- Flügelung
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Als Flügelung, Flügeln oder Zugteilung bezeichnet man das fahrplanmäßige Aufteilen eines Zuges in mehrere (in der Praxis meistens zwei) Zugteile oder auch Halbzüge, die auf unterschiedlichen Strecken weiterfahren oder von denen einer endet. Im letzteren Falle spricht man beim Aufteilen auch vom „Schwächen“, beim Zusammenführen vom „Verstärken“ von Zügen.
Das Flügeln unterscheidet sich hierbei von Kurswagen dadurch, dass meistens zwei gleichgroße Teile eines Zuges in verschiedene Richtungen fahren, während Kurswagen nur einen kleinen Teil eines Zuges ausmachen. Kurswagen werden zudem selten als eigene Züge geführt, sondern an bestehende Verbindungen angehängt. Insbesondere bestehen Kurswagen praktisch nie aus Triebzügen, sondern aus einzelnen Reisezugwagen.
Flügelzüge hingegen bestehen fast ausnahmslos aus Triebwagenzügen, bei denen die zwei oder drei Triebwagen auf dem „Hauptteil“ der Strecke zusammengekuppelt werden.
Meistens gehen Flügelzüge von einem großen Bahnhof als gekuppelte Garnitur aus und werden im Laufe ihres Fahrwegs auf einzelne Streckenäste geflügelt. Es gibt jedoch auch Flügelzüge, die im Start- und Zielbahnhof als einzelne Garnitur beginnen und nur auf einer Hauptstrecke, beispielsweise aus Kapazitätsgründen, ein weiteres Fahrzeug an- und wieder abgehängt bekommen.
Inhaltsverzeichnis
Bedarf nach Alternativen, ökonomische Aspekte
Die Aufteilung in Flügelzüge kann ökonomisch mehrere Gründe haben, die entweder mit einer optimalen Auslastung der Bahnstrecken oder mit dem Kundenbedarf nach alternativen Angeboten zu tun haben. Letzteres ist oft in landschaftlich reizvollen Gegenden der Fall, wo manche Bahnkunden eine spezielle Streckenführung bevorzugen. Auch die Ermöglichung von Rundreisen ist bisweilen ein Grund, ferner eine besondere Ausstattung mancher Züge – wie erweitertes Angebot bei Speise- oder Schlafwagen, touristische, Kultur- oder Familienprogramme, Bedarf des Radverkehrs usw.
Nicht immer beginnen die beiden Zugteile auf einem gemeinsamen Startbahnhof ihre Fahrt. Manchmal starten sie auch kurz hintereinander – beispielsweise in Urlaubs- oder sonstigen Stoßzeiten, was man in Österreich „in zwei Garnituren führen“ nennt. Im Regelfall werden die Halbzüge aber erst später auf einem Unterwegsbahnhof getrennt (das o. e. „Schwächen“) und fahren dann verschiedene Zielbahnhöfe an.
Neben den genannten Zwecken kann die Bahn dadurch eine zusätzliche umsteigefreie Verbindung anbieten, ohne einen weiteren Zug führen zu müssen – und auf diese Weise zu höherer Wirtschaftlichkeit der Haupt- und auch mancher Nebenstrecken beitragen.
Die Aufteilung auf zwei oder mehr Halb- bzw. Flügelzüge spart an der Belegung von Fahrplantrassen. Im zweiten Fall optimiert die Flügelung die Auslastung des Rollmaterials. Im gemeinsam befahrenen Teil kann zudem Fahrpersonal eingespart oder für spezielle Aufgaben (z. B. in der Kundenbetreuung) eingesetzt werden.
Technische Anforderungen
Einen herkömmlichen Wagenzug zu flügeln, stellt eine ziemliche Herausforderung dar. Prinzipiell muss der Zug dazu in der Mitte entkuppelt und (mit entsprechendem Rangieraufwand) eine neue Lokomotive angekuppelt werden. Handelt es sich um einen Wendezug, wäre theoretisch auch noch ein neuer Steuerwagen notwendig. Umgekehrt gilt dies entsprechend.
Genau dieser Aufwand, der in etwa dem Rangieren klassischer Kurswagen entspricht, soll beim Flügeln entfallen. Daher wird normalerweise nur mit Triebzügen geflügelt, die mit automatischen Kupplungen versehen sind.
Damit am Flügelungspunkt die Fahrgäste nicht verwirrt darüber sind, ob sie sitzen bleiben oder den Zugteil wechseln müssen, ist es wünschenswert, schon beim Einsteigen detailliert darüber zu informieren, wohin die einzelnen Zugteile verkehren. Ein elektronisches Fahrgastinformationssystem, das seitlich oder auch an den Türen für jeden Wagen oder jede Triebwageneinheit einzeln den Zuglauf darstellt, ist daher empfehlenswert.
Der umgekehrte Fall der Vereinigung zweier Flügelzüge stellt besondere Anforderungen an das Signalsystem, da es hierzu notwendig ist, einen Zug in einen besetzten Gleisabschnitt einfahren zu lassen. Um den Zeitverlust durch den Kupplungsvorgang zu minimieren, ist es wünschenswert, die beiden Zugteile vorher so nah wie möglich aneinander heranzuführen – im Idealfall auf wenige Meter. Durch die Signalisierung der maximal möglichen zulässigen Geschwindigkeit kann der Zeitverlust beim Zusammenflügeln minimiert werden. Ohne eine solche Signalisierung müsste die Einfahrgeschwindigkeit bereits vom Einfahrsignal wegen des fehlenden Durchrutschwegs auf 20 km/h begrenzt werden.
Um das Vereinigen von Flügelzügen zu beschleunigen, wird üblicherweise ein Bahnsteiggleis mittig durch ein Sperrsignal geteilt, das als Zielsignal für den anzukuppelnden Zugteil dient. Diese Anordnung wird auch als Beifahranlage bezeichnet.
Beispiele
Schon im Schnelltriebwagennetz der Deutschen Reichsbahn in den 1930er Jahren wurde das Flügelzugkonzept angewandt. Die von Berlin bis Nürnberg vereinigten Züge wurden dort in Flügel nach Stuttgart bzw. München getrennt. Ebenso wurde auf der Linie Berlin–Köln verfahren: Dort verkehrten beide Teile bis Hamm (Westf.) vereinigt, danach fuhr ein Teil über Hagen und Wuppertal, der andere über Dortmund, Essen und Düsseldorf nach Köln. Dies wird auch aktuell so praktiziert, insbesondere seit Einführung des Halbzugkonzepts mit der zweiten und dritten Baureihe des InterCityExpress. Nahezu alle Züge der tagsüber stündlich bedienten Linie werden in Hamm (Westf.) geflügelt bzw. zusammengeführt. Für Fahrgäste nach bzw. aus Köln ergibt sich ein erheblicher Zeitgewinn, da der dorthin fahrende Zugteil das Ruhrgebiet südlich umfährt. Der andere Zugteil verkehrt in der Regel von bzw. nach Köln/Bonn Flughafen und hält im Ruhrgebiet an vier weiteren Bahnhöfen. Als weiteres Beispiel kann die Nord-Süd-Verbindung aus München dienen, die in Hannover Hauptbahnhof geflügelt wird, der vordere Teil fährt nach Hamburg, der hintere nach Bremen bzw. in Tagesrandlage nach Oldenburg (Oldb.). Bei solchen Flügelungen treten allerdings auch nach Jahren immer noch regelmäßig Probleme mit den Bugklappen und automatischen Kupplungen der ICE-Triebzüge auf.
Vereinzelt werden heute auch InterCity-Garnituren geflügelt. So verkehrt an Freitagen ein InterCity von Frankfurt am Main nach Fulda, wo der Zug geteilt wird und die entsprechenden Zugteile nach Leipzig sowie nach Berlin Südkreuz via Hannover weiterfahren. Die dafür notwendige zweite Lokomotive befindet sich bereits ab Frankfurt in der Mitte des Zuges, wodurch auf umständliches Rangieren in Fulda verzichtet werden kann.
Beim Betrieb des Rheingold-Zuges wurde 1983 ein Flügelzug nach München eingeführt, für den man vorhandene Großraumwagen in spezielle Clubwagen (Rheingold-Club) umbaute. Sie boten neben Mahlzeiten auch Musikaufführungen und touristische Präsentationen an. Außerdem befuhr dieser Zug die gegenüber der normalen InterCity-Linie landschaftlich viel reizvollere Strecke von Heidelberg aus über Heilbronn, Stuttgart, Aalen, Nördlingen und Donauwörth nach München.
Auch im ÖPNV wird – so die Triebwagen automatisch gekuppelt werden können – geflügelt. Die Flügelung ist zum Beispiel ein Kernbestandteil des Betriebskonzepts der S-Bahn RheinNeckar sowie vieler Bahngesellschaften, die LINT-Triebzüge einsetzen, welche gezielt für den Flügelungsbetrieb konzipiert wurden. Eine entsprechende Beifahranlage besteht beispielsweise im Stolberger Güterbahnhof bei Aachen. Dort werden zwei Linienäste der Euregiobahn zusammengeführt.
Interessanterweise wird auch zuweilen mit herkömmlichen Doppelstockwagen-Zügen geflügelt, wo dies technisch ohne großen Aufwand möglich ist, z. B. bis zum Fahrplanwechsel 2006 bei einigen Regional-Express-Zügen von Frankfurt am Main nach Siegen und Treysa mit Flügelung in Gießen. Bei diesem Beispiel wurde auch die Fahrgastinformation mit „Low-Tech-Mitteln“ durchgeführt: Kreidebeschriftete Tafeln markierten die Trennstelle am Bahnsteig, Klebezettel am Wagenübergang markierten sie im Zug. Heute wird in Gießen der Mittelhessen-Express geflügelt. Ein Teil fährt weiter nach Treysa, der andere nach Dillenburg. Seit Dezember 2010 finden in Gießen darüber hinaus auch Flügelungen auf der Linie RE 40 statt. Der hintere Zugteil fährt weiter nach Siegen (Main-Sieg-Express), der vordere nach Marburg.
Auch im regionalen Bereich gibt es erfolgreiche Beispiele von Flügeln – etwa in Halberstadt im Landkreis Harz von Sachsen-Anhalt. Auf der Bahnstrecke Magdeburg–Thale halten stündlich Regionalzüge der Veolia Verkehr. Die Züge aus Magdeburg in Richtung Thale werden stündlich geflügelt und bieten eine zusätzliche Direktverbindung über Wernigerode nach Vienenburg sowie nach Blankenburg (Harz).
Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es Beispiele für Flügelzüge. Die RB 69 bzw. RB 89 verkehrt zwischen Münster und Hamm als Doppelzug und werden in Hamm getrennt. Der eine Zugteil fährt als RB 69 weiter nach Bielefeld, der zweite Zugteil nach Warburg über Paderborn. Die Züge des Ruhr-Sieg-Express (RE 16) von Iserlohn und Siegen und die Züge der Ruhr-Sieg-Bahn (RB 91) von Iserlohn und Siegen werden jeweils in Iserlohn-Letmathe zusammengeführt und verkehren über Hagen, Witten und Bochum nach Essen (RE 16) bzw. bis Hagen (RB 91). In der Gegenrichtung werden die Züge im Bahnhof Letmathe wieder getrennt und verkehren allein nach Siegen und Iserlohn.
Die Bayerische Oberlandbahn fährt i. W. stündlich von München nach Tegernsee, Lenggries und Bayrischzell. Geflügelt wird dabei in Holzkirchen und Schaftlach.
Auf der Linie von Nürnberg nach Bayreuth Hbf / Hof Hbf / Weiden (Oberpf) / Schwandorf Bf, welche mit Fahrzeugen der Baureihen 610 (Pendolino) und 612 (RegioSwinger) betrieben wird, werden bei den meisten Zugläufen doppelte Einheiten nach Bayreuth/Hof (Flügelung in Pegnitz) und Weiden/Schwandorf (Flügelung in Neukirchen bei Sulzbach-Rosenberg) gefahren. Jedoch ist auf dieser Strecke bei manchen Zugläufen auch die Besonderheit einer doppelten Flügelung zu beobachten: Dabei fährt der Zug mit 3 Einheiten nach Bayreuth/Hof/Schwandorf von Nürnberg bis Hersbruck. Im Bahnhof Hersbruck rechts der Pegnitz wird der Zug in die Teile nach Schwandorf und Bayreuth/Hof geflügelt. Nach Abfahrt des Zugteils nach Schwandorf fahren die beiden verbleibenden Einheiten gekuppelt weiter bis Pegnitz, wo die zweite Flügelung in die Zugteile nach Bayreuth und Hof erfolgt.
Seit Dezember 2007 wird der Alex (Arriva-Länderbahn-Express) von München nach Oberstdorf und Lindau, welcher mit herkömmlichen lokbespannten Wagen gefahren wird, in Immenstadt geflügelt. Die ankommende Lokomotive fährt mit den ersten 2 oder 3 Wagen weiter nach Lindau, eine zweite Lokomotive wird am hinteren Ende an die verbliebenen 2 bis 4 Wagen angehängt und fährt in entgegengesetzter Fahrtrichtung nach Oberstdorf. Auf dem Rückweg ist eine aufwändigere Rangierarbeit erforderlich. Auch auf dem Nordast des Alex werden seit 2007 einzelne Züge von München bis Schwandorf vereint gefahren, um dann in einen Zugteil nach Hof und Prag aufgeteilt zu werden.
Seit dem 11. Dezember 2008 werden auch die Züge der Hamburger S-Bahnlinie S1 im Bahnhof Ohlsdorf getrennt. Der vordere Zugteil fährt zum Flughafen Hamburg und der hintere nach Poppenbüttel.
Einzelnachweise
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