- Reichstagswahl 1878
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Die Reichstagswahl 1878 war die Wahl zum 4. Deutschen Reichstag. Sie fand am 30. Juli 1878 statt. Aufgrund der Umstände ist sie auch als Attentatswahl bekannt.
Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 63,4 % (andere Quelle: 63,1 %) und damit unwesentlich höher als bei der Reichstagswahl 1877.
Nach einem fehlgeschlagenen Attentat des Arbeiters Max Hödel auf Kaiser Wilhelm I. am 11. Mai 1878 hatte Reichskanzler Otto von Bismarck ein Verbot der Sozialdemokraten gefordert. Der mehrheitlich liberale Reichstag hatte dies aus rechtsstaatlichen Erwägungen abgelehnt. Ein zweites Attentat, durchgeführt von Karl Eduard Nobiling am 2. Juni 1878, bei dem der Kaiser verletzt wurde, führte zu weiterer Aufregung in der Bevölkerung und Druck auf die gemäßigten Kräfte. Daraufhin war der Reichstag gemäß Artikel 24 der Reichsverfassung von Bundesrat und Kaiser – durchaus auf Wunsch Bismarcks – am 11. Juni aufgelöst worden. Vor allem Nationalliberale schwenkten nun ins Lager derer um, die die Sozialisten gesetzlich und polizeilich bekämpfen wollten.
Der Wahlkampf wurde um das vor allem von konservativen Kräften um Bismarck geforderte Sozialistengesetz geführt. Mit dem Berliner Kongress, der zwei Wochen vor der Wahl endete, konnte Bismarck sein Ansehen erhöhen.
Die Wahl wurde eindeutig von den Konservativen gewonnen. Verlierer waren dagegen die Liberalen. Auch die Sozialdemokraten verloren Sitze.
Der vierte Reichstag stimmte schließlich dem Sozialistengesetz mit 221 zu 149 Stimmen zu. Dafür stimmten die Konservativen und Nationalliberalen, dagegen vor allem das Zentrum, die Deutsche Fortschrittspartei und die Sozialdemokraten selbst, die ihre Mandate allerdings weiter ausüben durften.
Eine wichtige Weichenstellung in der Legislaturperiode war die Einführung von Schutzzöllen, die im Juli 1879 mit den Stimmen der Konservativen und des Zentrums beschlossen wurde. Die Nationalliberale Partei war in der Frage tief gespalten und stimmte uneinheitlich ab; sowohl Vertreter des rechten als auch des linken Flügels verließen die Partei. Letztere bildeten später mit weiteren Liberalen die Liberale Vereinigung. Die liberal gesinnten Minister Adalbert Falk, Karl Rudolf Friedenthal und Arthur Johnson Hobrecht traten zurück. Der erbitterte Widerstand der geschwächten „linksliberalen“, d. h. manchesterliberalen Parteien mit dem Wortführer Eugen Richter war schließlich vergeblich, die Abstimmung endete mit 217 zu 117 Stimmen. Die Einführung war vor allem von der Lobbygruppe Zentralverband Deutscher Industrieller gefordert worden, die sich mit den agrarischen Interessengruppen - sie beherrschten die konservativen Parteien - zum „Bündnis aus Roggen und Eisen“ zusammengeschlossen hatte und auch in Wahlkämpfe eingriff.
Inhaltsverzeichnis
Ergebnis
Politische Richtung Parteien Wählerstimmen Sitze im Reichstag[1] in Mio. Anteil ggüb. 1877 absolut Anteil ggüb. 1877 Konservative Deutschkonservative Partei (DKP) 0,749 13,0 % +3,3 % 59 14,9 % +19 Deutsche Reichspartei (DRP) 0,786 13,6 % +5,7 % 57 14,4 % +19 Liberale Rechts- Nationalliberale Partei (NLP) 1,331 23,1 % −4,1 % 99 24,9 % −29 Unabhängige Liberale 0,156 2,7 % +0,2 % 10 2,5 % −3 Links- Deutsche Fortschrittspartei (DFP) 0,385 6,7 % −1,0 % 26 6,6 % −9 Deutsche Volkspartei (DtVP) 0,066 1,1 % +0,3 % 3 0,8 % −1 Katholiken Zentrumspartei 1,328 23,1 % −1,7 % 94 23,7 % +1 Sozialisten Sozialdemokraten (SAPD) 0,437 7,6 % −1,5 % 9 2,3 % −3 Regionalparteien,
MinderheitenDeutsch-Hannoversche Partei (DHP) 0,100 1,7 % +0,1 % 10 2,5 % +6 Polen 0,210 3,6 % −0,4 % 14 3,5 % ±0 Dänen 0,018 0,3 % −0,1 % 1 0,3 % ±0 Elsaß-Lothringer 0,179 3,1 % −0,6 % 15 3,8 % ±0 Sonstige 0,015 0,3 % −0,1 % - - ±0 Gesamt 5,761 100 % 397 100 % Gewählte Abgeordnete nach Wahlkreisen
In jedem der insgesamt 397 Wahlkreise wurde nach absolutem Mehrheitswahlrecht ein Abgeordneter gewählt. Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, wurde eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten durchgeführt. In den folgenden Tabellen werden die Wahlkreissieger und ihre im amtlichen Endergebnis genannte Parteistellung angegeben.[1]
Preußen
Bayern
Sachsen
Württemberg
Baden
Großherzogtum Baden 1 Konstanz, Überlingen, Stockach Franz Xaver Heilig NLP 2 Donaueschingen, Villingen Robert Gerwig NLP 3 Waldshut, Säckingen, Neustadt im Schwarzwald Ernst Friedrich Krafft NLP 4 Lörrach, Müllheim Markus Pflüger NLP 5 Freiburg, Emmendingen Otto Waenker von Dankenschweil Zentrum 6 Lahr, Wolfach Karl Heinrich Dreyer NLP 7 Offenburg, Kehl Carl Baer NLP 8 Rastatt, Bühl, Baden-Baden Franz Xaver Lender Zentrum 9 Pforzheim, Ettlingen Casimir Rudolf Katz DKP 10 Karlsruhe, Bruchsal Adolf von Marschall DKP 11 Mannheim Wilhelm Kopfer DtVP 12 Heidelberg, Mosbach Wilhelm Blum NLP 13 Bretten, Sinsheim Friedrich Kiefer NLP 14 Tauberbischofsheim, Buchen Franz von und zu Bodman Zentrum Hessen
Großherzogtum Hessen 1 Gießen, Grünberg, Nidda Adalbert Nordeck zur Rabenau DRP 2 Friedberg, Büdingen, Vilbel Bernhard Schroeder NLP 3 Lauterbach, Alsfeld, Schotten Karl von Gareis NLP 4 Darmstadt, Groß-Gerau Wilhelm Büchner DFP 5 Offenbach, Dieburg Friedrich Dernburg NLP 6 Erbach, Bensheim, Lindenfels, Neustadt im Odenwald Georg Martin NLP 7 Worms, Heppenheim, Wimpfen Joseph Görz NLP 8 Bingen, Alzey Ludwig Bamberger NLP 9 Mainz, Oppenheim Christoph Moufang Zentrum Kleinstaaten
Elsaß-Lothringen
Reichsland Elsaß-Lothringen 1 Altkirch, Thann Landolin Winterer Els.-Lothringer 2 Mülhausen Johann Dollfus Els.-Lothringer 3 Kolmar Charles Grad Els.-Lothringer 4 Gebweiler Joseph Guerber Els.-Lothringer 5 Rappoltsweiler Jacob Ignatius Simonis Els.-Lothringer 6 Schlettstadt Louis Heckmann-Stintzy Els.-Lothringer 7 Molsheim, Erstein Achille Rack Els.-Lothringer 8 Straßburg-Stadt Jacques Kablé Els.-Lothringer 9 Straßburg-Land Jean North Els.-Lothringer 10 Hagenau, Weißenburg Alfred Schmitt-Batiston Els.-Lothringer 11 Zabern Carl August Schneegans Els.-Lothringer 12 Saargemünd, Forbach Eduard Jaunez Els.-Lothringer 13 Bolchen, Diedenhofen Eugène Lorette Els.-Lothringer 14 Metz Paul Bezanson Els.-Lothringer 15 Saarburg, Chateau-Salins Charles Germain Els.-Lothringer Die Fraktionen des 4. Reichstags
Im 4. Reichstag schlossen sich mehrere Abgeordnete nicht der Fraktion ihrer eigentlichen Partei an und blieben zum Teil fraktionslos. Die DHP-Abgeordnete traten der Zentrumsfraktion bei. Am Beginn der Legislaturperiode besaßen die Reichstagsfraktionen die folgende Stärke:[2]
Zentrum 103 Nationalliberale 97 Deutschkonservative 59 Freikonservative 56 Fortschrittspartei 26 Polen 14 Sozialdemokraten 9 Fraktionslose 33 Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode änderte sich aufgrund von Nachwahlen und Fraktionswechseln mehrfach die Stärke der einzelnen Fraktionen.
Siehe auch
Weblinks
- Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reichs
- Wahlen in Deutschland bis 1918, dort:
- Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, dort:
Einzelnachweise
- ↑ a b Kaiserliches Statistisches Amt (Hrsg.): Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Jahrgang 1879, Heft 6. Berlin 1879.
- ↑ Deutscher Parlaments-Almanach 1878. Münchener Digitalisierungszentrum, abgerufen am 20. November 2009 (pdf).
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