Frankreich und der Islam

Frankreich und der Islam

Der Islam in Frankreich lässt sich trotz seines traditionell bedeutenden Einflusses auf die französische Politik nur vage in Zahlen erfassen, da nach französischen Staatsbürgerschafts- und Antidiskrimierungsgesetzen offizielle Befragungen zur ethnischen und religiösen Zugehörigkeit unzulässig sind.

Inhaltsverzeichnis

Muslime in Frankreich

Die Demografin Michèle Tribalat des Institut National d'Etudes Demographiques (INED) errechnete eine Zahl von 3,7 Millionen „möglichen“ Muslimen in Frankreich[1] ausgehend von Einwandererzahlen aus islamischen Ländern und deren Nachkommen, bezogen allerdings nur auf nordafrikanische und schwarzafrikanische Einwandererfamilien. Demnach wären von 3 Millionen Maghrebinern und 0,7 Millionen Schwarzafrikanern nur 1,7 Millionen eigentliche Einwanderer, aber weitere 1,7 Millionen deren Kinder, während sich nur 0,3 Millionen Enkel als Einwanderer ausgaben. (Insgesamt leben 14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Frankreich, das sind 23 % der Bevölkerung, deren Elternteile und Vorfahren aber größtenteils Einwanderer aus anderen europäischen Staaten sind.)

Eine ähnliche Studie von Alain Boyer vom französischen Innenministerium schätzt anhand der Einwanderungsdaten eine Zahl von 4.155.000 Muslimen[2] (ohne Berücksichtigung „illegaler“ Immigranten und ohne Einwanderernachkommen), davon 1,55 Millionen Algerier, 1 Million Marokkaner, 0,35 Millionen Tunesier und 0,315 Millionen Türken, aber nur 0,25 Millionen schwarzafrikanische Muslime. Hinzu kommen geschätzte 40.000 französische Konvertiten.

Schätzungen islamischer Organisationen geben die Zahl der Konvertiten, zu denen auch der Nationalspieler Franck Ribéry gehört, mit 70.000 Franzosen an und die Gesamtzahl der Muslime in Frankreich mit 5-6 Millionen (meist 6 Millionen, nach Maximalschätzungen 8 Millionen), da sich 1,5 Millionen Muslime vor allem der dritten Einwanderergeneration als Franzosen bezeichnen. Unter den Muslimen wiederum machen Algerier 35 %, Marokkaner 25 % und Tunesier 10 % aus.

Der deutsche „Taschenatlas Europäische Union“ gibt den Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung Frankreichs mit 8,2% an, bei etwa 60,5 Millionen Einwohnern wären das etwa 4,96 Millionen Muslime.[3] Inzwischen scheint die Schätzung von ungefähr 5 Millionen Muslimen auch in Frankreich Konsens zu sein.[4] In der Wahrnehmung vieler nichtmuslimischer Franzosen werden jedoch Zuordnungen wie Maghrebiner, Algerier, Araber, Muslime und Nordafrikaner synonym verwendet, obwohl z. B. libanesische, syrische und ägyptische Araber z.T. Christen sind oder 1,5 bis 2 Millionen Maghrebiner eher Berber als Araber sind (so z. B. ehemalige Fußballspieler Zinédine Zidane). Daher entsteht gelegentlich der falsche Eindruck, dass die Mehrheit der muslimischen Einwanderer Algerier seien.

Generationenkonflikt und soziale Probleme

Einwanderer aus 41 Nationen leben im Pariser Arbeitervorort Aubervilliers

Die geringe Selbstidentifikation vor allem der dritten Einwanderergeneration als ethnische Muslime ist Ausdruck eines Generationskonfliktes. Während vor allem die älteren muslimischen Einwanderer eher ländlich, traditionell sowie orientalisch geprägt sind und auch die meisten Imame aus dem Orient kommen, gelten große Teile ihrer jugendlichen Nachkommen, für welche sich die umgangssprachliche Bezeichnung Beurs eingebürgert hat, als verstädtert, europäisiert bzw. franzosisiert und favorisieren einen Euro-Islam (Bassam Tibi und Tariq Ramadan) sowie eine von westlichen Einflüssen geprägte Mischkultur (z. B. Raï-Musik oder Französischer Hip-Hop).

Die Situation der Maghrebiner in Frankreich ist z.T. jener der Türken in Deutschland ähnlich, die sozialen Probleme scheinen sich zu gleichen: Ghettoisierung (in Frankreich die Vorstädte), bis zu 30 %ige Arbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit und eine höhere Ausländerkriminalität, schlechte bzw. mangelhafte Integration. Diese explosive Situation entlud sich seit 1979 immer wieder und fand ihren vorläufigen Höhepunkt im November 2005 in den Pariser Vorstadtunruhen. Der damalige französische Innenminister Nicolas Sarkozy verschärfte die Situation noch, in dem er die revoltierenden Jugendlichen als „racaille“ („Abschaum“, „Gesindel“) bezeichnete. In die Proteste mischte sich islamischer Antisemitismus, muslimische Nordafrikaner bezeichneten Sarkozy, dessen Mutter z.T. jüdische Wurzeln hat, als „sale juif“ („schmutzigen Juden“).

Geschichte

Der Islam in Frankreich ist älter als die Geschichte Frankreichs selbst. Die arabische Eroberung Narbonnes 719 (nur acht Jahre nach dem arabischen Sieg über die spanischen Westgoten) lag noch vor Aufstieg (737, 751), Kaiserkrönungen (800, 814) und Reichsteilungen (843, 870, 880) der Karolinger, und erst mit ihrem endgültigen Sturz durch die Kapetinger begann  987 die Geschichte des eigentlichen Frankreich.

Mauren und Sarazenen

Von Narbonne aus eroberten die Muslime im 8. Jahrhundert über Arles, Nîmes und Avignon die Provence im Osten, Bordeaux und Toulouse im Westen, im Norden stießen sie vom Rhônetal und entlang der Saône über Lyon zur Frankenhauptstadt Autun vor, die sie 725/26 und 731 plünderten, sowie über Dijon bis Sens nahe der Loire, Langres und Luxeuil. Faktisch ganz Frankreich bzw. das Frankenreich südlich der Loire (von den Arabern Firandja genannt) fiel vorübergehend in ihre Hand, der Herzog von Aquitanien verbündete und verschwägerte sich mit ihnen gegen den fränkischen König. Der Geister, die er rief, bald nicht mehr Herr, wechselte er wieder die Seiten, doch die Aquitanier wurden bei Toulouse von den Arabern besiegt. Die Plünderung des reichen Klosters von Tours aber scheiterte 732 durch die Niederlage in der Schlacht von Tours und Poitiers, die in der christlichen Geschichtsschreibung allerdings fälschlich als Rettung des Abendlandes vor islamischer Herrschaft überhöht wird, denn 735 griffen die Araber erneut an. Im Gegenstoß eroberten die Franken 739/751 Septimanien und 759 auch Narbonne. Aquitanische Aufstände parallel zu arabischen Einfällen in die Gascogne und die Provence hielten aber bis 765 an, ein Gegenstoß Karls des Großen scheiterte 778 vor Saragossa.

Zum Schutz vor den Muslimen errichtete Karl als Pufferzone 781 das Teilkönigreich Aquitanien unter seinem Sohn Ludwig dem Frommen, doch Narbonne und Carcassonne wurden von ihnen 793 nochmals kurz zurückerobert. Daraufhin schuf Karl 795 die vorgeschobene Spanische Mark (812 bis zum Ebro erweitert) unter den Markgrafen von Barcelona, die Geburtsstunde Kataloniens (Barcelona 801, 827 und 852, letztmals 985 von Mauren erobert und letztmals 1115 belagert, bis 1137 französisch).

Kalif Harun schenkte Kaiser Karl 801 einen weißen Elefanten namens Abul Abbas

War schon der fränkische Zug nach Saragossa in Absprache mit den irakischen Abbasiden gegen die spanischen Umayyaden erfolgt, so tauschten Kaiser Karl und Bagdads Kalif Harun ar-Raschid in der Folgezeit weitere Gesandtschaften und Geschenke aus.

Im 9. Jahrhundert setzten sich die Muslime trotz einer fränkischen Intervention auf Korsika fest (810/860–930/1020), während Ludwigs I. (des „Frommen“) Enkel Ludwig II. den Islam in Italien bekämpfte. Ab 838 überfielen sie erneut Südfrankreich und das Rhonetal, plünderten z. B. 832 und 848 Marseille bzw. 813, 859 sowie 880 Nizza und errichteten 888 auch wieder in der Provence mit Fraxinetum einen neuen Brückenkopf, der sich den spanischen Mauren unterstellte. Von dort unternahmen sie im 10. Jahrhundert Plünderungszüge im Westen bis nach Arles (Hauptstadt des Königreich Burgund) sowie entlang der Rhone bis Avignon, Vienne (bei Lyon) und Grenoble, stießen im Norden über Genf (939) auch zu den Schweizer Alpenpässen und im Osten über Nizza (942) nach Oberitalien vor und beherrschten dann längere Zeit die Schweiz (952–960), Savoyen (942–965) und die Provence (906–972), ehe sie 973/75 auch Fraxinetum aufgaben. Gleichzeitig stießen Muslime im Jahr 920 aus Spanien selbst über die Pyrenäen vor, verwüsteten ungehindert die Gascogne und bedrohten nochmals Toulouse.

Im 11., 12. und 13. Jahrhundert beteiligten sich französische Ritter an den Kreuzzügen. In Spanien halfen sie der Reconquista 1064 bei der Plünderung Barbastros, 1118 bei der Einnahme Saragossas und 1212 in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa. 1098–1291 griffen sie vor allem Syrien und Palästina an und errichteten dort Kreuzfahrerstaaten, französische Adelige wurden Könige von Jerusalem und (lateinische) Kaiser von Konstantinopel. Frankreichs König Ludwig IX. griff 1254 und 1270 vergeblich auch das ayyubidische Ägypten und das hafsidische Tunesien an. König Karl VI. führte 1390 und 1396 nochmals ebenso erfolglos Angriffe gegen Tunesien und die Türken, französische Truppen halfen 1399–1402 bei der Verteidigung des belagerten Konstantinopel.

Bündnis mit den Türken

Erst im 16. Jahrhundert trat Frankreich dann wieder mit dem Islam in Kontakt. Gegen die Umkreisung durch spanische und österreichisch-deutsche Habsburger, die damals auch Belgien und Italien beherrschten, schloss Frankreich 1536 ein bedeutsames Bündnis mit dem Reich der osmanischen Türken. Es war das erste und über Jahrhunderte das einzige Bündnis eines abendländischen Staates, dessen König sich (seit 1469 (Ludwig XI.)) vom Papst immerhin „allerchristlichste Majestät“ nennen ließ, mit den orientalischen Sultanen von Istanbul, die als kalifale Nachfolger der Abbasiden auch oberste Führer des (sunnitischen) Islam zu sein beanspruchten.

Dieses überlebenswichtige Bündnis isolierte Frankreich vorübergehend in der katholischen Welt, die Protestanten schlossen jedoch Bündnisse mit Frankreich und verweigerten dem katholischen Kaiser die Reichstürkenhilfe gegen die „Türkengefahr“. Auf dem Höhepunkt der französisch-spanischen Kämpfe um Italien griffen türkische Truppen Österreich 1529 (erfolglos) an, während algerisch-türkische Piraten mit französischer Unterstützung italienische und spanische Küstenstädte plünderten, so z. B. gemeinsam mit einem französischen Landheer 1543 Nizza. Frankreich war das einzige katholische Land, in dem nach der türkischen Niederlage in der Seeschlacht von Lepanto 1571 nicht das Te Deum anlässlich des christlichen Sieges über die Muslime angestimmt wurde.

Nach der zweiten Niederlage seiner türkischen Verbündeten vor Wien 1683 griff Frankreich in einem (vergeblichen) Entlastungsangriff Österreich von Westen an und zog damit das Deutsche Reich erstmals in einen Zweifrontenkrieg. Von da an entschieden sich auch immer wieder einzelne Franzosen für eine Konversion zum Islam, so z. B. der Artilleriegeneral Bonneval, der die Türken 1739 zum letzten Sieg über Österreich führte. Im Österreichischen Erbfolgekrieg kämpften Türken und Tataren ab 1743 als französische Freiwillige in den Volontaires de Saxe. Um 1750 schloss Frankreich auch Bündnisse mit dem Nizam von Hydarabad und anderen muslimischen Fürsten Indiens, bis 1799 unterstützte zudem auch das revolutionäre Frankreich Tipu Sultan von Maisur, während die Briten dessen hinduistischen Gegnern beistanden.

Doch unter Napoléon Bonaparte, der 1798 als Revolutionsgeneral dem Osmanischen Reich Ägypten entriss, zerbrach das französisch-türkische Bündnis. Napoleon hatte im gleichen Jahr auch in Rom den Papst entthront und dann in Ägypten seine Proklamationen mit „Sultan kabir“ (großer Sultan) unterzeichnet, woraufhin ihn radikale Katholiken ebenso wie später auch russische Orthodoxe als vom Glauben abgefallener „Antichrist“ ansahen.

Frankreich und Ägypten

Nach seinem Sieg im Schatten der Pyramiden unterwarf Napoleon 1798 die Mamluken und Ägypten, dann zog er gegen Syrien
Datei:Francisco de Goya y Lucientes 026.jpg
Goya: Die mitgebrachten Mamluken bekämpften 1808 Madrider Aufständische

Die Ägyptische Expedition der Franzosen hatte dennoch bedeutende Auswirkungen sowohl für Frankreich als auch für die gesamte Arabische Welt. Zwar blieb Ägypten nur bis 1801 französisch, doch der letzte Gouverneur (General Menou) nahm den Islam an, und Napoleon brachte aus Ägypten einige Hundert Muslime (Mamluken) mit, die in französischen Diensten z. B. 1808 den Aufstand in Madrid niederschlagen halfen. Der Mameluck Roustam diente Napoleon viele Jahre als Kammerdiener, und die neugewonnenen Kenntnisse über den Islam und die Region beflügelten die französische Orientalistik erheblich. Auf orientalischer Seite wiederum löste das französische Vorbild (z.T. überstürzte) Modernisierungsbestrebungen der türkischen Sultane und der ägyptischen Vizekönige aus, Rifa'a Rafi' al-Tahtawi und andere Studienreisende entdeckten Frankreich und Europa ebenso wie Al-Afghānī und sein Schüler Muhammad Abduh, doch mit der Moderne drang fortan auch der dem Islam fremde Nationalismus in den gesamten Orient ein.

Zusammen mit Großbritannien und Russland hatte Frankreich den Griechischen Aufstand unterstützt und bei Navarino 1827 die türkisch-ägyptische Flotte vernichtet, dann aber ein Bündnis mit Ägypten geschlossen. Dieses auf dem Höhepunkt der „Orientalischen Krise“ geschlossene französisch-ägyptische Bündnis von 1830–40 isolierte Frankreich gegenüber der Quadrupelallianz kurzzeitig erneut und führte zum endgültigen Zusammenbruch der „Heiligen Allianz“ in Europa, während der ebenfalls zum Islam übergetretene französische Artilleriegeneral Seve die ägyptische Armee modernisierte. Die Ägyptenexpedition war auch der Auftakt zu französischen Kolonialerwerbungen islamischer Gebiete auf Kosten des Osmanischen Reiches, wenn auch Frankreich unter Napoléon III. im Krimkrieg 1853–56 nochmals auf Seiten der Osmanen gegen Russland kämpfte. Frankreich, das 1740 von den Türken als Beschützer der Katholiken im Osmanischen Reich und der christlichen Heiligtümer in Jerusalem geehrt worden war, war in Konflikt mit Russland geraten, als dieses die gleichen Rechte und die Schutzherrschaft für die orthodoxen Christen beansprucht hatte. Schon 1860 intervenierte Frankreich zugunsten der syrischen Christen wieder gegen die Osmanen.

Von vergleichsweise größter Bedeutung war dabei 1830 die Besetzung der algerischen Küstenstädte Algier, Oran und Bone (Annaba), die zum Ausgangspunkt der Eroberung des gesamten Maghreb einschließlich Tunesiens (1881), Mauretaniens (1905) und Marokkos (1912) wurden. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kamen in der Levante bzw. im arabischen Osten (Maschriq) 1920 auch Syrien und der Libanon unter französische Mandatsherrschaft, eine erste Welle muslimischer Einwanderung folgte. Ein 1925 gleichzeitig in Marokko und Syrien ausgebrochener Aufstand wurde mit nationalistischer Begeisterung 1927 niedergeschlagen.

Frankreich und Algerien

Algerische Muslime im französischen Heer: Turkos rechts und hinten, Zuave links (1897)

Obwohl seit 1637/1659 und 1791/1859 auch Senegal (älteste dauerhafte islamische Kolonie Frankreichs), seit 1654 Réunion, seit 1841/1885 die Komoren (bis 1975) und seit 1862 Dschibuti (bis 1977) französisch waren, spielte Algerien die zentrale und besondere Rolle im französischen Kolonialreich, vergleichbar der Indiens im britischen Empire. Das wurde nach der bürgerlich-demokratischen Revolution 1848 durch die Einbeziehung dreier algerischer Departements ins französische Mutterland noch verstärkt bzw. verkompliziert: Algier, Oran und Constantine (Hinterland von Bone/Annaba, von dort kamen die Zuaven). Algerien war nun geteilt: die Sahara stand unter kolonialer bzw. seit 1871 unter Militärverwaltung, während die von Algeriern und einer Minderheit französischer Siedler bewohnte Küstenregion als unmittelbarer Teil der Republik selbstverständlich keine Autonomie erhalten konnte.

Als Franzosen fielen Hunderttausende Algerier und Senegalesen im Deutsch-Französischen Krieg sowie auf den Schlachtfeldern beider Weltkriege. Am Ersten Weltkrieg hatten allein in Frankreich über 400.000 Nord- und Schwarzafrikaner, davon 170.000 Algerier teilgenommen, 70.000 von ihnen waren gefallen, davon 25.000 Algerier – zum Dank an die im Ersten Weltkrieg in der Schlacht um Verdun getöteten 100.000 Muslime wurde 1922 die Pariser Moschee errichtet. Im Zweiten Weltkrieg spielten der Senegal bzw. der Tschad und 500.000 afrikanische Soldaten auf der Seite der „Freien Franzosen“ eine Schlüsselrolle bei der Befreiung des französischen Mutterlandes (250.000 kämpften in Tunesien und Libyen, 15.000 auf Korsika, 200.000 in Frankreich selbst, fast 400.000 in Italien, Tausende wurden Besatzungstruppen in Deutschland und Österreich). Die „Freien Franzosen“ hatten 1943/44 Syrien und den Libanon in die Unabhängigkeit entlassen müssen, als aber nach Kriegsende 100.000 entlassene algerische Soldaten zumindest Autonomie auch für ihre Heimat forderten, wurden sie 1945 zusammengeschossen (Massaker von Sétif, 40.000 Algerier wurden dabei getötet), bereits 1944 waren ähnliche Proteste der Tiraileurs Sénégalais blutig niedergeschlagen worden). Algeriens Muslime erhielten zwar französische Bürgerrechte, Algerien selbst wurde so aber nur noch enger an Frankreich gebunden, da in der Sahara Erdöl gefunden wurde.

Unmittelbar nach der französischen Niederlage im Indochinakrieg 1954 brach der algerische Aufstand aus, gefördert durch nasseristische Agitatoren aus Ägypten. Bereits 1953 hatten sich die Marokkaner erhoben. Nach einer gescheiterten Intervention in Ägypten und der „Schlacht von Algier“ musste Frankreich 1956 Marokko und Tunesien in die Unabhängigkeit entlassen, 1958 bzw. 1960 auch Senegal und ganz Schwarzafrika, in Algerien aber putschten französische Siedler gegen einen französischen Rückzug oder die 1959 angebotene Autonomie. Dennoch endete der Algerienkrieg, der die algerische Gesellschaft gespalten und auch Frankreich selbst an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht hatte, nach über 500.000 Toten (anderen Angaben zufolge 1,5 Millionen) 1962 mit der Unabhängigkeit Algeriens.

Zusammen mit zwei Millionen Siedlern und profranzösischen Algeriern flohen fast 100.000 algerische Söldner, sogenannte „Harkis“, nach Frankreich (weitere 150.000 Harkis sollen der algerischen Rache überlassen worden sein). Fast zeitgleich mit den Harkis strömte in den 1960er Jahren als ins Land gerufene Gastarbeiter die zweite Welle muslimischer Einwanderer nach Frankreich. Wegen des einstigen Sonderstatus Algeriens haben zur Zeit der französischen Herrschaft geborene Algerier und selbst deren Kinder bis heute ein automatisches Anrecht auf die französische Staatsbürgerschaft (anders als etwa Marokkaner, Tunesier oder Senegalesen).

Zusammenfassung (Zeittafel)

  • 8./9. Jahrhundert – islamische Angriffe auf Südwestfrankreich (Narbonne 719–759 arabisch), aber Freundschaft des Frankenkaisers mit dem Kalifen in Bagdad
  • 9./10. Jahrhundert – islamische Angriffe auf Südostfrankreich (Korsika 810–930/1020 und Fraxinetum 888–975 arabisch)
  • 11.–13. Jahrhundert – französische Kreuzzüge gegen den Islam in Spanien, Palästina, Ägypten und Tunesien
  • 16.–18. Jahrhundert – französisch-osmanisches Bündnis (1536–1798)
  • 17. Jahrhundert – Eroberung Senegals und Réunions
  • 18. Jahrhundert – Bündnis Frankreichs mit muslimischen Fürsten Indiens
  • 19. Jahrhundert – französisch-ägyptisches Bündnis und Eroberung Algeriens
  • 20. Jahrhundert – Erwerb weiterer islamischer Kolonien (Maghreb und Levante) und Verlust derselben trotz Einbürgerung der Muslime, Algerienkrieg und muslimische Einwanderung trotz Integrationsproblemen, Freundschaft Frankreichs zum Irak (1973–2003)

Staat und Religion

Muslime und Moscheebau

Für 4-6 Millionen Muslime gibt es 2.147 islamische Gebetsstätten im Jahr 2006.[5] Zentren des Islam in Frankreich sind heute die Pariser Vororte (z. B. Saint- Denis), Lyon, Straßburg und vor allem Marseille.

Paris
Die Pariser Moschee wurde von der französischen Regierung als Zeichen des Dankes an die Muslime, die im Ersten Weltkrieg mit Frankreich gegen Deutschland gekämpft hatten, erbaut und am 15. Juli 1926 vom französischen Präsidenten Gaston Doumergue eröffnet.
Marseille
Der Stadtrat von Marseille hat am 16. Juli 2007 den Bau der „Mosquée von Saint-Louis“ auf dem Gelände des früheren Schlachthofs genehmigt.

Der Vorsitzende des Moscheevereins „La Mosquée de Marseille“, Nourredine Cheikh, will mit dem Bau der Moschee die Muslime aus den Hinterhöfen herauszuführen. Der Bau mit zwei 25 Meter hohen Minaretten wird 2000 Gläubigen Platz bieten und voraussichtlich 8,6 Millionen Euro kosten. Marseille zählt etwa 200.000 muslimische Einwohner. [6]

Imame und Imam-Ausbildung

Im laizistischen Frankreich ist bisher keine staatliche Ausbildung oder ein anerkanntes Studium für Imame möglich, Pläne für einen islamischen Studiengang oder eine Angliederung an die Universität von Strassburg oder die Universität Paris werden nicht absehbar verwirklicht. Seit 1992 gibt es mit dem „Institut Européen des Sciences Humaines“ der UOIF und FIOE ein privates Ausbildungsinstitut für Imame, das jedoch wegen seiner islamistischen Ausrichtung umstritten ist und nur wenige als Imam tätige Absolventen vorweisen kann.[7] Weiterhin sind die islamischen Geistlichen meist im Ausland ausgebildet. Nur ein Drittel der Imame spricht daher fließend Französisch, je ein weiteres Drittel hat gerade mal durchschnittliche bzw. nur mangelhafte Französischkenntnisse. Einige von ihnen stehen unter dem Einfluss ausländischer Islamisten, die französische Regierung hat einige radikale Imame von Pariser Moscheen ausgewiesen.

Islamismus versus Euro-Islam

Ideologisch konkurrieren ein „aufgeklärter“ Euro-Islam, ein zunehmend republikanisch-laizistisches Alltagsleben vor allem der Einwanderer-Enkel und islamistische Strömungen miteinander. Die muslimischen Strömungen wiederum treffen auf den Widerstand französischer Nationalisten, die eine Islamisierung abzuwenden versuchen. Etwa 1987 entlud sich dieser Konflikt an der französischen Politik gegenüber dem schiitischen Iran (Frankreich unterstützte im irakisch-iranischen Krieg massiv den Irak) und dem Libanon, Paris wurde Ziel zahlreicher blutiger Terroranschläge. In den Jahren 1994/95 trugen die algerischen Extremistengruppen GIA und MIA erneut den Terrorismus nach Paris und Marseille, u. a. gegen die Pariser Metro, während Frankreich die Anti-Terror-Einheiten in Algerien unterstützte.

Vertretung muslimischer Interessen

Dem 2002 vom damaligen französischen Innenminister Sarkozy geschaffenen „Conseil français du culte musulman“ (CFCM) gehören die von Marokkanern dominierte „Nationale Föderation Französischer Muslime“, die von Algerien geleitete Pariser Moschee sowie die Union Islamischer Organisationen Frankreichs (UOIF) an. Die französische Regierung hofft so, aus dem Islam in Frankreich einen „französischen Islam“ zu machen. Dieser Rat, dessen formaler Vorsitzender Dalil Boubakeur, der algerische Imam der Großen Moschee in Paris ist, setzt die Muftis von Paris und Marseille ein (und ab), in Marseille allerdings machte sich der von Boubakeur zum Großmufti erhobene liberale Soheib Bencheikh (Sohn algerischer Eltern) unabhängig und versuchte vergeblich für die Präsidentschaftswahlen 2007 zu kandidieren.

Weitere, aber kleinere Parteien sind die Tariq Ramadan nahestehende „Konföderation der Muslime Frankreichs“ sowie einige dem Konvertiten René Guénon folgende Organisationen. Zudem haben zahlreiche Exilgruppen ausländischer Politiker Asyl in Frankreich gefunden, z. B. der islamisch-sozialistische Nationale Widerstandsrat Irans unter „Präsidentin“ Maryam Radschawi. Neben iranischen leben auch zahlreiche kurdische Emigranten in Frankreich.

Im Wahlkampf 2007 haben die „Vereinigung der islamischen Organisationen in Frankreich“ (Union des organisations islamiques de France, UOIF) und Dalil Boubakeur, der Rektor der Pariser Zentralmoschee und derzeitige Vorsitzende des CFCM, sowohl dem scheidenden Präsidenten Jacques Chirac als auch seinem am 6. Mai 2007 gewählten Nachfolger, dem Vorsitzenden der konservativ-liberalen Einheitspartei UMP, Nicolas Sarkozy, ihre Unterstützung zugesagt.[8]

Literatur

  • Mohammed Arkoun: L´islam et les musulmans dans le monde. Paris 1993
  • Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt 2001
  • Burchard Brentjes: Die Mauren. Leipzig 1989
  • Ulrich Haarmann: Geschichte der Arabischen Welt. C.H. Beck München, 2001 ISBN 3406381138
  • Constanze von Krosigk: Der Islam in Frankreich – Laizistische Religionspolitik von 1974 bis 1999. Hamburg 2000
  • Alexandre Escudier: Der Islam in Europa – Der Umgang mit dem Islam in Frankreich und Deutschland. Göttingen 2003
  • Thomas Deltombe: L’islam imaginaire – La construction médiatique de l’islamophobie en France 1975–2005. Paris 2005
  • Hans Leicht: Sturmwind über dem Abendland – Europa und der Islam im Mittelalter. Wiesbaden 2002 (wegen einiger Fehler, Ungenauigkeiten und Vorurteile mit gewisser Vorsicht zu genießen)

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 3,7 millions de musulmans en France - Les vrais chiffres L'Express du 04/12/2003
  2. Alain Boyer in: Haut Conseil à l'Intégration „L’islam dans la république“, 2000, Seite 26
  3. Taschenatlas Europäische Union, Seite 81. Klett-Perthes Verlag Gotha und Stuttgart 2007.
  4. Jonathan Laurence et Justin Vaïsse, „Intégrer l'Islam“ Seite 36 ff., Odile Jacob, 2007, ISBN 9782738119001
  5. Statistik und Karte der Zeitung "La Croix"
  6. Europa streitet um Moschee, 13. August 2007
  7. C'est l'anarchie, L'introuvable imam made in France Nouvel Observateur, 23. März 2006
  8. Qantara – Website der Deutschen Welle

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