- Quaternion
-
ℍ
Die Quaternionen (von lat. quaternio „Vierheit“) sind ein Zahlensystem ähnlich den komplexen Zahlen und eine Erweiterung der reellen Zahlen. Erdacht wurden sie 1843 von Sir William Rowan Hamilton; sie werden deshalb auch hamiltonsche Quaternionen oder Hamilton-Zahlen genannt. Olinde Rodrigues entdeckte sie bereits 1840 unabhängig von Hamilton. Trotzdem wird die Menge der Quaternionen meistens mit bezeichnet. Quaternionen erlauben in vielen Fällen eine rechnerisch elegante Beschreibung des dreidimensionalen Raumes, insbesondere im Kontext von Drehungen, daher verwendet man sie unter anderem in Berechnungs- und Darstellungsalgorithmen für Simulationen. Sie sind aber auch als eigenständiges mathematisches Objekt von Interesse und dienen so zum Beispiel im Beweis des Vier-Quadrate-Satzes.
Die Quaternionen entstehen aus den reellen Zahlen durch Hinzufügen dreier neuer Zahlen i, j und k. So ergibt sich in Analogie zu den Komplexen Zahlen ein vierdimensionales Zahlensystem mit einem eindimensionalen Realteil und einem dreidimensionalen Imaginärteil, der auch Vektoranteil genannt wird.
Jede Quaternion lässt sich eindeutig in der Form
mit reellen Zahlen x0, x1, x2, x3 schreiben. Die neuen Zahlen i, j, k werden gemäß den Hamilton-Regeln
multipliziert. Die Multiplikation ist nicht kommutativ, d. h. für zwei Quaternionen x und y sind die beiden Produkte
im Allgemeinen verschieden. Einige aus dem Reellen bekannte Rechenregeln gelten deshalb für Quaternionen nicht, Assoziativgesetz und Distributivgesetz bleiben jedoch erhalten.
Die Quaternionen bilden einen Schiefkörper; das bedeutet insbesondere, dass es zu jeder Quaternion eine inverse Quaternion x − 1 gibt, so dass
gilt. (Die Notation wird aufgrund der Nichtkommutativität vermieden, siehe unten.) Die Quaternionen sind eine vierdimensionale -Algebra.
Rechenregeln
Die Konstruktion der Quaternionen ist der der komplexen Zahlen analog, allerdings wird nicht nur eine Zahl, deren Quadrat −1 ergibt, hinzugefügt, sondern drei, nämlich i, j und k.
Beim Rechnen mit Quaternionen der Form
mit reellen Zahlen x0,x1,x2,x3 kann man i,j,k wie anti-kommutierende Variable behandeln; treten Produkte von zweien von ihnen auf, so darf man sie nach den Hamilton-Regeln
ersetzen. Unter Voraussetzung der ersten Regel sind die anderen beiden äquivalent zu
Reelle Faktoren kommutieren mit i,j,k, d. h. es gilt beispielsweise
aber
Nicht alle aus der elementaren Algebra bekannten Rechenregeln gelten für die Quaternionen, z. B. gilt
Die binomische Formel (a + b)(a − b) = a2 − b2 ist hier also nicht anwendbar. Sie setzt voraus, dass ab = ba gilt.
Für zwei Quaternionen
- und
ist also
- (Addition)
- (Subtraktion)
-
-
- (Multiplikation)
-
Zur Division siehe unten.
Konstruktionen
Zur Konstruktion der Quaternionen gibt es mehrere Möglichkeiten, deren wesentliche Schritte sollen im Folgenden skizziert werden.
Vierervektoren
ist ein vierdimensionaler Vektorraum über seinem Skalarkörper . Damit ist die Addition und die Skalarmultiplikation bereits definiert. Diese Multiplikation stimmt in ihrem Definitionsbereich mit der Quaternionen-Multiplikation überein, da als in eingebettet wird. Sie ist kommutativ.
Die volle Quaternionen-Multiplikation ist entsprechend den obigen Regeln zu übertragen. Dadurch wird zu einer vierdimensionalen -Algebra.
Komplexe Matrizen
Eine andere Konstruktion fasst die Quaternionen als Unterring des Rings der komplexen -Matrizen auf. Dabei setzt man
Zur Verdeutlichung wurde die imaginäre Einheit der komplexen Zahlen als notiert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten für diese Realisierung, die alle zueinander konjugiert sind. In der hier angegebenen Realisierung gilt der folgende Zusammenhang zu den Pauli-Matrizen σi aus der Quantenmechanik (siehe unten)
Die Menge der Quaternionen ist deswegen identisch mit
Die Determinante dieser Matrizen ist immer gleich | w | 2 + | z | 2. Daraus folgt die Nullteilerfreiheit und damit die Existenz einer multiplikativen Inversen falls . Bei der Konstruktion mit Matrizen sind auch die weiteren Eigenschaften wie Assoziativgesetz klar. Es muss also lediglich noch die Gültigkeit der hamiltonschen Multiplikationsregeln für i,j,k nachgewiesen werden.
Quotientenalgebra
Eine elegante, aber zugleich abstrakte Konstruktion stellt der Weg über den Quotienten des nichtkommutativen Polynomrings in drei Unbestimmten, deren Bilder i,j,k sind, modulo des Ideals, das von den Hamilton-Regeln erzeugt wird. Alternativ kommt man auch mit nur zwei Unbestimmten aus. Auf diese Weise ergibt sich die Quaternionen-Algebra als Clifford-Algebra der zweidimensionalen, euklidischen Ebene mit Erzeugern . Im Zusammenhang mit dreidimensionalen Drehungen ist auch die Interpretation als der gerade Anteil der Clifford-Algebra des dreidimensionalen, euklidischen Raumes wichtig. Die Erzeuger werden dann mit identifiziert.
Grundlegende Operationen
Addition
Die Addition zweier Quaternionen geschieht komponentenweise:
Skalarteil und Vektorteil
Aufgrund der besonderen Stellung der Komponente x0 einer Quaternion
bezeichnet man sie (wie bei den komplexen Zahlen) als Realteil oder Skalarteil
während die Komponenten x1,x2,x3 zusammen den Imaginärteil oder Vektorteil
bilden. Häufig identifiziert man den Vektorteil auch mit dem Vektor (x1,x2,x3) in .
Identifiziert man in dieser Weise Quaternionen
mit Paaren aus einem Skalar und einem Vektor in
- mit s = x0 und ,
so lässt sich die Multiplikation mithilfe des (dreidimensionalen) Skalarprodukts und Vektorprodukts beschreiben:
Zwei Quaternionen sind demnach genau dann miteinander vertauschbar, wenn , ihre Vektorteile also in einem reellen Verhältnis zueinander stehen.
Quaternionen, deren Vektorteil 0 ist, werden mit den ihrem Skalarteil entsprechenden reellen Zahlen identifiziert.
Eine Quaternion, deren Realteil 0 ist, nennt man reine Quaternion (auch: rein imaginär oder vektoriell). Reine Quaternionen lassen sich auch als diejenigen Quaternionen charakterisieren, deren Quadrat reell und nichtpositiv ist. Für die Menge der reinen Quaternionen schreibt man
Sie ist ein dreidimensionaler reeller Vektorraum mit Basis {i,j,k}.
Für reine Quaternionen nimmt die Multiplikation eine besonders einfache Form an:
Konjugation und Betrag
Zu jeder Quaternion
ist die konjugierte Quaternion definiert als
Die Konjugation lässt also den Skalarteil unverändert und ist die Multiplikation mit −1 auf dem Vektorteil. Alternativ lässt sich die Konjugation auch als
darstellen.
Die wichtigsten Eigenschaften der Konjugation sind:
- (die Konjugation ist eine Involution);
- und
für reelle Zahlen λ, d. h. die Konjugation ist -linear; - (die Konjugation ist ein involutiver Antiautomorphismus);
- , insbesondere ist dieser Wert reell und nichtnegativ.
Aus der letzten Eigenschaft ergibt sich auch, dass der Wert
gerade der gewöhnliche Betrag des Vektors (x0,x1,x2,x3) ist; man nennt ihn auch den Betrag oder die Länge der Quaternion x. Er erfüllt die wichtige Eigenschaft
Mit dem Betrag werden die Quaternionen zu einer reellen Banachalgebra.
Wie bei komplexen Zahlen kann man auch Skalar- und Vektorteil mithilfe der Konjugation beschreiben:
- ist der Skalarteil;
- ist der Vektorteil.
Ist eine Quaternion gleich ihrer Konjugierten, so ist sie reell, d. h. der Vektorteil ist null. Ist eine Quaternion gleich dem Negativen ihrer Konjugierten, so ist sie eine reine Quaternion, d. h. der Skalarteil ist null.
Inverses und Division
Wenn das Inverse existiert, dann lassen sich zwei Arten der Division definieren, nämlich
- und
die die jeweiligen Lösungen der Gleichungen
- bzw.
sind. Sie stimmen nur dann überein, wenn und kommutieren, insbesondere wenn der Divisor reell ist. In solch einem Fall kann die Schreibweise verwendet werden – bei allgemeinen Divisionen wäre sie nicht eindeutig.
Außerdem gilt (falls existiert) die Formel
da
- und .
Fürist
reell und positiv. Die Quaternion
erfüllt dann die Bedingungen des Rechts-
und des Links-Inversen
und kann deshalb als das Inverse von schlechthin bezeichnet werden.
Fazit: Die Quaternionen bilden einen nicht-kommutativen Schiefkörper.
Einheitsquaternionen
Eine Einheitsquaternion (auch: normierte Quaternion, Quaternion der Länge 1) ist eine Quaternion, deren Betrag gleich 1 ist. Für sie gilt (analog zu den komplexen Zahlen)
Für eine beliebige Quaternion ist
eine Einheitsquaternion, die man manchmal auch als das Signum von x bezeichnet.
Das Produkt zweier Einheitsquaternionen und die Inverse einer Einheitsquaternion sind wieder Einheitsquaternionen. Die Einheitsquaternionen bilden also eine Gruppe.
Zu den Einheitsquaternionen zählen insbesondere die acht Quaternionen
Diese speziellen Elemente bilden innerhalb der Einheitsquaternionen eine Untergruppe, die auch Quaternionengruppe genannt wird.
Geometrisch kann man die Menge der Einheitsquaternionen als die Einheits-3-Sphäre im vierdimensionalen euklidischen Raum und damit als Lie-Gruppe interpretieren. Die zugehörige Lie-Algebra ist der Raum der reinen Quaternionen. In der Matrixdarstellung entsprechen die Einheitsquaternionen genau der Gruppe SU(2). Dies erklärt auch den Bezug zu den Pauli-Matrizen.
Einheitsquaternionen, die auch reine Quaternionen sind, lassen sich als diejenigen Quaternionen charakterisieren, deren Quadrate ergeben:
(Den unendlich vielen Wurzeln dieses Polynoms steht das Fehlen einer Lösung für die lineare Gleichung gegenüber.)
Sie liegen auf dem Rand der 3-Sphäre und entsprechen geometrisch der 2-Sphäre im dreidimensionalen Raum. Jede Quaternion mit Quadrat definiert eine Einbettung der komplexen Zahlen in die Quaternionen
Dies ist allerdings nur eine Einbettung von -Algebren. Die Quaternionen sind keine Algebra über .
Polardarstellung
Jede Einheitsquaternion kann auf eindeutige Weise in der Form
mit und einer reinen Einheitsquaternion dargestellt werden. Mit der verallgemeinerten Exponentialfunktion lässt sich dies wegen auch schreiben als
anders gesagt: die Exponentialabbildung ist eine Bijektion von der Menge der reinen Quaternionen vom Betrag auf die Menge der Einheitsquaternionen mit Ausnahme von − 1.
Allgemeiner lässt sich jede nicht reelle Quaternion eindeutig in der Form
mit α,v wie oben schreiben oder jede nicht reell-negative Quaternion eindeutig als
mit einer reinen Quaternion X mit .
Diese Darstellungen sind der Polarform komplexer Zahlen
vollkommen analog.
Beschreibung anderer Konstruktionen mit Hilfe von Quaternionen
Produkte
- Das Kreuzprodukt der Vektorteile zweier Quaternionen ist bis auf den Faktor 2 ihr Kommutator: Ist und , so gilt
- Das Skalarprodukt zweier Quaternionen, aufgefasst als Vektoren im , ist definiert durch:
-
- .
- Es ist eine positiv definite symmetrische Bilinearform, über die sich Norm und Betrag definieren und mit der sich Orthogonalität untersuchen lassen.
- Ferner kann man damit die einzelnen Komponenten einer Quaternion isolieren:
- Das Minkowski-Skalarprodukt zweier Quaternionen, aufgefasst als Vektoren im Minkowski-Raum, ist der Skalarteil von xy:
Vektoranalysis
Im folgenden werden reine Quaternionen mit Vektoren im dreidimensionalen Raum identifiziert. Definiert man den Nabla-Operator (wie Hamilton) als
und wendet ihn auf ein Vektorfeld
an, so erhält man
(Dabei ist der Skalarteil, der Vektorteil der Quaternion.)
Zweimalige Anwendung von auf eine Funktion f(x,y,z) ergibt
d.h. wirkt wie ein Dirac-Operator als Quadratwurzel des (negativen) Laplace-Operators.
Drehungen im dreidimensionalen Raum
Einheitsquaternionen können für eine elegante Beschreibung von Drehungen im dreidimensionalen Raum verwendet werden: Für eine feste Einheitsquaternion q ist die Abbildung
auf eine Drehung. (Hier wie im folgenden ist nur von Drehungen die Rede, die den Ursprung festlassen, d. h. deren Drehachse durch den Ursprung verläuft.)
Definiert man für einen gegebenen Winkel und eine reine Einheitsquaternion die Quaternion wie folgt
so ist eine Einheitsquaternion, und jede Einheitsquaternion kann so dargestellt werden. Dann ist eine Drehung des um die Achse mit Drehwinkel .
Für jede Einheitsquaternion q definieren q und − q dieselbe Drehung; insbesondere entsprechen 1 und − 1 beide der identischen Abbildung (Drehung mit Drehwinkel 0). Im Unterschied zur Beschreibung von Drehungen durch orthogonale Matrizen handelt es sich also um keine 1:1-Entsprechung, zu jeder Drehung R gibt es genau zwei Einheitsquaternionen q mit ρq = R.
Die Hintereinanderausführung von Drehungen entspricht der Multiplikation der Quaternionen, d. h.
Die Umkehrung der Drehrichtung entspricht der Konjugation:
Bezug zu orthogonalen Matrizen
Die einer Einheitsquaternion
entsprechende orthogonale Matrix ist
Für die umgekehrte Umwandlung von Drehmatrizen in Quaternionen genügt es, Drehwinkel und -achse zu bestimmen und in die weiter oben angegebene Formel einzusetzen.
Bezug zu Eulerwinkeln
Für Eulerwinkel gibt es verschiedene Konventionen; die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Drehung, die man erhält, wenn man zuerst um die z-Achse um den Winkel Φ, dann um die neue x-Achse um den Winkel Θ und schließlich um die neue z-Achse um den Winkel Ψ dreht. Die Einzeldrehungen entsprechen den Quaternionen
und da jeweils um die mitgedrehten Achsen gedreht wird, ist die Reihenfolge der Komposition umgekehrt, die Gesamtdrehung entspricht also
Für andere Konventionen ergeben sich ähnliche Formeln.
Die Eulerwinkel zu einer gegebenen Quaternion lassen sich an der zugehörigen Drehmatrix ablesen.
Universelle Überlagerung der Drehgruppe; Spingruppe
Die Konstruktion liefert einen Homomorphismus der Gruppe der Einheitsquaternionen in die Drehgruppe SO(3); mithilfe der Identifizierung der Einheitsquaternionen mit den Erzeugenden der Gruppe SU(2) erhält man also
Es handelt sich um eine zweiblättrige Überlagerung, der Kern ist das Zentrum . Da einfach zusammenhängend ist, handelt es sich um die universelle Überlagerung. Sie wird auch Spingruppe Spin(3) genannt (zur Physik: siehe Spin); die natürliche Operation von SU(2) auf ist eine sog. Spinordarstellung. Insbesondere kann man die Basiselemente i, j und k mit den drei hermitischen Erzeugenden der SU(2), den drei aus der Physik bekannten sog. Paulimatrizen,
- ,
in Beziehung bringen. Der Zusammenhang zwischen den zwei Basissätzen ist sehr einfach: i = σx/i , j = σy/i und k = σz/i , mit der „imaginären Einheit“ i , so dass die in der theoretischen Physik bekannte Beziehung σxσy= i σz gerade der Relation i j = k entspricht. Wegen der Hermitizität der σ-Matrizen kommen sie im Gegensatz zu den i, j und k in der Quantenmechanik als messbare Größen in Frage, was sich für die mathematische Struktur der Quantenmechanik als wichtig erwiesen hat. Es ist ferner , mit reellen Vektorkomponenten αx, αy und αz. Der Faktor 1/2 hat u.a. zur Folge, dass sich die Spinoren im Gegensatz zu Vektoren nicht schon bei Drehungen um 2 π (=360 Grad), sondern erst bei dem doppelten Wert reproduzieren.
Orthogonale Abbildungen des vierdimensionalen Raumes
Analog zum dreidimensionalen Fall kann man jede orientierungserhaltende orthogonale Abbildung von in sich selbst in der Form
für Einheitsquaternionen a,b beschreiben. Es gilt
Diese Konstruktion liefert eine Überlagerung
mit Kern {(1,1),( − 1, − 1)}.
Die Quaternionen als Algebra
Es gibt bis auf Isomorphie genau drei endlichdimensionale -Algebren, die Schiefkörper sind, nämlich selbst, die komplexen Zahlen und die Quaternionen [1].
Das Zentrum von ist ; die Quaternionen sind also eine zentraleinfache Algebra über . Reduzierte Norm und Spur sind durch
- bzw.
gegeben.
Beim Basiswechsel von zum algebraischen Abschluss werden die Quaternionen zu einer Matrizenalgebra:
Die komplexe Konjugation auf dem Faktor des Tensorproduktes entspricht einer Involution der Matrizenalgebra, deren Invarianten eine zu isomorphe Algebra bilden. Die Involution
- mit
entspricht dem oben angegebenen Matrizenmodell der Quaternionen.
Die Tatsache, dass die Brauergruppe von nur aus zwei Elementen besteht, spiegelt sich auch darin wider, dass
ist.
Allgemein bezeichnet man jede vierdimensionale zentraleinfache Algebra über einem Körper als eine Quaternionenalgebra.
Die Quaternionen sind die Clifford-Algebra zum Raum mit einer negativ definiten symmetrischen Bilinearform.
Anwendungen
Die Darstellung von Drehungen mithilfe von Quaternionen wird heutzutage im Bereich der interaktiven Computergrafik genutzt, insbesondere bei Computerspielen, sowie bei der Steuerung und Regelung von Satelliten. Bei Verwendung von Quaternionen an Stelle von Drehmatrizen werden etwas weniger Rechenoperationen benötigt. Insbesondere, wenn viele Drehungen miteinander kombiniert (multipliziert) werden, steigt die Verarbeitungsgeschwindigkeit. Des Weiteren werden Quaternionen, neben den Eulerwinkeln, zur Programmierung von Industrierobotern (z. B. ABB) genutzt.
Physik
Durch die Verwendung der Quaternionen kann man in vielen Fällen auf getrennte Gleichungen zur Berechnung von Zeit und Raum verzichten. Dies bietet Vorteile in der Physik, unter anderem in den Gebieten Mechanik, Wellengleichungen, Spezielle Relativitätstheorie und Gravitation, Elektromagnetismus sowie der Quantenmechanik.
Elektromagnetismus
Die Maxwell-Gleichungen zur Beschreibung des Elektromagnetismus sind der bekannteste Anwendungsfall für Quaternionen. Die Maxwellgleichungen werden durch eine Gruppe von Kommutatoren und Antikommutatoren des Differenzoperators, des elektrischen Feldes E und dem magnetischen Feld B im Vakuum definiert. Im Wesentlichen sind dieses die homogene Maxwellgleichung und das Gaußsche Gesetz.
Im Folgenden werden modifizierte Kommutatoren und Antikommutatoren verwendet:
Die homogene Maxwellgleichung ist definiert durch:
- .
Hierbei besagt , dass keine magnetischen Monopole existieren. ist das Faradaysche Induktionsgesetz.
Das Gaußsche Gesetz definiert sich umgekehrt aus:
- .
Hierbei ergibt das Gaußsche Gesetz und das von Maxwell korrigierte Ampèresche Durchflutungsgesetz.
Elektromagnetisches Viererpotential
Die elektrischen und magnetischen Felder werden häufig als elektromagnetisches Viererpotential (d. h. als 4-wertiger Vektor) ausgedrückt. Dieser Vektor kann auch als Quaternion umformuliert werden.
Das elektrische Feld E ist der Antikommutator des konjungierten, differenzierten Vierpotenzials. Das magnetische Feld B verwendet den Kommutator. Durch diese Darstellungsform kann man direkt in die Maxwellgleichungen einsetzen:
sowie
Hierbei sind die Ausdrücke und die beiden Quellenfelder, die durch die Differenz aus zwei Kommutatoren und zwei Antikommutatoren gebildet werden.
Das Induktionsgesetz und das Durchflutungsgesetz werden durch die Summe aus den zwei ineinanderliegenden Kommutatoren und Antikommutatoren gebildet.
Lorentzkraft
Die Lorentzkraft wird auf ähnliche Weise aus den Maxwellgleichungen abgeleitet. Allerdings müssen die Vorzeichen korrigiert werden.
Erhaltungssatz
Der Erhaltungssatz der elektrischen Ladung wird durch die Anwendung des konjugierten Differenzoperators auf die Quellen der Maxwellgleichung gebildet.
-
= =
Diese Gleichung zeigt, dass das Skalarprodukt des elektrischen Feldes E plus dem Kreuzprodukt des magnetischen Feldes B auf der einen Seite, sowie der Stromdichte J plus der Frequenz der Ladungsdichte ρ auf der anderen Seite, gleich ist. Dieses bedeutet, dass die Ladung bei der Umformung erhalten bleibt.
Poyntings Energieerhaltungssatz wird in auf dieselbe Weise abgeleitet, mit dem Unterschied, dass statt dem Differenzial das konjungierte elektrische Feld verwendet wird.
-
= =
Mit den Vektoridentitäten
kann man diese Gleichung nach
umformen, was der Poynting-Gleichung entspricht. Der Ausdruck entspricht hierbei dem Poynting-Vektor.
Vier-Quadrate-Satz
Sind
zwei Quaternionen, so ergibt sich aus der Gleichung
die rein reelle Identität
Sind alle beteiligten Zahlen ai,bi,ci,di ganz, so besagt diese Gleichung, dass das Produkt zweier Zahlen, die sich als Summe von vier Quadratzahlen schreiben lassen, selbst eine Summe von vier Quadratzahlen ist.
Der Vier-Quadrate-Satz besagt, dass jede natürliche Zahl Summe von vier Quadratzahlen ist, und die eben genannte Aussage erlaubt es, sich beim Beweis auf Primzahlen zu beschränken: Sind Primzahlen als Summen von vier Quadraten darstellbar, so auch Produkte von Primzahlen, aber jede natürliche Zahl ist Produkt von Primzahlen, damit ergibt sich die Behauptung. Aufgrund dieses Zusammenhanges wird auch die obige Identität manchmal als Vier-Quadrate-Satz bezeichnet.
Andere Grundkörper
Quaternionen über den rationalen Zahlen
Bei allen obigen Arten der Konstruktion spielt die Vollständigkeit des Koeffizientenvorrats keine Rolle. Deshalb kann man (anstatt von den reellen Zahlen über zu ) auch von anderen Grundkörpern, z. B. den rationalen Zahlen , ausgehen, um via Gaußsche Zahlen bei den Quaternionen mit rationalen Koeffizienten
anzukommen – mit formal denselben Rechenregeln. Danach kann, falls überhaupt erforderlich, die Vervollständigung für die Betragsmetrik durchgeführt werden mit einem Endergebnis isomorph zu .
Insofern kann bei vielen Aussagen durch , durch und durch ersetzt werden.
Da es nach dem Satz von Wedderburn keinen endlichen Körper mit nicht-kommutativer Multiplikation gibt und die Dimension des Vektorraums über seinem Primkörper und Zentrum mit minimal ist, gehört als abzählbare Menge zu den „kleinsten“ Körpern mit nicht-kommutativer Multiplikation – auf jeden Fall enthält keinen kleineren.
Der Körper besitzt einen sog. Ganzheitsring, d. h. eine Untermenge von Zahlen, genannt Hurwitzquaternionen, die einen Ring bilden und zum Quotientenkörper haben, – ganz ähnlich, wie es sich bei den ganzen Zahlen und ihrem Quotientenkörper verhält. In einem solchen Ring lassen sich bspw. Approximationsfragen, Teilbarkeitsfragen u. Ä. untersuchen.
Weitere Grundkörper
Auch Körper eignen sich als Ausgangspunkt zur Bildung nicht-kommutativer Erweiterungskörper nach Art der Quaternionen. Wichtig ist, dass in die Summe aus 4 Quadraten nur für verschwindet. Dann gibt es auch kein mit und ist eine echte quadratische Erweiterung, die eine Konjugation definiert. Diese Bedingungen sind z. B. bei allen formal reellen Körpern erfüllt.
Aber auch bei Körpern, die nicht angeordnet werden können, kann die obige Bedingung betreffend die Summe aus 4 Quadraten erfüllt sein, bspw. im Körper der 2-adischen Zahlen. Der so über gebildete „Quaternionenkörper“ ist isomorph zur Vervollständigung des (oben beschriebenen) Körpers der Quaternionen mit rationalen Koeffizienten für die folgende (nichtarchimedische diskrete) Bewertung, dem 2-Exponenten der Norm,
- mit .
Interessanterweise gibt es in nicht-triviale Quadratsummen 0 schon mit 5 Summanden, z. B. .
Geschichte
William Rowan Hamilton hatte 1835 die Konstruktion der komplexen Zahlen als Zahlenpaare angegeben. Dadurch motiviert, suchte er lange nach einer entsprechenden Struktur auf dem Raum der Zahlentripel; heute weiß man, dass keine derartige Struktur existiert. 1843 schließlich gelangte er zu der Erkenntnis, dass es möglich ist, eine Multiplikation auf der Menge der 4-Tupel zu konstruieren, wenn man dazu bereit ist, die Kommutativität aufzugeben. In einem Brief an seinen Sohn gibt er als Datum den 16. Oktober 1843 an und berichtet, er habe sich spontan dazu hinreißen lassen, die Multiplikationsregeln in einen Stein an der Brougham Bridge (heute Broombridge Road) in Dublin zu ritzen; später wurde dort eine Gedenktafel angebracht. Die Rechenregeln für Quaternionen waren in Ansätzen schon früher bekannt, so findet sich die Formel für den Vier-Quadrate-Satz bereits bei Leonhard Euler (1748). Andere, auch allgemeinere Multiplikationsregeln wurden von Hermann Graßmann untersucht (1855).
Schon kurz nach der Entdeckung der Quaternionen fand Hamilton die Darstellung von Drehungen des Raumes mithilfe von Quaternionen und damit eine erste Bestätigung der Bedeutung der neuen Struktur; Arthur Cayley entdeckte 1855 die entsprechenden Aussagen über orthogonale Abbildungen des vierdimensionalen Raumes. Die bloße Parametrisierung der -Drehmatrizen war hingegen schon Euler bekannt. Cayley gab 1858 in der Arbeit, in der er Matrizen einführte, auch die Möglichkeit der Darstellung von Quaternionen durch komplexe -Matrizen an.
Hamilton widmete sich fortan ausschließlich dem Studium der Quaternionen; sie wurden in Dublin ein eigenes Examensfach. In seiner Nachfolge wurde 1895 sogar ein „Weltbund zur Förderung der Quaternionen“ gegründet. Der deutsche Mathematiker Felix Klein schreibt rückblickend über diese anfängliche Euphorie:
„Wie ich schon andeutete, schloß sich Hamilton eine Schule an, die ihren Meister an Starrheit und Intoleranz noch überbot. […] Die Quaternionen sind gut und brauchbar an ihrem Platze; sie reichen aber in ihrer Bedeutung an die gewöhnlichen komplexen Zahlen nicht heran. […] Die Leichtigkeit und Eleganz, mit der sich hier die weittragendsten Theoreme ergeben, ist in der Tat überraschend, und es läßt sich wohl von hier aus die alles andere ablehnende Begeisterung der Quaternionisten für ihr System begreifen, die […] nun bald über vernünftige Grenzen hinauswuchs, in einer weder der Mathematik als Ganzem noch der Quaternionentheorie selbst förderlichen Weise. […] Die Verfolgung des angegebenen Weges – der neu sein will, obwohl er tatsächlich nur eine peinlich genaue Übertragung längst bekannter Gedanken auf ein einziges neues Objekt, also durchaus keine geniale Konzeption bedeutet – führt zu allerhand Erweiterungen der bekannten Sätze, die in ihrer Allgemeinheit das Hauptcharakteristikum verlieren und gegenstandslos werden, allenfalls zu Besonderheiten, die ein gewisses Vergnügen gewähren mögen.“
– Felix Klein: Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert[2]
Verwandte Themen
Ähnliche Konstruktionen wie die Quaternionen werden manchmal unter dem Namen „hyperkomplexe Zahlen“ zusammengefasst. Beispielsweise sind die Cayley-Zahlen oder Oktaven ein achtdimensionales Analogon zu den Quaternionen; ihre Multiplikation ist allerdings weder kommutativ noch assoziativ.
Literatur
- Arthur S. Hathaway: A Primer of Quaternions. Gutenberg eText
- Max Koecher, Reinhold Remmert: Hamiltonsche Quaternionen. In: H.-D. Ebbinghaus et al.: Zahlen. Springer-Verlag, Berlin 1983. ISBN 3-540-12666-X
- John H. Conway, Derek A. Smith: On Quaternios and Octonions, A K Peters Ltd, 2003, ISBN 1-56881-134-9 (englisch)
- Jack B. Kuipers: Quaternions and Rotation Sequences, Princeton University Press, 2002, ISBN 0-691-10298-8 (englisch)
- W. Bolton: Complex Numbers (Mathematics for Engineers), Addison Wesley, 1996, ISBN 0-582-23741-6 (englisch)
- Andrew J. Hanson: Visualizing Quaternions, Morgan Kaufmann Publishers, 2006, ISBN 0-12-088400-3 (englisch)
Quellen
- Doing Physics with Quaternions (PDF; 563 kB)
- Serge Lang, Algebra. Springer-Verlag, New York 2002. ISBN 0-387-95385-X
Weblinks
- T. Y. Lam (Berkeley): Hamilton's Quaternions (Post Script, engl.). Abgerufen am 30. August 2009.
- Quaternionen in der Computeranimation
- Der Ort der Entdeckung der Quaternionen (mit Bildern)
Einzelnachweise
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