Neuer Österreichischer Film

Neuer Österreichischer Film

Als Neuer Österreichischer Film wird das österreichische Filmschaffen ab etwa 1970 bezeichnet. Eine exakte Abgrenzung ist nicht möglich, doch wird der Spielfilm Moos auf den Steinen aus dem Jahr 1968 in der Filmwissenschaft wegen seiner inhaltlich und stilistisch deutlichen Unterscheidung von früheren österreichischen Filmen häufig als erster Neuer Österreichischer Film bezeichnet.

Seinen ersten Höhepunkt erreichte der Neue Österreichische Film in den 80er-Jahren, als das österreichische Filmschaffen mit einigen ausgezeichneten Werken auf die Weltkarte des Films zurückkehrte. Einen erneuten Aufschwung erfährt der österreichische Film seit der Jahrtausendwende mit vorwiegend sozialrealistischen Dramen und Dokumentationen, die jährlich eine bislang ungekannte Vielzahl an internationalen Festivalnominierungen und -auszeichnungen verzeichnen.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Als Anfangspunkt dieser Ära der Österreichischen Filmgeschichte wird neben Moos auf den Steinen (1968) auch die Avantgardefilm-Bewegung der vorigen Jahre als Wegbereiter des Neuen Österreichischen Films eingestuft, da sie das österreichische Filmschaffen um bisher ungekannte Ausdrucksformen und Inhalte bereicherte.

Mit „Neu“ ist im Neuen Österreichischen Film jedoch kein Qualitätskriterium gemeint, sondern die von Grund auf neu entstehende österreichische Filmszene, die nach dem Untergang der anspruchslosen Unterhaltungs-, Musik- und Heimatfilme der Nachkriegszeit aufblühte. Dieser Rückgang in der Filmproduktion sowie bei den Kinobesuchs- und Umsatzzahlen ging einher mit der Pleite mehrerer großer auf diese Genres spezialisierten Filmproduktionsgesellschaften, wie etwa der ÖFA oder der stets umstrittenen, da von der Stadt Wien mit öffentlichen Geldern finanzierten, Wiener Stadthalle-Filmproduktionsgesellschaft. Zugleich entstand um Ferry Radax, Franz Novotny, Peter Kubelka und anderen ab Ende der 50er-Jahre eine österreichische Avantgardefilmszene. Diese sollte aber erst relativ spät tatsächlich auf den Neuen Österreichischen Film einwirken – etwa Valie Exports „Menschenfrauen“ (1979/1980) oder „Praxis der Liebe“ (1984/85).

Georg Lhotskys Moos auf den Steinen 1968 gilt nicht zuletzt deshalb als der Startschuss eines neuen österreichischen Films, da der Film abwechselnd in Farbe und Schwarzweiß die österreichische Mentalität karikiert: vor lauter Vergangenheit könne man keine Zukunft finden - das Alte sei nicht zu vertreiben. Doch gerade ab dieser Zeit gelang es den Filmschaffenden schließlich sukzessive, sich von diesem Dogma zu befreien und kreativer zu werden. Jedoch:

„Man sollte nicht die Vielfalt unseres Films seit den späten 60er-Jahren mit jenen innovativen Strömungen und Schulen verwechseln, die in der Nachkriegszeit in Italien, Großbritannien, Frankreich und auch die Deutschen Filmszene geradezu paradigmatisch veränderten. Es wäre falsch, den sogenannten, neuen österreichischen Spielfilm an Filmen zu messen, die als Resultat ganz spezifischer Aufbruchsituationen zu verstehen sind. Bei uns hat sich in der Rede stehender Film eher wahllos als gezielt von überall her anregen lassen. Dies verleiht ihm aber auch eine Freiheit, die seine Chance für die Zukunft sein könnte.“

So die Ansicht des Filmwissenschaftlers Gottfried Schlemmer.[1]

Geschichte

Spielfilmproduktion
Jahr Anzahl
1969 3
1970 7
1971 5
1972 9
1973 6
1974 8
1975 6

Das Filmschaffen ab den 1970er-Jahren wird mitunter als Neuer Österreichischer Film bezeichnet. Dieser war ähnlich dem Neuen Deutschen Film von der 68er-Bewegung beeinflusst, häufig Autorenfilm und behandelte gesellschaftliche Themen. Er entfaltete sich neben den Experimental- und Avantgardefilmversuchen der 1960ern jedoch langsamer als das deutsche Pendant und erreichte seinen ersten Höhepunkt erst in den 1980er-Jahren. Neben aktuellen Themen wie Verwahrlosung der Gesellschaft und Jugend, Benachteiligung von Frauen und weiteren avantgardistischen Einzelleistungen beschäftigte sich der Neue Österreichische Film jedoch auch mit dem Alltagsfaschismus und dem Zweiten Weltkrieg. Diesbezüglich waren „Jesus von Ottakring“ (1976), Der Bockerer (1981), „Die Ausgesperrten“ (1982), die Trilogie „Wohin und zurück“ (1983-1986), der Dokumentarfilm „Sterben und Leben im Schloß“ (1988) sowie „Hasenjagd“ (1994) besonders verdiente Arbeiten.

Wichtige Rollen bei der Entwicklung einer neuen österreichischen Filmszene nahmen Zusammenschlüsse von Filmschaffenden wie die 1968 gegründeten „rosa-grün-blau“ und das „Kuratorium Neuer Österreichischer Film“, das 1970 die jüngsten Entwicklungen des österreichischen Films als Hauptprogrammpunkt auf der Viennale nachzeichnete, sowie ab 1983 das „Österreichische Filmbüro“, ein.

In den 1970er-Jahren begannen die Diskussionen um die Einführung eines Filmförderungsgesetzes, welches 1980 auch zustande kam. Im Vorfeld dazu organisierten sich die Filmschaffenden wieder in Verbänden. 1977 entstand das „Syndikat der Filmschaffenden Österreichs“ und 1979 der „Verband der Filmregisseure Österreichs“. Von 1978 bis 1983 wurden in Kapfenberg jährlich die „Österreichischen Filmtage“ abgehalten. Ab 1984 wurde in Wels vom Österreichischen Filmbüro das „Nationale Filmfest“, das später ebenfalls in „Österreichische Filmtage“ umbenannt wurde, abgehalten.

Generationenwechsel in den 1970er-Jahren

Die 1970er waren das Jahrzehnt mit der bisher geringsten Spielfilmproduktion. Dieser Trend begann allerdings bereits Anfang der 1960er-Jahre, als Österreich für letztendlich rund 15 Jahre fast komplett von der internationalen Filmbühne verschwand. Erst Mitte der 1970er entstanden wieder Spielfilmproduktionen, die sich auch international sehen lassen konnten, und auch sehen ließen - die Filme des so genannten „Neuen Österreichischen Films“. Doch vorerst entstanden noch letzte Heimatfilme und -komödien wie Franz Antels „Außer Rand und Band am Wolfgangsee“ (1972), sowie daneben einzelne Literaturverfilmungen und auch einschlägige Erotik- und Sexfilme, deren Kinoaufführung nun nicht mehr verboten wurde.

Ab Mitte der 1970er-Jahre erhielt jedoch eine neue Generation von Regisseuren die Möglichkeit ihr Können zu zeigen. Dazu zählte auch Peter Patzak, dessen Erstlingswerk „Parapsycho - Spektrum der Angst“ aus dem Jahr 1975 in ein in Österreich bisher nicht vertretenes Schema, den Horrorfilm, fiel. Ein erfolgreiches Spielfilmdebüt lieferte auch der gebürtige Perser Mansur Madavi 1974 in „Die glücklichen Minuten des Georg Hauser“ ab, und Dieter Berner konnte mit der ORF-Serie Die Alpensaga erstmals einen kritischen Heimatfilm etablieren, der über die Grenzen hinaus bekannt wurde. Weitere wichtige Regisseure, die in jenen Jahren aufstiegen, waren Fritz Lehner, Mara Mattuschka, Franz Novotny oder Kitty Kino. Der bedeutende Kameramann Christian Berger versuchte sich vorübergehend auch im Regiefach.

Dokumentarfilme über Politik und Natur ergänzten die bescheidene heimische Spielfilmproduktion für die Kinos. Alfons Stummer trug hierzu mit seiner Dokumentation „Europa - Leuchtfeuer der Welt“ (1970) bei, Alfons Benesch mit „Traumreise über die Alpen“ (1971) und Walter J. Zupan mit „Vorarlberg - Land der Alpen“. Zu den erwähnenswerten Dokumentarfilmen dieser Jahre zählen auch die Komponisten-Biografien von Hans Conrad Fischer. So erschienen beispielsweise „Ludwig van Beethoven“ (1970) und „Das Leben Anton Bruckners“ (1974).

Im Bereich der Literaturverfilmungen widmete man sich vermehrt anspruchsvollerer Literatur. Als Nachtrag zu den politischen Ereignissen der letzten Jahre wurde 1970 mit „Alkeste - Die Bedeutung, Protektion zu haben“ des gebürtigen Griechen Antonis Lepeniotis ein antikes Drama für die Neuzeit adaptiert. Der Regisseur fand einen überzeugenden Weg vom Avantgardefilm über den Kunstfilm zum realistischen, spannungsgeladenen Kinofilm[2]. Dies zeigte sich auch in „Das Manifest“ (1974) und „Operation Hydra“ (1980). 1972 erschien die bereits vierte Verfilmung von „Krambambuli“ unter dem Titel Sie nannten ihn Krambambuli (Regie: Franz Antel, mit Michael Schanze, Paul Hörbiger, Rudolf Prack). Wim Wenders inszenierte im selben Jahr Die Angst des Tormanns beim Elfmeter nach Peter Handkes gleichnamiger Erzählung mit Arthur Brauss, Kai Fischer und Erika Pluhar. Peter Beauvais drehte 1973 „Das Weite Land“ nach Arthur Schnitzler mit O. W. Fischer, Walther Reyer, Sabine Sinjen, Michael Heltau und Helmut Qualtinger.

Basierend auf einer wahren Geschichte über einen kriegsdienstverweigernden Bauern entstand 1971 „Der Fall Jägerstätter nach einem Drehbuch von Hellmut Andics und unter der Regie von Axel Corti. Für „Totstellen“, nach einem Buch von Michael Scharang, erhielt dieser Regisseur 1975 den neu geschaffenen Großen Österreichischen Staatspreis für Filmkunst. 1976 erschien von Titus Weber der musik-experimentelle Film „Kindertotenlieder“ nach einer Komposition Gustav Mahlers. Derselben Art waren auch sein 1978 entstandener Film „Freund ich bin eingezogen“.

1976 wurde in Wien nach einem Theaterstück das moderne Passionsspiel „Jesus von Ottakring“ uraufgeführt. Wilhelm Pellert war sowohl Autor des Stücks als auch Regisseur der Verfilmung, die deutlich den österreichischen „Hinterhoffaschismus“ aufdeckt. Für den Auslandsoscar eingereicht wurde Jörg A. Eggers „Ich will leben“, der in Österreich das Prädikat „Wertvoll“ erhielt. Der 1976 uraufgeführte Film beschreibt die Geschichte eines durch einen Unfall schwer behinderten Kindes und den Umgang der Eltern damit. Im selben Jahr erschien auch Mansur Madavis „Notausgang“ in den Kinos - ein Film der die Möglichkeiten der Freiheit in der westlichen Gesellschaft behandelt.

Der Sachbuchautor und Undergroundfilmer Ernst Schmid Jr. brachte 1977 seine erste abendfüllende Produktion hervor. Es war der Experimentalfilm „Wienfilm 1896–1976“, der mit Collagen dem Publikum ein differenziertes Wien-Bild vermitteln wollte. Eine außergewöhnliche Produktion jenes Jahres war Götz Hagmüllers und Dietmar Grafs „Die denkwürdige Wallfahrt des Kaisers Kanga Musa von Mali nach Mekka“. Der Film wurde in Afrika gedreht und erhält durch eine poetische Kameraführung und eine sanfte Schnittfolge eine sonderbare Wirkung. Als Erzähler fungierte Attila Hörbiger. Franz Antel wartete im selben Jahr mit Tony Curtis als Hauptdarsteller in seiner Produktion „Casanova & Co“ auf.

John Cook und Susanne Schett stellten 1977 „Langsamer Sommer“ vor, einen Film der finanziell schwache Filmemacher, ihre Fantasien und ihre Umwelt darstellte - eine Art Selbstreflexion also. Peter Patzaks zeichnete für den gesellschaftskritischen Spielfilm „Kassbach“ aus dem Jahr 1979 verantwortlich, der sich mit Faschismus und Neonazismus auseinandersetzt. Die Hauptrolle spielte Walter Kohut.

Ende der 1970er entstanden noch mehrere Filme, die eine gewisse Vorreiterrolle für die Produktionen der 1980er- und 1990er-Jahre einnahmen. So etwa Mansur Madavis „Die blinde Eule“ (1978), worin die Geschichte eines Mädchens, das aus einem Erziehungsheim flieht, erzählt wird. Es ist einer der ersten österreichischen Filme, der sich mit dem Leben weggesperrter Personen beschäftigt - sei es nun in geschlossenen Anstalten oder Gefängnissen. Eine Reihe von Spielfilmen, die sich mit der österreichischen Geschichte vor dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen, löste Maximilian Schells sensible Verfilmung von Ödon von Horvath Theaterstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ (1979) aus. Und Valie Exports Inszenierungen „Menschenfrauen“ (1979) sowie „Unsichtbare Gegner“ (1979) waren der Auftakt zu den so genannten „Frauenfilmen“, in denen meist benachteiligte Frauen porträtiert wurden. Mit dem zweiten Werk, welches von der ungleichen Behandlung von Mann und Frau in der Gesellschaft handelte, beschäftigten sich viele Filmkritiker der Tageszeitungen, was dem Film zu größerem Erfolg verhalf.

Aufschwung der Filmszene in den 1980er-Jahren

Nach dem historischen Tiefstand der heimischen Filmproduktion in den 1970er-Jahren erfuhren die 1980er-Jahre aufgrund zahlreicher Erstlingswerke junger Regisseure sowie vermehrter Produktion innovativer und gesellschaftskritischer Amateur- und Spielfilme einen Aufschwung. Die bedeutendsten Vertreter des österreichischen Avantgarde- und Experimentalfilms hatten mittlerweile jedoch unterschiedliche Wege eingeschlagen. Während Valie Export im Jahr 1980 den Österreich bei der Kunstbiennale in Venedig vertrat, lehrte Peter Weibel an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und Peter Kubelka verfolgte eine Professur an der Kunstakademie von Frankfurt am Main. Gemeinsam mit den anderen österreichischen Avantgarde- und Underground-Filmern trugen sie jedoch bereits wesentlich dazu bei, dass die Österreichische Filmgeschichte nach 1945 international überhaupt zur Kenntnis genommen wird.

Der erste Publikumserfolg der 1980er war jedoch eine Komödie der anderen Art. Franz Novotnys „Exit - nur keine Panik“ handelt von zwei Wiener Raufbolden die von Paulus Manker und Hanno Pöschl gespielt wurden. Der Film kam als einer der ersten auch in Genuss des neuen österreichischen Filmförderungsgesetzes. Dieses trat, nachdem viele Filmschaffende und Filmwissenschafter es jahrzehntelang gefordert hatten, 1981 in Kraft. Einer der interessantesten Versuche des Neuen Österreichischen Films war Niki Lists „Malaria“ - ebenfalls eine ungewöhnliche Komödie, die 1983 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde. Der von spätpubertären Jugendlichen handelnde Film bestach durch hohe Farbqualität, bizarre Kameraführung und entlarvenden Humor. Zugleich stellte er das Filmdebüt des am Beginn seiner Karriere stehenden Kabarettisten Andreas Vitásek dar. Niki Lists zweiter, sehr erfolgreicher, Versuch, ein zeitgenössisches Unterhaltungskino zu etablieren, war der Film Müllers Büro aus dem Jahr 1986. Diese gesangsuntermalte Detektivkomödie gilt mit 441.000 Besuchern in Österreich als erfolgreichste Produktion des Neuen Österreichischen Films vor der Jahrtausendwende. Den Auftakt zu einer einzigartigen satirischen Filmreihe rund um den Wiener Kriminalkommissar Kottan machte Peter Patzak 1981 mit „Den Tüchtigen gehört die Welt“. Gemeinsam mit Helmut Zenker schrieb er die kongenialen Vorlagen sowohl für diesen Film, als auch für die Fülle seiner Fortsetzungen, die ab 1984 als Teile der Serie „Kottan ermittelt“ für den ORF hergestellt wurden.

Die deutsch-österreichisch-ungarische Gemeinschaftsproduktion Mephisto brachte sogar einen Auslandsoscar ein. Der von István Szabó inszenierte Film basierte auf einem Roman von Klaus Mann. Zum internationalen Erfolg trug die schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers Klaus Maria Brandauer wesentlich bei. Mit dem Prädikat „Besonders Wertvoll“ wurde Titus Lebers musik-experimenteller Film „Anima - Symphonie Fantastique“ versehen. Dieser Höhepunkt des kalligraphischen Films wartete mit Charo Lopez und Mathieu Carrière als Hauptdarsteller auf und wurde an den Internationalen Filmfestspielen von Cannes gezeigt.

Ein außergewöhnliche Produktion war auch Margareta Heinrichs Dokumentarfilm „Der Traum des Sandino“ (1980). Darin ließ sie sieben Wochen lang die Bevölkerung Nicaraguas über die sandinistische Befreiung befragen. Das zweistündige Ergebnis erschien 1981 in den Kinos. Eine weitere antiimperialistische Expedition unternahm 1982 Werner Grusch mit „Bonjour Capitaliste“. Nach dem gleichnamigen Roman von Friedrich Torberg inszenierte Wolfgang Glück im Jahr 1981 Der Schüler Gerber. Den Lehrer stellte Werner Kreindl dar, der Schüler Gerber wurde von Gabriel Barylli gespielt. Der Film setzte nach „Jesus von Ottakring“ und „Kassbach“ erneut starke gesellschaftskritische und künstlerische Akzente. 1982 stellte Edwin Zbonek seinen Film über die Wohlstandsgesellschaft, „Gehversuche“, vor. Kritiker verglichen den Film mit Federico Fellinis „I Vitelloni“ und in „Ein wenig Sterben“ erzählt Mansur Madavi den Kampf eines alten Menschen, gespielt von Alfred Solm, gegen die Vertreibung aus seiner Wohnung.

Als Beitrag zum gesellschaftskritischen Filmschaffen entstanden in den 1980er-Jahren auch mehrere Filme über jugendliche Außenseiter. Diese Produktionen sorgten meist für mediales Aufsehen und heftige Diskussionen. So auch Walter Bannerts Die Erben aus dem Jahr 1981. Dieser Film handelt von zwei Sechzehnjährigen, die eher zufällig als absichtlich zu Mitgliedern der „Neuen Rechten“ werden. Im selben Jahr stellte Dieter Berner mit „Der richtige Mann“ einen Film über die Orientierungslosigkeit junger Großstadtmenschen. 1982 folgte mit „Die Ausgesperrten“ die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Elfriede Jelinek. Regie bei diesem von einem jugendlichen Mörder handelnden Film führte Franz Novotny. Auch das Ehepaar Ruth und Alfred Ninaus thematisierte in ihrer Zweitproduktion „Ich wollte leben“ mit Drogen- und Alkoholabhängigen im Jahr 1983 abermals jugendliche Härtefälle. Die ästhetisch außergewöhnlichsten und auch irritierendsten Werke der 1980er-Jahre waren allerdings Paulus Mankers Regiedebüt „Schmutz“ (1986) und Michael Syneks „Die toten Fische“ (1989). Die beiden, surrealistische Elemente aufweisenden, Filme handeln von Außenseitern im Konflikt mit der Umwelt.

Mit einer weiteren Schattenseite der Gesellschaft beschäftigten sich Filme über Insassen von Gefangenen- oder Irrenanstalten. Einer der ersten solcher Filme war Houchang Allahyaris „Fleischwolff“ (1980), der vom Leben in einem Gefängnis erzählt. Regisseur Josef Lauscher hob die düstere Stimmung in einer Irrenanstalt dadurch hervor, indem er seinen ersten abendfüllenden Film „Kopfstand“ zur Gänze in Schwarzweiß drehte. Inhalt ist die Geschichte eines Mannes, der wegen einer Bagatelle in einer psychiatrischen Anstalt fest gehalten wird. Die Hauptrollen wurden von Christoph Waltz und Elisabeth Epp besetzt. Andreas Gruber debütierte 1983 mit einem ähnlichen Film. In „Drinnen und Draußen“ hofft sein Hauptdarsteller auf die Entlassung aus der Psychiatrie.

1981 sorgte Franz Antel mit einer für ihn ungewöhnlichen Produktion für Aufsehen. Sie erzählt das Schicksal des Fleischhauers Karl Bockerer während der NS-Zeit, der mit Humor und Menschlichkeit alle auftretenden Probleme meistert. Der Bockerer wurde 1980 vorab an den Filmfestspielen von Moskau mit dem Schauspielerpreis für „den Bockerer“ Karl Merkatz ausgezeichnet. Die Spätwirkungen des Nationalsozialismus hingegen werden in der ungewöhnlichen Liebesgeschichte „Kieselsteine“ (1983) thematisiert. In diesem Erstlingswerk von Lukas Stepanik sind die zwei Hauptcharaktere eine Jüdin und ein Deutscher, dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Gespielt werden die beiden von Brigitta Furgler und Jörg Gillner. An die nationalsozialistische Vergangenheit erinnerte 1988 auch Egon Humer. In seinem Dokumentarfilm über die nationalsozialistische Tötungsanstalt Schloss Hartheim „Sterben und Leben im Schloß“ deckte er den bisher von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Umstand der Existenz solcher Anstalten auf, und ließ zugleich die grauenvollen Vorgänge in solch einer Tötungsanstalt erahnen.

1982 trat Peter Hajek mit seiner ersten Filminszenierung hervor. Der 41-jährige Filmkritiker präsentierte mit „Sei zärtlich Pinguin“ einen Kinofilm, deren Botschaft die Forderung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau ist. Die Hauptrolle in dieser mit über 210.000 Personen höchst erfolgreiche Beziehungskomödie spielte Marie Colbin. Mit „Karambolage“ gestaltete Kitty Kino 1983 einen teils selbstironischen Frauenfilm. In „eine der letzten Domänen der Männerwelt“ - das „Wettkampf-Billard“ - stießen darin Marie Colbin, Renee Felden, Gerhard Rühmkopf und Wilfried Baasner vor. Ebenfalls mit der Situation von Frauen in der Gesellschaft beschäftigte sich Susanne Zanke, die 1989 mit „Die Skorpionfrau“ ein beachtetes Frauenporträt hervorbrachte.

Xaver Schwarzenbergers Romanverfilmung „Der stille Ozean“, die von einem gescheiterten Arzt, der Zuflucht in einem Dorf sucht, erzählt, erhielt 1983 an der Berlinale unter anderem den Silbernen Bären. Als Kameramann bei diesem Film erhielt Schwarzenberger ein Jahr später den Deutschen Kamerapreis. Ebenfalls zu einer neuen Art von Heimatfilmen, die abseits von Kitsch und naiver Heiterkeit das mitunter schwierige Leben auf dem Land darstellen, zählen Fritz Lehners Epos „Schöne Tage“ (1981) über das Bergbauerntum sowie Christian Bergers Bergbauerndrama „Raffl“ (1983), welches zur Zeit der napoleonischen Besetzung spielt. Wolfram Paulus Heimatfilm „Heidenlöcher“ (1985) über Treue und Verrat war hingegen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges angesiedelt und Angela Summereder gestaltete 1981 in „Zechmeister“ das stilistisch eigenwillige Porträt einer zu Unrecht des Mordes beschuldigten armen Bäuerin. Auch eines der sehenswerten Debüts des Jahres 1983 dreier junger Regisseure ist zu der modernen Heimatfilmgattung zu zählen. So schildert Leopold Huber in „Hirnbrennen“ menschliche Abgründe in einem von Säufern geprägten ländlichen Dorf.

Michael Haneke inszenierte 1989 mit „Der Siebente Kontinent“ seinen ersten Film fürs Kino. Das Drehbuch für dieses Drama, das an den Filmfestivals von Locarno und Flanders ausgezeichnet wurde, schrieb er wie in allen folgenden Filmen selbst. An einem Thriller versuchte sich in diesem Jahr Michael Schottenberg: „Caracas“ (1989). Der Versuch glückte zumindest bei der Kritik, erhielt der Film mit dem Jugendpreis der Filmfestspiele von Cannes sowie dem Max-Ophüls-Preis doch zwei Auszeichnungen. In heimische Kinos lockte der Film aber nur wenige Tausend Besucher. Weitere Versuche im Thriller-Genre, die sich sowohl an ausländischen Produktionen als auch an der äußert erfolgreichen TV-Krimiserie „Kottan ermittelt“ orientierten, konnten in den 1990ern meist ebenso wenig reüssieren.

Wiederbelebung des Komödiengenres in den 1990er-Jahren

In den 1990er-Jahren fand der gesellschaftskritische Neue Österreichische Film seine Fortsetzung. Die Komödienproduktion wurde mit den so genannten „Kabarettfilmen“ wiederbelebt. Diese greifen ein Prinzip auf, welches bereits zur Stummfilmzeit begründet wurde - das Einsetzen beliebter Kabarettisten als Filmschauspieler. Eine Neuerung war jedoch, dass nun auch typische negative Charaktereigenschaften von Österreichern dargestellt und karikiert werden konnten, ohne beim Publikum auf Ablehnung zu stoßen. Diese Facette verdankt das Kabarett und der Kabarettfilm vor allem Helmut Qualtinger, der mit der unbeschönigenden Darstellung von Österreichern bereits in den 1960ern Aufsehen erregte.

Typische Beispiele für solche Filme sind Paul Harathers Indien (1993) mit Josef Hader und Alfred Dorfer, Harald Sicheritz' Muttertag (1993) mit Roland Düringer und Alfred Dorfer in jeweils einem halben Dutzend Rollen sowie fast der gesamten restlichen österreichischen Kabarettszene in den weiteren Rollen, oder auch Freispiel (1995), ebenfalls von Harald Sicheritz. Diese Filme lockten bis zu 230.000 Besucher in die Kinos, sind aber auch im Fernsehen Jahr für Jahr erneut Publikumsmagnete.

Eine andere Variante der Komödien der 1990er-Jahre sind satirische Grotesken wie „Die Ameisenstraße“ (1990) oder leicht unterhaltsame Gesellschaftslustspiele wie I love Vienna (1991) oder „Tafelspitz“ (1992). Während Michael Glawogger in „Die Ameisenstraße“ die Tradition der grotesken Farce weiterschreibt, indem er ein Wiener Mietshaus als einen Mikrokosmos gegensätzlicher Charaktere darstellt, handelt Houchang Allahyaris I love Vienna auf komödiantische Weise vom Zusammenprall zweier Kulturen, Orient und Okzident, in Wien. Eine Westernkomödie, die fast 190.000 Besucher erreichte, präsentierte 1999 Harald Sicheritz. Wanted wurde in der niederösterreichischen „Wild-West-Erlebnistadt“ „No Name City“ mit Alfred Dorfer, Michael Niavarani, Simon Schwarz u.a. gedreht.

Eine Ausnahme in den Filmproduktionen der 1990er-Jahre stellte Andreas Grubers historisches Drama Hasenjagd – Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen aus dem Jahre 1994 dar. Der Film stellt die als Mühlviertler Hasenjagd bekannt gewordene gnadenlose Menschenjagd auf geflohene Insassen des KZ Mauthausen nach, in deren Verlauf trotz der Riskierung des eigenen Lebens einzelne Bauernfamilien Flüchtlinge versteckt hielten. Eine Ausnahme stellt der Film nicht aufgrund seines schwierigen Themas dar, sondern auch deshalb, da der Film im Gegensatz zu vergleichbaren Produktionen früherer Jahre auch ein breites Kinopublikum erreichte.

In den 1990er-Jahren kamen in stärkerem Ausmaß als bisher auch Dokumentarfilme über gesellschaftspolitische Themen und Randgruppen hinzu. Abseits vom oft monoton belehrenden Stil von Fernsehdokumentationen wurde beispielsweise 1990 der Niedergang einer provinziellen Industrieregion in „Postadresse Schlöglmühl“ von Egon Humer, sowie der Alltag ausländischer Zeitungsverkäufer in Wien in „Good News“ von Ulrich Seidl dokumentiert.

Starke autobiographische Züge und surrealistische Vorbilder sind in den frühen Werken „Himmel oder Hölle“ (1990) und „Ich gelobe“ (1994) von Wolfgang Murnberger erkennbar. Ersterer erzählt einfühlsam das Leben auf dem Land aus der Sicht Jugendlicher, Zweiterer vom tristen Soldatenalltag in einer Provinzkaserne. Ebenfalls von Jugendlichen handelt Barbara Alberts sozialkritisches Drama Nordrand (1999). Aufgrund der zahlreichen internationalen Auszeichnungen erreichte die Produktion, und mit ihr die junge Hauptdarstellerin Nina Proll, in Österreich größere Beachtung.

Im Kinder- und Jugendfilmbereich, der sich in Österreich nie etablieren konnte, waren in den 1990er-Jahren Bernd Neuburger („Ferien mit Silvester“, 1990, „Lisa und die Säbelzahntiger“, 1995) und Wolfram Paulus die aktivsten Regisseure. Zweiterer ließ an „Ein Rucksack voller Lügen“ (1996) 150 Kinder mitgestalten und war mit diesem Film auch am deutschen Markt erfolgreich, wo er mit 100 Kopien anlief.

Michael Haneke inszenierte 1991 mit Benny’s Video seinen zweiten Kinofilm - abermals ein Drama, das mit gefühlskalten Charakteren aufwartet und ein Krankheitsbild der Gesellschaft zeichnet. Ein utopisches Szenario der besonderen Art bot Florian Flicker 1993 in seinem Science Fiction-Film „Halbe Welt“. Nach „Müllers Büro“ der zweitmeistbesuchte Neue Österreichische Film war Joseph Vilsmaiers Verfilmung von Robert Schneiders Novelle Schlafes Bruder (1995).

Peter Tscherkassky setzte mit seinen Arbeiten, die sich der kinematografischen Kinetik widmen, die Tradition des österreichischen Avantgardefilms fort und sorgt für zahlreiche Festivalerfolge. Ebenso Michael Kreihsl, der an Titus Lebers kalligrafische Filmexperimente anschloss, und 1996 für „Charms Zwischenfälle“ mit dem Caligari Film Award der Internationalen Filmfestspiele Berlin ausgezeichnet wurde.

Auch Virgil Widrich konnte mit seinen Kurzfilmen internationale Aufmerksamkeit erregen. Weitere erwähnenswerte Filmemacher sind Antonin Svoboda, Jörg Kalt, Jessica Hausner, Barbara Gräftner, Ruth Mader, Anja Salomonowitz und Mirjam Unger.

Filmschaffen seit der Jahrtausendwende

Kinofilmproduktion[3]
österreichische Allein- oder Mehrheitsproduktionen
Jahr Anzahl
2000 17
2001 12
2002 26
2003 20
2004 24
2005 24
2006 33
2007 25

Internationalisierung und Spezialisierung

Die Jahrtausendwende brachte eine Internationalisierung und Spezialisierung eines Teils des österreichischen Films auf Dramen und Dokumentarfilme mit gesellschafts- und sozialkritischem Hintergrund mit sich. Barbara Albert markierte 1999 mit dem Melodram Nordrand den Beginn einer neuen Ära international beachteten österreichischen Filmschaffens. Als erste österreichische Produktion seit 1948 wurde der Film für den Hauptpreis der Filmfestspiele von Venedig nominiert und die Hauptdarstellerin Nina Proll erhielt den Marcello-Mastroianni-Preis als „beste Nachwuchsschauspielerin“. Angesichts der zunehmenden Festivalpräsenz und Auszeichnungen österreichischer Filme in den folgenden Jahren – etwa Michael Hanekes Die Klavierspielerin (2001), Ulrich Seidls Hundstage (2001), Virgil Widrichs Copyshop (2002), um einige der international meistbeachteten zu nennen – wird Nordrand in der Filmwissenschaft gerne als Wendepunkt des österreichischen Filmschaffens betrachtet. So bezeichnet der US-amerikanischer Filmwissenschafter Robert von Dassanowsky Nordrand als jenen Film, der die Prophezeiung des Hollywood Reporters von 1997, der österreichische Film sei bereit ein internationales Profil anzunehmen („[...] Austrian film ‚is ready to take on an international profile‘“), erfüllte.[4]

Diese Wende im österreichischen Filmschaffen – also jene Professionalisierung und Stilbildung eines vorwiegend jüngeren Teils der österreichischen Filmschaffenden, die österreichischen Filmproduktionen auch internationale Beachtung einbringen – ist zum Teil auf die österreichische Filmförderung zurückzuführen, zum Teil auf die gute Ausbildung, wenngleich es mit der Filmakademie Wien nur eine nennenswerte Einrichtung dieser Art in Österreich gibt. Nicht zuletzt aber sind die Erfolge natürlich auf das vorhandene kreative Potential, dass sich in der heutigen, losen Struktur der Filmproduktionswirtschaft besser entfalten kann als in den vergangenen Jahrzehnten. Dennoch kritisieren namhafte Filmschaffende wie Franz Novotny oder Virgil Widrich[5] die österreichische Filmpolitik, die ihrer Ansicht nach zwar viele Talente hervorbringe, jedoch zu wenig Fördergelder bereit stelle, um deren Potential auszuschöpfen. Viele weitere beim österreichischen Film tätige Persönlichkeiten treten ebenfalls für eine Erhöhung der Filmförderung ein und nennen häufig das Beispiel Luxemburg, wo die hohen Filmförderungen nicht nur der luxemburgischen Filmkultur zugute kommen, sondern über die Wertschöpfungskette als Vielfaches auch die nationale Wirtschaft fördern und in weiterer Folge über vermehrte Steuereinnahmen auch wieder an den Staat zurückfließen.

Nach Nordrand und der Jahrtausendwende folgten eine Reihe international beachteter gesellschaftskritischer Filme, von denen Ulrich Seidls Hundstage 2001 den Auftakt machte. Der Film, der unter anderem in Venedig den Großen Preis der Jury erhielt, erzählt auf schockierende Art und Weise Geschichten von abstoßenden österreichischen Charakteren. Einen neuen Höhepunkt in dieser Entwicklung setzte Michael Haneke 2001 mit seiner Verfilmung von Elfriede Jelineks Klavierspielerin. Die österreichisch-französische Koproduktion erzielte international über 2,5 Millionen Kinobesuche und wurde so zur erfolgreichsten österreichischen Produktion seit vielen Jahren.

Es folgten eine Reihe von kapitalismus- und gesellschaftskritischen Dokumentarfilmen, von denen Erwin Wagenhofers We Feed the World 2004 den Auftakt machte und international erfolgreich war. Einer ähnlichen Thematik widmete sich auch Nikolaus Geyrhalter, der 2004 Unser täglich Brot ins Kino brachte. 2005 erschien Workingman’s Death von Michael Glawogger, der etwas weniger Resonanz erhielt. Erfolgreicher war schließlich 2006 Hubert Sauper, der mit Darwin’s Nightmare u.a. den französischen Filmpreis César sowie eine Oscar-Nominierung als „Bester Dokumentarfilm“ erhielt.

Eine Besonderheit stellte der Film „Am anderen Ende der Brücke“ (2003) dar, da es sich bei diesem von Hu Mei inszenierten und von der Salzburger SK-Film mitproduzierten Film um die erste österreichisch-chinesische Koproduktion handelt. Hanekes nächster Film erschien 2005 und war der abermals in österreichisch-französischer Koproduktion hergestellte Thriller Caché. Auch dieser Film erreichte international rund eine Million Besuche - wobei aus vielen Ländern keine Zahlen vorliegen.

Da häufig Dramen, Dokumentationen oder Geschichten um menschliche Abgründe die meist beachteten Produktionen aus Österreich sind, bezeichnete die New York Times anlässlich einer Filmreihe im New Yorker Lincoln Center Österreich als, frei übersetzt, „Welthauptstadt des Schlechtfühl-Kinos“[6] Gezeigt wurden dort unter anderem Barbara Alberts Nordrand (1999), Michael Hanekes Das Schloss (1997) und Die Klavierspielerin (2001), Nikolaus Geyrhalters Elsewhere (2001), Ulrich Seidls Models (1999) sowie Michael Glawoggers Workingman's Death (2005) und Slumming (2006). Die „hervorragende Qualität der neuen Welle des österreichischen Kinos“ beruhe auf dem „Willen zur Konfrontation mit dem Verächtlichen und der Betonung des Negativen“[7] Ebenfalls im selben Artikel wird auch Michael Haneke als jener Regisseur gewürdigt, dem, seit Der siebente Kontinent (1989) bis zur Gegenwart, der meiste Verdienst um die internationale Beachtung des österreichischen Films zukommt.

Die Spannungen zwischen den kommerziell orientierten und auf mehr Unabhängigkeit von staatlichen Förderungen zielenden Filmproduktionsgesellschaften und den auf anspruchsvollere bis aufklärerische Produktionen setzenden, staatliche Förderungen befürwortenden Unternehmen führten 2006 zu einer Spaltung der bis dahin gemeinsamen Interessensvertretung. Im Frühjahr 2006 kam es zu einer Abspaltung der größten Vertreter wie Allegro-, Dor- und Epo-Film- vom österreichischen Filmproduzentenverband AAFP. Ursache waren Meinungsverschiedenheiten über die Aufteilung der Fördermittel, die seit 2003 nicht mehr erhöht wurden, was zu Spannungen zwischen den künstlerisch ambitionierten und den kommerziell ausgerichteten Produzenten führte. Die kommerziell ausgerichteten und größeren Produktionsgesellschaften gründeten daraufhin die Film Austria.[8]

Entwicklung des Unterhaltungsfilms

Im Gegensatz zu den Dramen, Melodramen und Dokumentarfilmen mit häufig sozial- und gesellschaftskritischem Anspruch gelang dem österreichischen Unterhaltungsfilm kein internationaler „Durchbruch“. Auch national flaute die Produktion von mit bekannten Kabarettisten besetzten Komödien nach einem absoluten Höhepunkt ab. Dieser Höhepunkt wurde zwischen 2000 und 2004 erreicht, als Komm, süßer Tod (2000, Wolfgang Murnberger), Poppitz (2002, Harald Sicheritz), MA 2412 – Die Staatsdiener (2003, Harald Sicheritz) sowie Silentium (2004, Wolfgang Murnberger) mit 200.000 bis 440.000 Besuchern an den gigantischen Erfolg von Hinterholz 8 (1998), den mit 617.000 Besuchern mit Abstand meistbesuchten österreichischen Kinofilm, anschließen konnten. Nach 2004 vermochte bislang kein Unterhaltungsfilm mehr über 100.000 Besucher zu verzeichnen. Stattdessen schafften erstmals seit Hasenjagd (1994) von Andreas Gruber Filme mit ernstem/aufklärerischem Hintergrund den Sprung (deutlich) über die 100.000 Besucher-Grenze in Österreich (seit Beginn der lückenlosen Kinobesuchsaufzeichnung 1981): We Feed the World (2005) von Erwin Wagenhofer über die Lebensmittelindustrie und -verschwendung sowie Die Fälscher (2007) von Stefan Ruzowitzky über die größte Geldfälschungsaktion der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Im Gegensatz zu den an heimischen Kassen höchst erfolgreichen, aber international unbeachteten, Komödien, erzielten die geschichts- und gesellschaftskritischen Filme den überwiegenden Teil ihres Publikums im Ausland und wurden zudem auch vielfach ausgezeichnet.

Die Dor Film, verantwortlich für die meisten der am Heimmarkt kommerziell erfolgreichen Komödien unter den Regisseuren Harald Sicheritz und Wolfgang Murnberger rund um Kabarett-Star Roland Düringer, scheiterte nach Silentium (2004) mit weiteren Kabarettisten-Komödien. Die Viertelliterklasse (2005), basierend auf einem erfolgreichen Kabarettprogramm Düringers, erzielte nur 40.000 Besucher, und Freundschaft (2006) mit Erwin Steinhauer und Rupert Henning war ebenfalls kein großer Erfolg beschieden. Die europäische Großproduktion über den Zweiten Weltkrieg, „All the Queen's Men“ (2001), die die Dor Film mitfinanzierte und mit Stefan Ruzowitzky den Regisseur stellte, musste sich sogar mit 5.000 Besuchern in Österreich zufriedengeben. Der Film konnte zwar im Ausland deutlich mehr Besuche verzeichnen, floppte aber nicht zuletzt aufgrund schlechter Kritiken über Drehbuch und Schauspieler auch dort deutlich. Auch der Konkurrent, die Allegro Film, scheiterte 2005 mit einer europäischen Großproduktion, dem Historienfilm Der Henker. Die vier Millionen Euro Produktionskosten konnten trotz 40 Kopien im Umlauf mit 30.000 Besuchern in Österreich nicht ansatzweise hereingespielt werden.

Auch andere Gesellschaften konnten mit ihren Komödien nicht ansatzweise mit den großen Erfolgen vor 2004 mithalten. Einzig der MR Film, Produzent der MA 2412-Verfilmung, gelang 2008 mit einer Verfilmung von Popstar Falcos Leben (Falco – Verdammt, wir leben noch!) unter der Regie Thomas Roths mit über 150.000 Besuchern ein Kassenerfolg. Die Dor Film versucht 2009 mit Der Knochenmann, einer Fortsetzung der Wolf Haas-Krimiverfilmungen Komm, süßer Tod und Silentium, abermals mit Josef Hader als Hauptdarsteller, an die Erfolge der Vorgänger anzuschließen.

Michael Glawogger

Während die Bedeutung der Kabarettisten im Film zurückzugehen scheint, konnten neuartige Komödienkonzepte relativen Erfolg – gemessen am Misserfolg der bisherigen Konzepte – einheimsen. Komödien, die nicht bloß auf den Heimmarkt schielen, sondern auch in Deutschland sowie untertitelt internationale Festivalpräsenz erreichten. So gelang dem Österreicher Hans Weingartner 2004 mit seiner in Berlin ansäßigen Firma in Koproduktion mit der österreichischen Autorenfilmer-Gesellschaft coop99 ein internationaler Erfolg mit der gesellschaftskritischen Komödie Die fetten Jahre sind vorbei. Der Film erreichte in Österreich akzeptable 70.000 Besucher, in Deutschland jedoch ganze 900.000 Besucher und europaweit insgesamt über 1,3 Millionen Besucher. Zudem war der Film für mehrere internationale Filmpreise nominiert, darunter die Goldene Palme bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Zumindest in Österreich genau so erfolgreich war Michael Glawogger 2004 mit Nacktschnecken – ebenfalls eine österreichisch-deutsche Koproduktion. Der Film erreichte 70.000 Besucher in Österreich, kam in Deutschland jedoch kaum zum Einsatz. Auch Hans Weingartners nächste Komödie mit kapitalismuskritischem Anstrich, Free Rainer, blieb weit hinter seinem Vorgänger zurück, mit bloß 150.000 Besuchern in Deutschland und weniger als 20.000 in Österreich. 2006 inszenierte Glawogger mit Slumming eine intelligente Komödie über menschenverachtende Auswüchse der Langweiligkeit wohlhabender Studenten, die jedoch ebenfalls nur geringe Beachtung in den Kinos erhielt.

Eine absolute Neuheit brachte 2006 Andreas Prochaska zu einigem Erfolg. Mit In 3 Tagen bist du tot versuchte er das erfolgsbewährte Rezept des US-Horror-Splatters auf österreichische Verhältnisse anzuwenden. Eine an sich banale Geschichte rund um einen unbekannten Serienmörder, der es auf eine Teenager-Clique abgesehen hat, platziert Prochaska im ländlichen Salzkammergut und lässt seine Darsteller ihren jeweiligen Dialekt sprechen. Die Handlung sollte dadurch größere Authentizität gewinnen. Der „Versuch“ funktionierte, der Film lockte über 80.000 Besucher in die österreichischen Kinos. Eine internationale Auswertung sollte ebenfalls erfolgen, blieb jedoch auf wenige tausende Besucher in Deutschland und der Schweiz beschränkt. 2008 folgt der zweite Teil.

Bedeutende Filme

Folgend eine Auswahl bedeutender Werke des Neuen Österreichischen Films, die aufgrund neuer Facetten, um die sie das österreichische Filmschaffen formal oder stilistisch bereicherten, auch als Meilensteine angesehen werden können:

Literatur

  • Christa Blümlinger, Gottfried Schlemmer: Der neue österreichische Film. Verlag Wespennest, Wien 1996, ISBN 3-85458-510-1.
  • Francesco Bono: Austria (in)felix: Zum österreichischen Film der 80er Jahre. Edition Blimp, Graz 1992. ISBN 3-901272-00-3.
  • Gustav Ernst, Gerhard Schedl: Nahaufnahmen: Zur Situation des österreichischen Kinofilms. Europaverlag, Wien 1992, ISBN 3-203-51148-7.
  • Sven Joeckel: Contemporary Austrian and Irish cinema: A comparative approach to national cinema and film industry in small European countries. Edition 451, Stuttgart 2003, ISBN 3-931938-24-7. (engl.)
  • Margarete Lamb-Faffelberger: Literature, film and the culture industry in contemporary Austria. P. Lang, New York 2002, ISBN 0-8204-4904-0. (engl.)
  • Margarete Lamb-Faffelberger, Pamela S Saur: Visions and visionaries in contemporary Austrian literature and film. P. Lang, New York 2004, ISBN 0-8204-6156-3. (engl.)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der neue österreichische Film, S. 13
  2. Walter Fritz: Im Kino erlebe ich die Welt. Wien 1996, S. 272
  3. Erstaufgeführte Spiel- und Dokumentarfilme mit Kinostart aus österreichischer Allein- oder Mehrheitsproduktion; Angaben für 2004–2007: Filmwirtschaftsbericht 2008, facts + figures 2007 (PDF), Österreichisches Filminstitut, Dezember 2007, S. 19 (Seite abgerufen am 27. Dezember 2008)
  4. Robert von Dassanowsky: Austrian Cinema: A history. McFarland & Company, Jefferson/North Carolina 2005, ISBN 0-7864-2078-2, S. 268
  5. Gesprächsrunde in Treffpunkt Kultur, ORF 2, 27. November 2006
  6. New York Times, Dennis Lim, 27. November 2006; „world capital of feel-bad cinema“; (Artikel online)
  7. The salient quality of Austrian film's new wave is its willingness to confront the abject and emphasize the negative.
  8. Die Furche, 4. Mai 2006 (digitalisiert)

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