Filbinger

Filbinger
Hans Filbinger zusammen mit Werner Dollinger auf dem CDU-Parteitag im Oktober 1978

Hans Karl Filbinger (* 15. September 1913 in Mannheim; † 1. April 2007 in Freiburg-Günterstal) war ein deutscher Politiker und Rechtsanwalt. 1951 wurde er Mitglied der CDU, war von 1971 bis 1979 deren Landesvorsitzender in Baden-Württemberg sowie von 1973 bis 1979 einer ihrer stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Von 1966 bis 1978 war er Ministerpräsident Baden-Württembergs, 1973/74 als solcher Bundesratspräsident.

Ab Februar 1978 wurde bekannt, dass Filbinger 1945 als Ankläger und Richter bei der Kriegsmarine Todesurteile gegen Deserteure beantragt und gefällt hatte. Dies leugnete er weitgehend und verlor dadurch zunehmend öffentlichen und innerparteilichen Rückhalt. Im August 1978 trat er als Ministerpräsident, später auch von seinen Parteiämtern zurück.

Inhaltsverzeichnis

Elternhaus und Jugend

Der Vater, Johannes Filbinger, stammte aus dem oberpfälzischen Kemnath, seine Mutter, Luise geborene Schnurr, die bereits 1918 verstarb, aus dem badischen Sasbach. Auf dem großelterlichen Hof in Sasbach verlebte Hans Filbinger die Zeit des Ersten Weltkriegs und später viele Ferienzeiten. Die Gemeinde Sasbach, die Filbinger als seine eigentliche Heimat ansah, ernannte ihn 1968 zum Ehrenbürger.[1]

Ab 1924 besuchte Filbinger das Badische Realgymnasium I in Mannheim. Durch das Elternhaus stark katholisch geprägt, trat er 1928 als Schüler dem Bund Neudeutschland (ND) bei, der der katholischen Zentrumspartei nahestand. Dort stieg er bis zum Leiter des Mannheimer Gaus „Langemarck“ im Bezirk Nordbaden des ND auf. 1933 machte er in Mannheim sein Abitur.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten forderte Filbinger im April 1933 seine Bundesbrüder auf, die bisherigen Ziele weiterzuverfolgen, und formulierte das Programm des Bundes für die nächste Zukunft.[2]

Ausbildung in der NS-Zeit

Im Sommersemester 1933 begann Filbinger Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg zu studieren, unterbrochen 1934/35 von zwei Semestern an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Studienstiftung des Deutschen Volkes wählte ihn nicht als Stipendiaten aus, weil er „einen ausgesprochen religiösen und konfessionellen Weltanschauungshorizont“ habe.[3]

Filbinger war von 1933 bis 1936 Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) und des Wehrsportverbands der Freiburger Universität, der 1934 in die SA überführt wurde. Im Mai 1937 trat er in die NSDAP ein. 1987 erklärte er dies damit, dass ihm andernfalls „der weitere Berufsweg versperrt“ gewesen wäre.[4]

1937 legte er die erste juristische Staatsprüfung am Oberlandesgericht Karlsruhe ab und begann sein Referendariat. 1939 promovierte er in Freiburg über das Thema Die Schranken der Mehrheitsherrschaft im Aktien- und Konzernrecht bei Hans Großmann-Doerth. Danach wurde er zuerst Assistent, dann Lehrbeauftragter der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg. 1940 legte er die zweite juristische Staatsprüfung ab.

Militärzeit 1940–1946

1940 meldete Filbinger sich freiwillig zur Kriegsmarine und war vom 30. August 1940 an Soldat. 1943 erreichte er den Dienstgrad eines Oberfähnrichs zur See. Am 21. März 1943 wurde er zum Marinerichter berufen, obwohl er nach eigenen Angaben versucht hatte, der Berufung durch eine Meldung zur U-Boot-Flotte zu entgehen.

Ab April 1943 war er „Marinehilfskriegsgerichtsrat“, zunächst am Gericht des Befehlshabers der Sicherung Nordsee, Zweigstelle Cuxhaven. Von Mai bis August 1943 diente er am Gericht des Küstenbefehlshabers Deutsche Bucht, Zweigstelle Westerland, und zur gleichen Zeit auch beim Gericht des 2. Admirals der Ostseestation, Zweigstelle Westerland. Von August 1943 bis November 1944 ist Filbingers Name in den erhalten gebliebenen Gerichtsakten nicht nachzuweisen. In dieser Zeit diente er beim Gericht des Admirals der norwegischen Polarküste, Zweigstelle Kirkenes. Dieses Gericht verließ er nach eigenen Angaben am 25. Oktober 1944, weil die deutsche Front nach der Räumung Finnlands zurückverlegt wurde. Im November und Dezember 1944 war er am Gericht des Admirals der norwegischen Polarküste, Tromsø. Ab Januar 1945 bis Kriegsende war er beim Gericht des Kommandanten der Seeverteidigung Oslofjord in Oslo[5].

Dort geriet er bei Kriegsende in britische Kriegsgefangenschaft. Die Briten ließen die deutsche Militärgerichtsbarkeit zur Aufrechterhaltung der Ordnung weitgehend bestehen und setzten Filbinger bis Februar 1946 an seinem bisherigen Gericht weiter als Marinerichter für die deutschen Truppen ein.

Filbinger war nach den erhaltenen Strafverfahrenslisten an mindestens 234 Marinestrafverfahren beteiligt. In 169 Fällen war er Vorsitzender Richter oder Untersuchungsführer und damit für das Urteil bzw. die Strafverfügung direkt verantwortlich. In 63 Verfahren trat er als Ankläger auf. In sechs Fällen wurde die Todesstrafe verhandelt. In drei davon vertrat Filbinger die Anklage, in zwei Fällen fällte er als Vorsitzender Richter Todesurteile. Auf einen Fall nahm der eigentlich Unbeteiligte von außen Einfluss.[6]

Diese Mitwirkung wurde erst im Zusammenhang der Filbingeraffäre 1978 aufgedeckt. Dabei wurden nur bis dahin veröffentlichte, vielfach unvollständige Gerichtsakten berücksichtigt. Etwa 40 weitere Akten sind bis heute unter Verschluss.[7]

Aufstieg in der Landes-CDU

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war Filbinger zunächst als Rechtsanwalt in Freiburg tätig. 1950 heiratete er Ingeborg Breuer (1921–2008) [8]; aus der Ehe gingen vier Töchter und ein Sohn hervor.

1951 begann Filbinger seine politische Karriere in der CDU. Seit 1953 war er Stadtrat in Freiburg. 1958 berief ihn Ministerpräsident Gebhard Müller erstmals zum Mitglied der Landesregierung. Als Staatsrat sollte er vor allem die Interessen Südbadens innerhalb des jungen Bundeslandes Baden-Württemberg wahrnehmen. 1960 wurde Filbinger in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt, dem er bis 1980 (zunächst für den Wahlkreis Freiburg-Stadt, ab 1976 für den Wahlkreis Freiburg I) angehörte. Ebenfalls 1960 wurde er Innenminister seines Bundeslandes.

1966 wurde er Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Südbaden (BCSV). Nach dem Zusammenschluss der Landesverbände Nordbaden, Südbaden, Nordwürttemberg und Württemberg-Hohenzollern zu einem Dachverband wählte die Landes-CDU ihn auf dem ersten Landesparteitag am 15./16. Januar 1971 zu ihrem Vorsitzenden. Der Dachverband war mit damals 45.000 Mitgliedern der drittstärkste Landesverband der CDU.

Ministerpräsident

Hans Filbinger (links) 1973 mit Gerhard Stoltenberg, Kurt Georg Kiesinger und Ludwig Erhard in Hamburg auf dem CDU-Bundesparteitag

Als Kurt Georg Kiesinger am 1. Dezember 1966 als Bundeskanzler nach Bonn wechselte, wurde Filbinger dessen Nachfolger als Ministerpräsident Baden-Württembergs. Dabei kam es zum Bruch mit der FDP, die eine sozialliberale Koalition anstrebte.

Nach dramatischen Koalitionsverhandlungen bildete Filbinger 1967 mit der SPD eine Große Koalition nach Bonner Muster (Kabinett Filbinger I). Mit dieser schaffte er die Konfessionsschule und konfessionelle Lehrerbildung ab. Nach der Landtagswahl von 1968 wurde die Koalition weitergeführt (Kabinett Filbinger II). Sie erreichte unter Federführung von Innenminister Walter Krause Anfang der 1970er Jahre eine Verwaltungsreform: Dabei wurde die Zahl der Gemeinden und Landkreise stark reduziert, wobei die neuen Landkreise und Regierungsbezirke die historischen Grenzen der früheren Länder Baden und Württemberg übersprangen.

In der Landespolitik trat Filbinger für die Vollendung der Integration von Baden in das Bundesland Baden-Württemberg ein. Diese bestätigte eine große Bevölkerungsmehrheit 1970 nach einer vom Bundesverfassungsgericht angeordneten Volksabstimmung. 1971 konnte Filbinger vier bis dahin selbständige Landesverbände der CDU zum Landesverband Baden-Württemberg vereinen.

In der Bildungspolitik war Filbinger entschiedener Gegner der Gesamtschule und förderte stattdessen den Ausbau herkömmlicher Haupt- und Realschulen und Gymnasien. Er ließ auch christliche Gemeinschaftsschulen, selbstständige Pädagogische Hochschulen, Berufsakademien und Fachhochschulen zu, strich andererseits aber Gelder für Hochschulprojekte wie die Ulmer Hochschule für Gestaltung.

In der Bundespolitik vertrat Filbinger als einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU mit Alfred Dregger den rechten Parteiflügel der CDU. Er befürwortete entschieden den von Bund und Ländern 1972 eingeführten Radikalenerlass in einer in Baden-Württemberg geltenden strengeren Form: Alle Bewerber für den Öffentlichen Dienst wurden überprüft, alle Angehörigen als linksextrem eingestufter Parteien und Gruppen wurden vom Beamtendienst ausgeschlossen. Dies versuchte Filbinger über den Bundesrat auch als Bundesgesetz durchzusetzen. Er war zudem einer der schärfsten Gegner der Entspannungs- und Aussöhnungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt und lehnte den Grundlagenvertrag mit der DDR ebenso ab wie die Abkommen zur Anerkennung der Oder-Neiße-Linie mit Polen.[9]

Bei der Wahl vom 23. April 1972 errang die CDU unter Filbinger 52,9 Prozent der Wählerstimmen und damit erstmals in der Geschichte des Landes die absolute Mehrheit (Kabinett Filbinger III). Vom 1. November 1973 bis zum 31. Oktober 1974 war er Bundesratspräsident. In diesem Amt bekämpfte er die Reform des Abtreibungsparagraphen § 218 und verhinderte mit der Mehrheit der CDU-CSU-geführten Länder die Fristenlösung. Auch die Reform des Mietrechts, das Städtebauförderungsgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz bekämpfte er im Bundesrat, so dass entsprechende Gesetzesvorlagen neu verhandelt werden mussten.[10] 1973 nach dem Sturz Salvador Allendes verweigerte die von ihm geführte Landesregierung Flüchtlingen aus Chile, darunter sechs ehemaligen Regierungsmitgliedern, politisches Asyl.[11]

Ab 1975 versuchte Filbinger erfolglos, den Bau des Kernkraftwerks Wyhl durchzusetzen, dessen Planung er seit 1967 mit vorangetrieben hatte und zu dessen Aufsichtsrat er gehörte. Bekannt wurde seine Aussage: Wenn Wyhl nicht gebaut werde, würden in Baden-Württemberg „die Lichter ausgehen“. Massive Polizeieinsätze gegen Anti-AKW-Demonstranten führten dazu, dass sich viele Bauern und ehemalige CDU-Wähler der Region dem Protest anschlossen.

Bei der Landtagswahl von 1976 errang er mit der Wahlkampfparole „Freiheit statt Sozialismus“ mit 56,7 Prozent den bislang größten CDU-Wahlerfolg in der alten Bundesrepublik (Kabinett Filbinger IV). Danach wurde er mit 91,5 Prozent zum Landesvorsitzenden wiedergewählt.[12]

1977 erließ der Landtag von Baden-Württemberg auf Betreiben der von Filbinger geführten Landesregierung ein neues Universitätsgesetz, in welchem unter anderem die Verfasste Studentenschaft abgeschafft wurde. Filbinger gehörte nach der Schleyer-Entführung zum Großen Krisenstab der Bundesregierung. Später wurde bekannt, dass man in der RAF kurze Zeit erwogen hatte, ihn statt Schleyer zu entführen[13]. Im Anschluss an Günter Rohrmoser machte Filbinger im „Deutschen Herbst“ die Kritische Theorie als geistige Wegbereitung für den RAF-Terror verantwortlich.[14] 1998 bekräftigte er, die Vertreter der Frankfurter Schule seien die „maßgebliche Antriebskraft“ der „Exzesse“ an bundesdeutschen Hochschulen gewesen, die ihrerseits eine „Sympathisantenszene“ für den RAF-Terror gebildet habe: Damit einher ging jene „Befreiung zur Sexualität“, deren Auswirkungen wir heute in der Lawine von Pornographie und Perversion erleben müssen.[15]

Filbinger war in Baden-Württemberg sehr populär. Baden-Württemberg galt in seiner Ära als Vorbild politischer und wirtschaftlicher Stabilität und „Musterländle“ der CDU.

Staatliche und akademische Ehrungen

Die Filbingeraffäre

Rolf Hochhuth

Der Dramatiker Rolf Hochhuth veröffentlichte in der ZEIT vom 17. Februar 1978 einen Vorabdruck seines Romans Eine Liebe in Deutschland. In der Schlusspassage bezeichnete er Filbinger als „Hitlers Marinerichter, der sogar noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt hat“. Er sei „ein so furchtbarer Jurist gewesen, daß man vermuten muß – denn die Marinerichter waren schlauer als die von Heer und Luftwaffe, sie vernichteten bei Kriegsende die Akten – er ist auf freiem Fuß nur dank des Schweigens derer, die ihn kannten.“

Mit dem Matrosen meinte Hochhuth Kurt Olaf Petzold. Dieser hatte sich im Gefangenenlager Hakenkreuze von seiner Kleidung gerissen und den Befehl, in ein anderes Quartier umzuziehen, mit folgenden Worten verweigert: Die Zeiten sind jetzt vorbei. Ich bin ein freier Mann. Ihr habt jetzt ausgeschissen. Ihr Nazihunde, Ihr seid schuld an diesem Krieg. Ich werde bei den Engländern schon sagen, was Ihr für Nazihunde seid, dann kommt meine Zeit. Filbinger hatte ihn daraufhin am 1. Juni 1945, drei Wochen nach Kriegsende, wegen Erregens von Missvergnügen, Gehorsamsverweigerung und Widersetzung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und dies mit einem „hohen Maß von Gesinnungsverfall“ begründet; Petzold habe „zersetzend und aufwiegelnd für die Manneszucht gewirkt“.[16]

Die Zeitschrift Der Spiegel hatte diesen Fall schon 1972 bekannt gemacht und Petzold interviewt. Dieser erinnerte sich daran, dass Filbinger vor seinem Prozess „unseren geliebten Führer“ gerühmt habe, der „das Vaterland wieder hochgebracht hat“. Filbinger klagte damals erfolgreich auf Unterlassung dieser Aussagen.[17]

Im Mai 1978 klagte er gegen Hochhuths Äußerungen auf Unterlassung. Das Landgericht Stuttgart untersagte daraufhin am 23. Mai 1978 durch eine einstweilige Verfügung die Behauptung, Filbinger sei nur wegen Strafvereitelung einer Haftstrafe entgangen. Bei der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1978 bestätigte das Gericht dieses Verbot, ließ aber „furchtbarer Jurist“ und „Hitlers Marinerichter“ als wertende Meinungsäußerungen zu. Filbinger habe als Marinerichter sowohl im Verfahren gegen Petzold wie auch gegen Gröger, dessen Fall inzwischen bekannt geworden war, formal korrekt „im Rahmen des damals geltenden Rechts“ gehandelt.

Hochhuth erklärte noch vor dem Urteil, die Aussage von der Aktenvernichtung und Strafvereitelung sei falsch gewesen und er werde sie nicht wiederholen. Damit schien die Affäre zunächst abgeschlossen zu sein.[18]

Der Fall Walter Gröger

Während des laufenden Prozesses fand Hochhuth international verstreute Kriegsgerichtsakten der NS-Zeit zu einem weiteren Verfahren, an dem Filbinger beteiligt war, und gab sie der ZEIT bekannt, die am 12. Mai 1978 darüber berichtete.

Der zweiundzwanzigjährige Matrose Walter Gröger hatte sich 1943 vier Wochen lang bei einer norwegischen Freundin, Marie Severinsen-Lindgren, in Oslo versteckt, um dem Krieg zu entfliehen. Sie erwogen, sich in das neutrale Schweden abzusetzen. Doch Marie erzählte einem befreundeten Polizeibeamten von Gröger, der ihn am 6. Dezember 1943 festnehmen ließ. Er wurde wegen vollendeter „Fahnenflucht im Felde“ am 14. März 1944 zu acht Jahren Zuchthaus und Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt. Sein Fluchtplan wurde nicht als versuchte Fahnenflucht ins Ausland gewertet, weil er seine Uniform wiedergeholt und damit Rückkehrabsicht zur Truppe signalisiert habe.

Der Gerichtsherr, Generaladmiral Otto Schniewind, hob dieses Urteil am 1. Juni 1944 auf, „weil auf Todesstrafe hätte erkannt werden sollen“. Er begründete dies mit Grögers Vorstrafen, einer „Führerrichtlinie“ zu Fahnenflucht vom 14. April 1940 und einem Erlass des Oberbefehlshabers der Marine (ObdM), Karl Dönitz, vom 27. April 1943.[19] Die Führerrichtlinie beurteilte die Todesstrafe für Fluchtversuche ins Ausland oder für erheblich vorbestrafte Täter als „im Allgemeinen angebracht“, nannte aber auch mildernde Umstände:

Eine Zuchthausstrafe wird in diesen Fällen im allgemeinen als ausreichende Sühne anzusehen sein, wenn jugendliche Unüberlegtheit, falsche dienstliche Behandlung, schwierige häusliche Verhältnisse oder andere nicht unehrenhafte Beweggründe für den Täter hauptsächlich bestimmend waren.

Der Dönitz-Erlass dagegen verlangte bei jeder Fahnenflucht, die ein „Versagen treuloser Schwächlinge“ sei, die Todesstrafe.[20]

Filbinger wurde nach Abschluss der Voruntersuchung am 15. Januar 1945 anstelle des bisherigen Anklägers mit dem Fall beauftragt. In der Hauptverhandlung des Gerichts Oslofjord am Folgetag wurde negativ gewertet, dass Gröger ein Eisernes Kreuz und eine Ostmedaille als sein Eigentum ausgegeben hatte. Daraufhin wurde sein Fluchtplan nach Schweden als Fluchtversuch ins Ausland ausgelegt. Dem Gerichtsherren folgend beantragte Filbinger auf der Basis der „Führerrichtlinie“ die Todesstrafe. Dem folgend verurteilte Marineoberstabsrichter Adolf Harms Gröger zum Tod. Am 22. Januar 1945 ersuchte der Verteidiger Werner Schön für Gröger um Gnade: Das Gericht habe eingeräumt, dass nach dem geltenden Militärgesetz kein Fluchtversuch ins Ausland vorgelegen habe. Er warf Harms und Filbinger damit indirekt Rechtsbeugung vor.

Nach mehreren schriftlichen und fernmündlichen Nachfragen Filbingers bestätigte das Oberkommando der Marine (OKM) in Berlin am 27. Februar das Todesurteil. Am 15. März 1945 traf der Schriftsatz dazu mitsamt der Ablehnung des Gnadengesuchs in Oslofjord ein. Am selben Tag ordnete Filbinger die Vollstreckung an, womit er die übliche Dreitagesfrist bis zur Hinrichtung verkürzte. Er setzte sich selbst zum leitenden Offizier dafür ein, wie es für Anklagevertreter üblich war. Am 16. März um 14:05 verkündete er dem Verurteilten die Anordnung des Gerichtsherrn und ließ Gröger den Empfang unterzeichnen. Um 16:00 ließ er ihn erschießen. Dabei war er selbst anwesend und gab möglicherweise als leitender Offizier den Feuerbefehl.

Unter Verletzung seiner Dienstpflicht hatte Filbinger es unterlassen, dem Anwalt Grögers den Hinrichtungstermin mitzuteilen. Dieser hätte das Recht gehabt, seinem Mandanten beizustehen, und äußerte noch Jahrzehnte später sein Befremden über Filbingers Versäumnis.[21]

Grögers Angehörige erhielten keine Nachricht von seiner Hinrichtung. Die Mutter Anna Gröger erfuhr 1954 davon, die genauen Umstände jedoch erst durch Hochhuth – ebenso wie Marie Lindgren.[22] Bemerkt wurde auch, dass Filbinger die Vollstreckung des Todesurteils an Gröger ungewöhnlich zügig vorangetrieben hatte.[23]

Filbingers Stellungnahmen

In Kenntnis der bevorstehenden Medienberichte erklärte Filbinger am 4. Mai 1978 unter anderem:[24]

… 2. Fahnenflucht war nicht nur in Deutschland, sondern in allen Nationen der Welt ein mit Todesstrafe bedrohtes Delikt. In der letzten Kriegsphase haben die Befehlshaber als Gerichtsherren an allen Fronten Fahnenflucht mit besonderem Nachdruck verfolgt…
Aus diesem Umstand ergibt sich auch die Weisung des Flottenchefs als Gerichtsherr im Falle Gröger, die Todesstrafe zu verhängen. Das erstinstanzliche Gericht hatte sich bemüht, eine mildere Strafe auszubringen. Das war ihm nicht gelungen, so daß nun kein anderer Weg übrig blieb, als sich an die Verfügung des Gerichtsherrn zu halten. Diese Verfügung des Gerichtsherrn hatte die Bedeutung, daß jedes andere Urteil, das abweichend über die Person ergehen würde, keine Bestätigung erhalten würde.
3. Damit war auch für den Anklagevertreter kein Ermessensspielraum, der einen anderen Antrag als den auf die Höchststrafe ermöglicht hätte. Im übrigen war nach der Weisung des Flottenchefs als Gerichtsherr naturgemäß mein Antrag als Vertreter der Anklage mit Sicherheit irrelevant für das Urteil.

Er habe „mit allen Mitteln“ versucht, dem Dienst in der Marinejustiz zu entgehen:

6. …Meine Abwehr gipfelte in der Meldung für den Dienst bei der U-Boot-Waffe, die damals schon als Himmelfahrtskommando galt. Ich habe mich deshalb gegen diese Tätigkeit gewehrt, weil ich während des ganzen Dritten Reiches meine antinazistische Gesinnung nicht nur in mir getragen, sondern auch sichtbar gelebt habe.

Die ZEIT druckte diese Stellungnahme zusammen mit dem Bericht über Gröger am 12. Mai 1978 im Wortlaut ab. In einem Kommentar dazu fragte Chefredakteur Theo Sommer:[25]

Müsste Filbinger nicht zurücktreten — oder aber zu Mutter Gröger nach Langenhagen fahren und für die eigene Person jenen läuternden Kniefall vor der Vergangenheit tun, den Willy Brandt in Warschau für das ganze deutsche Volk vollzogen hat?

Der SPIEGEL berichtete am 8. Mai 1978 über den Fall. Herausgeber Rudolf Augstein kommentierte:[26]

Erst bei dem Stichwort „Schweden“ ging ihm [Filbinger] nach eigener glaubhafter Bekundung ein Erinnerungs-Licht auf: war dies wohl sein einziger Todesfall?

Zu seiner Entlastung verwies Filbinger auf seine Mitwirkung an Prozessen, die mit Freisprüchen und Begnadigungen endeten. So hatte er für den wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilten katholischen Militärpfarrer Karl-Heinz Möbius im Frühjahr 1945 als nichtbeteiligter Richter eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreicht, das mit einem Freispruch endete. Guido Forstmaier hatte mit Karl-Heinz Möbius in einer Todeszelle gesessen. Er bekundete in einer schriftlichen Erklärung, er sei nur dank des Einsatzes von Filbinger einem sicheren Todesurteil entgangen. Als Untersuchungsführer habe dieser die Zeugen durch geschickte Vernehmung zu Aussagen beeinflusst, die entlastend gewertet werden konnten. Damit habe er die Hauptverhandlung um fünf Monate bis März 1945 verzögert, schließlich die drohende Todesstrafe abgewendet und stattdessen eine Degradierung des Angeklagten zum Matrosen und eine Haftstrafe mit Bewährungsprobe an der Front für ihn erreicht. Zu deren Vollstreckung sei es wegen des Kriegsendes nicht mehr gekommen. – Akten zu diesem Fall wurden nicht aufgefunden.

Gegenüber der Schwäbischen Zeitung behauptete Filbinger am 10. Mai 1978 wahrheitswidrig:[27]

Es gibt kein einziges Todesurteil, das ich in der Eigenschaft als Richter gesprochen hätte.

Der Spiegel vom 15. Mai 1978 zitierte Filbinger mit dem Satz: Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein![28] Damit wies er wie andere ehemalige Wehrmachtjuristen auf formal korrekte Anwendung des damaligen Rechts hin. Zugleich schien er am Rechtscharakter der NS-Gesetze festzuhalten und so die Justiz eines Unrechtsstaats mit der eines Rechtsstaats gleichzusetzen.[29] Diese These einer Rechtskontinuität wirkte nun – anders als in den Nachkriegsjahrzehnten – als Skandal. Erhard Eppler, damaliger SPD-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer im badenwürttembergischen Landtag, bescheinigte Filbinger darum ein „pathologisch gutes Gewissen“. – In seinen späteren Memoiren betonte dieser, „damals“ in dem Satz habe sich auf das Militärstrafrecht in seinem alten Bestand von 1874 bezogen, das die anfängliche Grundlage für das Militärstrafrecht in der NS-Zeit bildete.

Bekanntwerden von Todesurteilen

Das ARD-Magazin Panorama berichtete am 3. Juli 1978 über zwei Todesurteile gegen Deserteure, die Filbinger als Vorsitzender Richter in Abwesenheit der Angeklagten am 9. und 17. April 1945 verhängt hatte. Das erste Urteil betraf den Obergefreiten Bielke wegen Mordes in Tateinheit mit Meuterei und Fahnenflucht. Er hatte am 15. März 1945 seinen Kommandanten erschossen, weil dieser die Besatzung seines Hafenschutzbootes NO 31, der er angehörte, nicht in das neutrale Schweden fliehen lassen wollte. Das zweite Urteil erging gegen den Obersteuermann Alois Steffen wegen Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung, weil er als Kommandant des Hafenschutzbootes NO 21 mit Boot und 15 Mann Besatzung nach Schweden geflüchtet war. Beide Urteile konnten nicht vollstreckt werden, da die Verurteilten sich durch ihre Flucht dem Zugriff der Wehrmacht entzogen hatten.[30] Auch an diese Verfahren konnte sich Filbinger zunächst nicht erinnern; dann bezeichnete er sie als „Phantomurteile“, deren Vollstreckung weder möglich noch beabsichtigt gewesen sei.

Am 3. August 1978 gab das Staatsministerium Baden-Württembergs ein weiteres Verfahren bekannt: Der Matrose Herbert Günther Krämer war am 17. August 1943 wegen fortgesetzten Plünderns zuerst zu acht Jahren Zuchthaus, dann zum Tod verurteilt worden. Das Urteil hatte Filbinger beantragt, zugleich aber dem Gerichtsherrn Verhörergebnisse vorgelegt, die eine Begnadigung rechtlich möglich erscheinen ließen. Nach seiner Aussage erreichte er dann als Ankläger in einem weiteren Verfahren, dass das Urteil zu einer Freiheitsstrafe umgewandelt wurde.

Doch weil Filbinger monatelang vertreten hatte, „kein einziges Todesurteil selbst gefällt“ zu haben, den Fall Gröger „vergessen“ und weitere Todesurteile bestritten hatte, während ihm Begnadigungen wieder einfielen, war seine Glaubwürdigkeit zerstört. Nun wandte sich die öffentliche Meinung zunehmend gegen ihn. Auch die innerparteiliche Kritik nahm stark zu, nachdem die führenden Gremien von CDU und CSU Filbinger anfangs einmütig unterstützt hatten.[31]

Rücktritt

Am 7. August 1978 trat Filbinger schließlich als Ministerpräsident zurück und erklärte dazu:[32]

Dies ist die Folge einer Rufmordkampagne, die in dieser Form bisher in der Bundesrepublik nicht vorhanden war. Es ist mir schweres Unrecht angetan worden. Das wird sich erweisen, soweit es nicht bereits offenbar geworden ist.

Filbingers Kritiker dagegen sahen den eigentlichen Rücktrittsgrund in seinem Umgang mit seiner Vergangenheit, nicht in dieser selbst. So zeigte er keine Reue gegenüber den Opferangehörigen. Dies wurde als starr und uneinsichtig empfunden: Er wehrt jede Schulderkenntnis ab…[33] Zudem fiel die Affäre zeitlich mit dem Höhepunkt der Diskussion um innere Sicherheit und Antiterrorgesetze zusammen. Filbingers Haltung dazu wurde als Kontinuität zu seiner Haltung als Militärrichter gewertet: …Er bleibt dem Obrigkeitsstaat hörig. … Es führt in der Tat eine gerade Linie von Gröger-Urteil und Manneszucht-Verdikt zu dem Filbinger von heute: damals kein Nazi, heute nur ein obrigkeitlicher Demokrat. Er ist ein Mann von law and order geblieben…[34]

Neuer Ministerpräsident, später auch neuer CDU-Landesvorsitzender wurde Lothar Späth. Ende März 1979 gab Filbinger auch sein Amt als einer von sieben stellvertretenden Bundesvorsitzenden ab, blieb aber bis 1981 im CDU-Bundesvorstand. Die Affäre führte die Bundes-CDU in Diskussionen über den richtigen Oppositionskurs und in ein Zustimmungstief. Die baden-württembergische CDU ernannte Filbinger gleichwohl 1979 zum Ehrenvorsitzenden. Im selben Jahr gründete er mit Freunden das Studienzentrum Weikersheim, das er bis 1997 leitete und dessen Ehrenpräsident er bis zu seinem Tod blieb.

Rehabilitationsversuche

Filbinger versuchte in den Jahrzehnten nach seinem Rücktritt, seine Amtsausübung als Marinerichter zu rechtfertigen und seine öffentliche Rehabilitation zu erreichen. Dazu schrieb er eine Autobiografie, weitere Schriften und gab 1987 seine Memoiren Die geschmähte Generation heraus. Diese ergänzte er 1993 mit der Schrift Die Wahrheit aus den Stasiakten. Darin erklärte er die Affäre 1978 damit, dass das damalige DDR-Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) nach seinem Wahlsieg von 1976 belastende Dokumente gefälscht und den westlichen Medien zugespielt habe. Dabei berief er sich auf das 1993 erschienene Buch Auftrag: Irreführung von zwei ehemaligen Stasioffizieren, Günter Bohnsack und Herbert Brehmer, in dem es hieß:[35]

Wir haben Filbinger durch aktive Maßnahmen bekämpft, das heißt Material gesammelt, gefälschtes oder verfälschtes Material in den Westen lanciert. Der Kampf gegen Filbinger war ein wesentlicher Bestandteil, der über lange Jahre hindurch geführten Aktion „Schwarz” gegen Konservative, CDU/CSU, Faschisten. Aus dem Stasi-Dokument P3333, betreffend Filbinger, ergibt sich, dass dieser seit Ende der sechziger Jahre im Visier des Staatssicherheitsdienstes gewesen ist.

Eine Quelle dafür, dass auch Hochhuths Vorwürfe und die Akten zu Filbingers Todesurteilen auf solchen Stasidokumenten beruhten, gaben die Autoren jedoch nicht an.

Ferner gab Filbinger an, er habe zum Freiburger Freundeskreis um Reinhold Schneider gehört, der Kontakte zu verschiedenen Widerstandsgruppen gegen das NS-Regime gehalten habe. Karl Färber hatte für ihn 1946 im Entnazifizierungsverfahren ausgesagt:[36]

Hans Filbinger kam etwa im Jahre 1938 in unseren engeren Freundeskreis, der sich regelmäßig und häufig in unserem Hause traf. Grundsätzliche Gegnerschaft gegen das herrschende Hitlerregime war dabei selbstverständliche Voraussetzung. Alle Freunde waren ausgesprochen gläubige Christen.

Filbinger erklärte zudem, er sei „von den Verschwörern des 20. Juli 1944 für eine Verwendung nach geglücktem Attentat auf Adolf Hitler vorgesehen“ gewesen. Der Sohn Paul von Hases, Alexander von Hase, soll ihm dies brieflich am 7. Juni 1978 bestätigt haben.[37]

Außerdem erklärte Filbinger, die Kriegsgerichtsbarkeit sei zur Wahrung der Disziplin unter den Soldaten im Frühjahr 1945 überlebensnotwendig gewesen, da die Marine sonst nicht so viele ostdeutsche Flüchtlinge über die Ostsee nach Schleswig-Holstein hätte retten können.

Der Historiker Golo Mann schrieb in einer Rezension zu Filbingers Memoiren von einer „meisterhaft konzertierten Hetze“ gegen ihn und urteilte über den Fall Gröger:[38]

Eine Rettung des Matrosen Gröger war von vorneherein unmöglich: seine Verurteilung in einem ersten Prozess, zu acht Jahren Gefängnis, wurde von dem Chef der Flotte im Norden kassiert. Die Todesstrafe, so sah es der Verteidiger, stand fest, ehe Filbinger überhaupt in Erscheinung trat; dieser, so berichtete eben der Verteidiger später, spielte während des Prozesses nur noch die Rolle eines Statisten, weswegen er, der Verteidiger, ihn denn auch völlig vergessen hatte.

Der Rechtswissenschaftler Ernst E. Hirsch meinte in Anspielung auf die Dreyfus-Affäre: Es fehlt der Geist des Émile Zola, der das Unrecht, das man ihm [Filbinger] angetan hat, auf die Gassen schreit.[39] Hintergrund dieser Äußerung war, dass Hirsch – persönlich völlig unbelastet und unter Hitler rassisch verfolgt – generell NS-Juristen zugute hielt, dass sie „durch Internalisierung von sozialen Verhaltensnormen … einen kulturellen Normfilter erworben hätten, der die Poren des biologischen Normfilters verstopft“ habe, weshalb eine Verfolgung der NS-Juristen gegen die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Gewissensfreiheit verstoße.[40]

Durch weitere Untersuchungen und Zeitungsartikel, die ihn auch im Fall Gröger entlasteten, sah Filbinger sich nun als vollständig rehabilitiert an. Diese Sicht teilen bis heute auch der CDU-Landesverband Baden-Württemberg und das Studienzentrum Weikersheim.

Verhältnis zum Nationalsozialismus

Filbingers Behauptung einer durchgehend antinazistischen Gesinnung führte zu weiteren Recherchen. Im Juli 1978 veröffentlichte der Spiegel seinen Aufsatz vom März/April 1935 aus der Zeitschrift Werkblätter des Bundes Neudeutschland. Darin erklärte Filbinger die damals vorbereitete nationalsozialistische Strafrechtsreform:[41]

Erst der Nationalsozialismus schuf die geistigen Voraussetzungen für einen wirksamen Neubau des deutschen Rechts…

Denn er habe den Schutz der Freiheitsrechte des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen durch den Schutz der „Volksgemeinschaft“ durch einen starken Staat ersetzt. Dieser habe die Strafen für Hoch- und Landesverrat schon verschärft und mit Todesstrafe bedroht. Dies genüge jedoch noch nicht:

Die Volksgemeinschaft ist nach nationalsozialistischer Auffassung in erster Linie Blutsgemeinschaft… Diese Blutsgemeinschaft muß rein erhalten und die rassisch wertvollen Bestandteile des deutschen Volkes planvoll vorwärtsentwickelt werden. Die Denkschrift des preußischen Justizministers fordert daher Schutzbestimmungen für die Rasse, für Volksbestand und Volksgesundheit, darüber hinaus aber auch für die geistigeren Element des Volksseins: für Religion und Sitte, schließlich für Volksehre und Volksfrieden.

Auch Familie und Ehe würden als „sittliche Basis“ der Volksgemeinschaft künftig vor „höhnischer Herabsetzung“ geschützt; „willkürliche Eingriffe in die Zeugungskraft (Sterilisation) oder das keimende Leben“ (Abtreibung) würden strafbar.

Schädlinge am Volksganzen jedoch, deren offenkundiger verbrecherischer Hang immer wieder strafbare Handlungen hervorrufen wird, werden unschädlich gemacht werden. Das bisher geltende Strafrecht hat gegenüber solchen Schädlingen offenkundig versagt. Man vertiefte sich in das Seelenleben des Verbrechers, fand dieses durch Erbanlagen, Erziehung und Umwelt ungünstig beeinflusst und war mehr auf Besserung des – meist unverbesserlichen – Täters, als auf eine eindrucksvolle und scharfe Strafe sowie wirksamen Schutz der Gesamtheit bedacht.

Das neue Gesetz werde jedoch nur durch „lebendige Richterpersönlichkeiten“ in das Volk hinein wirken; es verlange daher „den neuen Juristen, der aus Kenntnis und Verbundenheit mit dem Volke des Volkes Recht spreche“, nicht bloß nach formaler Sach- und Gesetzeslage.

Laut Clemens Heni übernahm der 21-jährige Filbinger damit wesentliche Elemente der nationalsozialistischen Volkstums- und Rassenlehre, die sich im September in den Nürnberger Rassegesetzen niederschlug. Dieses Denken habe seine Urteile als Marinerichter später mitbestimmt.[42]

Kurz nach dieser Veröffentlichung des Spiegel erinnerte ein ehemaliger Kommilitone den Ministerpräsidenten in einem offenen Brief daran, dass er von 1935 bis 1937 in Freiburg als Mitglied des SA-Studentensturms in brauner Uniform aufgetreten sei.[43]

Auch Filbingers Behauptung, er sei gegen seinen Willen zum Marinerichter berufen worden, stieß auf Widerspruch. Der Militärhistoriker Frank Roeser stellte 2007 rückblickend dazu fest:[44]

Wer im Dritten Reich Anklagevertreter oder Militärrichter geworden ist, war im Sinne der Nationalsozialisten ein zuverlässiger Jurist. […] Ein solches Richteramt konnte man ablehnen, ohne Probleme zu bekommen. Das galt für Sondergerichte und Militärgerichte gleichermaßen.

Dass Filbinger auch nach der deutschen Kapitulation Gehorsamsverweigerung wie im Fall Petzold mit NS-Vokabular verurteilt habe, belege, dass er „der nationalsozialistischen Denkweise noch sehr verhaftet“ gewesen sei. Ähnlich urteilte der Richter Helmut Kramer im Blick auf den Fall Petzold im Mai 2007:[45]

Es ist müßig, darüber zu streiten, ob Filbinger im Innern ein Anhänger Hitlers war… Auch kann dahinstehen, ob Hans Filbinger allein als Opportunist und aus Karrieregründen der SA und der NSDAP beigetreten ist und ob er den Nationalsozialisten [1935 in einer Studentenzeitschrift] nur nach dem Munde reden wollte… Hatte er tatsächlich die NS-Ideologie durchschaut, war dies um so schlimmer. Denn dann hätte er sich im Widerspruch zu seiner Überzeugung in den Dienst des Unrechtsstaates gestellt. Vielleicht war er aber selbst nach Kriegsende noch ein unbelehrbarer Nazi…

Gegen eine Kontinuität nationalsozialistischen Denkens spricht Filbingers Gedenkrede 1960 in Brettheim. Dort hatte ein Standgericht einen Bauern, der Hitlerjugend-Angehörige entwaffnet hatte, und zwei Beamte, die ihn dafür nicht zum Tod verurteilen wollten, kurz vor Kriegsende erhängt. Das Ansbacher Gericht erklärte das Standgerichtsurteil in einem Verfahren gegen die Mörder 1960 für rechtsgültig, nachdem es den verurteilten Kriegsverbrecher Albert Kesselring und den Autor eines maßgebenden Kommentars zum nationalsozialistischen Militärstrafgesetzbuch von 1940, Erich Schwinge, als Sachverständige gehört hatte. Filbinger dagegen bezeichnete die Erhängungen als „himmelschreiendes Unrecht“. Seine Vergangenheit als Marinerichter war damals der Öffentlichkeit noch nicht bekannt.[46]

Diskussion um Entscheidungsspielräume

Filbingers Berufung auf mangelnde Handlungsspielräume bei seinen Urteilen wurde intensiv diskutiert. Am 12. Mai 1978 fragte Theo Sommer in der ZEIT zum Fall Gröger, ob „Bemühung, Mannhaftigkeit, vielleicht schon ein wenig Schläue genügt haben könnten, das nur scheinbar Unabwendbare abzuwenden?“ Rudolf Augstein wies am 8. Mai 1978 auf die von 1938 bis 1945 geltende Kriegsstrafverfahrensordnung hin: Danach waren der Weisungsbefugnis der Gerichtsherren enge Grenzen gesetzt. Die Anklagevertreter waren nach § 7 Abs. 3 Satz 1 KStVO gehalten, etwaige rechtliche Bedenken gegen eine Weisung oder Entscheidung vorzutragen und schriftlich festzuhalten, falls diese unberücksichtigt blieben. Hiervon hatte Filbinger im Fall Gröger abgesehen. Augstein zitiert ihn mit den Worten: „Wenn ich die Weisung für rechtswidrig gehalten hätte, hätte ich Bedenken anmelden müssen.“[26]

Zu Filbingers 90. Geburtstag 2003 untersuchten Historiker dieses Thema erneut. So fand Florian Rohdenburg bei Recherchen im Bundesarchiv keine Fälle, wo Ankläger und Richter der NS-Militärjustiz bestraft wurden, wenn sie von Vorgaben der Gerichtsherrn abweichende Anträge stellten oder Urteile erließen. Nach Wolfram Wette, der sich auf Rohdenburgs Forschung stützte, hätte Filbinger dem Gerichtsherrn oder dessen juristischen Beratern mitteilen können, dass er das erstinstanzliche Urteil gegen Gröger nach wie vor für ausreichend halte. Er hätte dies mit dem unsoldatischen Charakterbild des Matrosen begründen können. Denn Grögers militärischer Vorgesetzter, Korvettenkapitän Schneider, hatte in einer für den zweiten Prozess angeforderten Stellungnahme diesen als „hoffnungslosen Schwächling“ bezeichnet, „der nie seine Soldatenpflichten erfüllen wird“. Fehlende „Mannhaftigkeit“ war im NS-Militärrecht ein Grund, von der Todesstrafe abzusehen. Dass Filbinger diese Möglichkeiten nicht erwog, führt Wette auf seine Einstellung zur Fahnenflucht und zu Gröger zurück:[47]

Gröger hatte eine ganze Latte von militärischen Vorstrafen und schien für die kämpfende Volksgemeinschaft ohne Wert zu sein. Warum sollte Filbinger einen solchen Mann zu retten versuchen?

Demgegenüber betonte Günther Gillessen im November 2003 mit Berufung auf Franz Neubauer die damaligen Prozessumstände: Filbinger habe den Fall erst am Tag der Hauptverhandlung übernommen, nachdem die Untersuchung mildernder Umstände abgeschlossen und negativ ausgefallen war. Er habe keinen Einfluss mehr auf die Vorbereitung der Anklage nehmen können. Die Weisung des Flottenchefs sei nicht gesetzwidrig ergangen, daher habe Filbinger keinen Widerspruch gegen sie einlegen können. Ein Gnadengesuch habe er nach der Prozessordnung nicht stellen können, da dies nur dem Verteidiger zustand. Doch räumt auch Gillesen ein, dass der Richter verpflichtet war, dem Gerichtsherrn bei Todesstrafenanträgen Gründe für einen Gnadenerweis darzustellen. Ob Filbinger als Ankläger solche Gründe hätte nennen können, ließ er offen.[48]

Strafanzeigen gegen Filbinger wegen der Mitwirkung an Todesurteilen wurden im Jahr 2004 von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt.[49]

Der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt, der den Fall Gröger anhand der Originalakten erforscht hat, sagte im April 2007:[50]

Filbinger hätte die Todesstrafe nicht fordern müssen, er hat trotzdem in dem Verfahren mitgespielt. Das war gut, um seine Position als Marine-Oberstabsrichter zu sichern. Aus anderen Fällen ist bekannt, dass es keinen Zwang dazu gab. Filbinger hätte nicht einmal ein Disziplinarverfahren fürchten müssen, hätte er sich anders entschieden…Um aber Filbingers Rolle zu beleuchten, sollte man als Gegenbeispiel den Fall des Reichkriegsgerichtsrates Dr. Rottka nehmen. Er hat häufig im Sinn der Angeklagten genauere Prüfungen gefordert, um voreilige Todesurteile zu vermeiden. Er ist schließlich entlassen worden. Das wären für Filbinger die maximalen Konsequenzen gewesen.

Helmut Kramer schrieb dazu wenig später:

Mit der formal korrekten Behauptung, es gebe kein einziges Urteil von ihm, durch das ein Mensch sein Leben verloren habe, versuchte Filbinger darüber hinweg zu täuschen, dass er die Todesurteile als Ankläger erwirkt hatte. Ein Staatsanwalt, der ein ungerechtes Todesurteil gefordert und damit das Gericht in Zugzwang gebracht hat, kann nicht seine Hände in Unschuld waschen und die Verantwortung für den Totschlag auf das Gericht abschieben.

Deshalb beurteilt er Filbinger wie Wette weiterhin als „furchtbaren Juristen“. Er sei damit aber kein Sonderfall, sondern ein typischer Mitläufer unter etwa 2.500 bis 2.800 Militärrichtern gewesen, deren Verhalten während und nach der NS-Zeit erst ganz allmählich kritisch aufgearbeitet wurde.[51]

Wirkungen

Die Filbingeraffäre markiert den Beginn einer kritischen Militärgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik, die vor allem von Fritz Wüllner und Manfred Messerschmidt, damals führender Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg/Breisgau, geleistet wurde. Diese löste die bis dahin fast unangefochtene apologetische Militärhistorie ab, die der ehemalige Luftwaffenrichter Otto Peter Schweling und sein Bearbeiter Erich Schwinge 1977 veröffentlicht hatten: Danach sei die Wehrmachtsjustiz eine „antinationalsozialistische Enklave der Rechtsstaatlichkeit“ gewesen; die Militärjuristen der NS-Zeit hätten eine „unideologische Rechtsprechung im Einklang mit den Erfordernissen der Truppe“ verfolgt. Dagegen wiesen Wüllner und Messerschmidt in ihrem gemeinsamen Werk Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende detailliert nach, dass die Wehrmachtsjustiz in „nahtloser Anpassung an die NS-Rechtslehre“ besonders bei den Strafzumessungen durch zehntausende abschreckende Urteile die Soldaten „bei der Fahne“ zu halten suchte, so dass sie einen historisch beispiellosen Exzess an Unrechtsurteilen und über 30.000 Hinrichtungen zu verantworten hatte.[52]

1987 erschien Ingo Müllers Buch Furchtbare Juristen, das die Rolle der Justiz im Dritten Reich und den Umgang der bundesdeutschen Justiz mit der Zeit des Nationalsozialismus behandelte. Der Titel des Buch griffs Hochhuths Bezeichnung Filbingers auf.

Auch die gesetzliche Rehabilitation der Opfer, die vor allem von der EKD und anderen gesellschaftlichen Gruppen verlangt wurde, wurde nun parlamentarisch vorangetrieben. 1991 sprach das Bundessozialgericht den Hinterbliebenen der von der NS-Militärjustiz wegen Fahnenflucht, Befehlsverweigerung oder anderer antinazistischer Betätigungen hingerichteten deutschen Soldaten das Recht auf eine Opferentschädigung zu.

Der Bundesgerichtshof (BGH) nahm sein Urteil vom 16. November 1995 wegen Rechtsbeugung gegen einen DDR-Richter, der Todesurteile gefällt hatte, zum Anlass für ein obiter dictum (lat. „nebenbei Gesagtes“) zur NS-Justiz: Diese habe die Todesstrafe beispiellos missbraucht; Todesurteile von Volksgerichtshof, Sonder- und Kriegsgerichten der NS-Zeit seien ungesühnt geblieben, die damalige Rechtsprechung sei „angesichts exzessiver Verhängung von Todesstrafen nicht zu Unrecht oft als 'Blutjustiz' bezeichnet worden“. Eine „Vielzahl ehemaliger NS-Richter“, die in der Bundesrepublik ihre Laufbahn fortsetzten, hätten nach rechtsstaatlichen Kriterien „strafrechtlich wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen zur Verantwortung gezogen werden müssen.“ „Darin, daß dies nicht geschehen ist, liegt ein folgenschweres Versagen bundesdeutscher Strafjustiz.“[53]

Damit fand der BGH laut Wolfram Wette „…endlich den Mut, alte Betrachtungsweisen über Bord zu werfen und eine selbstkritische Bilanz des Umgangs mit der NS-Militärjustiz zu ziehen.“[54]

Am 23. Juli 2002 wurde das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, das alle Deserteure der Wehrmacht als zu Unrecht Verurteilte nachträglich rehabilitiert, verabschiedet.

Spätzeit

Hans Filbinger, Dezember 2006

Im Studienzentrum Weikersheim engagierte sich Filbinger für eine „geistig-moralische Wende“, die Helmut Kohl als Bundeskanzler 1983 angekündigt, aber aus Sicht des rechten CDU-Flügels nicht verwirklicht hatte. Dies richtete sich gegen die von der Studentenbewegung der 1960er Jahre eingeleitete gesellschaftliche Demokratisierung und kulturelle Liberalisierung und sollte den Nationalkonservatismus in der CDU stärken. Zudem war Filbinger Mitglied in der Paneuropa-Union und im „Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem“.[55]

Am 15. September 2003, seinem 90. Geburtstag, sagte Filbinger einen Empfang in Freiburg, seinem langjährigen Wohnsitz, ab, nachdem der Oberbürgermeister Freiburgs, Dieter Salomon, seine Teilnahme zurückgezogen hatte. Am Folgetag wurde er mit einem Empfang im Residenzschloss Ludwigsburg geehrt. Es kamen etwa 130 geladene Gäste, darunter fast das gesamte CDU/FDP-Kabinett, der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel und sein Vorgänger Lothar Späth. Die Vorsitzenden von SPD und Grünen blieben der Veranstaltung fern; vor den Toren des Schlosses protestierten Demonstranten gegen den Ehrenvorsitzenden der Landes-CDU. Dabei erklärte Wolfram Wette, Filbinger sei seit Mitte der 1970er Jahre zur „Reizfigur“ seiner politischen Gegner geworden, die in ihm eine Verkörperung des „autoritären Charakters“ und der dazugehörigen „Law-and-Order-Politik“ gesehen hätten. Er habe nach seinem Rücktritt bewusst die Rolle des Fürsprechers und Wortführers derjenigen Angehörigen der Kriegsgeneration übernommen, die an ihrem damaligen Verhalten gegenüber dem NS-Regime nichts auszusetzen fand.[56]

Am 11. Oktober 2003 hielt Filbinger in Karlsruhe eine Rede vor dem Bund der Vertriebenen zum Thema „Mit Menschenrechten Europa vollenden“. Nach heftigen Protesten im Vorfeld kam es zu einer Gegendemonstration, zu der alle Oppositionsparteien des badenwürttembergischen Landtags, DGB, Jugendverbände und Universitätsgruppen aufgerufen hatten.[57]

Am 31. März 2004 wurde Filbinger anlässlich der Bundespräsidentenwahl 2004 von der Landtagsfraktion der CDU in Baden-Württemberg zum siebten Mal (nach 1959, 1969, 1974, 1979, 1994, 1999) als Wahlmann für die Bundesversammlung zur Bundespräsidentenwahl vorgeschlagen und auf einer gemeinsamen Liste aller Landtagsfraktionen (CDU, SPD, FDP, Grüne) einstimmig gewählt. Die Bundes-SPD und Bundestagsabgeordnete der Grünen und der PDS distanzierten sich von diesem Stimmverhalten und erinnerten an Filbingers umstrittene Vergangenheit. Kritik kam auch von der Schriftstellervereinigung P.E.N. Deutschland, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Forum Justizgeschichte. Dieses wies darauf hin, dass Filbingers Wahl dem 89-jährigen Hans Lauter, der 1936 vom Volksgerichtshof wegen Widerstands gegen das NS-Regime zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, den Platz des Ältesten wegnahm.[58]

Tod und Würdigung

Filbinger verstarb am 1. April 2007 im Alter von 93 Jahren. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Friedhof in Freiburg-Günterstal.

Am 11. April 2007 fand im Freiburger Münster ein Requiem mit anschließendem Staatsakt statt. Dabei hielt der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, eine von dem Redenschreiber Michael Grimminger entworfene Trauerrede, in der er Filbingers Lebenswerk und sein Verhalten im Nationalsozialismus positiv würdigte:[59]

Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes. Allerdings konnte er sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen Andere.

Diese und andere Aussagen der Rede stießen auf heftige Kritik in der Öffentlichkeit. In der folgenden Debatte wurde Filbingers Rolle in der NS-Zeit nochmals beleuchtet. Fachhistoriker bekräftigten, dass er die NS-Justiz mitgetragen und mindestens eine vermeidbare Hinrichtung zu verantworten gehabt hatte.[60] Einige warfen Oettinger Geschichtsfälschung vor.[61]

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. April öffentlich Oettingers Eingehen auf „die kritischen Fragen“ an Filbingers Verhalten in der NS-Zeit und „eine Differenzierung im Hinblick auf die Gefühle der Opfer“ vermisst hatte[62], entschuldigte sich Oettinger am 15. April bei den Opfern der NS-Justiz[63] und nahm den Satz von der „Gegnerschaft“ Filbingers am 16. April zurück.[64]

Der emeritierte Berliner Domkapitular Wolfgang Knauft wollte am 17. April 2007 auf eigene Initiative in der Abendmesse der Sankt-Hedwigs-Kathedrale an Filbingers Rolle im Fall Möbius erinnern.[65] Georg Kardinal Sterzinsky untersagte dies am Vortag nach vielen Protesten auch von Katholiken, die an Filbingers mangelndes Schuldbewusstsein und den 1943 von Nationalsozialisten ermordeten seliggesprochenen Dompropst Bernhard Lichtenberg erinnerten, der in der Hedwigskathedrale bestattet ist.[66]

Einzelbelege

  1. Kommentar auf baden-Online
  2. Homepage Hans Filbinger, 10. Gaubrief
  3. Hugo Ott in: Hürten, Jäger, Ott (1980) S. 15f
  4. Hans Filbinger: Geschmähte Generation (1. Auflage 1987), S. 50
  5. Ricarda Berthold, Filbingers Tätigkeit als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg in Wolfram Wette (Hrsg.): Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2006, ISBN 3-934920-74-8, S. 43
  6. Christian Semler: Der Nazi-Richter urteilte bis zum Schluss, taz vom 14. April 2007
  7. Spiegel 28/1978 vom 10.07.1978, Seite 26; Hans Filbinger – mit 90 nichts dazu gelernt: Ein furchtbarer Jurist – ein schrecklicher Ministerpräsident – eine geistig-moralische Katastrophe! (pdf, S. 4)
  8. „Filbinger-Witwe 86-jährig gestorben“, Stuttgarter Nachrichten, 19. Mai 2008
  9. Wolfram Wette, a.a.O. S. 9
  10. Bernt Engelmann: Hakenkreuz-Wendedich Filbinger
  11. John Goetz, C. Baumann: Keine Warnung an Allende (taz-Magazin vom 12. September 1998, S. 5)
  12. Der Spiegel: Ministerpräsident, Marinerichter, Mitläufer 2. April 2007
  13. Stefan Wisniewski: Wir waren so unheimlich konsequent... Ein Gespräch zur Geschichte der RAF. ID-Verlag, Berlin 1997 ISBN 3-89408-074-4 S. 29
  14. Martin Lüdke: '^'Die Eule der Minerva. Max Horkheimers „Gesammelte Schriften“ (ZEIT 1986)
  15. Hans Filbinger: Festvortrag auf der 7. Weikersheimer Hochschulwoche 1998
  16. Der Spiegel 16/1972 (beglaubigte Abschrift des Urteils auch bei Knesebeck, S. 22ff)
  17. DIE ZEIT, Erschießen…, a.a.O., 12. Mai 1978
  18. Wolfram Wette: Was Unrecht war, kann heute nicht Recht sein! (Vortrag zum 90. Geburtstag Filbingers, 14. September 2003)
  19. Wolfram Wette, a.a.O., S. 57
  20. Wolfram Wette, a.a.O., S. 75
  21. Knesebeck, S. 36.
  22. DIE ZEIT 12. Mai 1978 (Nachdruck vom 16. April 2007 – 18:35 Uhr): Erschießen, Sargen, Abtransportieren
  23. Ricarda Berthold, a.a.O. S. 46f, S. 61
  24. Bekanntgabe der Pressestelle der Landesregierung Baden-Württembergs am 4. Mai 1978; hier zitiert nach Knesebeck, S. 31. Auszüge daraus: Hans Filbinger: Deshalb stelle ich fest (DIE ZEIT 12. Mai 1978)
  25. Theo Sommer: Die Bürde der Vergangenheit (DIE ZEIT 12. Mai 1978)
  26. a b Der Spiegel Nr. 19/1978: Erleuchtung beim Stichwort «Schweden»
  27. zitiert nach Knesebeck, S. 48
  28. Spiegel 20/1978: Affäre Filbinger: Was damals rechtens war…
  29. Wolfram Wette, a.a.O., S. 20
  30. Ricarda Berthold, a.a.O. S. 46f, S. 60; Der Spiegel Nr. 16/2007, S. 37
  31. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. April 2007, 2. Seite: Hans Filbinger. In den Strömungen der Zeit
  32. Wolfram Wette, a.a.O. S. 8
  33. Theo Sommer, a.a.O.
  34. Theo Sommer, a.a.O.
  35. Hans Filbinger.de: Im Visier der Stasi
  36. zitiert nach Hugo Ott: Hans Filbinger - Der 'Fall' und die Fakten, 1980, S. 30
  37. Der Brief wurde erstmals veröffentlicht von Lothar Bossle (Hrsg.) in: Hans Filbinger, ein Mann in unserer Zeit: Festschrift zum 70. Geburtstag‎, 1983, S. 17
  38. Golo Mann, Rezension zu Filbingers Memoiren, „Welt am Sonntag“, 27. August 1987
  39. Website: Hans Filbinger
  40. Ingo Müller, Justiz ohne Gewissen – Justiz „nach bestem Wissen und Gewissen“, Beitrag zur Tagung „Gewissen und Recht“ der Evangelischen Akademie Bad Boll, 4. bis 6. Mai 2007, Tagungsnummer 520507
  41. Hans Filbinger (1935): Kritische Würdigung des geltenden Strafgesetzbuches und Ausblick auf die kommende Strafrechtsreform, in: Werkblätter, 7. Jg., Heft 5–6, März/April 1935, S. 265–269
  42. Clemens Heni: Hans Filbinger war ein Nazi. Wenig bekannte Quellen des katholischen Bundes Neudeutschland (pdf)
  43. Wolfram Wette, a.a.O. S. 5
  44. Frank Roeser, Die Welt online, 16. April 2007: Solche Lügen dürfen nicht stehen bleiben
  45. Helmut Kramer: Hans Filbinger – ein Furchtbarer Jurist
  46. Wolfram Wette, a.a.O. S. 15ff
  47. Wolfram Wette, a.a.O. S. 13
  48. Günther Gillessen: Der Fall Filbinger. Ein Rückblick auf die Kampagne und die historischen Fakten
  49. Strafanzeige gegen Filbinger, Artikel der Netzeitung vom 21. Mai 2004.
  50. Manfred Messerschmidt: Er hätte auch anders gekonnt (Spiegel-Interview 12. April 2007)
  51. Helmut Kramer, a.a.O.
  52. Frank Bührmann-Peters (Universität Osnabrück): Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in den Emslandlagern 1939–1945 (pdf, S. 7f)
  53. Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. November 1995, Az. 5 StR 747/94; BGHSt 41, 317–347
  54. Wolfram Wette: Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2006, ISBN 3-934920-74-8, S. 163. Wette verweist dazu auf: Neue Juristische Wochenschrift 1996, S. 857 ff. und auf Otto Gritschneder: Rechtsbeugung. Die späte Beichte des Bundesgerichtshofs, in: Neue Juristische Wochenschrift 1996, S. 1239ff.
  55. Jens Mecklenburg (Hrsg.), Handbuch Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 458
  56. Wolfram Wette, a.a.O. S. 9
  57. Dokumentation über den Protest gegen den Filbinger-Auftritt am 11. Oktober 2003 in Karlsruhe (pdf)
  58. Forum Justizgeschichte: Presseerklärung Ausgerechnet Hans Filbinger Ältester der Bundesversammlung
  59. Oettingers Rede beim Staatsakt am 11. April 2007
  60. Manfred Messerschmidt: (n-tv.de Interview 13. April 2007): Filbinger war ein Mitmarschierer
  61. Deutschlandfunk 14. April 2007: Historiker wirft Oettinger Geschichtsfälschung vor
  62. Der Tagesspiegel, 13. April 2007: Filbinger-Trauerrede: Merkel distanziert sich von Oettinger
  63. Tagesspiegel 15. April 2007: Oettinger entschuldigt sich bei NS-Opfern
  64. WDR Nachrichten, 16. April 2007, 17:51 Uhr: Oettinger nimmt Aussagen über Filbinger zurück
  65. Der Tagesspiegel, 15. April 2007: Katholiken ehren Filbinger mit Gedenkgottesdienst
  66. Der Tagesspiegel, 17. April 2007: Erzbistum sagt Gottesdienst für Filbinger ab

Werke

  • Die geschmähte Generation. Politische Erinnerungen. Die Wahrheit aus den Stasi-Akten. 3., erg. u. überarb. Aufl., Bechtle-Verlag, Esslingen u. a. 1994, ISBN 3-762805-23-7 (Autobiografie)
  • Hans Filbinger. Ein Mann in unserer Zeit (Herausgeber: Lothar Bossle), Universitas-Verlag, 1998, ISBN 3800410524
  • Entscheidung zur Freiheit, Busse-Seewald Verlag, 1982, ISBN 3512002137
  • Die Medien – das letzte Tabu der offenen Gesellschaft. Die Wirkung der Medien auf Politik und Kultur (mit Eugen Biser und Lothar Bossle), ISBN 3775811354

Literatur

Biografisches

  • Wolfram Wette (Hrsg.): Filbinger, eine deutsche Karriere. 1. Aufl., zu Klampen-Verlag, Springe 2006, ISBN 3-934920-74-8
  • Fred Ludwig Sepaintner (Hrsg.): Hans Filbinger – aus neun Jahrzehnten. Von: Hans Filbinger, Fred Ludwig Sepaitner; Erstausg., DRW-Verlag/G. Braun Buchverlag, Leinfelden-Echterdingen/Karlsruhe 2003, ISBN 3-87181-536-5. (Festschrift zum 90. Geburtstag)

Filbinger-Affäre

  • Heinz Hürten, Wolfgang Jäger, Hugo Ott, Hrsg. von Bruno Heck: Hans Filbinger – Der Fall und die Fakten: eine historische und politologische Analyse. 1. Aufl., Verlag v. Hase & Koehler, Mainz 1980, ISBN 3-7758-1002-1 (Aufsatzsammlung, herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung)
  • Franz Neubauer: Das öffentliche Fehlurteil – Der Fall Filbinger als ein Fall der Meinungsmacher. 1. Aufl., S. Roderer Verlag, Regensburg 1990, ISBN 3-89073-487-1. (Verlags-Schriftenreihe: Theorie und Forschung/Zeitgeschichte 2/122)
  • Günter Bohnsack, Herbert Brehmer: Auftrag: Irreführung. Wie die Stasi Politik im Westen machte, Carlsen Verlag GmbH, 1993, ISBN 3551850038
  • Thomas Ramge: Die großen Polit-Skandale. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. Kapitel 7: Der furchtbare Jurist – Marinerichter Hans Karl Filbinger und sein pathologisch gutes Gewissen (1978). ISBN 3-593-37069-7

Vergangenheitsbewältigung

  • Helmut Kramer u. Wolfram Wette (Hrsg.): Recht ist, was den Waffen nützt: Justiz und Pazifismus im 20. Jahrhundert. 1. Aufl., mit einem Geleitwort v. Hans-Jochen Vogel, Aufbau-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-351-02578-5 (Aufsatzsammlung; Seite 43: Hans Filbinger)
  • Jörg Musiol: Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik. Kontinuität und Wandel in den späten 1970er Jahren, Tectum; 2006, ISBN 3828891160
  • Rosemarie von dem Knesebeck (Hrsg.): In Sachen Filbinger gegen Hochhuth. Die Geschichte einer Vergangenheitsbewältigung, Rowohlt TB, 1983, ISBN 3499145456
  • Norbert Frei: Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Das Buch zur ARD-Fernsehserie, Campus Sachbuch, 2001, ISBN 3593367904
  • Rolf Surmann: Filbinger, NS-Militärjustiz und deutsche Kontinuitäten. In: Dieter Schröder, Rolf Surmann (Hrsg.): Der lange Schatten der NS-Diktatur, UNRAST-Verlag, Münster 1999, ISBN 3-89771-801-4

Weblinks

Eigendarstellung

Kritik

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Dokumentation

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