Unruhen in Frankreich 2005

Unruhen in Frankreich 2005
Von den Unruhen betroffene Départements
Die Brennpunkte in der Pariser Umgebung

Bei den gewalttätigen Unruhen in Frankreich im Oktober und November 2005 handelte es sich um eine Serie von zunächst unorganisierten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen sowie gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei in der so genannten Banlieue des Großraums Paris, die am Donnerstag, dem 27. Oktober 2005, nach dem Unfalltod zweier Jugendlicher begannen. Zunächst beschränkten sich die Ausschreitungen auf den Heimatort der Jugendlichen, den Pariser Vorort Clichy-sous-Bois. Im Laufe der folgenden Tage weiteten sich die Unruhen zunächst auf Départements des Pariser Umlands wie Seine-et-Marne oder Val-d’Oise, später auch auf andere französische Städte wie Lille, Rouen, Rennes, Dijon, Toulouse und Marseille aus. Alleine am Abend des 3. November wurden 500 Autos und mehrere Häuser in Aulnay-sous-Bois, Neuilly-sur-Marne, Le Blanc-Mesnil sowie im Département Yvelines in Brand gesteckt.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Trafostation in Clichy-sous-Bois, an der die Ereignisse am 27. Oktober 2005 ihren Ursprung hatten

Auslöser für die Gewalt waren Gerüchte um den Tod zweier Jugendlicher aus in Frankreich lebenden Immigrantenfamilien (Ziad Benna, 17, und Bouna Traoré, 15),[1] die am 27. Oktober 2005 in Paris auf der Flucht vor der Polizei die Absperrung zu einem Transformatorenhäuschen überwanden und dort von Stromschlägen tödlich getroffen wurden. Ein weiterer Jugendlicher, der türkischstämmige Muhttin Altun (17), wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Der Staatsanwalt François Molins gab an, dass die Jugendlichen vor Polizisten flüchteten, die allerdings eine andere Gruppe verfolgten, die sich einer Personenkontrolle entziehen wollte. Dies bestätigt auch der damalige französische Innenminister Nicolas Sarkozy, nachdem er zunächst die Todesopfer des Diebstahls von Baumaterial bezichtigt hatte, was sich schnell als falsch herausstellte. Nachdem die offizielle Untersuchung abgeschlossen wurde, eröffnete Sarkozy ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung gegen Unbekannt. Polizisten hatten von der Anwesenheit der Jugendlichen auf dem Gelände gewusst, hätten sich aber trotz der Lebensgefahr der Jugendlichen nicht um diese gekümmert. Diese Vermutung der Angehörigen konnte mittlerweile durch Mitschnitte des Polizeifunks bestätigt werden.

Überraschend kam der Ausbruch der Gewalt nicht. So wurden im Jahr 2005 bereits vor dem Beginn der eigentlichen Unruhen jede Nacht etwa 90 Autos in Frankreich in Brand gesteckt, insgesamt 28.000 seit Beginn des Jahres 2005. Daneben wurden ca. 17.500 Müllcontainer angezündet, 5.760 Bushaltestellen, Telefonzellen und andere städtische Einrichtungen zerstört und 3.832 Angriffe auf Polizei oder Feuerwehr gezählt.[2][3] Für mediales Aufsehen sorgte lediglich eine Serie von Brandanschlägen auf jüdische Einrichtungen, die die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Israel belasteten.

Unruhen

Brennendes Auto in Straßburg,
5. November 2005
Das ausgebrannte Wrack

Bisher kam es nach diesem Vorfall 20 Nächte in Folge zu öffentlichen Krawallen und Straßenschlachten, bei denen von Seiten der Beteiligten vereinzelt mit scharfer Munition geschossen wurde. Am ersten Abend steckten mehrere Jugendbanden etwa zwei Dutzend Autos in Brand. Glasfenster wurden zerbrochen und Bushaltestellen zerstört. Die Krawalle begannen zunächst nur im von hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägten Ort Clichy-sous-Bois bei Paris, bis es in mehreren Städten Frankreichs zu Ausschreitungen kam. Die Polizei versuchte, meist erfolglos, den Ausschreitungen der Jugendbanden Einhalt zu gebieten. Besonders stark flackern diese Unruhen seit dem 30. Oktober, als am Abend zwei Tränengas-Granaten vor einer voll besetzten Moschee explodierten. Dieser Vorfall wird von den Jugendlichen der französischen Polizei angelastet, welche dies jedoch bestreitet.

In Dijon und bei Marseille wurden mehr als 30 Autos angezündet. Polizisten wurden mit Steinen beworfen, und es gab Angriffe auf öffentliche Gebäude wie Rathäuser, Schulen oder Polizeiwachen. Seit dem Beginn der Unruhen wurden fast 8.500 Autos zerstört; etwa 2.500 Personen wurden festgenommen.

Im Département Seine-Saint-Denis, nordöstlich von Paris, wurden 1300 Sicherheitskräfte eingesetzt, die dort die Lage unter Kontrolle bringen sollen. Der öffentliche Nahverkehr musste eingestellt werden, da zahlreiche Busse ständig mit Steinen beworfen oder durch Brände vollständig zerstört wurden.

Am 4. November wurde im Pariser Vorort Stains der 61jährige Franzose Jean-Jacques Le Chenadec von einem Demonstranten zusammengeschlagen und erlag seinen schweren Kopfverletzungen.

In der Nacht zum 7. November gingen in der bisher schwersten Krawallnacht nach Aussagen der Polizei 1408 Autos sowie erneut zahlreiche Gebäude vom Kindergarten bis zum Krämerladen in Flammen auf.

312 Randalierer und Brandstifter, darunter auch viele Minderjährige, seien festgenommen worden, teilte die Polizei in Paris mit. Die meisten Täter stammen aus muslimischen Einwandererfamilien aus Nordafrika und christlichen Einwanderfamilien aus Schwarzafrika.

Die Aufrufe der Regierung, muslimischer Würdenträger und auch der Eltern der zwei Jungen, deren Unfalltod die Unruhen ausgelöst hatte, verhallten ungehört. Brandstifterbanden zogen vermehrt auch in ruhige Viertel. Sogar im Zentrum von Paris wurden einige Autos angezündet.

In Nantes, Rennes, Rouen und Montargis wurden Dutzende Autos und Mülleimer angezündet. Im südfranzösischen Toulouse musste die Feuerwehr nach eigenen Angaben etwa 50 Mal ausrücken, um von Jugendgruppen gelegte Brände zu löschen. Dutzende Jugendliche wurden festgenommen. In Evreux in der Normandie wurde ein Einkaufszentrum bei Zusammenstößen zwischen bewaffneten Jugendlichen und der Polizei schwer beschädigt. Trotz der Aufrufe der französischen Regierung zu Ruhe und Ordnung setzten randalierende Jugendliche die nächtliche Gewalt vorerst fort. 34 Polizisten wurden bei Auseinandersetzungen mit Jugendbanden in Pariser Vorstädten und anderswo im Land verletzt, teilten die Sicherheitskräfte mit. Bis Mitternacht zählte die Polizei mehr als 500 angesteckte Autos und knapp 100 Festnahmen. Zuvor hatte Staatspräsident Jacques Chirac die „Wiederherstellung der Sicherheit und Ordnung” zur absoluten Priorität erklärt. Am 7. November gab es nach Meldungen der Polizei ein erstes Todesopfer. In Raincy (Seine-Saint-Denis) wurde vom Bürgermeister für den 7. November eine Ausgangssperre verhängt.

Zahlen und Daten

Nacht zerstörte Autos Festnahmen
27.10.–28.10. 21 0
28.10.–29.10. 29 14
29.10.–30.10. 28 19
30.10.–31.10. 8 0
31.10.–01.11. 68 0
01.11.–02.11. 228 0
02.11.–03.11. 315 29
03.11.–04.11. 596 78
04.11.–05.11. 898 253
05.11.–06.11. 1295 349
06.11.–07.11. 1408 395
07.11.–08.11. 1173 330
08.11.–09.11. 617 280
09.11.–10.11. 482 203
10.11.–11.11. 463 201
11.11.–12.11. 502 206
12.11.–13.11. 374 212
13.11.–14.11. 284 115
14.11.–15.11. 215 71
15.11.–16.11. 165 44
16.11.–17.11. 98 33
Gesamt 9267 2832

Quelle: [1]

Reaktionen

Am 5. November erklärte der für die innere Sicherheit zuständige französische Innenminister Nicolas Sarkozy, dass „der Staat die Gewalt nicht akzeptieren“ könne. In der Nacht zum 6. November besuchte er überraschend eine Polizeistation im Département Essonne im Süden von Paris, wo er sich mit festgenommenen Minderjährigen auseinandersetzte. Der sozialistische Senator Jean-Luc Mélenchon hatte zuvor die Notwendigkeit eines Dialogs mit den Jugendlichen angemahnt. Die Situation dürfe nicht zum „Konflikt zwischen verzweifelten Jugendlichen und zornigen Polizisten werden”.

Sarkozy geriet immer mehr unter Druck. Durch seine Law-and-order-Parolen (Schlagwort: „Tolérance zéro“) wurde er zur Hassfigur der Jugendlichen, die meist nordafrikanischer Herkunft sind. Sarkozy behauptet, dass diese Unruhen perfekt geplant wären. Kritisiert wurde er unter anderem dafür, dass er die Jugendlichen als „Gesindel“ und „Abschaum“ („racaille“) bezeichnete, den man „wegkärchern“, also mit einem „Hochdruckreiniger wegspritzen“ müsse, mit dem Argument, wer auf „Beamte, Familienväter oder junge Leute von der eigenen Hautfarbe“ schieße, könne nur so bezeichnet werden, und so noch mehr Öl ins Feuer gegossen habe. In diesem Zusammenhang sprach er auch vom „Wundbrand“, den es „wegzuschneiden“ gelte. Jugendliche aus den Vororten forderten Sarkozys Rücktritt. Auch Teile der Regierungspartei UMP, deren Vorsitzender Sarkozy ist, rückten von ihm ab. Präsident Jacques Chirac rief dagegen zur Ruhe und zum Dialog auf. Kritisiert wurde auch, dass Sarkozy die orts- und bürgernahe police de proximité[4] abgeschafft hat, die für Schlichtungen vor Ort eintreten sollte. Chirac selbst wird dafür kritisiert, dass er sich erst nach tagelangem Schweigen zu den Ereignissen geäußert hat.

Premierminister Dominique de Villepin traf sich mit Protestierern aus betroffenen Vierteln zu Gesprächen. Er sagte, es handele sich um Schüler, Studenten, Arbeitslose und Inhaber von Billiglohnjobs. Er äußerte, einen Aktionsplan initiieren zu wollen.

Die Vizevorsitzende der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen (Tochter von Jean-Marie Le Pen), forderte am 4. November 2005 in einer Presseerklärung die Verhängung des Ausnahmezustandes und den Einsatz der Armee in den betroffenen Bezirken.

Der Pariser Imam wandte sich gegen die Gewalt und bezeichnete sie als Schande. Auch der Bruder eines der durch Stromschläge getöteten Jugendlichen rief zur Mäßigung auf.

Am 5. November gab es erste Gegendemonstrationen und Proteste der Bevölkerung gegen Gewalt, so trugen etwa 1000 Bürger Transparente mit der Aufschrift „Nein zur Gewalt, Ja zum Dialog“ durch die Straßen Aulnay-sous-Bois bei Paris. In einigen Orten wurden Bürgerwehren gegründet oder zu ihrer Gründung aufgerufen, da die Polizei vielerorts überfordert sei. Diese sieht jedoch solche Bestrebungen als sehr kritisch an, weil möglicherweise die Gewalt eskalieren könne.

Der Generalstaatsanwalt von Paris, Yves Bot, meinte, die Zerstörungen seien organisiert. Über das Internet würden Jugendliche in anderen Städten zum Mitmachen aufgerufen. Auch hätten die Unruhen seiner Meinung nach keinen ethnischen Charakter, sondern seien allein gegen die Institution Staat gerichtet.

Am 8. November beschließt die französische Regierung den Ausnahmezustand zu verhängen. Die Grundlage hierfür bildet ein aus dem Jahre 1955 stammendes Notstandsrecht, das im Algerienkrieg Anwendung fand. Zunächst wurde mit dem Dekret Nr. 2005-1386 [5] der Notstand ausgerufen und sodann im Dekret 2005-1387 [6] die Gebiete und Großstädte präzisiert, in denen der Notstand gilt. Im französischen Mutterland war dieses Gesetz bis dahin noch nie angewandt worden. Somit ist die Polizei nun ermächtigt, auch präventive Maßnahmen, wie Hausdurchsuchungen bei Verdacht auf Waffenbesitz, zu ergreifen. Zudem sollen gezielt Ausgangssperren über Teile des französischen Staatsgebietes verhängt werden.

Die Presselandschaft in Frankreich reagiert sehr unterschiedlich auf die jüngsten Ereignisse. Im Mittelpunkt steht dabei die rechts-konservative Boulevardzeitung France Soir, die von „radikalen Islamisten, organisierten Banden und Guerillakrieg“ spricht. Diese Einschätzung wird jedoch durch nichts belegt.

Der grüne Politiker Daniel Cohn-Bendit nannte organisierte Krawalle „Blödsinn“ und eine „Verschwörungstheorie“, er warf Sarkozy Versagen vor. Er wies auf eine Atmosphäre des Misstrauens schon vor den Krawallen hin, seit Sarkozy Spezialeinheiten anstelle bürgernaher Beamter in den Gebieten einsetzen ließ. Cohn-Bendit forderte eine neue Polizeistrategie, die „materielle Integration“ der Jugendlichen sowie hohe Investitionen in Bildung. Die derzeitigen europäischen Schulsysteme schlössen Einwanderer aus.

Viele Jugendliche nichtdeutscher Herkunft würden sich auch in Deutschland ausgeschlossen fühlen und könnten in Zukunft besonders in den sozialen Ghettos ihre Wut und ihren Hass auf ähnliche Weise zum Ausdruck bringen, äußerten Jörg Schönbohm und Wolfgang Bosbach (beide CDU) zur Situation in Deutschland. Günther Beckstein (CSU) warnte zudem vor „Parallelgesellschaften“.

Als Nachahmungstaten wurden vereinzelte Brandanschläge in Bremen-Huchting, Berlin-Moabit und Brüssel bekannt. In Berlin wurde dabei neben Autos und Kleidercontainern auch eine leerstehende Schule in Brand gesetzt. Auch in Köln gab es vereinzelte Fälle. Ob diese auf die französischen Unruhen zurückzuführen sind oder anderweitig motiviert sind, war unklar. So gab es vereinzelt mehrtägige Auseinandersetzungen in sozialen Brennpunkten zum Beispiel schon im Juli 2005 im hessischen Dietzenbach.

Ursachen und Hintergründe

In Frankreich wurde über Jahrzehnte die Einwanderung von Millionen Menschen aus dem außereuropäischen Raum gefördert, ohne die Folgen zu analysieren und zu bewältigen. Der größte Teil der Immigranten stammt aus den ehemaligen französischen Kolonien Marokko, Tunesien, Algerien und Subsahara-Afrika. Viele dieser Immigranten wohnen in großen, ab den 1970er Jahren entstandenen Neubausiedlungen an den Rändern der Großstädte, den banlieues. Die Integration der Einwanderer, von denen eine Mehrheit die französische Staatsbürgerschaft hat, ist nur sehr unvollständig gelungen. Die Gewaltausbrüche sehen Experten als einen Ausdruck für die lange aufgestaute Wut vieler Jugendlicher vor allem nordafrikanischer oder schwarzafrikanischer Herkunft über die herrschende relative Armut, den Rassismus, Perspektivlosigkeit, Massenarbeitslosigkeit und damit verbundene Resignation, Langeweile und Bandenkriminalität sowie fehlende Integrationsmöglichkeiten (Ghettoisierung), die besonders die Migranten in den Trabantenstädten betreffen.

Soziologen warnten schon länger vor einer Eskalation, da die Vorstädte seit etwa 20 Jahren politisch vernachlässigt wurden. Die Jugendlichen selbst haben in der Vergangenheit wiederholt versucht friedlich auf ihre Situation aufmerksam zu machen, wie z. B. durch den „marche des Beurs“, doch die erhofften Reaktionen blieben aus. Jüngste Einsparungen und Sozialabbau vor allem auf kommunaler Ebene verschärften die Situation. Die bestehende Frustration wurde neben ethnischen und religiösen Spannungen durch das Gefühl verstärkt, politisch ignoriert und lediglich durch die Polizei ruhig gestellt und schikaniert zu werden. Ein Teilnehmer der Ausschreitungen sagte: „Die Menschen vereinen sich, um zu sagen, dass wir genug haben. Wir leben in Ghettos. Jeder lebt in Angst.“ Der Soziologe Michel Wieviorka deutete in Medien die Ereignisse als Revolte gegen die Ordnung, die Jugendlichen griffen Symbole des Staates an. Die Integration habe versagt, die Einwohner fühlten sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und perspektivlos.

Im weiteren Verlauf der Krawalle wurde auch immer mehr von sozialen Verstärkereffekten durch Politik und der Medien gesprochen, so hätten sich Jugendliche vor allem im Internet gegenseitig angespornt und zu übertreffen versucht. Auch Fernsehbilder sollen Jugendliche zusätzlich angetrieben haben. Mittlerweile gingen die Jugendkrawalle auf eine «normale Lage» zurück. Das Abfackeln von Autos gehört in den Trabantenstädten zum Alltag. Jährlich werden etwa 800 Autos zerstört. Allein zu Silvester gehen jährlich ca. 100 Autos in Flammen auf. Bis zum Beginn der Unruhen wurden seit Jahresbeginn schon in ganz Frankreich 23106 Autos in Brand gesetzt.

Zur Situation der Frauen in den Banlieues

Bei den rebellierenden Jugendlichen in den französischen Vorstädten handelte es sich so gut wie ausschließlich um männliche Jugendliche. Diese Besonderheit machte das deutsche Frauenmagazin Emma zum Ausgangspunkt einer geschlechterspezifischen Analyse.

Männliche wie weibliche Jugendliche in Migrantenfamilien leben im Spannungsfeld zwischen einer traditionell geprägten Kultur, die oft stark patriarchalisch dominiert ist und der westlichen Kultur des Landes, in dem sie wohnen. Sie erleben Diskriminierung und soziale Benachteiligung, weil ihre Stadtviertel stigmatisiert sind, sie aus dem Ausland kommen und häufig in ärmlichen Verhältnissen leben. Da es ihnen an Strategien zur Konfliktlösung mangelt, griffen Emma zufolge männliche Jugendliche leichter zu Gewaltmaßnahmen.

Gefährlich wird das für alles, was als nicht männlich gilt: Frauen und z. B. auch Schwule. Wenn die eigene Identität so strapaziert sei, werde sie über die Abwertung der anderen aufrechterhalten. Frauen und Mädchen wird vermehrt von Familie wie vom Staat (Kopftuch) wieder vorgeschrieben, wie sie sich zu verhalten haben, ihre Körper würden Emma zufolge somit von den Männern vereinnahmt, indem sie bestimmen, wie die Frauen sich zu kleiden haben und ob sie sich schminken dürfen.

Es komme zunehmend eine auch in der christlichen Kultur vorhandene traditionelle Trennung und Polarisierung von Heiliger und Hure zur Anwendung. Die Gewalt richte sich auf einmal nicht mehr einfach gegen die Staatsordnung, sondern ganz offen auch in die eigenen Reihen, gegen die eigenen Frauen und Mädchen.

2003 gründete sich eine Frauenorganisation, die sich »Ni Putes Ni Soumises« nennt, „weder Huren noch Sklavinnen“. Sie wagten erste Demonstrationen und sagten: Wir ersticken am Machismo der Männer in unseren Vierteln. Es gingen eine zunehmende Radikalisierung von jungen Männern ohne Hoffnung, ohne Arbeit und ohne Akzeptanz in der Gesellschaft und eine Re-Islamierung einher. Religiöser und sexistischer Fanatismus seien von jeher Geschwister. Die einengenden Normen von Tradition und Religion ihrer Eltern und der freiheitliche Lebensstil der französischen Gesellschaft bilden einen nicht zu lösenden Konflikt.[7][8]

Betroffene Regionen

Folgende Départements waren von den Unruhen betroffen:

Pariser Region

Andere Regionen (außerhalb der Île-de-France)

Elsass (frz.: Alsace)

Aquitanien (frz.: Aquitaine)

Auvergne

Burgund (frz.: Bourgogne)

Bretagne

Centre

Champagne-Ardenne

Franche-Comté

Haute-Normandie

Languedoc-Roussillon

Lothringen (frz.: Lorraine)

Midi-Pyrénées

Nord-Pas-de-Calais

Pays de la Loire

Picardie

Provence-Alpes-Côte d'Azur

Rhône-Alpes

Sozialkritik in den Medien

Die sozialen Konflikte als Ursachen der Unruhen waren lange zuvor ein Thema in den Medien, sowohl in Literatur als auch in Film und Musik wurde schon länger auf die Zustände in den Banlieues aufmerksam gemacht:

  • Das französische Filmdrama „Hass“ (1995) zeigt das trostlose Leben in den Banlieues Frankreichs. Er handelt vom Leben dreier jugendlicher Protagonisten, deren Welt von Hip-Hop, Gewalt, Drogen und Auseinandersetzungen mit der Polizei beherrscht wird.
  • Wut in den Städten. (OT: L'embrasement.) Fernsehfilm, Frankreich, 2006, 78 Min., Buch: Marc Herpoux, Philippe Triboit, Regie: Philippe Triboit, Produktion: Cinétévé, arte France, deutsche Erstsendung: 12. Januar 2007, Inhaltsangabe von arte
  • In dem aufgrund der Gewaltdarstellungen kontrovers diskutierten Video "Stress" von der französischen Band Justice geht es um eine Gruppe Jugendlicher algerischer und afrikanischer Abstammung, die wild randalierend durch Paris zieht und dabei von einem Kamerateam gefilmt wird.
  • Der Krimi "Einschlägig bekannt" von der Historikerin Dominique Manotti behandelt die Unruhen und die Verwicklung der Polizei in Korruption.

Einzelnachweise

  1. Spiegel-Online: "Das geht jetzt weiter, nonstop"
  2. Tagesspiegel vom 7. November 2005, nicht als online-Artikel verfügbar
  3. „Doch die Entwicklung eskaliert. Seit Januar hat es 70 000 Fälle von Vandalismus, Brandstiftung, Bandengewalt gegeben. Nicht weniger als 28 000 Autos sind angesteckt worden. Und es sind meist die Autos der Armen, die da lodern.“ In: In: Aufruhr in Eurabia. In: Der Spiegel. Nr. 45, 2005 (7. November 2005, online).
  4. Police de proximité en France, französische Wikipedia
  5. Dekret 2005-1386 bei fr.wikisource.org
  6. Dekret 2005-1387 bei fr.wikisource.org
  7. „Weder Huren noch Sklavinnen - Rebellion in Frankreichs Vorstädten“, hr, 10. November 2005
  8. Emma; Ausgabe Januar / Februar 2006, S. 6 - 7 und 22 - 31

Weblinks und Quellen

 Commons: Pariser Vorstadt-Unruhen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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