Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
Klassifikation nach ICD-10
F90.- Hyperkinetische Störungen
F90.0 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
F90.8 Sonstige hyperkinetische Störungen
F90.9 Hyperkinetische Störung, nicht näher bezeichnet
F98.8 Sonstige näher bezeichnete Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, darunter Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die auch als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom oder Hyperkinetische Störung (HKS) bezeichnet wird, ist eine bereits im Kindesalter beginnende psychische Störung, die sich durch Probleme mit der Aufmerksamkeit sowie Impulsivität und häufig auch Hyperaktivität auszeichnet. Etwa drei bis zehn Prozent aller Kinder zeigen Symptome im Sinne einer ADHS. Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen.[1] Die Symptome können mit unterschiedlicher Ausprägung bis in das Erwachsenenalter hinein fortbestehen.

Daneben existieren alternative Bezeichnungen und Abkürzungen, welche teilweise übereinstimmende Krankheitsbilder beschreiben, teilweise spezielle Ausprägungen bezeichnen. Verbreitet ist besonders die Bezeichnung Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS). Veraltet sind hingegen die Bezeichnungen Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) und Psychoorganisches Syndrom (POS). International wird üblicherweise von Attention Deficit/Hyperactivity Disorder (ADHD), bzw. Attention Deficit Disorder (ADD) gesprochen.

Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist nach derzeitigem Stand (2005) ein multifaktoriell bedingtes Störungsbild mit einer erblichen Disposition, welche die Ausbildung der Krankheit begünstigt.[2] Auf neurobiologischer Ebene wird es unter anderem als striatofrontale Dysfunktion erklärt. Für den Verlauf und die individuelle Ausprägung spielen daneben psychosoziale Faktoren und Umweltbedingungen eine wichtige Rolle.

Betroffene und ihre Angehörigen stehen meist unter erheblichem Druck. Versagen in Schule oder Beruf und die Entwicklung von weiteren psychischen Störungen sind häufig. Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad, den jeweiligen Symptomen sowie dem Alter des Betroffenen. Wegen der Komplexität der Störung wird angestrebt, verschiedene Behandlungsansätze zu einer auf den Patienten und sein soziales Umfeld zugeschnittenen Therapie zu kombinieren.

Inhaltsverzeichnis

Vorkommen und Entwicklung

Die Hyperaktivität war ehemals das einzige sichere Leitsymptom. Forschungsergebnisse zur Genese von ADHS seit 1990 führten dazu, dass heute mehr Betroffene als früher diagnostiziert werden können und sich das Geschlechterverhältnis zwischen betroffenen Frauen und Männern von 1:9 auf 1:3 verringerte. Die Prävalenzrate im Kindesalter wird in Deutschland mit 3,9 % angegeben.[3] Andere deutsche Erhebungen fanden bei 6–10 Jahre alten Kindern in 6 % ein ADHS (nach DSM-IV).[4] Verschiedene Autoren, die leicht betroffene und nicht therapiebedürftige Personen mit berücksichtigen, sprechen auch von Raten bis zu 25 %.

ADHS betrifft nach den Kriterien des DSM-IV ca. 4–8 % aller Schulkinder in Deutschland. Aus international an der allgemeinen Bevölkerung erhobenen Daten ergibt sich eine Häufigkeit von 9,2 % (5,8–13,6 %) für Jungen und 2,9 % (1,9–4,5 %) für Mädchen. Rein rechnerisch bedeutet das, dass in jedem Klassenzimmer durchschnittlich etwa ein betroffenes Kind sitzt. Nach DSM-IV-Kriterien fand sich in einer Studie ein Geschlechterverhältnis von 2:1 Jungen zu Mädchen beim vorherrschend unaufmerksamen Subtyp und 5:1 beim hyperaktiv-impulsiven Subtyp.[5] Jungen werden gegenüber Mädchen häufiger diagnostiziert, möglicherweise weil Mädchen häufiger unter ADS ohne Hyperaktivität leiden und dadurch seltener auffallen.

Die Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter wird mit 1,3 % bis 4,7 % angegeben (Quelle: Deutsches Ärzteblatt Ausgabe 37 vom 10. September 2004). Zwischen 30 % und 70 % der ADHS-betroffenen Jugendlichen behalten die Störung auch im Erwachsenenalter bei (Persistenz); hierzu ist die Forschung aber noch nicht abgeschlossen. Im Erwachsenenalter nimmt Hyperaktivität einen veränderten Charakter an, indem sie sich als erhöhte innere Unruhe auswirkt. ADHS-Betroffene zeigen verschiedene andere psychische Störungen z. B. Depressionen, Angststörungen und Störungen des Selbstbildes und Selbstwertgefühls, sowie soziale Phobien. Bei Frauen werden auch Essstörungen beobachtet. Betroffene beiderlei Geschlechts können Bulimie als Begleiterkrankung entwickeln.

ADHS im Erwachsenenalter ist seit 1995 bekannt und seit 2003 auch in Deutschland anerkannt.

Nach der übereinstimmenden Meinung vieler Neurologen und Psychologen sind heutzutage nicht mehr Kinder und Erwachsene betroffen als früher. ADHS tritt aber aktuell verstärkt und offensichtlicher zu Tage, so dass sich die Grenze zwischen nicht behandlungsbedürftigen und behandlungsbedürftigen Betroffenen in den letzten Jahrzehnten verschoben hat. Die vermutete Ursache hierfür ist einerseits die weiter fortschreitende Vernetzung der Gesellschaft und die damit einhergehende Reizüberflutung durch ein Überangebot an Informationen, Kommunikation und medialen Reizen wie Fernsehen, Computer und Mobiltelefon und andererseits die deutlich erhöhten Anforderungen an jeden Einzelnen durch die immer schneller zunehmende Komplexität im privaten und beruflichen Leben sowie die immer häufiger vorzufindende Strukturlosigkeit in Familie, Schule und Gesellschaft. Aufgrund dieser Gegebenheiten sehen sich ADHS-Betroffene im Allgemeinen einer größeren Herausforderung gegenüber, ihr Leben zu gestalten.

Problematisch ist die Diagnosestellung, da die Kernsymptome auch als völlig normale Erscheinungen in den Entwicklungsphasen des Vorschulalters auftreten und die Unterscheidung zwischen Variationen der Norm und Auffälligkeit Eltern und Erziehern daher oft sehr schwer fällt. In einer Studie von Manfred Döpfner (Universität Köln) konnten einzelne Symptome bei bis zu 31 % der Jungen festgestellt werden. Die notwendige Anzahl der Kriterien für eine ADHS-Diagnose erreichten hier aber nur 6 % aller Kinder.

In den letzten 30 Jahren wurden zumeist Erziehungsfehler, Elternproblematik, Vernachlässigung und frühkindliche Traumata für die Ursachen von ADHS gehalten und die Störungen grundsätzlich als soziales und pädagogisches Problem angesehen. Heute geht man von einem integrativen Modell als Ursachen der Störung aus. In diesem Modell dienen sowohl die neurobiologischen als auch psychologische Ursachen als Erklärung für die Entstehung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.[2]

Ursachen

Nach derzeitigem Forschungsstand (Sommer 2008) ist von einer multifaktoriellen Verursachung von ADHS auszugehen, also dem Zusammenwirken biologischer, psychischer und sozialer Faktoren. Bei ca. 50 % der darauf untersuchten ADHS-Betroffenen besteht eine genetisch bedingte Anormalität der neuronalen Signalverarbeitung im Gehirn.

In einer 1990 von Zametkin und Mitarbeitern durchgeführten Studie wurde der Glucose-Stoffwechsel des Gehirns bei erwachsenen ADHS-Patienten und gesunden Kontrollpersonen verglichen. Die PET-Aufnahme zeigt links den zerebralen Glukoseverbrauch einer Person ohne ADS und rechts einer Person mit ADS bei einer bestimmten Aufgabenstellung. Die Studie war die erste große funktionell-bildgebende Untersuchung zur ADHS und bildete die Grundlage für viele weitere Studien. Die spezifischen Befunde konnten in nachfolgenden Studien allerdings nur teilweise reproduziert werden.[6]

Davon sind insbesondere neuronale Regelkreise betroffen, die für die Regulation bzw. das Zusammenwirken von Motivation, Kognition, Emotion und dem Bewegungsverhalten verantwortlich sind. Da das Frontalhirn und das sogenannte Striatum (ein Teil der Basalganglien) in diesen Regelkreisen eine bedeutende Rolle spielen, spricht man auch von einer striatofrontalen Dysfunktion. Diese ist zu einem Teil vererbt, eventuell aber auch pränatal, also während der Schwangerschaft erworben. Geschwister haben 3 bis 5 mal so häufig ADHS wie Nicht-Geschwister; die biologischen Eltern von ADHS-Erkrankten sind in etwa 18 Prozent der Fälle ebenfalls betroffen.

Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, ein erniedrigtes Geburtsgewicht, Infektionen, und Schadstoffe sowie Erkrankungen oder Verletzungen des Zentralen Nervensystems gelten als Risikofaktoren. Während der Schwangerschaft stattfindende Belastungen mit Alkohol sowie Nikotin gelten als weitere wichtige Risikofaktoren. [7]

Persönlichkeitsbefragungen von ADHS-Patienten an den „Official Medical Centers“ der großen amerikanischen Universitäten ergaben, dass die Entwicklung des Krankheitsbildes bei den Befragten fast ausnahmslos davon abhing

  • in welchem Alter die Erkrankung diagnostiziert wurde
  • wie das Umfeld im familiären bzw. privaten Bereich, in der Schule und am Ausbildungsplatz bis zum Zeitpunkt der Diagnose reagierte.

Diese Bedingungen werden für den Verlauf der Erkrankung bis zum Zeitpunkt der Aufnahme medizinischer Maßnahmen in der ADHS-Forschung heute als sehr wesentlich eingeschätzt. Die rein medizinische Betrachtung reicht allerdings nicht aus. Das neurobiologische Erklärungsmodell muss durch psychologische Konzepte ergänzt werden. Auch ist nicht klar, ob die neurobiologischen Besonderheiten von aufmerksamkeitsgestörten Personen die Ursache ihrer Verhaltensauffälligkeiten bildet, oder ob diese nicht die Folge ungünstiger Nutzungsbedingungen, welche das Kind antrifft, darstellen. So gibt es nach R. Tannock heute keine unstrittigen biologischen Kennwerte, durch die es möglich ist, aufmerksamkeitsgestörte von unauffälligen Kindern verlässlich zu unterscheiden.[2]

Im Laufe der Lebensentwicklung der ADHS-Betroffenen führt die Symptomatik oft zu verschiedenen psychosozialen Folgeerscheinungen, die wiederum Rückwirkungen auf den Störungsverlauf haben und die Entstehung von Folgeerkrankungen erheblich beeinflussen. Durch die neurobiologisch bedingte Störung der Selbstregulation und Impulskontrolle kommt es beispielsweise immer wieder zu Konflikten mit Eltern, Gleichaltrigen und Lehrern, was durch ungünstige Bedingungen in Familie und Schule noch verstärkt werden kann.

Da die Verhaltensschwierigkeiten keineswegs durchgängig in allen Situationen beobachtet werden können, werden von G. Lauth einige wichtige ergänzende psychologische Faktoren genannt, welche bei Aufmerksamkeitsstörungen vorgefunden werden können. Ein wichtiger Bestandteil der Krankheit ist die mangelnde Fähigkeit, einen angemessenen Belohnungs- und Bedürfnisaufschub zu akzeptieren. Den Betroffenen fehlt die Möglichkeit, sich in bestimmten, angemessenen Situationen selbst zu motivieren, vor allem dann, wenn eine längere Aufmerksamkeitsleistung erforderlich ist. Des Weiteren gilt aus psychologischer Sicht, dass es keine generelle Schwäche der Verhaltensregulation bei ADHS-Betroffenen gibt. Die mangelnde Verhaltensregulation tritt lediglich in ganz bestimmten Situationen auf, die bestimmte Bedingungen verlangen.[2]

Bei besonderem aversiven, kontrollierenden und verhärtetem Erziehungsverhalten besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich die Verhaltensprobleme des Kindes ausweiten und auch außerhalb der Familie auftreten.[2] Dadurch wird oft eine Verstärkung der Symptomatik bewirkt sowie die Entstehung komorbider Symptome begünstigt (wie Leistungsdefizite, aggressives Verhalten und emotionale Störungen). Oft entsteht ein regelrechter Teufelskreis. Moderne Therapieansätze von ADHS streben daher neben der medizinischen und psychologischen Behandlung auch eine positive Gestaltung des Umfelds der Betroffenen an, da dieses für den Krankheitsverlauf mitverantwortlich ist. Bislang sind jedoch keine Faktoren bekannt, die eindeutig belegen, welche Bedingungen eine primäre Rolle für die Entstehung einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung spielen.

Diagnostik

Voraussetzung für jede Behandlung von ADHS ist eine fundierte Diagnose durch einen mit der Materie vertrauten Psychologen oder auch Arzt, in erster Linie Kinder- und Jugendpsychiater oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut – sog. klinische Diagnose. Dabei müssen auch Differentialdiagnosen und eventuelle begleitende Krankheiten (Komorbiditäten), wie z. B. eine Störung des Sozialverhaltens, Angststörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörung (im Jugend und Erwachsenenalter) beachtet werden.

Es hat sich bei Betroffenen sehr häufig als schwierig herausgestellt, einen kompetenten Facharzt für ADHS zu finden. Viele Betroffene werden erst in relativ fortgeschrittenem Alter diagnostiziert. Kirsten Stollhoff, Autorin des Buches „Hochrisiko ADHS“, hat 1999 vorgerechnet, dass bei den etwa 5 % schwer Betroffenen, von denen man realistischerweise ausgehen könne, in Deutschland 584.700 Kinder behandlungsbedürftig gewesen seien. Behandelt wurden davon nur 10 %.

Hinweise auf ADHS können beispielsweise durch Konzentrationstests wie den BP-Konzentrationstest nach Esser, gefunden werden. Es muss aber betont werden, dass ein schlechtes – oder gutes – Abschneiden in einem bestimmten Test nicht mehr als ein Indiz ist. Als spezifisches psychodiagnostisches Testverfahren stehen von Manfred Döpfner, G. Lehmkuhl und H.-C. Steinhausen der Diagnose-Checkliste für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (DCL-ADHS) zu Verfügung.[8]

Eine Diagnose sollte sich auf Informationen aus unterschiedlichen Quellen stützen, da ein einzelner Test nicht die komplette Differentialdiagnostik abdecken kann. Zur grundlegenden Diagnostik gehören daher neben der Befragung des betroffenen Kindes, der Eltern/Erzieher und Lehrkräfte auch eine gründliche psychologische Testdiagnostik, eine neurologische Untersuchung sowie Verhaltensbeobachtung.

Als Voraussetzung für die Diagnose ADHS müssen die Symptome mindestens seit sechs Monaten vorliegen und erstmals schon vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten sein. Nach Krause („ADHS im Erwachsenenalter“, 2005) kann sich ADHS allerdings bei Frauen auch erst in der Pubertät zeigen. Auf jeden Fall müssen die Symptome deutliche Beeinträchtigungen für das tägliche Leben der betroffenen Person mit sich bringen. Ein Ausschluss von möglichen anderen Störungen, welche die hyperkinetischen Symptome besser erklären würden, ist dabei unerlässlich. Es darf zum Beispiel keine tiefgreifende Entwicklungsstörung, keine Schizophrenie oder keine andere psychotische Störung vorliegen.

Für die Fremdurteile (Lehrkräfte, Eltern) steht eine Reihe von Fragebogenverfahren zur Verfügung. Besser ist jedoch die direkte Beobachtung des Kindes in der Schule und zuhause; diese sollte zusätzlich erfolgen.

Eine testpsychologische Untersuchung sollte mindestens ein bis zwei Stunden dauern, um auch eine gründliche Verhaltensbeobachtung in der Testsituation zu gewährleisten. Reine Konzentrationstests wie etwa der d2-Test (Brickenkamp) oder der BP-Konzentrationstest nach Esser reichen alleine nicht aus, um eine Aussage über die Konzentrationsfähigkeit eines Kindes im Alltag zu treffen, zusätzlich müssen eine Reihe weiterer Tests, z. B. der Denkfertigkeiten („Intelligenztest“) durchgeführt werden. Auch sollte eine Intelligenzdiagnostik durchgeführt werden.

In Kliniken oder ärztlichen Praxen wird aus Kostengründen selten zusätzlich eine MRT angefertigt. Ein EEG wird durchgeführt, um Auskunft darüber zu geben, ob andere Erkrankungen vorliegen. Vor allem im Falle einer Medikation soll auf diese Weise ausgeschlossen werden, dass etwa eine Epilepsie vorliegt.

Klassifizierung nach ICD und DSM

Die ICD-10 unterteilt ADHS wie folgt:

  • Störung von Aktivität und Aufmerksamkeit (F90.0)
  • Hyperkinetische Störung mit Störung des Sozialverhaltens (F90.1)
  • Andere hyperkinetische Störungen (F90.8 oder F.90.9)
  • Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (F98.8)

Im DSM-IV werden drei Typen von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen unterschieden. In den Klammern steht der jeweilige Diagnoseschlüssel, welcher nach dem ICD 10 zutreffen würde:

  • 314.01 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Mischtypus (ICD 10: F90.0)
  • 314.01 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsiver Typus (ICD 10: F90.1)
  • 314.00 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend Unaufmerksamer Typus (ICD 10: F98.8)

Durch ihre motorische Hyperaktivität fallen die beiden ersten Typen mit Aufmerksamkeitsdefizitstörung eher auf als der nach außen nicht hyperkinetisch wirkende, unaufmerksame Typus. Dieser Typ scheint eher verträumt und ruhig zu sein. Innere Unruhe beziehungsweise gedankliche Umtriebigkeit und Impulsivität können jedoch genauso auftreten wie bei den anderen Typen. Oft kommt es erst relativ spät zu einem scheinbar unerklärlichen Versagen in der Schule oder im Beruf. Es wird vermutet, dass Mädchen in dieser Gruppe stärker vertreten sind als in den beiden anderen und deshalb seltener diagnostiziert werden. Helga Simchen benutzt den Begriff hypoaktiv für den unaufmerksamen Typ der ADHS.

ICD-10

Die ICD-10 gibt folgende Kriterien zur Diagnose von ADHS an:

A. In Bezug auf Alter und Entwicklungsstand nachweisbare Abnormität von Aufmerksamkeit und Aktivität zu Hause. Gekennzeichnet durch mindestens drei dieser Aufmerksamkeitsschwierigkeiten:

  1. Kurze Dauer spontaner Aktivitäten.
  2. Mangelnde Ausdauer beim Spielen.
  3. Überhäufiges Wechseln zwischen verschiedenen Aktivitäten.
  4. Stark beeinträchtigte Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, die von Erwachsenen gestellt werden.
  5. Ungewöhnlich hohe Ablenkbarkeit während schulischer Arbeiten wie Hausaufgaben oder Lesen.
  6. Ständige motorische Unruhe (rennen, hüpfen, Füße wippen etc.).
  7. Bemerkenswert ausgeprägte Zappeligkeit und Bewegungsunruhe während spontaner Beschäftigungen.
  8. Bemerkenswert ausgeprägte Aktivität in Situationen, die relative Ruhe verlangen (wie z. B. Mahlzeiten, Reisen, Besuche, Gottesdienst).
  9. Schwierigkeiten, sitzen zu bleiben, wenn es verlangt wird.

B. In Bezug auf Alter und Entwicklungsstand nachweisbare Abnormität von Aufmerksamkeit und Aktivität im Kindergarten oder in der Schule (falls zutreffend). Gekennzeichnet durch mindestens drei dieser Aufmerksamkeitsschwierigkeiten:

  1. Außergewöhnlich geringe Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben.
  2. Außergewöhnlich hohe Ablenkbarkeit, d.h. häufiges Zuwenden zu externen Stimuli.
  3. Überhäufiger Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten, wenn mehrere zur Auswahl stehen.
  4. Extrem kurze Dauer von spielerischen Beschäftigungen.
  5. Beständige und exzessive motorische Unruhe (Rennen, Hüpfen, Füße wippen etc.) in Situationen, in denen freie Aktivität erlaubt ist.
  6. Bemerkenswert ausgeprägte Zappeligkeit und motorische Unruhe in strukturierten Situationen.
  7. Extrem viel Nebenaktivitäten bei der Erledigung von Aufgaben.
  8. Fehlende Fähigkeit, auf dem Stuhl sitzenbleiben zu können, wenn es verlangt wird.

Daneben darf es sich nicht um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84), Manie (F30), Depression (F32) oder Angststörung (F41) handeln, die Symptomatik sollte vor dem 6. Lebensjahr beginnen und mindestens 6 Monate andauern und der IQ muss einen Wert von 50 überschreiten.

DSM-IV

Für eine Diagnose nach den Kriterien des DSM IV, müssen in den Bereichen der Unaufmerksamkeit oder der Hyperaktivität und Impulsivität, jeweils sechs (oder mehr) Symptome in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessen Ausmaß vorhanden gewesen sein.

Symptome der Unaufmerksamkeit
Sechs (oder mehr) der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit sind während der letzten sechs Monate in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessen Ausmaß vorhanden gewesen:

  1. beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten
  2. hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten
  3. scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen
  4. führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder Verständigungsschwierigkeiten)
  5. hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren
  6. vermeidet häufig oder hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger dauernde geistige Anstrengungen erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben)
  7. verliert häufig Gegenstände, die für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z. B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug)
  8. lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken
  9. ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich

Hyperaktivität und Impulsivität
Sechs (oder mehr) der folgenden Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen:

Symptome der Hyperaktivität
  1. zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum
  2. steht in der Klasse oder in Situationen, in denen Sitzen bleiben erwartet wird, häufig auf
  3. läuft herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben)
  4. hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen
  5. ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er/sie „getrieben“
  6. redet häufig übermäßig viel
Symptome der Impulsivität
  1. platzt häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist
  2. kann nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist
  3. unterbricht und stört andere häufig (platzt z. B. in Gespräche oder Spiele anderer hinein)

Für eine Diagnose ist es wichtig, dass einige Symptome vor dem 7. Lebensjahr und in zwei oder mehr Bezugssystemen (z. B. Schule, Arbeitsplatz oder Zuhause) auftreten, sowie eine Beeinträchtigung im sozialen, Lernleistungs- oder beruflichen Bereich mit sich führen und nicht durch ein anderes psychisches Störungsbild besser erklärbar sind.

Es bedarf einer sorgfältigen und anhaltenden Beobachtung, um herauszufinden, ob es sich bei den beschriebenen Verhalten um die Kernsymtome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/hyperaktivität handelt, die als Störung gewertet wird und behandelt werden muss. ADHS kann nur von einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie diagnostiziert werden. In Deutschland wird keine Störung häufiger diagnostiziert als ADHS. Schätzungsweise sollen in Deutschland 2- 10 % aller Kinder betroffen sein. Es besteht die Gefahr, dass nahezu jedes hypermotorische Verhalten eines Kindes als ADHS bezeichnet wird, Fachleute bemängeln eine unzureichende diagnostische Abklärung hypermotorischer Kinder und Jugendlicher und die Tendenz vorschnell Medikamente zu verabreichen.

Behandlungsbedürftigkeit

ADHS kann in drei Schweregrade eingeteilt werden:

  • Der leicht Betroffene hat zwar die biologische und genetische Prädisposition, bei ihm ist die Symptomatik aber nicht so stark ausgeprägt, dass er behandlungsbedürftig ist. Er besitzt eine höhere Kreativität, ist etwas weniger impulsgehemmt als normal und kann sich nicht so gut konzentrieren wie andere Menschen. Dafür bekommt er aber am Rande liegende Details sehr viel besser mit. Trotzdem ist eine frühzeitige Information des Betroffenen und seines Umfeldes über ADHS sowie eine psychosoziale Hilfestellung wichtig. Hierdurch kann ein Betroffener in seiner Entwicklung günstig beeinflusst werden und die negativen Symptome werden abgeschwächt.
  • Der mittelschwer Betroffene ist behandlungsbedürftig und leidet neben ADHS zunehmend unter Folgeerkrankungen. Er entwickelt aber keine Störung des Sozialverhaltens oder andere soziale Auffälligkeiten. Unter Umständen ergreift er einen Beruf, für den er geistig deutlich überqualifiziert ist. Das Suizidrisiko ist ohne Behandlung erhöht, und die Wahrscheinlichkeit von Schulversagen und Versagen im Beruf nimmt zu.
  • Ein schwer Betroffener hat ein gestörtes Sozialverhalten und ein stark erhöhtes Risiko, ein Suchtverhalten zu entwickeln oder in die Kriminalität abzurutschen. Ohne Behandlung ist er nur schwer zu (re-)sozialisieren.

Mit einer umfassenden Prophylaxe und der Information des Umfeldes über die Störung kann man unter Umständen erreichen, dass sich die einzelnen Symptome weniger deutlich ausprägen, so dass ursprünglich schwerer Betroffene in eine schwächere Kategorie fallen. Hierbei ist aber zu bedenken, dass ein Großteil des Schweregrades neurobiologisch bedingt ist und daher nur begrenzt beeinflussbar ist.

Behandlung

Ziel der Behandlung ist es, das individuell unterschiedlich vorhandene Potential auszuschöpfen, die sozialen Fähigkeiten auszubauen und eventuelle Begleitstörungen zu behandeln. Die Behandlung sollte multimodal erfolgen, das heißt, es sollten parallel mehrere Behandlungsschritte durchgeführt werden (z. B. Psychotherapie, Psychosoziale Interventionen, Coaching, Pharmakotherapie). Die Wahl der Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Störung. Meist kann eine Therapie ambulant erfolgen. Eine teilstationäre Therapie in einer Tagesgruppe oder in einer Tagesklinik bzw. eine Heimunterbringung oder eine stationäre Therapie ist vor allem bei einer besonders schwer ausgeprägten Symptomatik, besonders schwer ausgeprägten komorbiden Störungen (bspw. Störung des Sozialverhaltens), sowie bei mangelnden Ressourcen in Kindergarten oder Schule oder besonders ungünstigen psychosozialen Bedingungen notwendig. Eine nicht genügend erfolgreiche ambulante Therapie kann stationär oder teilstationär in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie fortgeführt werden.[9] Dort können die innerfamiliären Beziehungen wieder stabilisiert werden, dafür ist es zumeist notwendig, die Bezugspersonen in die Behandlung mit einzubeziehen.

Vorsorge

Für die Behandlung von Klein- und Schulkindern mit ADHS hat sich das Marburger Konzentrationstraining (MKT) als positiv und hilfreich herausgestellt. Ähnlich dem Autogenen Training beruht es auf verbaler Selbstinstruktion und ist auch für vollkommen gesunde Kinder oder für Kinder mit ungesicherter Diagnose geeignet. Autogenes Training kann ebenfalls als unterstützende „sanfte“ Maßnahme bei älteren Kindern und Erwachsenen hilfreich sein.

Das multimodale Vorgehen

Die multimodale Behandlung kann folgende Interventionen enthalten, die stets auf den Einzelfall abgestimmt werden. Die Interventionen können in einem ambulanten sowie voll- oder teilstationären Setting angewendet werden:

  • Aufklärung und Beratung (Psychoedukation) der Eltern, des Kindes/Jugendlichen und des Erziehers bzw. des Klassenlehrers
  • Elterntraining (auch in Gruppen) und Interventionen in der Familie (einschl. Familientherapie) zur Verminderung der Symptomatik in der Familie.
  • Interventionen im Kindergarten/in der Schule (einschl. Platzierungs-Interventionen) zur Verminderung der Symptomatik im Kindergarten/in der Schule. Das heißt es können sowohl spezielle Förderungen für das Kind/den Jugendlichen durch die Schulpsychologie erfolgen, sowie Schulwechsel, Frühförderung oder Vorschule besucht werden.
  • Kognitive Therapie des Kindes/Jugendlichen (ab dem Schulalter) zur Verminderung von impulsiven und unorganisierten Aufgabenlösungen (Selbstinstruktionstraining) oder zur Anleitung des Kindes/Jugendlichen zur Modifikation des Problemverhaltens (Selbstmanagement). Siehe Verhaltenstherapie
  • Pharmakotherapie zur Verminderung hyperkinetischer Symptome in der Schule (im Kindergarten), in der Familie oder in anderen Umgebungen. Siehe Pharmakotherapie
  • Außerdem können diätetische Behandlungen (oligoantigene Diät (II)) hilfreich sein. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um die Wirksamkeit und die Indikation dieser Intervention genauer abschätzen zu können. Vermutlich ist diese Behandlung nur selten hilfreich, möglicherweise häufiger bei Kindern im Vorschulalter. Hier liegen lediglich vereinzelte Studien vor, die kein genaues Bild der Wirksamkeit zulassen.

Die Behandlung der evtl. vorliegenden komorbiden Störung (Siehe: Komorbiditäten und Folgeerkrankungen) sollte durch eine spezielle Behandlung der komorbiden Erkrankung erfolgen. Hierzu kann auch auf soziales Kompetenztraining zurückgegriffen werden, welches soziale Defizite verbessern soll. Geringes Selbstwertgefühl kann durch Einzeltherapie oder Gruppentherapie auf tiefenpsychologischer und verhaltenstherapeutischer Basis verbessert werden.[9]

Information

Eingehende und umfassende Information aller beteiligten Personen über ADHS ist ein wesentlicher Bestandteil jeglicher Therapie. Betroffene sollten über die Art der Störung (ADHS ist keine Geisteskrankheit, kein Schwachsinn und keine Faulheit), die Symptome, die möglichen Schwierigkeiten im Alltag und etwaige Behandlungsmöglichkeiten in Kenntnis gesetzt werden.

Neben dem ärztlich-psychologischen Gespräch gibt es einschlägige Literatur, sowohl für Eltern als auch für betroffene Erwachsene und Kinder, wobei diese Bücher im Aufbau oft auf die Art der Störung Rücksicht nehmen (wenig Fließtext, viele Zeichnungen, usw.).

Medikation

Eine Medikation ist bei Mittel- und Schwerbetroffenen in vielen Fällen angezeigt. Ziel dieser Behandlung ist es, die Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Selbststeuerungsfähigkeit zu verbessern, sowie den Leidensdruck der Betroffenen zu mindern. In manchen Fällen werden so erst die Voraussetzungen für weitere therapeutische Arbeit geschaffen. [10]Zur medikamentösen Behandlung der ADHS werden in erster Linie Stimulanzien eingesetzt, welche den Dopaminstoffwechsel im Gehirn beeinflussen. Dazu gehören Methylphenidat und Amphetaminderivate (D-L Amphetamin), die etwa seit Mitte des letzten Jahrhunderts verwendet werden. Etwa 70 % der Betroffenen sprechen darauf an. Weiterhin können auch auf den Dopamin- oder Noradrenalinhaushalt wirkende Antidepressiva zur Behandlung eingesetzt werden.

Methylphenidat

Methylphenidat wird seit 1959 eingesetzt und ist im Rahmen der Kurzzeitwirkung umfangreich untersucht worden. Langzeitanwendungen werden kontrovers diskutiert, bisherige Studien mit Kontrolltomographien haben aber keine Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung durch Methylphenidat ergeben. Trotzdem sollte der Wirkstoff nur nach sorgfältiger ärztlicher Indikationsstellung im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzeptes verordnet werden. In Deutschland wird Methylphenidat unter den Handelsnamen Ritalin, Ritalin SR, Ritalin LA, Medikinet, Concerta, Methylphenidat Hexal und vielen weiteren vertrieben, da der Produktschutz abgelaufen ist (siehe Generikum). Das bekannteste Methylphenidat-Präparat ist Ritalin. Alle diese Präparate enthalten den gleichen Wirkstoff, jedoch gibt es Unterschiede wie z. B. bei den Füll- und Zusatzstoffen. Ritalin hat beispielsweise eine andere Wirkdauer als Concerta oder Medikinet retard, denn bei retardierten Medikamenten wird der Wirkstoff über Depots zeitversetzt und kontinuierlich über den Tag an den Körper abgegeben. Dies kann sich je nach Patient unterschiedlich auswirken. Daher sind Wirkung und Nebenwirkung bei jedem Patienten zu kontrollieren um gegebenenfalls ein anderes Präparat auszuprobieren.

Die Einstellung auf das Medikament erfolgt nach der so genannten Titrationsmethode, in dem der Arzt zunächst die notwendige Einzeldosierung (in der Regel zwischen 5 und 20 mg) und die individuelle Wirkungsdauer (ca. 3–5 h) bestimmt. Anhand von Beobachtungsbögen wird die Wirkung von Eltern, ggf. Lehrern oder Therapeuten beurteilt und danach die Dosierung angepasst. Die notwendige Dosis variiert individuell. Die Höchstdosis liegt bei 1mg/kg Körpergewicht, höchstens jedoch 60 mg, und sollte nur in Einzelfällen und nach strengster Indikationsstellung überschritten werden. Zu bedenken ist hier, dass es bei höheren Dosen bei Kindern zur Wachstumsretardierung kommen kann, die allerdings nach Absetzen der Therapie normalerweise wieder "aufgeholt" wird. [11] Ein Nicht-Ansprechen auf Methylphenidat kann dafür sprechen, dass es sich beim Patienten um einen Non-Responder handelt, bei dem Methylphenidat nicht wirkt oder dass die Diagnose nicht richtig gestellt wurde.

Aufgrund der kurzen Wirkzeit kann an deren Ende ein Rückschlag (rebound) auftreten. Hierbei nehmen die Patienten wieder Symptome der Unruhe bzw. Hyperaktivität wahr. Eine zu hohe Dosis von Methylphenidat führt ebenfalls zu Unruhegefühl oder innerer Anspannung, selten auch zu einem deutlichen Rückgang der Aktivität mit Mattigkeit und einem verminderten Antrieb. Diese Erscheinungen halten nur für die Wirkdauer an und sind reversibel. Durch angemessene Dosisfindung können sie korrigiert werden.

Nebenwirkungen der Behandlung mit Stimulanzien sind normalerweise auf die Einstellungsphase begrenzt und kurzzeitig. Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören Appetitminderung oder Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und seltener Ticstörungen. Während bei einigen Kindern zunächst Schlafprobleme auftreten können, benötigen andere Kinder sogar eine kleine Dosis Methylphenidat um ihre gedankliche Unruhe und Reizfilterschwäche behandelt zu bekommen und zum Schlaf zu finden.

ADHS-Patienten weisen ein erhöhtes Suchtrisiko auf, weshalb die Gabe von Stimulanzien lange als Risiko für eine spätere Suchtentwicklung galt. In Studien wurde jedoch gezeigt, dass die Gabe von Methylphenidat nicht zu einer Abhängigkeitsentwicklung führt und beiträgt. Vielmehr scheint sich das Risiko für eine frühzeitige Nikotin-, Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit zu vermindern. Nur bei bewusst missbräuchlicher Verwendung oder extrem hohen Dosierungen besteht die Gefahr einer Toleranz- und einer Abhängigkeitsentwicklung.

Auch bei Erwachsenen stellt die Behandlung mit Methylphenidat nach deutschen Leitlinien die medikamentöse Behandlung der ersten Wahl dar. Allerdings ist derzeit kein derartiges Präparat in Deutschland für die Behandlung bei Erwachsenen zugelassen, dieses kann jedoch vom Arzt im Rahmen eines Heilbehandlungsversuches verordnet werden (sog. „off-label“-Verordnung). Bei einigen Krankenkassen ist die Kostenübernahme noch nicht geklärt. In der Schweiz wird Methylphenidat von der Krankenkasse auch für Erwachsene bezahlt.

Amphetaminpräparate

Für Patienten, die auf Methylphenidat nicht ausreichend positiv ansprechen oder gar depressive Verstimmungen entwickeln, kann eine Behandlung mit Amphetaminsulfat sehr erfolgversprechend sein. Dies zeigt sich bei komorbiden aggressiven Verhaltenstörungen in erhöhtem Maße. Wenn ein Kind unter Methylphenidat eine Ticstörung entwickelt, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese unter Amphetaminsulfat nicht auftritt, und umgekehrt. Des Weiteren ist Amphetaminsulfat günstig bei sozialen Störungen. Bei der Behandlung von ADHS-Patienten mit komorbider Borderline-Störung hat sich eine geringe Dosis (1–2 mg täglich) bewährt und zeigt häufig stimmungsstabilisierende Wirkung.

Während in den USA Fertigpräparate unter Markennamen wie Adderall oder Benzedrine erhältlich sind, gibt es Amphetamine in Deutschland und in der Schweiz gegenwärtig nur als Rohsubstanz, welche deshalb als Saft oder in Form von Kapseln rezeptiert werden muss.

Atomoxetin

Strattera (Wirkstoff Atomoxetin) ist ein seit März 2005 in Deutschland erhältliches Antidepressivum (sog. Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer), der sich in internationalen Studien ebenfalls als wirksam in der Behandlung von ADHS erwiesen hat. Der Wirkeintritt kann jedoch im Gegensatz zu Stimulanzien erst nach einigen Wochen beurteilt werden, da das Medikament schrittweise auf die Wirkdosis (in der Regel 1,2 mg/kg Körpergewicht) eingestellt werden muss.

Hinsichtlich der Behandlung von Kindern und Jugendlichen sind prinzipiell ähnliche Vorsichtsmaßnahmen wie bei den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern zu beachten. Darüber hinaus liegt seit September 2005 ein Rote-Hand-Brief des Herstellers vor, in dem über ein signifikant erhöhtes Risiko der Begünstigung oder Auslösung von aggressivem Verhalten, Suizidalität und Suizidhandlungen unter Atomoxetin im Vergleich zu Placebo bei Kindern, nicht aber bei Erwachsenen informiert wird.[12] Bei Auftreten von Suizidgedanken unter dem Medikament soll die Einnahme beendet werden. Während der Atomoxetin-Anwendung ist aufmerksam auf Anzeichen für Suizidalität zu achten. Leberschäden sind aufgetreten und haben zu Warnhinweisen durch den Hersteller geführt.

Erste Langzeitstudien scheinen die Wirksamkeit einer täglichen Einmalgabe bei ADHS zu belegen.[13]

Weitere Medikation

Darüber hinaus kommen Trizyklische Antidepressiva und Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer in Frage, die jedoch nur bei einem wesentlich kleineren Prozentsatz der Betroffenen, bei denen Methylphenidat nicht den gewünschten Effekt hat, eingesetzt werden. Aufgrund des zumindest bei Trizyklischen Antidepressiva ungünstigeren Nebenwirkungsprofils finden sie nur in Ausnahmefällen Verwendung. Mit relativ großem Erfolg werden Antidepressiva eingesetzt, wenn Depressionen als Begleit- oder Folgeerkrankungen auftreten, da diese Mittel dann nicht nur die Depression, sondern auch die ADHS-Symptomatik positiv beeinflussen können. Hierbei haben sich folgende Mittel als besonders geeignet herausgestellt.

  • Mirtazapin (Handelsname Remergil) ist ein Antidepressivum aus der Klasse der Noradrenalin- und Serotonin-Agonisten (NaSSA), welches noradrenerg und spezifisch serotonerg wirkt. Es steigert primär die Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin.[14]
  • Venlafaxin (Handelsname Trevilor) ist ein Selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer.
  • Fluoxetin (Handelsname Fluxet, besonders bekannt geworden unter dem US-Handelsnamen Prozac) ist ein Selektiver Serotonin Wiederaufnahme-Hemmer. In hohen Dosen kann Fluoxetin auch die Noradrenalin-Wiederaufnahme hemmen.
  • Reboxetin (Handelsname Solvex) ist ein hochselektiver Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer, welcher bei depressiven Patienten vor allem der Antriebslosigkeit entgegenwirken soll. Neben anfänglichem Schwindel, Impotenz und sexueller Unlust tritt häufig ein Gewöhnungseffekt ein und die Wirkung lässt nach. Auch bei schleichendem Absetzen können Entzugserscheinungen wie starke innere Unruhe und Albträume auftreten. Reboxetin soll im Gegensatz zu trizyklischen Antidepressiva nicht zu einer Gewichtszunahme führen.
  • Häufig haben sich sogenannte Betablocker, wie sie bei Hypertonie, aber auch zur Prophylaxe von Migräneattacken eingesetzt werden, als wirksam erwiesen, da auch sie auf den Noradrenalinhaushalt wirken und Spannungskopfschmerzen häufig Begleitsymptome von ADHS sind.

Die Mittel wirken durch die Beeinflussung des Serotoninhaushaltes nicht nur gegen Depressionen, sondern durch die noradrenerge Komponente auch auf Antriebskraft und Konzentration des ADHS-Betroffenen.

ADHS und Östrogen

Frauen mit ADHS weisen offenbar stärkere hormonelle Schwankungen auf. Viele ADHS-Frauen leiden u. a. auch an einem prämenstruellen Syndrom bzw. der schwereren Form der sogenannten prämenstruell dysphorischen Störung. In diesen Fällen hat sich die Einnahme von Östrogenpräparaten (z. B. Antibabypille) bewährt.[15][16][17]

Psychotherapie

Verhaltenstherapie

Psychotherapeutische Behandlungsmethoden gelten als ein wesentlicher Bestandteil im Rahmen der multimodalen Therapie. Zielsetzung ist dabei, eine möglichst angemessene Kompetenz im Umgang mit den ADHS-Besonderheiten und -Problemen zu erwerben.

Im Kindesalter orientieren sich verhaltenstherapeutische Therapieprogramme daran, in einem Elterntraining Informationen zu ADHS und geeignete Hilfen zum Aufbau von festen Regeln und Strukturen zu vermitteln (z. B. Verstärkersysteme mit einem Token-System oder Response-Cost, Hilfen im Umgang mit Problemverhalten). Weitere Zielsetzungen können die Verbesserung der Selbststeuerung (z. B. durch Coaching, Selbstinstruktionstraining oder Selbstmanagement-Methoden) und der Aufbau bzw. die Stärkung des Selbstwertgefühls der Kinder und Jugendlichen sein.

Zur Behandlung wurden Therapieprogramme entwickelt, die speziell auf die Verhaltensprobleme und die Aufmerksamkeit der betroffenen Kinder ausgerichtet sind. Hierbei wird durch verschiedene beiliegende Materialien und Übungen versucht, das Verhalten der Kinder und deren Aufmerksamkeit zu verbessern. Sie verwenden zumeist Pläne und versuchen schon Kindern Wissen über Aufmerksamkeit, strategisches Handeln zu vermitteln. Ein wichtiger Bestandteil hierbei sind die Eltern, welche die unterschiedlichen Therapieschritte zumeist unterstützen und kontrollieren müssen.

Das THOP (Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten) ist ein multimodales Behandlungsprogramm für Hyperaktives und Oppositionelles Verhalten. Es konzentriert sich vor allem auf die Verhaltensstörungen und wird bei schweren Störungen zumeist mit begleitender medikamentöser Therapie durchgeführt. Ein wichtiger Bestandteil des Programmes ist es auch den Eltern ein positives Erleben des Kindes und mit dem Kind zu ermöglichen. Auch Positives am Kind zu sehen fällt den Eltern hyperkinetischer Kinder häufig schwer, da diese sich für die Eltern oft unverständlich und unlogisch verhalten. Das Therapieprogramm kann auch auf die Schule oder den Kindergarten ausgeweitet werden.[18]

Im Erwachsenenalter werden ebenfalls Methoden der Verhaltenstherapie und der kognitiven Verhaltenstherapie angewandt.

Tiefenpsychologie

Wenn tiefenpsychologische Ansätze im Kontext von ADHS Anwendung finden, dann meist zur Behandlung von Begleitstörungen und Folgeerkrankungen wie z. B. Ängsten, Depressionen, Essstörungen, Suchtproblemen, Persönlichkeitsstörungen. Liegen erhebliche Selbstwertprobleme und negative Selbstüberzeugungen vor, werden auch tiefenpsychologische Behandlungsmethoden zur Stärkung der Ich-Strukturen eingesetzt. Hinsichtlich der insbesondere in Bezug auf Angststörungen als kritisch beurteilten Wirksamkeit derartiger Ansätze vgl. Psychotherapieforschung.

Familientherapie

Da häufig das gesamte Familiensystem betroffen ist, haben auch systemische Behandlungskonzepte einen Stellenwert in der Therapie. Die Berücksichtigung der selbst betroffenen Elternteile hinsichtlich der Bindungsstrukturen und Interaktionsverhalten in der Familie gewinnen zunehmend an Bedeutung. Besonders hilfreich sind die Angebote, die als Elterntraining direkt im psychosozialen Umfeld des Kindes stattfinden.

Interventionen bei schulischen Problemen

Bei Schwierigkeiten in der Schule oder Kindergarten können, neben der Beratung der Lehrer oder Erzieher, in Kooperation mit den Eltern, Lehrern oder Erziehern und bei vorhandenen Ressourcen verhaltenstherapeutische Interventionen installiert werden. Hierzu können Token-Systeme, ein Response-Cost, die vom Lehrer erteilte Auszeit oder die Selbstmanagement-Therapie verwendet werden.

Sollte das Kind bereits im Vorschulbereich eine stark ausgeprägte Symptomatik aufweisen, kann ein Besuch der Vorschule oder eines Förderkindergartens sinnvoll sein.

Bei Kindern, die an ADHS leiden muss sorgfältig geprüft werden, welche Schulform ihrer grundlegenden Leistungsfähigkeit entspricht. Hierbei muss immer geprüft werden, ob sie schulisch über- oder unterfordert sind. Bei massiven Verhaltensauffälligkeiten kann auch der Besuch einer Integrativen Klasse oder Förderschule für Erziehungshilfen notwendig werden. Der Besuch einer Heimschule mit spezieller pädagogischer Förderung kann sinnvoll sein, wenn der Besuch einer Regel- oder Förderschule nicht mehr möglich ist. Hier besteht die Möglichkeit der intensiven pädagogischen Förderung in kleinen Gruppen.[19][9] [20]

Weitere Behandlungsunterstützung

Hilfen zur Erziehung

Die Jugendhilfe bietet interessierten Eltern als unterstützende Maßnahmen Hilfen zur Erziehung, zum Beispiel Erziehungsberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Tagesgruppen. Dabei wird versucht, mit modernen erzieherischen Methoden und einer speziellen Förderung die oft existierenden Defizite im Verhalten zu verringern und darüber auch eine Verbesserung der schulischen Leistungen zu bewirken.

Eltern haben auch die Möglichkeit, selbst gewählte Hilfen über das regional zuständige Jugendamt zu beantragen. Nach §5 SGB VIII besteht für die Eltern ein Wunsch und Wahlrecht hinsichtlich der Art des Hilfeangebotes und des Anbieters / Beraters. In der Regel reicht es, einen formlosen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zu stellen.

Coaching

Bei einem Coaching steht dem Betroffenen neben dem Therapeuten und dem Arzt noch eine Vertrauensperson zur Verfügung, die ihn unterstützt, mit ihm Ziele entwirft und mit ihm gemeinsam Strategien entwickelt, wie diese Ziele zu erreichen sind. Somit arbeitet der Coach fast permanent mit dem Betroffenen und hilft ihm, die getroffenen Vorsätze umzusetzen.

Ergotherapie

Mit ADHS ist häufig eine Neigung zur Grobmotorik und eine Störung der Feinmotorik verbunden. Abhilfe hier kann eine Ergotherapie schaffen.

Nährstofftherapie

Relativ neu ist ein Behandlungsansatz mittels Nährstofftherapie. Studien an den Universitäten Oxford und der Universität von Südaustralien haben gezeigt, dass die tägliche Gabe von Omega-3-Fettsäure die Symptome der Hyperaktivität gegenüber einer Kontrollgruppe nach einigen Wochen stark reduziert hat, wobei einmal „mittlere bis starke Behandlungseffekte“ aufgezeigt wurden[21] und einmal „Verbesserungen gegenüber der Placebogruppe in Lesen, Schreiben und Verhalten nach 3 Monaten Behandlung“ festgestellt wurde.[22] In anderen Studien wurde Magnesium, Zink und Vitamin E als Lebensmittel- oder Nahrungsergänzungspräparate gegeben. Ebenfalls wird empfohlen, den Konsum von Lebensmitteln mit hoher glykämischer Last zu vermeiden und möglichst proteinhaltige und kohlenhydratreiche Nahrung zu verzehren. Ob es sich dabei um einen wissenschaftlichen Ansatz oder um eine diätetische Mode handelt, sei dahingestellt. Überblickartikel betonen, dass Omega 3 Fettsäuren bei einigen Betroffenen zu wirken scheinen, aber nicht bei allen[23]. Ältere, mittlerweile verworfene Ansätze führten ADHS auf einen Phosphatüberschuss in der Nahrung zurück, was jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt.

Alternative Behandlungen

Neurofeedback-Training

Neurofeedback ist eine Spezialform eines Biofeedback-Trainings, bei der eine trainierende Person computerunterstützt optische oder akustische Rückmeldung über Veränderungen der EEG-Signale ihres Gehirns erhält. Die Theorie des Neurofeedback-Trainings zur Aufmerksamkeitsdefizitstörung geht davon aus, dass eine von ADS/ADHS betroffene Person eine vom Optimum abweichende Frequenzverteilung ihrer EEG-Wellen (z. B. zu viel high-Beta = Überaktivierung bzw. zu viel low-Theta = zu wenig Aufmerksamkeit) hat, die als Fehlregulation angesehen werden und mittels operanter Konditionierung in eine gewünschte positive Richtung trainiert werden kann und damit über die Verbesserung der Gehirnleistungsfähigkeit eine Befindlichkeitsverbesserung bewirken kann.

Insbesondere seit der Verfügbarkeit von zur realtime-Frequenzanalyse genügend leistungsfähigen Personalcomputern – beginnend ab den 1990er Jahren – hat das Neurofeedbacktraining eine weitere Verbreitung gefunden, ausgehend von Forschern und Geräteentwicklern in den USA. Weitergehende Forschungen, Studien zur Klärung noch ungelöster Fragen und Erfahrungsaustausch auf Fachtagungen auf den Gebieten des Neurofeedbacks werden angestrebt.

Bislang liegen vereinzelt Wirksamkeitsstudien[24] und -vergleiche zu herkömmlichen Behandlungsmethoden bei der Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen vor.

Wirkungslose und umstrittene Ansätze

Andere Ansätze können aufgrund der Ergebnisse von Untersuchungen und Doppelblind-Studien als wirkungslos gegenüber ADHS angesehen werden. Auch sind sie häufig gesundheitlich bedenklich.

Eine homöopathische Behandlung von Kindern mit ADHS zeigt sich in aktuellen Studien als der Gabe von Placebos nicht[25] oder nur sehr gering[26] überlegen. Sie ist daher ungeeignet, eine konventionelle Therapie zu ersetzen und lediglich als eine mögliche Ergänzung zu betrachten.

Die Behandlung mit so genannten AFA-Algen ist gefährlich, da Blaualgen im allgemeinen Toxine beinhalten, die sowohl die Leber als auch das Nervensystem nachhaltig schädigen können. Das kanadische Gesundheitsministerium hat sich nach entsprechenden Untersuchungen veranlasst gesehen, eine entsprechende Meldung herauszugeben und vor der Einnahme zu warnen - ebenso wie das Bundesinstitut für gesellschaftlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin[27].

Non-Responder

Ein Non-Responder ist ein Mensch, der auf ein bestimmtes Medikament keine oder nicht die erwartete Wirkung zeigt. Dies gibt es auch bei ADHS in bis zu 30 % der Fälle.

Krause und andere fassten den Stand der Forschung zusammen, dass zur Entstehung der striatofrontalen Dysfunktion, und damit ADHS, eine Schwelle von verschiedenen defekten Genen überschritten werden muss. Einige dieser Gene sind ebenfalls für andere Erbkrankheiten wie das Fragile X-Syndrom, das Restless-Legs-Syndrom oder das Tourette-Syndrom verantwortlich, so dass hier häufig ein Zusammenhang besteht. Klinische Studien ergaben auch teils verschiedene Gendefekte bei den einzelnen Typen der Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Krause et al. schließen daraus, dass sich verschiedene Symptome verschiedenen Defekten zuordnen lassen.

Dies erklärt auch die Raten an Non-Respondern bei Methylphenidat (greift in den Dopamin-Haushalt ein) und Atomoxetin (greift in Noradrenalin ein). Wenn bei einem spezifischen ADHS-Patienten der Dopamin-Haushalt nicht gestört ist, weil die Schwelle durch andere Gene überschritten wurde, zeigt er keine ADHS-typische Wirkung auf Methylphenidat; entsprechendes gilt für Atomoxetin. In allen Fällen wurde aber eine signifikante Störung des Serotonin-Haushalts festgestellt, was zu einer Neigung zu Ängsten und Depressionen führt.

Krause et al. schließen mit einem Ausblick, dass eine sichere Medikation und Behandlung erst dann möglich sein wird, wenn man alle an der Störung beteiligten Gene identifizieren und deuten kann.

Komorbiditäten und Folgeerkrankungen

Wird ADHS nicht diagnostiziert bzw. wird auch sonst keinerlei Hilfe und Therapie durchgeführt, hat dies häufig Auswirkungen auf das Umfeld. Der Betroffene kann auf sein Umfeld „desinteressiert“, „faul“, „dumm“ oder „arrogant“ wirken, er macht die Erfahrung des Schulversagens, und im Kindesalter erlebt er immer wieder Sanktionen für sein Verhalten durch Eltern, Lehrer und andere Gruppen. Erst nach der ADHS-Diagnose können diese Personen und das Umfeld erfahren, wie sie das Verhalten richtig einschätzen können.

Die Schwierigkeiten im Umfeld des Betroffenen senken seine Motivation und führen häufig zu schlechteren Schulabschlüssen. Häufig schlagen ADHS-Betroffene eine Karriere unter ihren intellektuellen Möglichkeiten ein.

Die Komorbidität bezeichnet in der Medizin das Vorhandensein von mehreren Diagnosen gleichzeitig. Im Falle einer psychischen Störung stehen zumeist auch komorbide psychische Krankheiten im Blickpunkt, die ursächlich mit der Grunderkrankung zusammenhängen können oder ohne erkennbaren Zusammenhang nebenher existieren. Da psychische Krankheiten zumeist sehr komplex sind und auch komplexe Symptome aufweisen, werden die statistisch besonders häufig zusammen mit einer ADHS diagnostizierten Krankheitsbilder vermehrt aufgeführt. Dadurch kann in der Diagnose und Behandlung auch auf diese Störungen eingegangen werden und sie laufen nicht Gefahr, in der Diagnose übersehen zu werden. Bei der ADHS wird besonders die Störung des Sozialverhaltens und umschriebene Entwicklungsstörungen als häufigste komorbide Erkrankung beschrieben. Am häufigsten werden emotionale Störungen übersehen.

Ob die oft mit schwerem ADHS einhergehenden Störungen des Sozialverhaltens eine Ausprägung von ADHS sind oder ob sie durch die gestörte Eltern-Kind-Beziehung und die Isolation von Gleichaltrigen entstehen, wird in der Fachwelt diskutiert.

Komorbidität im Kindes- und Jugendalter

Störungen des Sozialverhaltens
Störungen des Sozialverhaltens bezeichnen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein anhaltendes Muster von unkontrollierten, dissozialen, aggressiven und aufsässigen Verhaltensweisen. Aufgrund des häufigen gemeinsamen Vorkommens von ADHS und der Störung des Sozialverhaltens wird immer noch diskutiert, ob es sich bei diesen Störungsbildern tatsächlich um getrennte Störungen handelt.[28]

Aufgrund des häufigen Auftretens kann die komorbide Diagnose unter einem einzigen Code im ICD 10 als F90.1 Hyperkinetische Störung mit Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert werden.

Die Störung des Sozialverhaltens selbst ist aufgeteilt in verschiedene spezifische Diagnosen, welche den besonderen persönlichen und sozialen Umständen des Kindes oder Jugendlichen Rechnung tragen und eine genauere Klassifizierung ermöglichen.

  • Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens

Hier wird speziell Verhalten aufgeführt, welches Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens mit Verletzungen altersentsprechender sozialer Erwartungen, zeigt und auf den familiären Rahmen beschränkt ist, also nicht in der Schule oder mit Spielkameraden auftritt.

  • Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen
  • Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen
  • Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten

Sind Störungen, die als Vorform der Störung des Sozialverhaltens gelten. Sie kommen zumeist in jüngeren Jahren vor. Auch sind sie selten von Gewalt geprägt.

  • Sonstige Störungen des Sozialverhaltens
  • Störung des Sozialverhaltens, nicht näher bezeichnet

Umschriebene Entwicklungsstörungen
Umschriebene Entwicklungsstörungen, schulische Leistungsdefizite und Hinweise auf Teilleistungsschwächen sind eine weitere häufige komorbide Störung. Hiermit werden spezifische Mängel in der Verarbeitungsfähigkeit des Gehirnes bezeichnet, die zu Schwierigkeiten in der Aneignung schulischer Fertigkeiten führen.

Sie umfassen lt. ICD 10:

  • Lese-Rechtschreibstörung
  • Isolierte Rechtschreibstörung
  • Rechenstörung oder Dyskalkulie
  • Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten
  • Sonstige Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
  • Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten, nicht näher bezeichnet

Intelligenzminderung
Unter Intelligenzminderung oder geistige Behinderung versteht man eine im Vergleich zu einem Durchschnittswert verminderte mentale Leistungsfähigkeit, so zum Beispiel eine geistige Behinderung, motorische oder handwerkliche Ungeschicklichkeiten oder einen Mangel an sonstigen, im Anwendungsfall spezifizierten Fähigkeiten.

Die Intelligenzminderung wird medizinisch definiert als eine deutlich geminderte kognitive Fähigkeit und im ICD-10 unter den Nummern F70–F79 beschrieben.

Tic-Störungen
Tic-Störungen (einschl. Tourette-Störung) gehören ebenfalls zu den komorbiden Krankheiten von ADHS. Dabei bezeichnet eine Tic-Störung eine rasche, unwillkürliche, unregelmäßig wiederkehrende motorische Entladung in einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen. Auffallend wird ein Tic durch teilweise heftige körperliche Bewegungen oder Lautäußerungen.

Das Tourette-Syndrom ist ebenfalls durch das Auftreten von Tics charakterisiert. Bei diesen Tics handelt es sich um unwillkürliche, rasche, meistens plötzlich einschießende und mitunter sehr heftige Bewegungen, die immer wieder in gleicher Weise einzeln oder serienartig auftreten können. Verbale, ungewollte Äußerungen zählen mit dazu, sowie Ausrufe oder eigenartige Geräusche.

Negatives Selbstkonzept oder depressive Störungen
Ein negatives Selbstkonzept, also eine überwiegend negative Sicht der eigenen Person und des eigenen Handelns oder eine Depression sind weitere häufige komorbide Erkrankung im Kindesalter.

Angststörungen
Bei unbehandeltem ADHS kann es wegen der ständigen sozialen Konflikte zu Angststörungen wie der Soziale Phobie kommen. Häufiges Versagen in Schule und Beruf kann zu der Entwicklung von Leistungsangst beziehungsweise einer Anpassungsstörung beitragen.

Beeinträchtigte Beziehungen
Beziehungen zu Familienmitgliedern, zu Erziehern/Lehrern und zu Gleichaltrigen können beeinträchtigt sein.

Sprach- und Sprechstörungen
Als Sprachstörung werden überwiegend motorische Störung bei der Lauterzeugung verstanden. Eine Sprechstörung gilt als zusammenfassende Kategorie von Störungen des Redeflusses wie Stottern oder Poltern. Zentrale Störungen der Sprechmotorik wie Dysarthrie und Stammeln.

Zwangsstörungen
Zwangsstörungen zeigen sich indem sich bei den Patienten Gedanken und Handlungen aufdrängen, die zwar als quälend empfunden werden, aber dennoch umgesetzt werden müssen. Es besteht zumindest zeitweise Einsicht, dass die Zwangsgedanken oder -handlungen übertrieben sind. Durch die Störung ergeben sich deutliche Beeinträchtigungen des Alltagsleben oder Belastungen.

Komorbidität im Erwachsenenalter

Siehe auch: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen

Sucht
Bei unbehandelten ADHS-Betroffenen ist die Gefahr, eine Sucht auszubilden, um ein Vielfaches größer als bei Nichtbetroffenen. Auf dem 9. Suchtmedizinischen Kongress 2000 in München stellte Michael Huss eine Studie vor, die besagt, dass behandelte Betroffene ein signifikant geringeres Suchtrisiko als unbehandelte haben. Das Suchtrisiko behandelter Betroffener entsprach dem einer Normalperson. Neurologen sehen den Grund für die erhöhte Suchtneigung ADHS-Betroffener darin, dass diese mit Drogen versuchen, eine Selbstmedikation durchzuführen. Alkohol, Nikotin und viele Drogen wirken auf den gestörten Dopaminhaushalt so, dass der Betroffene sich unter dem Einfluss dieser Stoffe ruhiger und leistungsfähiger fühlt. Da diese Stoffe schlecht kontrollierbare Nebenwirkungen haben und eine Abhängigkeit durch die Gewöhnung entwickelt werden kann, besitzen Personen mit ADHS ein hohes Suchtpotential.

Affektive Störungen
Affektive Störungen sind eine ganze Gruppe von Störungen und Diagnosen, die sich von der Manie und der Bipolaren Störung bis zur Depression erstreckt. Allen Störungen ist eine anhaltende Störung der Affekte also der Grundstimmung gemein.

Angststörungen
Angststörungen bezeichnen erneut eine ganze Gruppe von Störungen in denen eine Angst vor einem Objekt oder einer Situation im Vordergrund steht, die nicht angemessen ist.

Zu den Angststörungen gehören nach der ICD 10:

Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörungen sind verschiedene überdauernde Erlebens- und Verhaltensmuster mit Beginn in der Kindheit und Jugend, die von einem flexiblen, situationsangemessenen („normalen“) Erleben und Verhalten in jeweils charakteristischer Weise abweichen. Sie sind durch relativ starre mentale Reaktionen und Verhaltensformen gekennzeichnet, vor allem in Situationen, die für die jeweilige Person konflikthaft sind. Die persönliche und soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit ist meistens beeinträchtigt.

Somatisierungsstörungen
Somatoforme Störungen sind körperliche Störungen, die nicht auf eine organische Ursache zurückgeführt werden können, also psychisch bedingt sind.

Auswirkungen auf die Biographie

Stärken durch ADS

Neben den negativen Symptomen haben ADS-Betroffene auch viele Stärken oder positive Eigenschaften. Diese wurden beispielsweise von Bernd Heßlinger aufgelistet und den Schwächen gegenübergestellt. In der Psychotherapie wird versucht solche Stärken zu fördern.

Zu den häufigen Stärken von ADS-Betroffenen gehört ihre Hypersensibilität, die sie Veränderungen sehr schnell erfassen lässt, was sich meist in einer besonderen Empathie und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn äußert. Ihre Begeisterungsfähigkeit, die sich in besonderer Kreativität und Offenheit äußern kann, ihre Impulsivität, die sie richtig dosiert zu interessanten Gesprächspartnern macht oder z. B. der Hyperfokus, der zu langem ausdauerndem und konzentriertem Arbeiten an bestimmten Themen führen kann. Hyperaktivität kann auch zu besonderer Begeisterung am Leistungssport führen.

Alle diese Stärken sind ADS-Symptome, die sich Betroffene mit leichter bis mittlerer ADS und in Grenzen auch schwer Betroffene nutzbar machen können. Am ehesten gelingt dies im Rahmen einer Verhaltenstherapie.

Thom Hartmann hat in seinem Buch „Eine andere Art die Welt zu sehen“ die These aufgestellt, Betroffene seien aus genetischer Sicht die Nachfahren der steinzeitlichen Jäger und Sammler (Hartmann nennt sie Hunter). Ihm zufolge ist die heutige moderne Gesellschaft eine Weiterentwicklung der Gesellschaft sesshaft gewordener Farmer. Um sich in dieser Gesellschaftsform leicht zurechtzufinden, benötigt man andere Voraussetzungen und Fähigkeiten als in einer von Huntern geprägten Gesellschaft. Dieser Unterschied zwingt Hunter dazu, sich mit ihren anderen Fähigkeiten und Voraussetzungen einer Farmer-Gesellschaft anzupassen. Wie ein Farmer zu leben, stellt für Hunter jedoch eine permanente potentielle Belastung dar. Daher stehen sie vor der Aufgabe, einen Weg zu finden, sich ihre Fähigkeiten trotz der ungünstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Vorteil machen zu können. Das Ziel ist, Anerkennung für ihre besonderen Talente zu erlangen, anstatt permanent nur „anzuecken“.

ADS und Hochbegabung

Auch hochbegabte Kinder können von ADHS betroffen sein. Es bleibt allerdings unklar, ob die Störungen der Kinder primär von ADS oder dem falschen Umgang mit ihrer Hochbegabung herrühren.[29]

Siehe auch: Minderleister (Underachiever)

Kontroversen um die ADHS

ADHS ist zwar lange bekannt, und es existieren auch Langzeitstudien zur Behandlung mit Methylphenidat und zur Biographie unbehandelter Betroffener, die Durchbrüche in der Erforschung der Genese von ADHS und das Begreifen als neurobiologische Störung folgten aber erst seit Alan Zametkins PET-Studie von 1990. So ist ADHS immer noch nicht vollständig erforscht, und der aktuelle Forschungsstand auch außerhalb der Neurologie ist nicht immer ausreichend bekannt, um Fehlinformationen und unsachlichen Argumenten vorzubeugen.

Auch werden häufig Ängste vor dem unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Methylphenidat und die vermeintliche Persönlichkeitsveränderung von ADHS-Betroffenen durch Medikation und Verhaltenstherapie aufgegriffen. Die daraus resultierende Verunsicherung von Eltern Betroffener und folgende Verweigerung einer medikamentösen Behandlung kann ein ADHS-Kind, sofern es medikationsbedürftig ist und ein Coaching offenkundig nicht ausreicht, den erweiterten Risiken von Sucht, Depression und gesellschaftlichem und sozialem Abstieg aussetzen.

Kirsten Stollhoff zeigt die Möglichkeit auf, dass viele ADHS-Betroffene – mit Einschränkungen – nach ihrer Diagnose bei medikamentöser Einstellung keiner Therapie durch Psychoanalyse oder der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, die sich mit den Folgeerkrankungen befasst, bedürfen. Dadurch ist ein Kompetenzstreit entbrannt, in dessen Rahmen die neurobiologische Genese der Störung in Zweifel gezogen und die medikamentöse Therapie kritisiert wird. Die Argumentation wird in vielen Fällen gestützt durch die Aussagen des umstrittenen Göttinger Neurobiologen Gerald Hüther, der sich häufig gegen eine medikamentöse Therapie von ADHS in psychoanalytischen Fachzeitschriften äußert und 2002 mit einer Untersuchung von fünf Ratten einen Zusammenhang zwischen Methylphenidat und der Parkinson-Krankheit herstellte, welcher mittlerweile widerlegt ist und von dem sich der Arbeitskreis Neurobiologie der Georg-August-Universität Göttingen nachdrücklich distanziert.[30]

ADHS als gesellschaftliches Konstrukt

Vertreter der Meinung, dass ADHS ein gesellschaftliches Konstrukt sei, sind der Ansicht, dass ADHS im Grunde zum normalen Spektrum des menschlichen Verhaltens gehöre. Sie lehnen die Einordnung der typischen Auffälligkeiten als Störung, ganz oder teilweise, ab oder interpretieren die Symptomatik als eine Folge der aktuellen Lebensumstände.

Begründet wird dies unter anderem mit einer veränderten Kindheit, erhöhten Ansprüchen an Zweckmäßigkeit und reibungloses Funktionieren, einem den Bedürfnissen der einzelnen Kinder gegenüber ungenügenden Schulsystem, abnehmender gesellschaftlicher Toleranz gegenüber den Ausprägungen kindlichen Verhaltens sowie einer Umwelt, die von Bewegungsarmut, Reizüberflutung, Leistungsdruck, Sinnentleerung und Vernachlässigung gekennzeichnet sei.

Daraus folgernd wird die Etikettierung von Kindern als „krank“ und eine medikamentöse Behandlung als fehlerhaft und möglicherweise schädlich angesehen.[31]

ADHS als Normvariante

ADS kann als eine Form der Wahrnehmung und des Denkens aufgefasst werden, die Stärken und Schwächen mit sich bringt. Eine Behandlung führt nicht zu einer „Heilung“, sondern ermöglicht es dem Betroffenen, mit den Schwächen umzugehen, die Stärken auszubauen und gezielt einzusetzen.

Wenn der Betroffene jedoch unbehandelt bleibt und Schwierigkeiten hat, sich in sein Umfeld zu integrieren, können Folgeerkrankungen wie Depressionen oder soziale Phobien entstehen. Diese kann man durch geeignete Methoden therapieren, aber eine vollständige „Heilung“ in dem Sinne, dass die für ADS typische Wahrnehmung und das typische Denken verändert werden, gibt es nicht.

Ob ADS als Krankheit, Störung oder als Gabe angesehen werden muss, hängt hauptsächlich von den individuellen Defiziten, der sozialen Situation, und der Intensität des Leidensdruckes ab. Der amerikanische Mediziner Edward M. Hallowell hat ADS als eine „Art zu leben“ beschrieben:

Jemand sagte mal: „Zeit ist das Ding, das alles davon abhält, zugleich zu passieren.“ Zeit stückelt Momente in kleine Teilchen, so dass wir eine Sache nur zu einem bestimmten Zeitpunkt tun können. Bei ADS kollabiert die Zeit. Zeit wird ein schwarzes Loch. Für eine ADS-Person ist es, als ob alles zugleich geschieht. Dies schaffe ein Gefühl des inneren Tumults oder sogar der Panik. Das Individuum verliert die Perspektive und die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Vielfach sind diese Leute hoch intuitiv und vorstellungsbegabt. Sie haben ein „Gefühl“ für Dinge, eine Art, die Ursache von Dingen sofort verstehen zu können, während andere ihren Weg auf methodische Art durchdenken müssen. Es ist wichtig für andere, gegenüber diesem „sechsten Sinn“, den viele ADSer haben, sensibel zu sein und ihn zu bemuttern. ADS ist eine Lebensgestaltung und bis vor kurzem war es versteckt, auch vor denen die es haben. Das menschliche Erleben von ADS ist mehr als eine Sammlung von Symptomen: ADS ist eine Art zu leben.

Thom Hartmann beschreibt ADS auch als das „Edison-Gen“ und weist so darauf hin, dass geniale, sehr produktive Menschen wie Mozart, Edison, Richard Wagner oder Albert Einstein genetisch durch ADS geprägt gewesen sein könnten.

Abgrenzbarkeit der ADHS

Kritiker gehen davon aus, dass es sich bei ADHS nicht um ein abgrenzbares und spezifisches Syndrom handelt, sondern um eine unspezifische Sammlung von Symptomen, wie sie ihrer Meinung nach auch bei anderen systemischen Erkrankungen, zum Beispiel aus dem rheumatoiden Formenkreis, zu finden seien. Auch zeigten viele psychogene Störungsbilder ähnliche Symptome. Sie nehmen an, dass die Probleme von ADHS-Betroffenen einen anderen Hintergrund haben und die Unterordnung unter eine gemeinsame Diagnose somit sehr willkürlich sei.

Psychoanalytische Theorien

Aus Sicht einiger Entwicklungspsychologen und Psychoanalytiker wird es für unwahrscheinlich gehalten, dass die entsprechenden Symptome auf einem angeborenen Stoffwechseldefekt basieren. Vielmehr müssten frühkindliche lebensgeschichtliche Faktoren als ursächlich angesehen werden.

ADHS steht mit einem veränderten Stoffwechsel im Gehirn in Verbindung. Dieser veränderte Stoffwechsel müsse jedoch keine ursächliche Erklärung für das Verhalten der Kinder darstellen. Ebenso gut könne man annehmen, dass sich das plastische menschliche Gehirn bei ADHS-Kindern so entwickelt hat, weil sie bestimmte Erfahrungen machten. Diese ebenfalls in der Psychologie vertretene These sieht den Grund des Verhaltens eher in den Erfahrungen des Kindes als in der Vererbung.

Aus tiefenpsychologischer Sicht sind die Eltern und Erzieher also integraler Bestandteil des Phänomens und die Störungen im Verhalten der Kinder nur wiederum Manifestationen der Verhaltensprobleme ihrer Bezugspersonen.

Ebenso wird hyperaktives Verhalten als Kompensation von Ängsten und Konflikten oder als manische Abwehr depressiver Ängste und der Selbst-Objekt-Abgrenzung verstanden.[32]

Disease Mongering

Einige Kritiker leugnen die Existenz von ADHS und gehen sogar so weit, die Störung als Modekrankheit zu bezeichnen, welche von der Pharmaindustrie und den mit ihr kooperierenden Neurologen und Psychiatern nur konstruiert wurde, um neue Medikamentenabhängigkeiten und Absatzmärkte zu schaffen (Disease Mongering).

Indigo-Kinder

Nach einer in der Esoterik-Szene verbreiteten These der angeblich übersinnlich begabten Amerikanerin Nancy Ann Tappe würde seit den 1970er Jahren eine Generation von sogenannten Indigo-Kindern geboren werden. Diese Kinder seien sowohl mit schwierigen Persönlichkeitsmerkmalen als auch mit besonderen spirituellen Fähigkeiten ausgestattet. Die medizinische Kategorisierung der Verhaltensauffälligkeit als ADHS wird abgelehnt; stattdessen werden die Kinder als Vorboten und Vollbringer einer neuen und besseren Welt gesehen. Die Theologen Andreas Fincke und Matthias Pöhlmann stehen dem Konzept der Indigo-Kinder, das in der Ratgeberliteratur für Eltern vielfach verbreitet wird, kritisch gegenüber und sehen in ihm einen „Inbegriff einer fortschrittsoptimistisch gestimmten Heils- und Zukunftshoffnung“, die jedoch in der Gefahr stehe, den betroffenen Kindern medizinische Hilfe vorzuenthalten.[33]

Literatur

  • Manfred Döpfner: Hyperkinetische Störungen. In: F. Petermann (Hrsg.). Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie. Göttingen: Hogrefe, 2002. (152–179)
  • Paul Wender: Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, ISBN 3-17-017097-X
  • Johanna Krause und Klaus-Henning Krause: ADHS im Erwachsenenalter. Stuttgart 2004 (2. Auflage), ISBN 3-7945-2371-7
  • Marianne Leuzinger-Bohleber, Yvonne Brandl, Gerald Hüther (Hrsg.): ADHS – Frühprävention statt Medikalisierung. Theorie, Forschung, Kontroversen. Schriften des Sigmund-Freud-Institutes Bd. 4. Göttingen 2006, Vandenhoek & Ruprecht. ISBN 978-3-525-45178-6
  • Richard DeGrandpre: Die Ritalin-Gesellschaft. ADS: Eine Generation wird krankgeschrieben. Weinheim/Basel 2002, Beltz. ISBN 3-407-85796-9

Weblinks

Quellen

  1. Ulrich Knölker: Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie systematisch. Uni-Med Verlag AG, Bremen 2003. ISBN 3-8959-9159-7. S. 280.
  2. a b c d e G. W. Lauth, P. F. Schlottke (2002): Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Weinheim: Belz
  3. Kurzfassung des BMGS
  4. Brühl, B., Döpfner, M., Lehmkuhl, G. (2000): Der Fremdbeurteilungsbogen für hyperkinetische Störungen (FBB-HKS) – Prävalenz hyperkinetischer Störungen im Elternurteil und psychometrische Kriterien. Kindheit und Entwicklung 9, 115–125
  5. Baumgaertel, A., Wolraich, M., Dietrich, M. (1995): Comparison of diagnostic criteria for attention deficit disorder in a German elemantary school sample. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 34, 629–638
  6. G. Bush, EM. Valera, LJ. Seidman: Functional neuroimaging of attention-deficit/hyperactivity disorder: a review and suggested future directions. In: Biol Psychiatry. 2005 Jun 1;57(11):1273–84. PMID 15949999
  7. Stellungnahme zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) der Bundesärztekammer Kap 4.1 S.>
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  10. Leitlinie der AGADHS zur Diagnostik und Therapie bei ADHS
  11. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Ritalin®/- SR/- LA; Stand der Informationen: Juli 2006
  12. Rote-Hand-Brief vom 29. September 2005: zum erhöhten Suizidrisiko unter Atomoxetin (pdf)
  13. psychoneuro 2006; 32: 296-297
  14. Mirtazapin - Stellenwert in der Depressionsbehandlung
  15. Web4Health: [1] Stimulanzien und die Pille bei Frauen
  16. ADD-Online: FAQ – Fragen und Antworten zu ADHS bei Erwachsenen – Unterpunkt: Welche anderen Medikamente werden bei der ADHS verordnet? [2]
  17. Ryffel-Rawak, Doris: ADHS bei Frauen – den Gefühlen ausgeliefert. Bern: Huber, 2004, ISBN 3-456-84121-3
  18. M. Döpfner (Autor), S. Schürmann, J. Frölich (4. Aufl. 2007): „Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten THOP“. Weinheim:Belz
  19. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin
  20. Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
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  31. S. Timini, E.Taylor: ADHD is best understood as a cultural construct . In: The British Journal of Psychiatry. 184: 8-9, 2004, PMID: 14702221
  32. Psychische Störungen in Kindheit und Jugend – Symptome – Psychodynamik – Fallbeispiele – psychoanalytische Therapie. Kohlhammer Stuttgart 2004
  33. Eintrag Indigo-Kinder. In: Andreas Fincke, Matthias Pöhlmann: Kompass Sekten und religiöse Weltanschauungen. Ein Lexikon. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2004. S. 105.
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