilnimmt, wird sie sich also – nach bisherigem Stand der Dinge – nicht mehr am Kulturerbesiegel beteiligen können.[8]
Das neue Europäische Kulturerbe-Siegel soll nach Auffassung der EU-Kommission insbesondere:
- „zu einer besseren Kenntnis und einer größeren Verbundenheit der europäischen Bürger – und insbesondere auch der jungen Menschen – mit ihrem vielfältigen gemeinsamen Kulturerbe und ihrer Geschichte beitragen,
- die Werte der Demokratie und der Menschenrechte, auf denen das europäische Einigungswerk beruht, fördern,
- neben der nationalen Loyalität das Zugehörigkeitsgefühl zur Europäischen Union verstärken und die Bürger anregen, sich aktiv am europäischen Demokratieprozess zu beteiligen,
- zur wirtschaftlichen Attraktivität und zur nachhaltigen Entwicklung der Gebiete, insbesondere durch den Kulturtourismus, einen Beitrag leisten.“[9]
Der aus dem Programm Kultur der EU bestrittene finanzielle Aufwand soll auf die Betreuung und das Marketing des Siegels sowie die Unterstützung des Netzwerks begrenzt bleiben; eine finanzielle Beteiligung an der Restaurierung europäischer Kulturerbestätten ist nicht vorgesehen.
Die laufenden Beratungen zur inhaltlichen und finanziellen Umsetzung der Maßnahme sind weitestgehend abgeschlossen. Eine politische Einigung konnte unter ungarischem Vorsitz im EU-Kulturministerrat am 19. Mai 2011 erzielt werden.[10] Die endgültige Annahme des Beschlusses erfolgt mit der 2. Lesung im Europäischen Parlament, die bis spätestens Ende 2011 durchgeführt werden soll. Neue Stätten könnten nach dem Zeitplan erstmals 2013 ausgewählt werden.
Deutschland
Ursprünglich nahm Deutschland an der zwischenstaatlichen Initiative nur als Beobachter teil. Die Landeskonservatoren legten der für das Europäische Kulturerbe-Siegel zuständigen Kultusministerkonferenz der Länder im Februar 2009 eine Auswahl von sieben Themen bzw. Denkmalkomplexen für die weitere Diskussion vor und schlugen vor, davon vier als deutsche Nominierungen in die engere Wahl zu nehmen (nachstehend kursiv dargestellt)[11]:
- das Erbe der Zisterzienser
- der Bremer Dom (immaterielles Erbe; Geschichtsschreibung als immaterielles Kulturerbe / Schnittstelle zu den Zisterziensern vorhanden);
- Stätten und Denkmale des Westfälischen Friedens in Münster und Osnabrück
- Erbe der Migration
- Bäderarchitektur und Kurorte
- Berliner Mauer und das europäische Erbe des Eisernen Vorhangs
- Stätten des Kalten Krieges in Europa (Verbindung mit immateriellem Erbe)
Im Juni 2009 beschloss der Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz, den Ländern die Themen „Eiserner Vorhang“ und „Stätten der Reformation“ vorzuschlagen. Am 7. Mai 2010 gab darüber hinaus der Bundesrat eine Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine EU-weite Initiative ab, die eine grundsätzliche Zustimmung mit einigen Forderungen beinhaltet.[12] Seit Anfang Dezember 2010 ist Deutschland mit den beiden Vorschlägen der Länder der zwischenstaatlichen Initiative beigetreten. Die Federführung für das Netzwerk von Stätten zum Thema „Eiserner Vorhang“ liegt beim Land Berlin, diejenige für die „Stätten der Reformation“ beim Land Sachsen-Anhalt.[13]
Von anderen Seiten sind weitere Stätten vorgeschlagen worden, darunter die Frankfurter Paulskirche.[14]
Österreich
Auch Österreich hat sich an der zwischenstaatlichen Initiative bisher nicht beteiligt. Am 2. Juni 2010 hat der EU-Unterausschuß des Nationalrates in Anwesenheit von Bundesministerin Claudia Schmied mit den Stimmen der Abgeordneten von SPÖ und ÖVP in einer Ausschussfeststellung den Vorschlag der EU-Kommission zur Umwandlung des Siegels in eine EU-Initiative im Grundsatz befürwortet. Es sei aber notwendig, die Definitionen und Kriterien für das geplante Siegel und das Verhältnis zu bereits existierenden Initiativen weiter zu präzisieren. Der Schwerpunkt solle zudem stärker auf der Vermittlung der europäischen Geschichte und Werte gegenüber Jugendlichen liegen. Das Siegel solle sich laut Schmied nicht allein auf die EU, sondern auf die Geschichte Gesamteuropas beziehen. Aus Gründen der Einheitlichkeit sei Österreich dagegen, den bereits ernannten Stätten den Titel ohne erneute Prüfung zu belassen. Die Bundesländer werden bei der Auswahl einbezogen.
Die Abgeordneten der Oppositionsparteien FPÖ, BZÖ und Grüne im EU-Unterausschuß lehnten den derzeitigen Vorschlag der EU-Kommission einhellig ab, unter anderem, weil er unnötige Bürokratie und Kosten verursache, weil die europäische Identität nicht künstlich mit einem Siegel erzeugt werden könne, sondern erst wachsen müsse und weil das Siegel eher zu Konkurrenz der Staaten und zu Beeinträchtigungen der Stätten durch Tourismus führen werde.[15]
Weblinks
- Anmeldungen der Länder, Webseite der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Europäischen Kulturerbe-Siegel
- Detailinformationen zur zwischenstaatlichen Initiative, Website des spanischen Kulturministeriums (englisch)
- Online-Broschüre, Webseite des französischen Kulturministeriums mit Links zu den bestehenden Kulturerbe-Stätten (in französischer und englischer Sprache)
- Europäisches Kulturerbe-Siegel, Webseite der Europäischen Kommission, Generaldirektion Kultur und Bildung, mit Links zu weiteren Informationen
Einzelnachweise
- ↑ Sandra Ketterer: EU-Siegel für Denkmäler, Das Parlament, Nr. 48, 24. November 2008.
- ↑ EU will eigenes Siegel für Kulturerbe, Kurier, 10. März 2010.
- ↑ Detailinformationen zum bisherigen European Heritage Label, Website des spanischen Kulturministeriums (englisch).
- ↑ Münzstätte in Kremnica gehört zum Europäischen Kulturerbe! abgerufen am 16. Juni 2011
- ↑ Kultur: Kommission schlägt EU-weites Europäisches Kulturerbe-Siegel vor, Pressemitteilung der Europäischen Kommission, 9. März 2010.
- ↑ Text des Vorschlages im Wortlaut. (PDF-Datei)
- ↑ Kulturwege: Unseren Kontinent entdecken!, Webseite des Europarates.
- ↑ EU-Kulturerbe-Label: Schweiz geht leer aus, Tages-Anzeiger, 11. März 2010
- ↑ Informationsvermerk zum Europäischen Kulturerbe-Siegel, 4. März 2009.
- ↑ Politische Einigung zum Europäischen Kultuerbe-Siegel erfolgt, 19. Mai 2011.
- ↑ Empfehlungen der Landeskonservatoren für bundesdeutsche Welterbe und Europa-Erbe-Nominierungen – ein Zwischenbericht.
- ↑ Bundesrat Drucksache 141/10. (PDF-Datei)
- ↑ „Stätten der Reformation“ sollen für das Europäische Kulturerbe-Siegel vorgeschlagen werden, Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt, 28. April 2010.
- ↑ SPD: Erstes Europäisches Kulturerbe-Siegel für Paulskirche, SPD Frankfurt am Main, 16. März 2010.
- ↑ EU will eigenes Kulturerbe-Siegel schaffen Koalition dafür, Opposition dagegen, Aussendung der Parlamentskorrespondenz, APA Originaltext-Service, 2. Juni 2010
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