Antisemitismus nach 1945

Antisemitismus nach 1945

Antisemitismus bezeichnet seit 1945 keine politisch organisierte Massenbewegung und staatlich propagierte und vollstreckte Ideologie mehr, wie sie sich bis 1945 entwickelt hatte. Gleichwohl verschwanden Judenhass, rassistische und antisemitische Vorurteile nach dem Epochenbruch des Holocaust nicht.

Die Antisemitismusforscher Herbert A. Strauss und Norbert Kampe schrieben 1985 dazu

„daß selbst die monströsen Konsequenzen des ‚Antisemitismus an der Macht‘ nicht die Weiterexistenz antisemitischer Stereotypen verhindert hat. Ohne die von gewalttätigen Randgruppen ausgehende Gefahr verkleinern zu wollen, scheint die Verbreitung eines Antisemitismus im Zustand der Latenz das Hauptproblem darzustellen.“[1]

Diese Einschätzung hat sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 verschärft und zu einer neuen Antisemitismusdebatte geführt.[2] Dieser Begriff steht dabei weiterhin für Formen pauschaler Judenfeindlichkeit, die Juden mit lange überlieferten und eingeübten Klischees und Stereotypen als übermäßig einflussreiches Kollektiv betrachtet, für alle möglichen negativen Zeiterscheinungen verantwortlich macht und so existentiell bedroht.

Öffentliche antisemitische Hetze gegen Juden und andere Minderheiten ist in einigen Staaten strafbar, etwa als Volksverhetzung (D), Verhetzung bzw. NS-Wiederbetätigung (A) oder Rassismus (CH)).

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Antisemitismusforschung

„Antisemitismus“ war eine Wortschöpfung deutscher Judengegner im 19. Jahrhundert: Sie wandten sich gegen einen angeblichen „Semitismus“, den es weder als geistige noch politische Größe gab. Sie definierten damit das Judentum nicht als Religion, sondern als fremde Rasse mit unveränderbaren Eigenschaften, die die Integration, Assimilation und Emanzipation der jüdischen Minderheit in Europa illusorisch und gefährlich erscheinen ließen. Diese Ablehnung erstreckte sich auch auf alle möglichen Erscheinungsformen der modernen Gesellschaft, die mit „jüdischem Wesen“ in Verbindung gebracht und verschwörungstheoretisch aus Plänen eines angeblichen Weltjudentums erklärt wurden. Mit Rassentheorien wurde dieser Judenhass pseudowissenschaftlich untermauert und gewann dann im Nationalsozialismus seine beispiellose vernichtende Wirkung.

Seit dem Holocaust hat diese ausgeformte Ideologie ihren gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Rückhalt verloren. Judengegner bezeichnen sich kaum noch als Antisemiten und verdecken ihre weiterwirkenden Vorurteile oft durch Abgrenzung vom Rassenantisemitismus. Dennoch nennen Historiker und Politologen politische und ideologische Tendenzen, die sich mit typischen judenfeindlichen Klischees verbinden, weiterhin „Antisemitismus“. Für die angelsächsische und israelische Antisemitismusforschung ist dies der Oberbegriff für alle komplexen Motive und Traditionen pauschaler Judenfeindschaft. Sie überträgt damit den fehlgeprägten Rassenbegriff der Antisemiten auch auf nichtrassistisch begründete Judenfeindlichkeit, betont also eher deren Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Daher wird der Begriff heute oft als Synonym für „Judenfeindlichkeit“ verstanden.

Deutsche Antisemitismusforscher dagegen verwenden den Begriff meist für die besondere anti-emanzipatorische Strömung, die sich von etwa 1789 an in Mitteleuropa etablierte, im Deutschen Kaiserreich politisch organisierte und sich im 20. Jahrhundert zum Faschismus und zum Nationalsozialismus steigerte. Sie gilt hier als eigenständiges Phänomen gegenüber Antijudaismus und sonstigem Rassismus, der eher eine Minderwertigkeit der verachteten Gruppe unterstellt. Dagegen unterstellen Antisemiten „den Juden“ meist einen übergroßen Einfluss, Gefährlichkeit und Machtstreben bis hin zur Weltherrschaft. Bis heute lasten sie diesem vermeintlichen Kollektiv negative Begleitumstände von komplexen gesellschaftlichen Vorgängen wie Urbanisierung oder Globalisierung an und verbinden sich mit „antimodernen“ Ideologien wie Antikapitalismus, Antikommunismus und Islamismus.

Diese Vorurteilsstruktur zeigt sich auch dort, wo keine Juden leben oder man keine kennt. Jean-Paul Sartre beurteilte in seinen Überlegungen zur Judenfrage (1994), dass man nicht durch Erfahrungen zum Antisemiten werde, sondern durch ein psychologisches Bedürfnis zu solch einem Ressentiment. Er stellte die These auf: „Existierte der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden“. Dieses chimärische Judenbild ist durch Hinweise auf Fakten kaum korrigierbar und immunisiert sich gegen Korrektive von außen: ein Merkmal aller klassischen Verschwörungstheorien.

Zur Sündenbock-Funktion trat seit 1945 ein sekundärer Antisemitismus, der unbewältigte sozialpolitische Defizite und unverarbeitete Schuldgefühle wieder auf die Nachkommen der Holocaustopfer projiziert. Diese Vorurteilsstruktur zeigt sich in der Denkfigur „Die Deutschen werden den Juden den Holocaust nie verzeihen“ (Zvi Rex). Wo nicht das Judentum, sondern ihm zugeschriebene Eigenschaften abgelehnt werden, spricht man von einem „strukturellen“ Antisemitismus.

EU-Definition

Seit Januar 2005 ist eine Arbeitsdefinition der in Wien ansässigen Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) Grundlage für die Beobachtung antisemitischer Tendenzen in den 25 europäischen Mitgliedsstaaten der EU mit dem Ziel einer konsistenteren Koordinierung bei der Feststellung und Strafverfolgung antisemitischer Straftaten. Sie lautet:[3]

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die man als Judenhass bezeichnen kann. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus sind gegen jüdische oder nichtjüdische Individuen und/oder gegen ihr Eigentum, gegen Institutionen der jüdischen Gemeinden und gegen religiöse Einrichtungen gerichtet.“

„Außerdem können solche Manifestationen gegen den Staat Israel angesehen als jüdische Gemeinschaft gerichtet sein.“

„Antisemitismus klagt Juden häufig der Verschwörung zum Schaden der Menschheit an und wird oft genutzt, um Juden dafür verantwortlich zu machen, ‚warum etwas falsch läuft‘. Er drückt sich in Worten, in schriftlicher und visueller Form und in Taten aus, und verwendet dazu unheilvolle Stereotypen und negative Charakterzüge.“

Es folgt eine Liste von Beispielen für aktuellen Antisemitismus im öffentlichen Leben. Einige davon sind:

„Im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen religiösen Sicht dazu aufrufen, Juden zu töten oder ihnen zu schaden, dabei zu helfen oder es zu rechtfertigen.“

„Das Äußern verlogener, entmenschlichender, dämonisierender oder stereotyper Vorurteile über Juden, wie etwa der Macht der Juden als Kollektiv – insbesondere, aber nicht nur dem Mythos einer jüdischen Weltverschwörung oder dass Juden die Medien, die Wirtschaft, die Regierung oder gesellschaftliche Einrichtungen kontrollieren.“

„Juden als Volk zu beschuldigen, sie seien für tatsächliche oder eingebildete Vergehen einer einzelnen jüdischen Person oder Gruppe oder sogar für von Nichtjuden begangene Taten verantwortlich.“

„Die Tatsache, das Ausmaß, die Mechanismen (etwa die Gaskammern) oder die Vorsätzlichkeit des Völkermords am jüdischen Volk durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Helfer und Komplizen im während des Zweiten Weltkriegs (den Holocaust) zu leugnen.“

„Die Juden als Volk oder den Staat Israel zu beschuldigen, den Holocaust erfunden oder übertrieben (dargestellt) zu haben.“

Die Handreichung definiert auch Haltungen als antisemitisch, die oft als Antizionismus erscheinen oder sich ausgeben:

„Dem jüdischen Volk wird das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen, etwa durch die Behauptung, der Staat Israel sei ein rassistisches Projekt.“

„Der Vergleich der heutigen Politik Israels mit der der Nazis.“

„Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen.“

Festgestellt wird jedoch auch:

„Allerdings kann Kritik an Israel, wie sie in vergleichbarer Weise auch gegenüber anderen Ländern geübt wird, nicht als antisemitisch gelten.“

Antisemitische Tendenzen in Deutschland

Nachkriegszeit

Der Zweite Weltkrieg beendete zwar mit dem NS-Regime auch den Antisemitismus als herrschende Staatsideologie. Aber dies war nicht auf einen Wandel der Einstellungen in der Bevölkerung, sondern auf die strengen Maßnahmen der alliierten Siegermächte sowie die „Re-Education“ (Umerziehung) zurückzuführen. Diese konfrontierten die Deutschen in den Kriegsgefangenenlagern mit den Verbrechen, die in ihrem Namen und mit ihrer aktiven und passiven Beteiligung begangen worden waren. So mussten beispielsweise Bürger Weimars das KZ Buchenwald besuchen, die Frankfurter mussten sich Dokumentationsfilme über die KZ Dachau und Buchenwald anschauen, ehe Lebensmittelkarten verteilt wurden. Die Reaktionen waren in fast allen Fällen identisch: „Davon haben wir nichts gewusst“.

In den folgenden Jahren fand so gut wie keine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus statt. Die Deutschen waren mit dem Überleben und Alltagssorgen befasst, die Vergangenheit wurde verdrängt und tabuisiert. Nach statistischen Studien der US-Besatzungszone sahen sich 1945 23 Prozent, 1946 21 Prozent, 1948 noch 19 Prozent der Befragten als Antisemiten. Bis zu 40 Prozent der übrigen Befragten teilten antisemitische Einstellungen, obwohl sie sich nicht als Antisemiten sahen. 1952 stieg der Anteil der „bekennenden“ Antisemiten auf 34 Prozent an.[4]

Die auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 beschlossene Entnazifizierung der Deutschen wurde mangels ausgebildeter Verwaltungsbeamter und wegen des aufbrechenden Kalten Krieges zwischen den Alliierten nicht konsequent durchgeführt. Das westliche Kriterium für einen Nationalsozialisten, die Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihren Unterorganisationen, fragte nicht nach dem Grad der aktiven Schuld; das östliche, der Antifaschismus, blieb ebenfalls unklar. Vielfach stellten Kirchenbeamte ehemaligen Nazis „Persilscheine“ aus. Die alliierten Kontrollorgane trauten den Kirchenvertretern pauschal politische Urteilsfähigkeit zu, obwohl gerade sie diese 1933–1945 hatten vermissen lassen und selbst oft Antisemiten waren.

Zu den höchstens 10.000 überlebenden deutschen Juden kamen nach Kriegsende nochmals 90.000 verschleppte jüdische Zwangsarbeiter. 1946 und 1947 waren überlebende Juden, die in ihre Heimatdörfer zurückkehren wollten, in Polen, der Ukraine und Russland neuen Pogromen ausgesetzt. Etwa 290.000 Ostjuden flohen daher nach Deutschland und wurden dort in 60 Lagern untergebracht, die zum Teil bis 1954 bestanden. Die westlichen Staaten nahmen nur sehr wenige dieser displaced persons („entwurzelten Personen“) auf; auch die USA lockerten ihre Einreisebestimmungen für sie erst 1948.

Wegen der allgemein angespannten Versorgungslage konnten gerade die „Lagerjuden“ vielfach nur durch den Schwarzmarkt überleben und stießen bei den Deutschen daher auf wachsende Ablehnung. 1946 führten 180 deutsche Polizisten mit Hunden eine Razzia in einem jüdischen DP-Lager in Stuttgart durch, erschossen einen KZ-Überlebenden und verletzten drei weitere; aufgedeckt wurde lediglich der Schwarzhandel mit einigen Hühnereiern. 1952 blockierten Bewohner des DP-Lagers Föhrenwald die Fahrzeuge von 115 Beamten des Zolls und der Finanzbehörden, die geschützt von 33 Polizisten die kleinen Lagergeschäfte überprüfen wollten. Die verärgerten Staatsdiener reagierten mit Rufen wie „Die Krematorien gibt es noch“ oder „Die Gaskammern warten auf Euch“, ein Warnschuss wurde abgegeben. Die Ablehnung der Juden zeigte sich ab 1949 auch an häufigen Schändungen jüdischer Friedhöfe. Diese nahmen 1950 bei den ersten Gerichtsprozessen gegen ehemalige Nazis, z. B. den Filmproduzenten von Jud Süß, Veit Harlan, noch zu. Im Gerichtssaal kam es zu antisemitischen Ausschreitungen. In Leserbriefen zeigten viele Schreiber ihren unveränderten Judenhass. Der Bürgermeister von Offenbach verweigerte einem jüdischen Arzt die Anstellung in der städtischen Frauenklinik. Die Sozialistische Reichspartei fand raschen Zulauf und konnte 1951 in mehrere Landtage einziehen, bis sie im Folgejahr vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde.

Eine ernsthafte Aufarbeitung der Vergangenheit fand in der Politik kaum statt; sie ging von privaten oder kirchlichen Initiativen aus. So begannen sich seit 1948 die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu bilden. 1952 riefen sie erstmals zu einer Woche der Brüderlichkeit auf, die Bundespräsident Theodor Heuss eröffnete. Jedoch blieben diese Wochen in den Folgejahren von der Allgemeinheit kaum beachtete philosemitische Rituale.

Die Frage der Rückerstattung von ehemals jüdischen Vermögenswerten und von der „Arisierung“ Betroffenen blieb zunächst Sache deutscher Landesregierungen. Als diese sich bis 1947 auf kein gemeinsames Gesetz einigen konnten, erließ zuerst die US-Militärverwaltung eine entsprechende Regelung, der die übrigen Besatzungszonen folgten. In der SBZ tat dies nur Thüringen; in der späteren DDR gab es nie ein ähnliches Gesetz zur Wiedergutmachung wie im Westen.

Bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949 war in vielen Tageszeitungen oft zu lesen, dass die Überwindung des Antisemitismus Grundvoraussetzung der geistigen Erneuerung Deutschlands sei und bleibe. Dies schärfte der US-amerikanische Hochkommissar im Juli 1949 kurz vor der ersten Bundestagswahl nochmals ein:

„Die Welt wird die neue deutsche Regierung beobachten. Ein Maßstab in der Beurteilung ihrer Handlungen wird sein, in welchem Umfang ihre Führer eine Atmosphäre schaffen, in der Juden und alle Minoritäten sich in der Ausübung ihrer Rechte sicher fühlen können … Das Leben und das Wohlergehen der Juden in Deutschland wird ein Prüfstein der demokratischen Entwicklung in Deutschland sein.“

Konrad Adenauer erwähnte die Juden in seiner ersten Regierungserklärung jedoch mit keinem Wort. Erst in späteren Interviews machte er deutlich, dass er die Bekämpfung des Antisemitismus, die Bestrafung von NS-Verbrechen, Reparationen an Israel und den Aufbau jüdischer Gemeinden in der Bundesrepublik fördern wolle.

1951 begannen direkte Verhandlungen der Bundesregierung mit Israel, die 1952 zum Luxemburger Abkommen führten. Dazu trug auch die westdeutsche Presse bei: Der Präsident des Hamburger Presseamtes, Erich Lüth, rief 1951 die Aktion Friede mit Israel ins Leben, um den Antisemitismus zu bekämpfen und die Trauer über die Massenvernichtung in den NS-Lagern einzuüben.

Die Psychoanalytiker Margarete und Alexander Mitscherlich zeigten 1967 in ihrem Buch Die Unfähigkeit zu trauern, dass die meisten Deutschen ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus kaum verarbeitet hatten. Daher konnten emotionale Bindungen an autoritäre und antisemitische Denkmuster unbewältigt und unverstanden fortwirken. Die NS-Verbrechen blieben weitgehend tabuisiert. Die Autoren resümierten:

„Vorerst fehlt das Sensorium dafür, dass man sich zu bemühen hätte – vom Kindergarten bis zur Hochschule –, die Katastrophen der Vergangenheit in unseren Erfahrungsschatz einzubeziehen, und zwar nicht nur als Warnung, sondern als die spezifisch an unsere nationale Gesellschaft ergehende Herausforderung, mit ihren darin offenbar gewordenen brutal-aggressiven Tendenzen fertig zu werden.“

Geschichtsverdrängung und Geschichtsfälschung

Nach 1945 begann der Kampf um die Deutungshoheit über die Verbrechen der Nazis. Zuerst wurden sie verdrängt oder den finsteren Plänen nur weniger führender Nationalsozialisten zugeschrieben. Die Nürnberger Prozesse wurden vielfach als Siegerjustiz wahrgenommen. Auch die Auschwitzprozesse (1963–1965 und 1977–1981) veränderten die übliche Abwehrhaltung kaum. Eine Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit trat im Wirtschaftswunderland zunächst zurück.

Etwa ab 1965 begann die Holocaustleugnung mit der „Auschwitzlüge“. Dieser Begriff wurde im Zusammenhang mit Wahlerfolgen der NPD propagiert. Ihr Ziel war der „Nachweis“, dass der Holocaust eine Erfindung „der Juden“ sei, um Deutschland als Tätervolk zu brandmarken und politisch-finanzielle Reparationen zu „erpressen“. Dieses Motiv gehört seitdem zum Standardrepertoire des deutschen Rechtsextremismus.

Weiter verbreitet ist heute die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. Dabei wird die Besonderheit des Holocaust bestritten, indem seine historischen Ursachen verallgemeinert oder umgedeutet werden. Ernst Nolte löste 1986 einen Historikerstreit aus mit der These, die deutschen Konzentrationslager seien eine Reaktion auf Stalins massenvernichtende Gulags und Umsiedlungspolitik gewesen.

Begünstigt wurde dieser Geschichtsrevisionismus durch historische Ansätze, die eher auf die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Erscheinungsformen von Judenfeindlichkeit pochten. Diese Differenzierung trug zu Verharmlosung bei: Heute tarnen Antisemiten ihre prinzipielle Judenfeindschaft oft als Antijudaismus, Antizionismus oder allgemeine Kapitalismuskritik und setzen sich vom Nationalsozialismus ab. Doch ihre Ideologien enthalten oft Motive, die bekannten antisemitischen Stereotypen sehr ähneln.

Antisemitismusdebatte

Hauptartikel: Antisemitismusdebatte

Im Zusammenhang der Kollektivschuld-Debatte wurde erstmals die Forderung laut, die Vergangenheit zu den Akten zu legen. Diese Mentalität ist seitdem gewachsen und zeigt sich fast jedes Mal, wenn die Nazizeit öffentlich thematisiert oder berührt wird; z. B.:

  • im Streit um die Wehrmachtsausstellung, die 1995 bis 1998 und 2001 bis 2004 die aktive Teilnahme der Wehrmacht und ihre Kooperation mit der SS bei der Judenvernichtung nachwies;
  • im Streit um Zwangsarbeiter-Entschädigungen: Hier zeigte sich eine unzureichende Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit bei vielen Unternehmen, die Zahlungen zunächst verweigerten;
  • im Streit um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin: Nachdem Opferverbände erfuhren, dass eine Tochterfirma der I.G. Farben am Bau des Mahnmals beteiligt war, zogen sie ihre Unterstützung dafür zurück.

Hinzu kamen weitere Debatten im Zusammenhang verschiedener Affären, oft ausgelöst durch Einzeläußerungen, in denen die fortdauernde Problematik des Umgangs mit der NS-Vergangenheit sichtbar wurde.

Die Probleme einer historisch angemessenen Bewertung der „Mitläufer“ des NS-Regimes zeigte der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger in seiner Rede zum Jahrestag der „Reichspogromnacht“ 1988. Er sprach – rhetorisch ungeschickt und in leidenschaftslosem Tonfall – von Hitlers „Leistungen“ vor 1938, die große Bevölkerungsteile dazu gebracht habe, ihm zu folgen. Das löste öffentliche Empörung aus, wegen der Jenninger zurücktrat. Der Zentralrat der Juden in Deutschland stellte sich allerdings offen hinter Jenninger. Ignatz Bubis demonstrierte die „Unbedenklichkeit“ seiner Rede, indem er später weite Teile daraus ohne Angabe der Quelle selbst hielt.

Der amerikanische Historiker Daniel Goldhagen eröffnete 1996 mit seinem Buch Hitlers willige Vollstrecker eine neue Debatte über den Anteil „gewöhnlicher Deutscher“ am Holocaust. Er vertritt die These, ein in der deutschen Bevölkerung tief verwurzelter besonderer eliminatorischer Antisemitismus sei die zentrale Ursache des Holocaust gewesen. Er wandte sich damit besonders gegen die Strukturalisten, denen zufolge nicht der Antisemitismus, sondern die Strukturen von NS-Staat und NSDAP die Vernichtung der Juden verursacht hätten. Sein Buch wurde gegen Goldhagens erklärte Absicht als Neuauflage der Kollektivschuldthese aufgefasst.

Martin Walser erklärte in seiner Dankesrede zum Erhalt des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998: Auschwitz werde als „Moralkeule“ und zur „Dauerrepräsentation unserer Schande“ benutzt. Das Erinnern werde zum Ritual und zur Pflichtübung. Es müsse jedem überlassen werden, wann und wie er sich erinnern wolle, und Vergessen müsse erlaubt sein. Dafür fand Walser viel Zustimmung, aber auch Kritik. Ignatz Bubis als damaliger Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland setzte sich – aus seiner Sicht erfolglos – öffentlich mit Walser auseinander. Danach sah er sein Lebenswerk – die Versöhnung mit den Deutschen auf der Basis gemeinsamen Erinnerns an den Holocaust – als gescheitert an.

Auch Walsers Roman Tod eines Kritikers (2001), der unübersehbar auf den jüdischen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki anspielte, fand viel Kritik. Ein Teil der Feuilletonisten (z. B. Frank Schirrmacher) warf ihm vor, er arbeite mit antisemitischen Klischees. Diese Vorwürfe fasste Matthias N. Lorenz in seiner Dissertation zusammen: „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck.“ Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Er stieß damit in der Öffentlichkeit auf große Resonanz, fand aber bei Rezensenten und Feuilletonisten wenig Zustimmung.

Der US-amerikanische Politologe Norman Finkelstein warf in seinem Buch Die Holocaust-Industrie (2001) den jüdischen Opferverbänden und ihren Anwälten vor, sie hätten seit 1967 gezielt eine „Industrie“ der Holocausterinnerung geschaffen, um vergangenes jüdisches Leiden skrupellos auszubeuten. Sie eigneten sich einen Teil der angeblich überhöhten Reparationen an den Staat Israel an, während Einzelentschädigungen viel zu niedrig seien. Damit zog er den Vorwurf des Antisemitismus seitens der Kritisierten, aber auch darüber hinaus auf sich. Seine Thesen werden von deutschen Rechtsextremisten begeistert aufgegriffen, für die „die Juden“ als Urheber und Eintreiber von vermeintlich überhöhten Finanzlasten durch vermeintlich ungerechtfertigte Entschädigungsansprüche gelten.

Mit dem Wahlkampfflugblatt Jürgen Möllemanns versuchte 2002 erstmals ein Vizeführer einer etablierten Partei, durch ressentimentgeladene öffentliche Kritik an Juden und an Israel Stimmen aus dem rechten Spektrum zu gewinnen. Dieser Tabubruch löste eine neue Antisemitismus-Debatte aus.

Das in Coburg erscheinende Szenemagazin Kult bediente bei seiner Kritik am Staat Israel auch antisemitische Stereotypen indem es 2002 öffentlich forderte: „Don’t buy Jewish!“[5]

Der deutsche CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann erklärte 2003 in einer Wahlkampfrede in seinem Wahlkreis Fulda/Hessen, ebenso wie die Deutschen im Blick auf Hitlers Verbrechen könnte man die Juden als Tätervolk bezeichnen, weil Juden maßgeblich an der russischen Oktoberrevolution 1917 und folgenden sowjetischen Verbrechen beteiligt gewesen seien. Damit wollte er diesen Begriff für die Deutschen abwehren. Seine heftig diskutierten Äußerungen führten später zu seinem Ausschluss aus der CDU. Auch der Bundeswehrgeneral Reinhard Günzel, der öffentlich Partei für Hohmann genommen hatte, wurde daraufhin in den vorzeitigen Ruhestand versetzt (siehe Hohmann-Affäre).

Der Dramatiker Rolf Hochhuth erklärte in einem Interview mit der rechtsgerichteten Zeitschrift Junge Freiheit 2005: Der britische Holocaustleugner David Irving sei „sehr viel seriöser als viele deutsche Historiker“. Dass Irving seit 1993 nicht mehr in die Bundesrepublik einreisen darf, führte Hochhuth auf „Verleumdung“ zurück. Irving sei ein „fabelhafter Pionier der Zeitgeschichte“, der Vorwurf, er sei ein Holocaustleugner, „einfach idiotisch“. Auf die Aussage Irvings angesprochen, in Auschwitz habe es keine Gaskammern gegeben, dort seien „weniger Menschen umgekommen als 1969 auf dem Rücksitz Edward Kennedys“, sagte Hochhuth: „Da hat er seiner nicht ganz unbritischen Neigung zum schwarzen Humor auf zynische Weise freien Lauf gelassen. Wahrscheinlich ist er wahnsinnig provoziert worden, ehe er das gesagt hat. Als Historiker ist er ein absolut seriöser Mann.“

Bei diesen unterschiedlichen Debatten ging es immer um den heutigen Umgang mit den Verbrechen der NS-Zeit und um die Folgerungen daraus. Die Verantwortung, die die Deutschen als „Volk der Täter“ (Lea Rosh) bis heute und in Zukunft dafür zu tragen haben, wird zunehmend als Belastung, nicht als Chance empfunden. Dabei erschienen neue Vorwürfe gegen Juden: Sie wollten die Schuldgefühle der Deutschen verlängern (Goldhagen-Debatte), um sich am Holocaust zu bereichern (Finkelstein-Debatte) und ihre eigenen „Verbrechen an den Palästinensern“ zu tabuisieren (Möllemann-Debatte). Dabei lässt sich eine Akzentverschiebung beobachten: Wurde früher gefordert, eine Debatte über deutsche Schuld müsse beendet werden, so wurde nun verlangt, eine Debatte über Israels müsse „wieder möglich“ sein.

Bei diesen Debatten wurde stets die Situation der hier lebenden jüdischen Minderheit übersehen. Deutsche Juden mussten in jedem öffentlichen Streit vermehrte Anfeindung und Bedrohung erleben. Politiker wie Möllemann und Hohmann bedienten dabei gewollt oder ungewollt latente oder offene Wünsche nach einer „Entlastung“ von früherer Schuld und heutiger Verantwortung, um rechtsradikales Wählerpotential zu erreichen. In vielen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigte sich ein antisemitischer „Bodensatz“ sowie der „sekundäre“ Antisemitismus, der Juden nicht trotz, sondern wegen des Holocaust und seiner Folgen ablehnt und abwertet.

Latenter Antisemitismus

Als „Latenz“ versteht die soziologische Vorurteilsforschung Ansichten und Vorurteilsstrukturen, die nicht notwendig mit offen gezeigter Ablehnung verbunden sind. Hier besteht natürlich ein methodisches Problem, da ein latentes Phänomen seinem Wesen nach nur vermutet, nicht bewiesen werden kann. Gleichwohl gehen Forscher davon aus, dass latente Strukturen statistisch nachweisbar seien (siehe Weblinks), was freilich nicht unumstritten ist.

Antisemitismus kann heute sowenig wie früher nur an ausdrücklicher Ausrichtung auf judenfeindliche Ziele festgemacht werden. Es geht hier um Freund-Feind-Haltungen, die Judenhass fördern, dafür anfällig sind und sich dahin entwickeln können.

Nach verschiedenen älteren Umfragen (u. a. Allensbach) gab es 1995 in der deutschen Bevölkerung einen Anteil von mindestens 15 bis zu 25 %, der antisemitischen Meinungen zuneigt oder sie vertritt. Nach einer Forsa-Umfrage vom November 2003 stieg dieser Anteil von 20 % (1998) auf im Durchschnitt 23 % (wobei verschiedene Fragestellungen und Methoden zu berücksichtigen sind):

  • 28 % glaubten, Juden hätten in der Welt zu viel Einfluss.
  • 36 % fanden, Juden zögen aus der Vergangenheit Vorteile und ließen die Deutschen dafür zahlen.
  • 61 % fanden, man solle endlich einen Schlussstrich unter die Diskussion der Judenverfolgung ziehen.
  • Die im Juni 2002 veröffentlichte Studie des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts und der Universität Leipzig ermittelte einen deutlichen Anstieg gegenüber 1999 um 5 % auf 36 % der Befragten, die sich klar antisemitisch äußerten.

Das latente antisemitische Potential zeigen auch regionale Wahlergebnisse rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien wie DVU, REP, NPD (Sachsen: 9, 2 % im September 2004). Durch populäre Protestparolen erhielten sie dort Zulauf und zumindest vorübergehende Akzeptanz in der Gesellschaft. Dazu scheint neben sozialen Problemen wie der Arbeitslosigkeit, die etablierte Parteien bisher nicht verringern konnten, auch ein mangelndes Bewusstsein gegenüber der Gefahr des Rechtsextremismus beizutragen.

Offener rechtsextremer Antisemitismus

1949 wurde „Aufruf zum Rassenhass“ zum Straftatsbestand. Das hält Rechtsextremisten jedoch nicht davon ab, ihr Weltbild weiter zu pflegen. Antisemitismus ist dort Grundkonsens und eine Art „Ehrensache“, über die intern nicht eigens diskutiert wird. Mit der 1964 neu gegründeten NPD gaben sich alte und neue Nazis eine Parteiorganisation, die sich die Abschaffung des Grundgesetzes zu Gunsten einer Volksgemeinschaft zum Ziel setzt. Da die NPD parlamentarisch wirken will, distanzierte sie sich im Verbotsverfahren nach außen von der Gewalt z. B. der Skinheads.

Doch zahlreiche rechtsextreme Gruppen knüpfen auch unabhängig von der NPD bewusst an völkische, deutschnationale, nationalsozialistische Ideologie und Symbole aus der Weimarer Republik an. Diese verbinden sich mit autoritären und aggressiven Verhaltensmustern, Ausländerfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft zu einem zunehmend gefährlichen Gemisch. Nachdem 1992 eine Reihe dieser Gruppen verboten wurde, unterlaufen sie das staatliche Organisationsverbot heute durch dezentrale Vernetzung als „Freie Kameradschaften“. Sie organisieren sich auch vermehrt als „autonome Nationalisten“ und knüpfen vom Erscheinungsbild und den Aktionsformen her an die Autonomen der 1980er Jahre an.

Die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland wird auf etwa 42.000 organisierte, davon etwa 12.000 Gewaltbereite geschätzt. Die Dunkelziffer nicht organisierter Sympathisanten ist damit nicht erfasst.

Antisemitische Straftaten in Deutschland

Gewaltbereitschaft gegen Obdachlose, „Fremde“, Linke, Homosexuelle, Behinderte, Ausländer, Menschen mit dunkler Hautfarbe und auch gegen Juden findet man vor allem bei rechtsextremen Jugendgruppen und Neonazis. Bis 2003 wurden insgesamt mindestens 93 Menschen in Deutschland durch rechtsextreme Gewalt getötet (Dossier der Frankfurter Rundschau).

Verlässliche Daten zu antisemitischen Straftaten sind schwer zu finden: Das Bundeskriminalamt z. B. führt keine gesonderte Statistik darüber. Taten mit antisemitischem Hintergrund sind oft nicht als solche erkennbar und werden unter gewöhnlicher Gewaltkriminalität verbucht. Eine Zunahme fremdenfeindlicher und antisemitischer Straftaten ist jedoch unverkennbar. Im Jahr 2000 gab es laut amtlicher Zählung insgesamt rund 15.951 solche Taten: ein Anstieg von 58 % gegenüber dem Vorjahr.

Antisemitisch sind vor allem Zerstörungsaktionen gegen jüdische Friedhöfe. Diese haben seit dem Mittelalter gerade in deutschsprachigen Gebieten eine lange Tradition. Sie geschehen auch heute noch vermehrt während der Karwoche und um den 9. November (dem Hauptdatum der Novemberpogrome 1938) herum; vermutet werden daher antijudaistische und neonazistische Hintergründe. Anders als bei anderen Grabschändungen sind jüdische Gräber sehr oft nicht nur von zertrampelten Beeten, geraubten Blumen oder Leuchten betroffen, sondern vom Umstürzen und Zertrümmern der Grabsteine oder Grabplatten, Herausreißen von Grabbegrenzungen, Eintreten von Friedhofstoren usw. Hinzu kommen Schmähparolen in Graffiti-Form wie: „Juda verrecke“, „Tod den Juden“, „Juden raus“, „Sieg Heil“, „Blut und Ehre“, „Viertes Reich“, „SS“, „SA“, „Judenschwein“, „Judensau“.[6]

Solche Schändungen werden seit 1945 statistisch zu erfassen versucht. Registriert wurden in Deutschland bis 1990 rund 1000 gemeldete Fälle; die vermutete Dunkelziffer liegt weit höher. Von 1990 bis 2000 gab es 409 registrierte Fälle, mehr als doppelt so viel wie von 1970 bis 1990. Das Grabmal von Heinz Galinski, des früheren Leiters des jüdischen Zentralrats, wurde 1998 zwei Mal gesprengt, so dass sein Nachfolger Ignatz Bubis sich in Israel beerdigen ließ.

Nach einer Studie von Adolf Diamant aus dem Jahr 1982 (siehe Literatur) konnten nur 36,5 Prozent der bis dahin bekannten Fälle aufgeklärt werden; davon ordneten die Behörden 36,2 Prozent eindeutig antisemitischen Tätern, den Rest meist „Jugendlichen“ ohne „politische Motive“ zu. Nachfragen ergaben damals, dass die meisten Landesbehörden nicht darüber Buch führten und die angegebenen Motive auf reinen Annahmen beruhten.

Auch Synagogen und jüdische Personen sind Ziel von Anschlägen. Einige Fälle seien hervorgehoben:

  • 25. März 1994: Brandanschlag Lübeck. 5 Personen wurden gerettet. Ein Jahr später wurden vier Täter zu Haftstrafen zwischen zwei und vier Jahren verurteilt.
  • 7. Mai 1995: erneut Brandanschlag Lübeck. Ein angrenzendes Gebäude brannte aus. Ermittlungen wurden im August 1997 eingestellt.
  • 20. April 2000: Brandanschlag Erfurt, von Anwohnern gelöscht. Zwei jugendliche Täter wurden ein Jahr später zu Haftstrafen von ein bis zwei Jahren verurteilt.
  • 27. Juni 2000: Bombenanschlag Düsseldorf. Eine Handgranate traf zehn russische Emigranten, davon sechs Juden. Der Anschlag wurde bisher nicht aufgeklärt. Die jüdische Gemeinde dort erhält seitdem viele Drohbriefe. Eine bundesweite Debatte über rechtsextreme Gefahr danach blieb folgenlos.
  • 6. Oktober 2000: Steinwürfe auf die Berliner orthodoxe Synagoge am Fraenkelufer. Als Täter werden arabischstämmige Jugendliche ermittelt.
  • November 2003: knapp vereitelter Anschlag auf die Festversammlung zur Wiedereröffnung der Münchner Synagoge. Als Initiator wird Martin Wiese ermittelt, er und einige Mittäter werden zu Haftstrafen verurteilt.

Die Jahresberichte des Bundesamts für Verfassungsschutz notierten anhand eingeleiteter Ermittlungsverfahren

  • 1991: 0388,
  • 1992: 0628,
  • 1994: 1366,
  • 1999: 0817,
  • 2000: 1378,
  • 2001: 1406,
  • 2002: 1515,
  • 2003: 1199,
  • 2004: 1316 antisemitische Straftaten,

von 1998 bis 2002 insgesamt als rund 3.400.[7]

Auch Graffiti-Anschläge auf Erinnerungsstätten des Holocaust haben sich seit der deutschen Einheit enorm vermehrt. Die Täter werden besonders in Deutschland nur sehr selten gefunden. Verfolgung von Grabschändungen wird hier meist nach fünf Monaten eingestellt. Die Aufklärungsrate liegt im europäischen Vergleich fast an letzter Stelle (siehe Weblinks).

Antisemitische Straftaten werden vor allem von Journalisten und Privatinitiativen registriert. Der SPD-nahe Blick nach Rechts sammelt diese und veröffentlichte in Ausgabe 2/2007 eine „Chronik des Hasses“ für 2006. Beispiele:

  • 14. Januar: Hannoversche Polizisten sollen einen Deutschrussen, Mitglied der jüdischen Gemeinde, der sich nicht ausweisen konnte, auf der Polizeiwache misshandelt und mit antisemitischen Äußerungen beschimpft haben (taz-Bericht 26. Januar 2006)
  • 22. Januar: „Tötet alle Juden“ sprühen Unbekannte auf eine Gebäudewand im bayerischen Taufkirchen (Dorfener Anzeiger vom 23. Januar 2006)
  • Ende Januar: Unbekannte entfernen den Gedenkstein für die 1944 im nordrhein-westfälischen Hückerholz von zwei SS-Männern ermordete Jüdin Franziska Spiegel und sprühen dort ein grünes Hakenkreuz auf (Neue Westfälische vom 31. Januar 2006)
  • Februar: In Wismar in der Breiten Straße steht wochenlang die Parole „Kauft nicht bei Juden“ an einer Häuserwand (Schweriner Volkszeitung vom 29. Mai 2006)
  • 1. März: Man entdeckt 15 umgeworfene oder zerschlagene Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof im saarländischen Merzig (dritter Anschlag seit 2000; Jüdische Allgemeine 6. April 2006)
  • 7. März: Unbekannte legen vor einem jüdischen Restaurant in Chemnitz einen Schweinskopf mit einem Davidstern und der Aufschrift „Jude“ ab (Lausitzer Rundschau Online 8. März 2006)
  • 11. März: Das jüdische Mahnmal in der Levetzowstraße in Berlin-Tiergarten wird mit antisemitischen Parolen beschmiert (ddp vom 11. März 2006)
  • 21. März: Man entdeckt mit Hakenkreuzen besudelte Gräber auf dem Jüdischen Friedhof in Obernkirchen; zugleich Aufkleber zum Rudolf-Heß-Marsch in der Stadt (Landeszeitung Bückeburg 22. März 2006)
  • 14. April: Man entdeckt antisemitische Graffiti auf der Eingangstür und einem Mauersockel der Synagoge im bayerischen Amberg (Radio Ramasuri 15. April 2006)
  • 19. April: 15 Grabsteine auf dem ältesten Jüdischen Friedhof Europas werden aus der Verankerung gerissen, weitere besprüht (Wormser Zeitung 24. April 2006)
  • 21. April: 28 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof in Bebra, Betonpfeiler am Friedhofeingang und ein Hinweisschild werden mit verfassungswidrigen Kennzeichen wie Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert (Osthessen-News 25. April 2006)
  • 21. April: Die Polizei stellt Beschädigungen der Görlitzer Synagoge, die als einzige Synagoge Sachsens die Novemberpogrome 1938 überstand, fest (ddp 21. April 2006)
  • 30. April: Eine Mädchengang verprügelt eine 26-jährige Studentin in Berlin-Steglitz, nachdem diese per Handy hebräisch mit einem Freund in Israel telefoniert hatte (Tagesspiegel 5. Mai 2006)

Antisemitische Stereotypen in der deutschen Linken

Politisch linksgerichtete Parteien bekämpfen traditionell die Diskriminierung und Unterdrückung von Menschen und deren Rechtfertigungen aufgrund völkischer, rassistischer oder sozialdarwinistischer Kriterien. Jedoch gibt es auch hier antisemitische Tendenzen, die „raffende“ Kapitalisten und Juden miteinander identifizieren. Diese Tendenzen stoßen bei linken Analytikern wie Robert Kurz auf Kritik, der hier von einer „politischen Ökonomie des Antisemitismus“ spricht.

Antisemitische Stereotypen zeigen in dieser Sichtweise manche Karikaturen und Plakate, die Vertreter des Finanzkapitals mit Zügen darstellen, die als „typisch jüdisch“ bzw. als Anspielung auf das Klischee vom „Weltjudentum“ interpretiert werden: z. B. ein Bankdirektor als Marionettenspieler oder eine weltumspannende Krake. Während der Debatte um eine Aussage Franz Münteferings, der Manager von US-amerikanischen Hedgefonds mit Heuschrecken verglich, zeigte das Titelblatt des Mitgliedermagazins der IG Metall vom April 2005 eine Mücke mit einer gekrümmten Nase und einem Zylinder in den Farben der US-Flagge mit dem Untertitel „US-Firmen in Deutschland – Die Aussauger“. Dies fand wegen der Ähnlichkeit mit antisemitischer NS-Propaganda starke Kritik. Der Gewerkschaftsvorsitzende Jürgen Peters verteidigte das Bild jedoch als „Freiheit der Kunst“.[8]

Seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 richtete sich auch das Augenmerk vieler westdeutscher Antiimperialisten – ähnlich wie im arabisch-islamischen Raum – auf das Zusammenspiel der Weltmacht USA mit dem von ihr unterstützten Staat Israel. Die Kritik daran führte zur Solidarisierung mit dem „Befreiungskampf des palästinensischen Volkes“ gegen den angeblichen „Stellvertreter des US-Imperialismus in Nahost“. Dabei unterstützten manche antiimperialistischen Gruppen kritiklos auch Palästinenser-Organisationen, die Israels Existenzrecht verneinen. So heißt es etwa bei Linksruck: „Hamas und Hisbollah sind Teil [des] rechtmäßigen palästinensischen Widerstands. Wer Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit im Nahen Osten will, muss den Widerstand der Palästinenser unterstützen“.[9] Diese Solidarität mit Feinden Israels wird als „Linker Antisemitismus“ bezeichnet[10] und auf „Schnittmenge[n] linker Politik und islamischer Religion“ in der Bekämpfung Israels verwiesen. So heißt es bei Hagalil: „Hierzu gehört unter anderem eine Organisation namens ‚Linksruck‘, deren Mitglieder schon mal die ‚bedingungslose Solidarität‘ mit der islamistischen Terroristenorganisation ‚Hamas‘ beschwören.“[11]

Besonders ambivalent war dabei die RAF. Während Ulrike Meinhof zwar Palästinas Kolonialisierung kritisierte und Israels Schutz als Aufgabe der Linken sah, blieb ihre Kritik an palästinensischen Verbündeten auch dort aus, wo diese Israels Existenzrecht in Frage stellten. In ihrer Analyse der Geiselnahme von München 1972, als ein palästinensisches Terrorkommando elf israelische Sportler kidnappte und anschließend ermordete, lassen sich Stereotype eines sekundären Antisemitismus nachweisen, der durch Umkehrung von Täter- und Opferrollen den Holocaust relativiert und von nationaler Verantwortung entlastet. Während Meinhof die Terroristen des Schwarzen September als „gleichzeitig antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch“ rühmt, wird die Heimat ihrer Opfer durchgängig mit dem Dritten Reich assoziiert: So schreibt Meinhof von „Israels Nazifaschismus“, bezeichnet Verteidigungsminister Mosche Dajan als „Himmler Israels“ und setzt die nationalsozialistischen Ausrottungspolitik mit der Kompromisslosigkeit der Regierung Meir gleich: Sie hätte die Sportler „verheizt wie die Nazis die Juden“.[12] Bei der Flugzeugentführung von Entebbe 1976 behandelten die Geiselnehmer – zehn Palästinenser und zwei Deutsche – israelische Staatsangehörige getrennt von den übrigen Passagieren und bedrohten sie mit dem Tod. Diese an die Praxis in den Vernichtungslagern gemahnende Selektion wurde wie die Geiselnahme insgesamt von vielen Linken verurteilt.

In den 1980er-Jahren rief eine längere Kampagne der antiimperialistischen Linken zum Boykott gegen Israel auf. Zudem wird die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete oft mit der Besatzungspolitik der Nazis in Polen oder der Sowjetunion verglichen.

Aufgrund der gelegentlichen Verwendung antisemitischer Stereotypen in der globalisierungskritischen Bewegung diskutierte z. B. Attac das Verhältnis zwischen Globalisierungskritik – besonders an den Finanzmärkten – und Antisemitismus. Fortan soll beides strikt getrennt werden.[13] Auch in anderen linken Gruppen führte Kritik etwa seitens der Antideutschen zu einer kritischen Reflexion antisemitischer Aussagen, zu ihrer Einstellung oder zur Isolation der Betroffenen innerhalb der linken Bewegung.

In der Tageszeitung resümiert Philipp Gessler eine Position des Antisemitismus-Experten Klaus Holz, der eine Konvergenz von Rechts- und Linksextremismus in den neuen Formen des Antisemitismus beobachtet: „An dieser Stelle taucht das auf, was neu am heutigen Antisemitismus genannt werden kann, ohne dass man dies ‚Neuer Antisemitismus‘ nennen muss: Es ist, vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001, eine ideologische Angleichung des Judenhasses über ursprünglich weit entfernte Ideologien und Milieus hinweg, wie der Antisemitismus-Experte Klaus Holz erklärte. Im Kern ist es ein antisemitischer Antizionismus, auf den sich radikale Islamisten, Neonazis und zum Teil auch Linksextremisten einigen können. Sie alle sehen die Welt und sich selbst als Opfer einer irgendwie gearteten jüdisch-zionistisch-kapitalistischen Verschwörung in Politik, Wirtschaft und Medien, die sich stark mit antiamerikanischen, globalisierungskritischen und antimodernen Ideen mischt. ‚Die Juden‘ werden dabei als die treibenden Kräfte hinter den Kulissen imaginiert, die zusammen mit der US-Regierung und Israel eine Weltherrschaft etablieren möchten, die die Völker zerstört.“ [14]

Antisemitismus in anderen Ländern

im Nahen Osten, arabischen und islamischen Ländern

Hauptartikel: Antisemitismus in islamischen Ländern

Seit etwa 1918 lebten europäische antisemitische Traditionen im Zusammenhang des aufkommenden Nahostkonflikts zwischen Juden, Palästinensern und Arabern wieder auf.

In anti-israelischer Propaganda arabischer Medien und Schulbücher wird besonders seit 1967 häufig auf antisemitische Stereotypen und Karikaturen zurückgegriffen. Ein Beispiel ist die Charta der Hamas, sie bezieht sich auf die Protokolle der Weisen von Zion.

Dies wird meist als Import des europäischen Antisemitismus gedeutet. Zu den Ursachen dafür gehören neben dem Nahostkonflikt auch alte historische, religiös-kulturelle Spannungen zwischen dem Judentum und dem Islam.

Im Ostblock

Nach 1945 bestand in den Staaten des Ostblocks eine tief verwurzelte Judenfeindlichkeit weiterhin fort.

Als klar wurde, dass sowjetische Erwartungen in Bezug auf ein kommunistisches Israel nicht wahr würden, ließ Stalin 1952 die Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees ermorden, nachdem sie in einem Scheinprozess angeklagt worden waren. Der Antisemitismus verbarg sich in dieser Zeit häufig hinter Schlagworten wie „Wurzelloser Kosmopolit“, einer verklausulierten Bezeichnung für „Jude“. Stalins zunehmende Paranoia gipfelte schließlich in der so genannten „Ärzteverschwörung“. Der Antisemitismus des Stalin-Regimes blieb auch nicht ohne Einfluss auf die übrigen Staaten in Osteuropa.

Judenfeindliche Motive – bzw. ein Wechsel im Umgang mit dem neugegründeten, anfänglich als sozialistisches Modellprojekt unterstützen Staat Israel – spielten auch eine Rolle bei den Prozessen gegen Rudolf Slánský in der CSSR und beim Umgang mit Paul Merker in der DDR. [15] Eine Kontinuität bzw. gar ein intensives Wiederaufleben von antisemitischen Tendenzen in den osteuropäischen EU-Beitrittsländern[16] wird intensiv diskutiert, Antisemitismus war dort um die Jahrhundertwende 1900[17] wie nach 1989 eng verknüpft mit Vorbehalten gegenüber einer liberalen Elite und städtischen Modernisierungspionieren[18].

Noch in den 40ern und 50er Jahren kam es etwa in Polen zu Übergriffen und Pogromen wie dem Pogrom von Kielce (1946). Gegen Juden gerichtete Gewalt brach insbesondere aus, wenn Juden in ihre Häuser zurückkehren wollten und ihr ehemaliges Eigentum wieder in Besitz nahmen. Als Ursachen gelten weiterhin neben dem traditionellen Antisemitismus, der durch die Nazi-Herrschaft noch verstärkt wurde, das allgemeine Nachkriegschaos, in dem polnische Nationalisten und Antikommunisten die angeblich pro-sowjetischen Juden angriffen. Eine ähnliche Situation wie in Polen gab es auch in Ungarn, sie schwächte sich hier aber im Laufe der Zeit im vergleich zu anderen Staaten des Ostblocks ab. In der Tschechoslowakei hatten die oft Deutsch sprechenden Juden zusätzlich unter Repressalien zu leiden. 1952 kam es hier zum Slansky-Prozess: Zwölf führende jüdische Mitglieder der KP und zwei Nicht-Juden wurden in einem Schauprozess als „Zionisten“ angeklagt. Bis Anfang der 1950er mussten aus dieser Vielzahl von Gründen etwa 150.000 osteuropäische Juden aus ihrer Heimat fliehen und lebten in den DP-Lagern in Westdeutschland. Bis 1956 wanderten 90 Prozent der bulgarischen Juden aus. Allein 300.000 Juden verließen bis 1975 ihre rumänische Heimat.

In der SBZ gab es eine Diskrepanz zwischen der offiziellen Parteilinie, die die Juden als Opfer des Faschismus anerkannte (wenngleich sie materiell schlechter gestellt wurden als die politisch Verfolgten, die Kämpfer gegen den Faschismus) und der Bevölkerung, die ihren Judenhass besonders im Jahre 1947 durch antisemitische Akte wie Friedhofsschändungen offenbarte. Allerdings blieb auch hier der Einfluss Stalins nicht ohne Folgen auf die SED.

Antisemitische Ressentiments spiegeln sich auch in der Interpretation des Holocausts und dem Umgang mit seinen Opfern seitens der realsozialistischen Staaten. So wurde beispielsweise in der DDR der Holocaust zwar nicht ausgeblendet, aber auch nicht besonders hervorgehoben. Dies entsprach der sowjetischen Linie, den Judenmord nur als sekundäres Merkmal der nationalsozialistischen Diktatur anzusehen. [19] Die jüdischen Opfer wurden als Opfer zweiter Klasse gegenüber kommunistischen Opfern gesehen:

„Opfer des Faschismus sind Juden, die als Opfer des faschistischen Rassenwahns verfolgt und ermordet wurden, sind die Bibelforscher und die ‚Arbeitsvertragssünder‘. Aber soweit können wir den Begriff ‚Opfer des Faschismus‘ nicht ziehen. Sie alle haben geduldet und Schweres erlitten, aber sie haben nicht gekämpft!“ [20]

In der Ära Chruschtschow ging der öffentlich-staatliche Antisemitismus in den osteuropäischen Staaten zurück. Eine Ausnahme bildete Polen, wo es Mitte der 1950er Jahre zu innerparteiischen Kämpfen kam, in denen anti-jüdische Motive eine Rolle spielten.

Zu einem Aufleben des populären Antisemitismus kam es in der Sowjetunion nach 1967. Der Antisemitismus trat in Osteuropa insbesondere unter dem Deckmantel des Antizionismus auf. Unter Kossygin entstanden antizionistische Karikaturen, Schriften, und Filme mit offensichtlichen Parallelen zum Stürmer-Stil. Juden („Zionisten“) wurden wieder als Bedrohung für die Welt dargestellt und das Weltjudentum bzw. der internationale Zionismus wird als Verbündeter des US-Imperialismus charakterisiert. Juden wurde zudem vorgeworfen, sie hätten nach der Herrschaft über den letzten Zaren gestrebt und seien hinter den antisowjetischen Unabhängigkeitsbestrebungen Polens und dem Prager Frühling. In Polen kommt es nach Protesten gegen die Absetzung eines Dramas von Adam Mickiewicz im Zusammenhang mit den März-Unruhen 1968 zu antisemitischen Übergriffen und Massenentlassungen von Juden. Fast alle Juden verlassen daraufhin das Land. Auch in Ungarn wurde der „Zionismus“ für oppositionelle Entwicklungen verantwortlich gemacht und antisemitische Stereotype der Bevölkerung in Krisenzeiten ausgenutzt.

Auch die DDR folgte der antizionistischen Politik, in Jugoslawien war die Entwicklung besonders heftig. Eine Ausnahme unter den Ostblockstaaten bildete Rumänien, das als einziger Staat normale Beziehungen zu Israel unterhielt.

Gorbatschow stand schließlich in den 1980ern für eine neue Politik auch gegenüber den Juden. Noch Ende der 1980er erlaubte die Sowjetunion vielen Juden die Ausreise nach Israel.

Erst nach der Wende war es möglich, wieder soziologische Erhebungen über antisemitische Einstellungen in Osteuropa durchzuführen. Dabei zeigte sich, dass der Antisemitismus gemeinhin den Linien von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg folgte. In Polen und der Slowakei gab es in der Bevölkerung dabei häufiger antisemitische Vorstellungen als in Tschechien oder Ungarn.

in Westeuropa

Großbritannien setzte nach Kriegsende seine restriktive Einwanderungspolitik in Palästina fort, obwohl Juden in einer Freiwilligenbrigade in der britischen Armee seit 1942 gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatten.

Nach der Affaire um das Flüchtlingsschiff Exodus, das völlig überfüllt mit osteuropäischen Juden verschiedene europäische Häfen anlief, aber überall abgewiesen und zuletzt ausgerechnet nach Deutschland geschickt wurde, drehte sich die öffentliche Meinung: Eine Parlamentskommission drängte auf eine Öffnung Palästinas für 100.000 jüdische Flüchtlinge. Doch Außenminister Bevin fand bei der Londoner Palästina-Konferenz keine Lösung zusammen mit der kriegsbereiten Arabischen Liga.

Den Teilungsplan der UNO von 1947 und Angriffe der palästinisch-arabischen „Befreiungsarmee“ auf Ostjerusalem beantwortete die britische Regierung im Mai 1948 mit der Aufgabe des britischen Mandats und dem Abzug der britischen Armee aus Palästina. Daraufhin wird der Staat Israel ausgerufen.

In den Vereinigten Staaten

Nach 1945 haben antisemitische Tendenzen in den USA, die es bis dahin gab, stark abgenommen. Aber die antikommunistische Hetzjagd der McCarthy-Ära in den USA der 1950er Jahre war mit Antisemitismus verbunden. Dieser äußerte sich als tendenzielle Gleichsetzung von Zionismus und Kommunismus, da die jüdischen Siedler oft Formen eines Gemeineigentums in Kibbuzim und tolerante, liberale Anschauungen pflegten.

Die Regierungen der USA unterstützen jedoch traditionell den Staat Israel als Demokratiemodell für den Nahen Osten. Auch das Holocaust-Gedenken und die Holocaustforschung haben hier besonders seit 1967 eine starken Rückhalt. Das amerikanische Judentum ist stark säkularisiert: Heute heiraten ungefähr 60 Prozent der Juden/innen in Amerika – gegenüber weniger als 10 Prozent vor 1914 – Andersgläubige.

Konservative Christen, Evangelikale und Fundamentalisten unterstellen teilweise bis heute, dass der „jüdische Einfluss“ der Kulturindustrie in Hollywood als Vorhut für die Schwächung der „traditionellen Familienwerte“ verantwortlich sei. In manchen Country Clubs, Nachbarschaften und Konzernen sind Juden nicht willkommen: Sie orientieren sich an der Elite der White Anglo-Saxon Protestants („WASP“), d. h. den weißhäutigen Protestanten angelsächsischer (nordeuropäischer) Herkunft. Einzelne Prediger der Christian Right wie Jerry Falwell[21] und John Hagee[22] bezeichnen im Rahmen ihres apokalyptischen Weltbildes den Antichrist als jüdisch.

Siehe auch

Literatur

Allgemein
  • Mirko Heinemann, Alfred Schobert, Claudia Wahjudi: Eine Basis für die Vernetzung und ein Aufruf dazu, selbst aktiv zu werden: Handbuch Antirassismus; 2002; ISBN 3-935783-06-X
  • Klaus Faber, Julius H. Schoeps (Hrsg.): Neu-alter Judenhass: Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik; Berlin, Brandenburg: Sacha Stawski Verlag, 2006; ISBN 3-86650-163-3
Deutschsprachige Länder
  • Arbeitsgruppe Antifaschismus / Antirassismus im Studentenrat der Universität Halle (Hrsg.): Trotz und wegen Auschwitz: nationale Identität und Antisemitismus nach 1945; Münster: Unrast, 2004; ISBN 3-89771-428-0 [4]
  • Wolfgang Benz (Hrsg.): Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils; München: dtv, 1995; ISBN 3-423-04648-1
  • Wolfgang Benz: Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitismus; München: C.H.Beck, 2001; ISBN 3-406-47575-2
  • Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus?; München: Beck, 2004; ISBN 3-406-52212-2
  • Joachim Perels: Antisemitismus in der Justiz nach 1945?; in: Fritz-Bauer-Institut (Hrsg.): Beseitigung des jüdischen Einflusses …: antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Nationalsozialismus; Frankfurt/M.: Campus, 1999; ISBN 3-593-36098-5; S. 241–252
  • Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland; Wiesbaden: VS-Verlag, 2004; ISBN 3-531-14006-X
  • Herbert A. Sallen: Zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland; Frankfurt am Main: Haag + Herchen, 1977; ISBN 3-88129-091-5
  • Alphons Silbermann, Julius H. Schoeps (Hrsg.): Antisemitismus nach dem Holocaust. Bestandsaufnahme und Erscheinungsformen in deutschsprachigen Ländern; Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, 1986; ISBN 3-8046-8656-7
  • Werner Bergmann, Rainer Erb (Hrsg.): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990; ISBN 3-531-11923-0
  • Werner Bergmann, Rainer Erb: Das Fortleben des Antisemitismus nach 1945. Antisemitismus in Deutschland 1945–1996; in: Wolfgang Benz, Werner Bergmann: Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus; Freiburg u. a.: Herder, 1997; ISBN 3-451-04577-X
Linke und Rechte
  • Henryk M. Broder: Der ewige Antisemit. Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls; Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag, 2005 (19861); ISBN 3-8333-0304-2 (umstrittenes Buch über den angeblich gemeinsamen Antisemitismus seit 1945 in der deutschen Linken und Rechten)
  • Birgit Schmidt: Kein Licht auf dem Galgen. Ein Beitrag zur Diskussion um KPD/SED und Antisemitismus; Münster: Unrast, 2005; ISBN 3-89771-436-1
  • Norman G. Finkelstein: Antisemitismus als politische Waffe. Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte; München: Piper, 2006; ISBN 3-492-04861-7 (Rezension in der FR vom 18. Mai 2006)
  • Wolfgang Frindte: Inszenierter Antisemitismus: Eine Streitschrift; Wiesbaden: Vs Verlag, 2006; ISBN 3-531-15101-0
  • Matthias Brosch u. a. (Hrsg.): Exklusive Solidarität: Linker Antisemitismus in Deutschland. Metropol, 1. Auflage 2006, ISBN 3-938690-28-3
  • Thomas Haury: Antisemitismus von Links: Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, 2002, ISBN 3-930908-79-4
Medien
  • Horst Dichanz (Hrsg.): Antisemitismus in den Medien. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1997, ISBN 3-89331-275-7
  • Siegfred und Margarete Jäger: Medienbild Israel: zwischen Solidarität und Antisemitismus. LIT Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6446-4
  • Tobias Jaecker: Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September: Neue Varianten eines alten Deutungsmusters. LIT Verlag, Münster 2004, ISBN 3-8258-7917-8
  • Fritz Bauer Institut u. a. (Hrsg.): Neue Judenfeindschaft? Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem globalisierten Antisemitismus. Campus Verlag, Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 10, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-593-38183-1

Weblinks

Allgemein
Deutschland
Antisemitismus im Rechtsextremismus
Antisemitismus bei linksgerichteten Gruppen
Gegenwartsdiskussion
Statistiken
Chroniken antisemitischer Vorfälle

Einzelnachweise

  1. Herbert A. Strauss, Norbert Kampe: Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust; Frankfurt, New York: Campus, 1985; ISBN 3-593-33464-X; S. 27
  2. Klaus Holz: Neuer Antisemitismus? Wandel und Kontinuität der Judenfeindschaft
  3. Arbeitsdefinition der EUMC: Was ist Antisemitismus? (Entwurf März 2004, Übersetzung von Ulrich Sahm)
  4. Werner Bergmann: Sind die Deutschen Antisemiten?; S. 113
  5. Editorial KULT, April 2002
  6. Silbermann, Schoeps; Antisemitismus nach dem Holocaust; S. 33–39
  7. Antwort auf Ulla Jelpkes Anfrage im Bundestag
  8. Rheinische Post: „Freiheit der Kunst“ – IG Metall: Peters verteidigt „Aussauger“-Titelblatt. 9. Mai 2005
  9. Der Terror kommt aus Israel; Linksruck Nr. 221, 19. Juli 2006.
  10. Ansonsten auch Georg Meggle: Linker Antisemitismus; Handout Universität Leipzig
  11. S. Jörg Fischer: Die Schnittmenge linker Politik und islamischer Religion: Die verblüffenden Entdeckungen des Oskar Lafontaine; in: Hagalil.com, 9. März 2006
  12. zit. nach Veit Medick: Radikal antijüdisch; in: tageszeitung vom 6./7. Oktober 2007; taz mag, S. 3
  13. Attac Österreich, Broschüre: Blinde Flecken der Globalisierungskritik, Seite 23, [1], vgl. auch [2])
  14. Philipp Gessler: Die Juden als Weltfeinde; in: taz, Ausgabe vom 15. Dezember 2005, S. 15
  15. Charles S. Maier: Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus, S. Fischer, Frankfurt, 1999, Seite 53 ff.
  16. Magdalena Marsovszky: Antisemitismus in Ungarn nach 1989. Demokratiedefizit und kulturpolitische Herausforderung für Europa; in: Zeitgeschichte-online, Thema: Die Debatte um den Antisemitismus in den ostmitteleuropäischen EU-Beitrittsländern: Der Fall Ungarn, Januar 2005 hrsg. von Maren Brodersen in Kooperation mit Magdalena Marsovszky, URL: [3]
  17. Rolf Fischer: Entwicklungsstufen des Antisemitismus in Ungarn 1867–1939. Die Zerstörung der magyarisch-jüdischen Symbiose; Südosteuropäische Arbeiten, 85; 1988; ISBN 978-3-486-54731-3
  18. Magdalena Marsovszky: Der Antisemitismus in Ungarn. Nur Polit-Folklore?; Hagalil 20. April 2002
  19. Moshe Zuckermann: Zwischen Politik und Kultur – Juden in der DDR, Institut für Deutsche geschichte Tel Aviv, Wallstein, 2002, Seite 37
  20. Deutsche Volkszeitung vom 3. Juli 1945; zitiert nach Rosa-Luxemburg-Stiftung
  21. Chip Berlet, Matthew N. Lyons: Right-Wing Populism in America: Too Close for Comfort; New York: Guilford Press, 2000; S. 323f.; 406.
  22. Max Blumenthal: Pastor Hagee: The Antichrist Is Gay, “Partially Jewish, As Was H” auf der Homepage von The Nation (USA)

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